Hubertus Knabe: Tag der Befreiung?
Der Zweite Weltkrieg ist der "gute Krieg", den Gerechtigkeit und Zivilisation verlangten. Er wird, je weiter er zurückliegt, desto besser. Das liegt daran, dass die Generation ausstirbt, die anderes in stummer Erinnerung hielt und auch die Sowjetunion dahingegangen ist, die Macht, die der deutschen Wehrmacht den Garaus bereitete und später nicht überall als Lichtgestalt galt.
So trübt am bevorstehenden Victory Day nichts mehr die Erzählung vom Kreuzzug für Demokratie und Menschenrechte gegen den Schurkenstaat, der sich für seinen Rassendünkel und um die Weltherrschaft schlug. Bis die Parteilichkeiten einst abgekühlt sind und die Historiker des Krieges nicht mehr Urteile fällen in eigener Sache, braucht es noch ein paar Generationen. Bis dahin wird gestritten werden, was war, und seit kurzem fällt dabei unangenehm auf, dass die Besiegten Klage führen. Der Anpassungsdruck reicht nicht mehr aus, dass die zu Massen Vertriebenen, Vergewaltigten und Zerbombten, die Verschleppten, Internierten, Verhungerten und Gefolterten den Befreiern dafür Dank aussprechen und ihr Martyrium selber schuld gewesen sein wollen, denn Hitler hat angefangen.
Doch schon diese elementarste aller Schulbuchweisheiten liegt schief, wie der Berliner Historiker Hubertus Knabe, und eigentlich jeder Historiker weiß, es aber nicht klar schreibt. Der Kriegsausbruch war nämlich ein Komplott, Hitler hatte einen Partner, den zweiten Schützen.
Zeitgleich mit Hitlers frühen Eroberungen fiel auch Stalin in diverse Staaten ein. Sein erstes Opfer wurde Polen, das der Moskauer Außenminister Molotow am 1. September 1939 als 'Missgeburt' des Versailler Vertrages bezeichnete. An zwei Fronten griffen am 17. September über eine Million Rotarmisten die völlig überraschte polnische Armee an. Stalin eignete sich mehr als 50 Prozent des polnischen Staatsgebietes an. Um den Sieg zu feiern, nahmen Panzergeneral Heinz Guderian und der sowjetische Brigadekommandeur Semjon Kriwoschein wenig später in Brest gemeinsam eine Parade ab.
Das Komplott sah in dichter Folge sowjetische Einmärsche in Finnland, Lettland, Litauen, Estland und Rumänien vor. Den Besatzungsterror in Polen teilten sich Gestapo und NKWD in gleicher Weise. Polens intellektuelle und militärische Eliten wurden kooperativ ausgerottet.
Die Sowjetunion inhaftierte mehr als 230.000 Soldaten, von denen im Sommer 1941 gerade einmal noch 82.000 am Leben waren.
Beide Angreifer von 1939 hegten Hintergedanken und wollten einander nicht wohl. Stalin spekulierte darauf, dass die allein Deutschland bekriegenden Westmächte gemeinsam mit ihm sich auf den Schlachtfeldern von 1914/18 weiß bluteten und daraus - wie gehabt - die bolschewistische Revolution keimte. Hitler wiederum wartete auf den richtigen Zeitpunkt, Russland zu überrennen und zu kolonisieren – wie 1918 schon begonnen. Dann kam alles ganz anders. Der Weltimperialismus in Gestalt von England und Amerika investierte zehn Milliarden Dollar in den Weltrevolutionär Stalin, belieferte ihn mit genügend Waffen und Fahrzeugen, sich seines Expartners Hitler zu erwehren. Dessen Zusammenbruch erhob Russland zur militärischen Vormacht Europas und Zwingvogt Ost-Südost-Europas. Seine Westpartner und Finanziers paktierten daraufhin nordatlantisch mit ihrem vormaligen Erzfeind Deutschland - minus Ostzone - und rüsteten zum gemeinsamen Atomkrieg gegen den soeben von den Nazis befreiten Bolschewismus.
