Huber: Wulffs Rede keine "Beruhigungspille"
Der ehemalige EKD-Vorsitzende Wolfgang Huber hat dazu aufgefordert, mit den Muslimen in Deutschland offen darüber zu diskutieren, welche Gestalt der Islam habe, der auf Dauer zu Deutschland gehören könne.
Ute Welty: Wer nach allen Seiten offen ist, der ist nicht ganz dicht. Dieser Satz stammt von Wolfgang Huber, dem früheren Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche. Heute ist er Publizist, Professor für Theologie in Berlin und Vordenker in Sachen Ethik. Guten Morgen, Herr Huber!
Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wir wollen sprechen über die Rolle des Islam in Deutschland nach der
Rede des Bundespräsidenten. Christian Wulff kann ja viel Lob für sich und seine Worte verbuchen, aber wenn ich Ihren eben zitierten Satz als Maßstab nehme, der von der Offenheit nach allen Seiten: Ab wann fangen wir an, es mit der Toleranz zu übertreiben?
Huber: Dann, wenn wir blind sind denen gegenüber, die die Voraussetzungen der Toleranz aufheben, weil sie selber nicht die gleichen Rechte für Menschen anderer Überzeugungen auch anerkennen.
Welty: Was heißt das konkret?
Huber: Das heißt ganz konkret, dass wir von allen, die an der Religionsfreiheit in unserem Land Anteil haben wollen, verlangen müssen, dass sie auch die Religionsfreiheit anderer achten, dass sie fair mit ihren Überzeugungen umgehen, dass sie klar eintreten dafür, dass Wahrheitsfragen nicht mit Gewalt ausgetragen werden dürfen.
Welty: Gehört der Islam zu Deutschland oder ist ein Deutschland von verschleierten Frauen tatsächlich nicht mehr das Land von Goethe und Schiller? Wo positionieren Sie sich, der Sie mehrfach gesprochen haben von interreligiöser Schummelei?
Huber: Also ich bejahe das ausdrücklich, dass die Muslime zu Deutschland gehören und dass wir deswegen mit ihnen offen diskutieren müssen über eine Gestalt des Islam, die dann auch auf Dauer zu Deutschland gehören kann. Und persönlich finde ich, dass wir dabei eine ganz wichtige Debatte über die Frage haben, dass wir auch im Thema Religion offenes Gesicht zeigen und deswegen darum werben, dass Menschen sich auch in diesem Land dann offen und unverhüllt zeigen.
Welty: Also kein Kopftuch?
Huber: Ja, aber ich meine damit jetzt nicht eine Debatte über ein gesetzliches Verbot, sondern ich meine damit eine Debatte darüber, dass wir offenen Gesichts miteinander umgehen. Ich glaube, wir brauchen vielmehr eine gesellschaftliche Debatte, als dass wir, wie das jetzt wieder vorgeschlagen wird, meinen, wir könnten alles über Gesetze regeln. Das ist nicht der Fall und das ist in meinen Augen die falsche Diskussion.
Welty: Was entgegnen Sie den jungen Frauen, die zum Teil ja wirklich davon überzeugt sind und ein Kopftuch tragen wollen?
Huber: Wenn sie ein Kopftuch tragen wollen und davon überzeugt sind, dann respektiere ich das. Ich mache bloß den deutlichen Unterschied, und da bin ich ja ganz einig mit einer wirklich beeindruckenden Diskussion auf dem Deutschen Juristentag jetzt vor zehn Tagen, dass Frauen, die im öffentlichen Dienst für unseren Staat eintreten, also Lehrerinnen auch bei religionsbestimmten Handlungen sich eine Zurückhaltung auferlegen sollen. Wieder hat mir auch in dieser Diskussion sehr gut gefallen, dass auch Juristen gesagt haben, jetzt lasst uns nicht alles über das Gesetz anfangen, sondern auf den Einzelfall eingehen. Menschen überzeugen, das ist das, was wir jetzt versuchen müssen.
Welty: Wo hört eine Debatte um Integration auf und wo muss eine Debatte über Rechtspopulismus beginnen?
Huber: Also die Debatte hört dort auf, wo Menschen aktiv grundlegende Vorstellungen unserer Verfassungsordnung angreifen. Und selbstverständlich ist dabei ein Rechtspopulismus genau so inakzeptabel, der ja damit spielt, nun umgekehrt die Rechte von zugewanderten Muslimen in Zweifel zu ziehen, und die gleiche Würde der Menschen auf diese Weise verletzt.
Welty: Die Ängste sind ja vorhanden, sind vielleicht auch zum Teil berechtigt. Aber diese Gefahr des Populismus ist ja doch sehr groß. Oder sehen Sie das anders?
