Eine kurze Geschichte der Migration in Deutschland
Preußen holte Glaubensflüchtlinge, die Industrialisierung lockte Arbeitskräfte an, die Bundesrepublik brauchte Gastarbeiter. Migration hat das Land stark verändert.
"Ich bin ein Drittel Türke und zwei Drittel Deutscher. Mit 21 bin ich nach Deutschland gekommen. Bin ich Deutscher oder Türke? Ich bin beides."
"Ich höre oft, dass Einheimische sagen, dass wir hier ein Ghetto organisiert haben. Dass wir nur Kontakt zu unseren Menschen haben. Dass wir es uns bequem machen. Dass die Russlanddeutschen kriminell sind, dass wir alle schlecht Deutsch sprechen … Wir haben sehr viele Menschen, die sich perfekt integriert haben, die als Ärzte arbeiten, als Ingenieure."
Sprich Deutsch mit mir, Kanake!
"Bitte sprich Deutsch mit mir, du Kanake!"
"Ich kann mich noch an eine Situation erinnern, als meine Tochter nach Hause kam und weinte und sagte 'Alle hier sprechen zwei Sprachen - nur ich nicht'."
"Man findet da eine große Offenheit. Es gibt auch Gemeinschaften, die sich abschotten - aber das sind Randgruppen. "
Als in den 1960er Jahren die "Gastarbeiterzüge" in den Bahnhöfen von Stuttgart, Dortmund oder Wolfsburg hielten, war Deutschland schon seit Jahrhunderten Einwanderungsland. Die meisten Zuwanderer wurden mit schwungvollen Versprechungen angeworben - manche als Fachleute, andere als billige Arbeitskräfte. Viele suchten auch als Flüchtlinge Schutz. Auf die französischen Hugenotten vor dreihundert Jahren folgten in der Zeit der Industrialisierung die "Ruhrpolen", in der Ära des westdeutschen Wirtschaftswunders die italienischen, türkischen oder jugoslawischen "Gastarbeiter". In viel geringerem Umfang ließ die DDR "Vertragsarbeiter" einfliegen.
Heute leben fast zwanzig Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund zwischen Ostsee und Schwarzwald und sind Teil der deutschen Gesellschaft. Die meisten Einheimischen haben die "Fremden" erst hingenommen und schließlich akzeptiert, obwohl die Politik dabei nicht gerade förderlich war.
"Ich habe einmal gesagt: 'Migrationshintergrund in elfter Generation'. Das Wissen in der Familie ist da - aber es wird nicht überbewertet, nein ..."
Die Hugenotten integrierten sich mühelos
Die Hugenotten sind ein frühes Beispiel für ziemlich mühelose Integration in die deutsche, respektive preußische Gesellschaft. Im 17. und 18. Jahrhundert boten Preußens Kurfürsten und Könige Protestanten aus Frankreich Asyl, die dort von der katholischen Mehrheit verfolgt wurden.
"Wir sind natürlich als Jugendliche in den Französischen Dom gegangen, unsere Eltern haben uns das gezeigt. Einen Stolz darauf - den hat es eigentlich nicht gegeben. Ich sage immer: 'Für Geburt kann man nichts'."
Die Vorfahren von Robert Violet kamen 1691 nach Brandenburg. Der Historiker ist Leiter des Berliner Hugenottenmuseums.
Noch heute existieren in verschiedenen deutschen Städten hugenottische Kirchengemeinden.
"Unsere Gemeinde hat etwa 800 Mitglieder. Hier in Berlin haben wir die Französische Friedrichstadtkirche auf dem Gendarmenmarkt, den Französischen Dom mit Hugenottenmuseum, wir haben das Französische Gymnasium seit 1689, drei Kirchhöfe ..."
Theodor Fontane, Adelbert von Chamisso, Alexander und Wilhelm von Humboldt - auch Lothar und Thomas de Maizière – es gibt eine respektable Anzahl von bekannten Deutschen mit hugenottischem Hintergrund.
Die Zuwanderung vor dreihundert Jahren nützte allen Beteiligten. Nach Kriegen mit Hungersnöten und Seuchen waren weite Gebiete Preußens verarmt, geradezu entvölkert. Der Niedergang bedrohte die Machtstellung der Hohenzollerndynastie.
"Sie sind auch davon ausgegangen, dass die Hugenotten dazu beitragen können, bestimmte Landstriche neu zu besiedeln."
Kaufleute, Handwerker und adlige Offiziere
Professor Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück ist Experte für Migrationsgeschichte. Die Hugenotten zählten überwiegend zu den gesellschaftlichen Eliten: Kaufleute, hochspezialisierte Handwerker, adlige Offiziere. Preußen sicherte ihnen anfangs sogar eigene Gerichte und Steuervergünstigungen zu. Die über 20.000 Flüchtlinge trugen entscheidend zur wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Magdeburg und Königsberg bei - und sie verstärkten die Reihen des preußischen Militärs.