Es hat keinen idiotischeren Krieg gegeben als den von 1939 bis 45. Durch unvorstellbares Glück sind die in seinem Schoß gewachsenen Massenvernichtungswaffen aus der Luft in seinem strategischen Endergebnis, dem Ost-West-Konflikt, im Silo geblieben. Mutmaßlich nicht auf ewig. Nein, die Zivilisationsfrage ist durch Deutschlands Zähmung keineswegs gelöst. Im Gegenteil. Eben dieser Vorgang hat alle Beteiligten auf ihre Weise in die Barbareien verstrickt, die uns seither nicht losgelassen haben: Völkermord, Gefangenenelend, Verjagung ganzer Völkerscharen, Vergeltungsexzesse, Frauenschändung, Kindersoldaten, Flächenbombardements.
Das Verbindende dieser Schrecknisse ist die Konzentration totaler Gewalt auf dagegen Wehrlose. Huberts Knabe zitiert den Bericht eines pommerschen Pfarrers über den Einzug der Roten Armee in Lauenburg:
In Rudeln standen sie vor jedem Haus, bis zu 45 vergewaltigten sie e i n e deutsche Frau, ohne Rücksicht, ob sie schließlich im Sterben lag. 78-jährige Frauen, 9-jährige Kinder fielen ihnen zum Opfer. Es ist zu verstehen, warum in jener schrecklichen Nacht etwa 600 Einwohner freiwillig in den Tod gingen.
Knabe belegt durch Befehlstexte, dass die sexuelle Demütigung der ostdeutschen Familien keine bedauerlichen Mannschaftsexzesse waren, sondern die Besatzungspolitik,
…dass es auf deutschem Boden nur einen Herrn gibt, den Sowjetsoldaten. Gnade gibt es für niemanden, wie es auch keine Gnade für uns gegeben hat. Das Land der Faschisten muss zur Wüste werden.
Wen der Vergewaltigungsterror nicht in die Flucht schlug, der mochte zu Zwangsarbeit in den sibirischen Gulag verschleppt werden.
Manchmal trieb man ganze Dorfgemeinschaften wie Vieh zusammen und brachte sie zum nächsten Sammelpunkt.
Zusammen mit antikommunistischen Polen wurden die deutschen Verschleppten mit Peitschenhieben und Hungerrationen einer Prozedur zugeführt, die im Reich der Himmler-SS "Vernichtung durch Arbeit" hieß. Von 280.000 Personen, überwiegend Frauen, ging die Hälfte zugrunde.
Mit dem Buch Hubertus Knabes ist der Wechsel von der Hitler- zur Stalinbarbarei in Mitteleuropa so Anteil nehmend wie abwägend für den Gegenwartsleser erschlossen. Den Älteren mag es zur Genugtuung dienen, dass ihr Erleben nicht für immer annulliert bleiben wird, den Jüngeren zum Erstaunen, wie wenig die treuherzige Parole des "Tages der Befreiung" von der Wirklichkeit gedeckt ist.
Doch schon diese elementarste aller Schulbuchweisheiten liegt schief, wie der Berliner Historiker Hubertus Knabe, und eigentlich jeder Historiker weiß, es aber nicht klar schreibt. Der Kriegsausbruch war nämlich ein Komplott, Hitler hatte einen Partner, den zweiten Schützen.
Zeitgleich mit Hitlers frühen Eroberungen fiel auch Stalin in diverse Staaten ein. Sein erstes Opfer wurde Polen, das der Moskauer Außenminister Molotow am 1. September 1939 als 'Missgeburt' des Versailler Vertrages bezeichnete. An zwei Fronten griffen am 17. September über eine Million Rotarmisten die völlig überraschte polnische Armee an. Stalin eignete sich mehr als 50 Prozent des polnischen Staatsgebietes an. Um den Sieg zu feiern, nahmen Panzergeneral Heinz Guderian und der sowjetische Brigadekommandeur Semjon Kriwoschein wenig später in Brest gemeinsam eine Parade ab.
Das Komplott sah in dichter Folge sowjetische Einmärsche in Finnland, Lettland, Litauen, Estland und Rumänien vor. Den Besatzungsterror in Polen teilten sich Gestapo und NKWD in gleicher Weise. Polens intellektuelle und militärische Eliten wurden kooperativ ausgerottet.
Die Sowjetunion inhaftierte mehr als 230.000 Soldaten, von denen im Sommer 1941 gerade einmal noch 82.000 am Leben waren.