Huber: Nein, ich teile diese Auffassung. Ich finde, dass generell die Angst ein schlechter Ratgeber ist. Man muss Herausforderungen und Probleme klar benennen und darf vor ihnen nicht die Augen verschließen. Man muss sich an den Grundsatz halten, den wir in der evangelischen Kirche vor einigen Jahren auf die Formel "Klarheit und gute Nachbarschaft" gebracht haben. Da haben wir einen großen Nachholbedarf. Die Ängste entstehen nach meiner Meinung dadurch, dass es an der offenen und klaren Diskussion fehlt. Und wenn die Äußerungen des Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit diese Diskussion befördern, dann haben sie einen guten Dienst geleistet. Aber dazu muss man auch sehen, dass die Formel "Der Islam gehört zu Deutschland" eigentlich eine Aufgabe beschreibt und nicht etwa eine Feststellung eines schon erreichten Zustandes.
Welty: Das heißt, die Worte des Bundespräsidenten könnten auch ja der Sache zum Schlechten dienen?
Huber: Dann, wenn sie als eine Beruhigungspille missverstanden würden, wenn gesagt wird, na ist alles wunderbar, das Christentum gehört zu Deutschland, das Judentum gehört zu Deutschland - selbstverständlich, hat er in beiden Fällen sogar hinzugefügt - und der Islam ist auch ein Teil Deutschlands. Wenn damit gemeint wäre, wir haben alle Probleme schon gelöst, dann wäre es verkehrt. Wenn es als eine Aufgabenbeschreibung und als eine Aufforderung verstanden worden ist, dann kann die Diskussion, die dadurch entsteht, auch ein gutes Gegenmittel gegen Rechtspopulismus sein.
Welty: Sie selber sprechen von der Balance zwischen Freiheit und Verantwortung als einer besonderen Perspektive des Protestantismus. Warum des Protestantismus, warum nicht des Katholizismus oder des Christentums generell?
Huber: Also dem Katholizismus und dem Protestantismus geht es ja um nichts anderes als darum, den Kern des christlichen Glaubens zur Sprache zu bringen, deswegen kann das in der Tat nie ausschließlich gemeint sein. Aber historisch betrachtet ist der Protestantismus diejenige Gestalt des Christentums, die dem christlichen Freiheitsgedanken auf besondere Weise zum Durchbruch verholfen hat. Deswegen ist die Gewissensfreiheit in einer besonderen Weise mit der Reformation verbunden. Und diejenigen, die sich im 20. Jahrhundert im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in der Bürgerrechtsbewegung auf die christliche Freiheit berufen haben, die haben damit einen wichtigen Impuls der Reformation aufgenommen. Aber ich verstehe das nicht als eine exklusive Aussage, sondern als eine Verpflichtung, die wir jetzt heute aufnehmen müssen und uns dagegen einsetzen müssen, dass Freiheit als Beliebigkeit missverstanden wird.
Welty: Der evangelische Theologe Wolfgang Huber über die Rolle des Islam in Deutschland. Danke für das Gespräch mit Deutschlandradio Kultur!
Huber: Ich bedanke mich auch, Frau Welty!
Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Wir wollen sprechen über die Rolle des Islam in Deutschland nach der
Rede des Bundespräsidenten. Christian Wulff kann ja viel Lob für sich und seine Worte verbuchen, aber wenn ich Ihren eben zitierten Satz als Maßstab nehme, der von der Offenheit nach allen Seiten: Ab wann fangen wir an, es mit der Toleranz zu übertreiben?
Huber: Dann, wenn wir blind sind denen gegenüber, die die Voraussetzungen der Toleranz aufheben, weil sie selber nicht die gleichen Rechte für Menschen anderer Überzeugungen auch anerkennen.
Welty: Was heißt das konkret?
Huber: Das heißt ganz konkret, dass wir von allen, die an der Religionsfreiheit in unserem Land Anteil haben wollen, verlangen müssen, dass sie auch die Religionsfreiheit anderer achten, dass sie fair mit ihren Überzeugungen umgehen, dass sie klar eintreten dafür, dass Wahrheitsfragen nicht mit Gewalt ausgetragen werden dürfen.
Welty: Gehört der Islam zu Deutschland oder ist ein Deutschland von verschleierten Frauen tatsächlich nicht mehr das Land von Goethe und Schiller? Wo positionieren Sie sich, der Sie mehrfach gesprochen haben von interreligiöser Schummelei?
Huber: Also ich bejahe das ausdrücklich, dass die Muslime zu Deutschland gehören und dass wir deswegen mit ihnen offen diskutieren müssen über eine Gestalt des Islam, die dann auch auf Dauer zu Deutschland gehören kann. Und persönlich finde ich, dass wir dabei eine ganz wichtige Debatte über die Frage haben, dass wir auch im Thema Religion offenes Gesicht zeigen und deswegen darum werben, dass Menschen sich auch in diesem Land dann offen und unverhüllt zeigen.
Welty: Also kein Kopftuch?
Huber: Ja, aber ich meine damit jetzt nicht eine Debatte über ein gesetzliches Verbot, sondern ich meine damit eine Debatte darüber, dass wir offenen Gesichts miteinander umgehen. Ich glaube, wir brauchen vielmehr eine gesellschaftliche Debatte, als dass wir, wie das jetzt wieder vorgeschlagen wird, meinen, wir könnten alles über Gesetze regeln. Das ist nicht der Fall und das ist in meinen Augen die falsche Diskussion.
