Hüte für den Protest

Von Kathrin Erdmann |
Die Auflehnung gegen die islamisch-konservative Regierung und die harte Haltung der Polizei haben die Türkei nachhaltig beeinflusst. Überall wird diskutiert und überlegt, wie es weitergehen soll. In der Kulturszene haben die heftigen Auseinandersetzungen Spuren hinterlassen.
Exotische Federn kombiniert mit einem Diadem aus Perlen: Für ihre jüngste Kollektion hat sich Hutdesignerin Merve Bayindir am türkischen Starpianisten Fazil Say und dessen Sinfonie Mesoptamia orientiert. Nicht nur die gewaltige Musik hat sie inspiriert:

"Gerade als ich mich für Mesopotamia entschieden hatte, wurde Fazil Say für eine öffentlich geäußerte Kritik am Islam verurteilt. Dabei hatte er nur frei seine Gedanken geäußert. Ich fand das Urteil idiotisch."

Say hatte sich im Internet über den Islam lustig gemacht und war deshalb im Frühjahr dieses Jahres wegen Beleidigung religiöser Werte zu 10 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Aber gerade die Kunst brauche die Freiheit, finde die 32 Jahre alte Designerin aus Istanbul.

"Wenn Historiker später einmal wissen wollen, was die heutige Zeit geprägt hat, dann werden sie auf die Kunst gucken, auf die Literatur, die Malerei, die Musik, nur so werden sie uns und die Zeit verstehen und nicht durch die Worte eines Politikers oder sowas."

Als in Istanbul die Proteste für den Erhalt des Gezi Parks losgingen, war es für Merve Bayindir klar, dass sie dort nicht nur mitmacht, sondern dass sich der Aufstand auch in irgendeiner Form in ihren Hüten wiederfinden muss. Erste Ideen hat sie bereits:

"Es wird um unsere Verwandlung während der Proteste gehen: Tagsüber waren wir normale Menschen, die zur Arbeit gingen und abends wurden wir zu "Plünderern"."

Plünderer ist neues Modewort
"Capulcu", was zu Deutsch so viel wie Plünderer bedeutet, ist zum Modewort avanciert, seitdem der islamisch-konservative Regierungschef Erdogan die Demonstranten als solche bezeichnet hatte. Aber auch die besonders fröhliche Stimmung im Gezi-Park, an dessen geplanter Bebauung sich die Proteste entzündet hatten, will sie in ihre Hutkreationen einfließen lassen. Viele bunte Federn und Stoffe will Merve dafür verwenden:

"Ich möchte, dass die Leute, wenn sie meine Hüte sehen, denken: Ok, das war 2013, der Gezi-Park. Und wenn sie dann einen Hut kaufen, dann sollen sie ihn in ihr Haus legen und sich daran erinnern, wofür er steht: Nämlich für Menschen, die sehr friedlich für ihre Freiheit kämpfen."

Kreationen ganz anderer Art hat sie mit Mitstreitern der Gezi-Park Bewegungen gerade in einem Workshop gebastelt. Die klobigen Bauhelme wurden mit zarten Federn verziert.

"Wir haben einen Tag lang eine ganze Palette dekoriert – wir nannten das den Wellnesstag für diese Helme, schließlich hatten sie ja während der Proteste allerhand mitgemacht."

Leute wie Merve Bayindir treffen sich oft im hippen und teuren Nisantasi auf der europäischen Seite Istanbuls. Schlanke, schöne Menschen trinken Cappuccino oder zum Abend einen leichten Weißwein, Frauen rauchen dünne Zigaretten und wiegen sich beim Lachen nach hinten, Männer haben die Kragen ihrer Poloshirts hochgeklappt. Hier trifft sich die Modeszene – und genau hier hat auch Feride Tansug ihr Büro. Die aparte Frau gründete vor fünf Jahren die erste Mode PR Agentur der Türkei. Sie ist sicher, viele werden Hutdesignerin Merve Bayindir folgen und die Gezi-Bewegung in ihrer Mode einfließen lassen:

"Ich glaube, dass daraus ein eigener Stil entstehen wird. Als wir noch jeden Tag im Gezi-Park waren, haben wir schon eine andere Mode gesehen, da war wirklich eine ganz andere Energie. Die Leute waren schon ein bisschen anders gekleidet. Ja, ich denke der Protest wird einen Einfluss haben."

Die ersten Resultate seien ja bereits sichtbar, sagt Tansug:

T-Shirts gegen nächtliches Alkoholverkaufsverbot
Nicht immer ist das Ergebnis jedoch wirklich modisch: So sammelt derzeit eine junge politische Organisation auf Istanbuls Straßen Unterschriften gegen den islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die zumeist jungen Unterstützer tragen schwarze T-Shirts. Darauf sind zwei Bierkrüge und der Slogan "Zum Wohl, Tayyip" abgebildet. Eine Kritik auf ein kürzlich verabschiedetes, nächtliches Alkoholverkaufsverbot.

Nicht nur Feride Tansug haben die Proteste nachhaltig beeindruckt. Auch die junge Modedesignerin Asli Filinta, die sich in ihren Kreationen immer mit großen türkischen Künstlern auseinandersetzt, sieht darin etwas Einmaliges:

"Die Proteste machten ja einen ziemlich verzweifelten Eindruck, aber letztlich war es doch etwas Helles, Strahlendes, denn es waren doch alle dabei, Kinder, Großmütter, Mütter. Alle haben ihre Rechte eingefordert, da ging es um Redefreiheit, den Naturschutz - das war wirklich sehr emotional."

Dass es in der Türkei einen Machtkampf zwischen den Konservativen und Säkularen gibt, sieht Filinta so nicht:

"Es machte vielleicht den Eindruck, als gehe ein Riss durch das Land, aber nein. Der Protest hat der Welt gezeigt, dass wir ein Land sind."

Ihre Modekollegin, die Hutdesignerin Merve Bayindir, sieht es etwas anders:

"In einem Teil meines Herzens bin ich wirklich besorgt, dass wir nicht erfolgreich sein werden. Denn die Regierung ist nicht aufrichtig. Wir kämpfen also gegen Betrüger, und es ist sehr schwer, gegen Betrüger zu gewinnen."

In einem jedoch sind sich alle einig: Aufgeben werden sie nicht. Der Protest hat sie ermutigt und ihnen ihr Land wieder näher gebracht.