Hubertus Butin: Kunstfälschung: "Das betrügliche Objekt der Begierde"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
476 Seiten, 28 Euro
Vom laschen Umgang mit dem Kunstbetrug
08:32 Minuten
Kunstfälschungen haben Hochkonjunktur und richten erheblichen finanziellen Schaden an. Dennoch macht man es den Fälschern einfach. Warum? In seinem brillanten Buch weist Hubertus Butin dem Kunstbetrieb eine Mitverantwortung zu.
So viel Aufmerksamkeit ist selten. Tatsächlich können selbst international gefeierte Künstlerinnen und Künstler nicht darauf zählen, mit einer 15-teiligen Fernsehserie bedacht zu werden. Doch einem Protagonisten und seinem Werk ist genau diese Ehre widerfahren: Von 2014 bis 2017 strahlte der Kulturkanal 3sat die Sendung "Der Meisterfälscher. Ein Fall für Beltracci" aus. Warum aber wird dem verurteilten Betrüger und Kunstfälscher Wolfgang Beltracci eine solche Bühne geboten?
Fälscher agierten nicht im luftleeren Raum
Laien mögen sich eine solche Frage stellen. Für den Kunsthistoriker Hubertus Butin hingegen ist der Fall klar: Fälscher, so seine These, agierten nicht im luftleeren Raum, vielmehr verweise jede Fälschung auf ein "systemisches Problem". Sie werde getragen, wenn nicht sogar erst ermöglicht durch das gesamte "Geflecht Kunstbetrieb", zu dem eben auch die Medien gehörten – mit ihrer zweifelhaften Bewunderung für "Meisterfälscher".
"Kunstfälschung. Das betrügliche Objekt der Begierde" lautet der Titel des wichtigen und gewichtigen Buches, in dem Hubertus Butin diese markante These auf annähernd 500 Seiten darlegt. Gegliedert in 14 Kapitel legt der Autor dafür die gesamte Kunstwelt und ihre Akteurinnen und Akteure buchstäblich auf den Seziertisch.
Verflechtungen und Abhängigkeiten
Butin, als Gutachter und Mitherausgeber des Werkverzeichnisses der Editionen Gerhard Richters selbst Teil des Systems, legt seinen Schwerpunkt auf die letzten vier Jahrzehnte. Er blickt kapitelweise auf Fälscher, soweit bekannt, tatsächlich ausschließlich Männer, auf Sammlerinnen, Spekulanten, Gutachterinnen, Museumsdirektoren, Künstlerinnen und auch in Auktionshäuser und Galerien.
Brillant skizziert der Autor dadurch ein System der gegenseitigen Verflechtungen und Abhängigkeiten, in dem zwar viele Beteiligte durch Fälschungen geschädigt werden, über die aber dennoch die wenigsten reden wollen.
Glänzendes Porträt des Kunstbetriebs
Bisweilen liest sich das geradezu abenteuerlich. Etwa wenn Butin beschreibt, wie Auktionshäuser entdeckte Fälschungen eher diskret zurückziehen, um Kundinnen und Kunden nicht zu verprellen, und die Bilder dann erneut in Umlauf kommen. Oder wie vermeintlich unfehlbare Gutachterinnen und Gutachter mit Monopolstellung sich eklatant irren und dennoch keine Verantwortung übernehmen. Oder wie Sammler und Sammlerinnen mit dem Wunsch, einen Bluechip zu erwerben, buchstäblich blind agieren.
Stark ist, dass der Autor nie im Theoretischen bleibt, sondern seine "Systemkritik" mit unzähligen Beispielen, mit Namen, Daten und Fakten untermauert. Das ist selbst für Kennerinnen und Kenner aufschlussreich und bisweilen echt verblüffend.
Wer hätte geahnt, dass die meisten Fälschungen nicht den millionenschweren Spitzenwerken gelten, sondern sich im drei- bis fünfstelligen Bereich abspielen? Wer, dass "Fälscherringe ganze Lastwagenladungen vermarkten" und tatsächlich kein Genre vor ihnen sicher ist?
Dieses Buch hat es in sich: Es benennt eklatante Missstände, bietet am Ende sogar Lösungsvorschläge und zeichnet – quasi nebenbei – ein glänzendes Porträt des Betriebs. An diesem Standardwerk wird man nicht mehr vorbeikommen.