Beide Angreifer von 1939 hegten Hintergedanken und wollten einander nicht wohl. Stalin spekulierte darauf, dass die allein Deutschland bekriegenden Westmächte gemeinsam mit ihm sich auf den Schlachtfeldern von 1914/18 weiß bluteten und daraus - wie gehabt - die bolschewistische Revolution keimte. Hitler wiederum wartete auf den richtigen Zeitpunkt, Russland zu überrennen und zu kolonisieren – wie 1918 schon begonnen. Dann kam alles ganz anders. Der Weltimperialismus in Gestalt von England und Amerika investierte zehn Milliarden Dollar in den Weltrevolutionär Stalin, belieferte ihn mit genügend Waffen und Fahrzeugen, sich seines Expartners Hitler zu erwehren. Dessen Zusammenbruch erhob Russland zur militärischen Vormacht Europas und Zwingvogt Ost-Südost-Europas. Seine Westpartner und Finanziers paktierten daraufhin nordatlantisch mit ihrem vormaligen Erzfeind Deutschland - minus Ostzone - und rüsteten zum gemeinsamen Atomkrieg gegen den soeben von den Nazis befreiten Bolschewismus.
Es hat keinen idiotischeren Krieg gegeben als den von 1939 bis 45. Durch unvorstellbares Glück sind die in seinem Schoß gewachsenen Massenvernichtungswaffen aus der Luft in seinem strategischen Endergebnis, dem Ost-West-Konflikt, im Silo geblieben. Mutmaßlich nicht auf ewig. Nein, die Zivilisationsfrage ist durch Deutschlands Zähmung keineswegs gelöst. Im Gegenteil. Eben dieser Vorgang hat alle Beteiligten auf ihre Weise in die Barbareien verstrickt, die uns seither nicht losgelassen haben: Völkermord, Gefangenenelend, Verjagung ganzer Völkerscharen, Vergeltungsexzesse, Frauenschändung, Kindersoldaten, Flächenbombardements.
Das Verbindende dieser Schrecknisse ist die Konzentration totaler Gewalt auf dagegen Wehrlose. Huberts Knabe zitiert den Bericht eines pommerschen Pfarrers über den Einzug der Roten Armee in Lauenburg:
In Rudeln standen sie vor jedem Haus, bis zu 45 vergewaltigten sie e i n e deutsche Frau, ohne Rücksicht, ob sie schließlich im Sterben lag. 78-jährige Frauen, 9-jährige Kinder fielen ihnen zum Opfer. Es ist zu verstehen, warum in jener schrecklichen Nacht etwa 600 Einwohner freiwillig in den Tod gingen.
Knabe belegt durch Befehlstexte, dass die sexuelle Demütigung der ostdeutschen Familien keine bedauerlichen Mannschaftsexzesse waren, sondern die Besatzungspolitik,
…dass es auf deutschem Boden nur einen Herrn gibt, den Sowjetsoldaten. Gnade gibt es für niemanden, wie es auch keine Gnade für uns gegeben hat. Das Land der Faschisten muss zur Wüste werden.
Wen der Vergewaltigungsterror nicht in die Flucht schlug, der mochte zu Zwangsarbeit in den sibirischen Gulag verschleppt werden.
Manchmal trieb man ganze Dorfgemeinschaften wie Vieh zusammen und brachte sie zum nächsten Sammelpunkt.
Zusammen mit antikommunistischen Polen wurden die deutschen Verschleppten mit Peitschenhieben und Hungerrationen einer Prozedur zugeführt, die im Reich der Himmler-SS "Vernichtung durch Arbeit" hieß. Von 280.000 Personen, überwiegend Frauen, ging die Hälfte zugrunde.
Mit dem Buch Hubertus Knabes ist der Wechsel von der Hitler- zur Stalinbarbarei in Mitteleuropa so Anteil nehmend wie abwägend für den Gegenwartsleser erschlossen. Den Älteren mag es zur Genugtuung dienen, dass ihr Erleben nicht für immer annulliert bleiben wird, den Jüngeren zum Erstaunen, wie wenig die treuherzige Parole des "Tages der Befreiung" von der Wirklichkeit gedeckt ist.