Welty: Was entgegnen Sie den jungen Frauen, die zum Teil ja wirklich davon überzeugt sind und ein Kopftuch tragen wollen?
Huber: Wenn sie ein Kopftuch tragen wollen und davon überzeugt sind, dann respektiere ich das. Ich mache bloß den deutlichen Unterschied, und da bin ich ja ganz einig mit einer wirklich beeindruckenden Diskussion auf dem Deutschen Juristentag jetzt vor zehn Tagen, dass Frauen, die im öffentlichen Dienst für unseren Staat eintreten, also Lehrerinnen auch bei religionsbestimmten Handlungen sich eine Zurückhaltung auferlegen sollen. Wieder hat mir auch in dieser Diskussion sehr gut gefallen, dass auch Juristen gesagt haben, jetzt lasst uns nicht alles über das Gesetz anfangen, sondern auf den Einzelfall eingehen. Menschen überzeugen, das ist das, was wir jetzt versuchen müssen.
Welty: Wo hört eine Debatte um Integration auf und wo muss eine Debatte über Rechtspopulismus beginnen?
Huber: Also die Debatte hört dort auf, wo Menschen aktiv grundlegende Vorstellungen unserer Verfassungsordnung angreifen. Und selbstverständlich ist dabei ein Rechtspopulismus genau so inakzeptabel, der ja damit spielt, nun umgekehrt die Rechte von zugewanderten Muslimen in Zweifel zu ziehen, und die gleiche Würde der Menschen auf diese Weise verletzt.
Welty: Die Ängste sind ja vorhanden, sind vielleicht auch zum Teil berechtigt. Aber diese Gefahr des Populismus ist ja doch sehr groß. Oder sehen Sie das anders?
Huber: Nein, ich teile diese Auffassung. Ich finde, dass generell die Angst ein schlechter Ratgeber ist. Man muss Herausforderungen und Probleme klar benennen und darf vor ihnen nicht die Augen verschließen. Man muss sich an den Grundsatz halten, den wir in der evangelischen Kirche vor einigen Jahren auf die Formel "Klarheit und gute Nachbarschaft" gebracht haben. Da haben wir einen großen Nachholbedarf. Die Ängste entstehen nach meiner Meinung dadurch, dass es an der offenen und klaren Diskussion fehlt. Und wenn die Äußerungen des Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit diese Diskussion befördern, dann haben sie einen guten Dienst geleistet. Aber dazu muss man auch sehen, dass die Formel "Der Islam gehört zu Deutschland" eigentlich eine Aufgabe beschreibt und nicht etwa eine Feststellung eines schon erreichten Zustandes.
Welty: Das heißt, die Worte des Bundespräsidenten könnten auch ja der Sache zum Schlechten dienen?
Huber: Dann, wenn sie als eine Beruhigungspille missverstanden würden, wenn gesagt wird, na ist alles wunderbar, das Christentum gehört zu Deutschland, das Judentum gehört zu Deutschland - selbstverständlich, hat er in beiden Fällen sogar hinzugefügt - und der Islam ist auch ein Teil Deutschlands. Wenn damit gemeint wäre, wir haben alle Probleme schon gelöst, dann wäre es verkehrt. Wenn es als eine Aufgabenbeschreibung und als eine Aufforderung verstanden worden ist, dann kann die Diskussion, die dadurch entsteht, auch ein gutes Gegenmittel gegen Rechtspopulismus sein.
Welty: Sie selber sprechen von der Balance zwischen Freiheit und Verantwortung als einer besonderen Perspektive des Protestantismus. Warum des Protestantismus, warum nicht des Katholizismus oder des Christentums generell?
Huber: Also dem Katholizismus und dem Protestantismus geht es ja um nichts anderes als darum, den Kern des christlichen Glaubens zur Sprache zu bringen, deswegen kann das in der Tat nie ausschließlich gemeint sein. Aber historisch betrachtet ist der Protestantismus diejenige Gestalt des Christentums, die dem christlichen Freiheitsgedanken auf besondere Weise zum Durchbruch verholfen hat. Deswegen ist die Gewissensfreiheit in einer besonderen Weise mit der Reformation verbunden. Und diejenigen, die sich im 20. Jahrhundert im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in der Bürgerrechtsbewegung auf die christliche Freiheit berufen haben, die haben damit einen wichtigen Impuls der Reformation aufgenommen. Aber ich verstehe das nicht als eine exklusive Aussage, sondern als eine Verpflichtung, die wir jetzt heute aufnehmen müssen und uns dagegen einsetzen müssen, dass Freiheit als Beliebigkeit missverstanden wird.
Welty: Der evangelische Theologe Wolfgang Huber über die Rolle des Islam in Deutschland. Danke für das Gespräch mit Deutschlandradio Kultur!
Huber: Ich bedanke mich auch, Frau Welty!