Zur gleichen Zeit wie die Hugenotten holten die Hohenzollern Fachkräfte aus Böhmen und den Niederlanden. Alte Siedlungen wie Böhmisch-Rixdorf in Berlin, Nowawes in Potsdam-Babelsberg oder das Holländische Viertel in Potsdam erinnern an sie.
"Wichtig ist, dass die französische Kultur als die Hochkultur gilt. Das ist für die Aufnahme der Hugenotten von hoher Bedeutung."
Preußens Adel sprach schon vor der Ankunft der Hugenotten mit Vorliebe Französisch. Und Friedrich II. nannte sein Lieblingsschloss nicht "Sorgenfrei", sondern "Sanssouci".
"Darüber hinaus ist ein großer Teil der Bevölkerung keineswegs positiv eingenommen gegenüber der hugenottischen Zuwanderung - sie wird als Konkurrenz verstanden."
Trotz solcher Widerstände integrierten sich die Hugenotten geradezu bravourös in die deutsche Gesellschaft. Sie gaben aber nicht alle Traditionen auf. Wie lange wurde in Robert Violets Familie Französisch gesprochen?
"Meine Ururgroßmutter, die 1906 gestorben ist, sprach das gewiss noch."
Nicht selten besuchen Schulklassen mit vielen türkischen, russischen oder arabischen Kindern das Berliner Hugenottenmuseum. Wie reagieren sie?
"Hochinteressiert! Wenn ich Führungen mache mit solchen Gruppen, bin ich immer wieder überrascht, wie interessiert sie sind."
Der Bergbau löste eine Völkerwanderung aus
Das Ruhrgebiet ist zum Inbegriff eines industrialisierten Ballungsraums in Deutschland geworden. Bis ins 19. Jahrhundert war es eine ländlich geprägte Region mit kleinen Dörfern zwischen Sauerland und Münsterland – bis der Aufschwung von Bergbau und Stahlindustrie eine regelrechte Völkerwanderung auslöste.
"Ganz stark geprägt hat die polnische Präsenz die Stadt Bochum. Um 1900 ein ganzer Straßenzug, wo viele Vereine, Organisationen, Verlage präsent waren - an der damaligen Klosterstraße. Das ist heute die Straße Am Kortländer. Da gibt es auch noch zu sehen eine Fassadeninschrift der "Bank Robotników", der Arbeiterbank."
Die Schwerindustrie. suchte Arbeitskräfte. Auch hunderttausende Landarbeiter und Kleinbauern aus den weiten von Preußen kontrollierten polnischen Gebieten um Thorn, Posen oder Kattowitz machten sich auf den Weg.
"Jeder zehnte preußische Staatsangehörige ist polnischer Nationalität …"
… im 19. Jahrhundert.
"Damals waren es eigentlich Inländer. Den Staat Polen gab es ja in der Zeit gar nicht. Es waren Bewohner der preußischen Ostprovinzen, die ins Ruhrgebiet kamen. "
… sagt Dietmar Osses, der Leiter des Industriemuseums "Zeche Hannover" in Bochum. Die Polen zogen aus ihrer ländlichen Heimat weg, weil dort weithin Arbeitslosigkeit, Armut und bedrückende halbfeudale Verhältnisse herrschten. In der rauchverhangenen Industrieregion im Westen lernten sie neue Berufe. Bald holten sie ihre Familien nach.
"Wir gehen davon aus, dass sich vier- bis fünfhunderttausend Menschen polnischer Sprache im Ruhrgebiet niedergelassen haben bis zum Ersten Weltkrieg. Namentlich Recklinghausen, Herne und Bottrop - das waren Zentren, die polnische Bergarbeiter aufgenommen haben, teilweise sogar Bevölkerungsanteile von 30 oder 50 Prozent hatten."
Was erinnert heute an sie?
"Das ist schon ganz erstaunlich, dass die starke Präsenz der Polen heute ganz wenige Hinterlassenschaft hat."
"Wenn man das Telefonbuch aufschlägt, springen einem Polnisch klingende Nachnamen sofort in die Augen."
Oder:
"Was wir klar nachweisen können, sind Begriffe wie 'Mottek' für 'Hammer', 'Matka' für 'Mutter' - aber in der Umgangssprache ein bisschen abwertend. 'Gib mir mal den Mottek rüber'."
Die Ruhrpolen stießen oft auf Ablehnung
Die Ruhrpolen stießen bei den Einheimischen anfangs oft auf Ablehnung – in Zeiten grassierenden Nationalismus im Deutschen Kaiserreich.
"Es gab einen sehr hohen Druck zur Eindeutschung, zur Assimilierung. Viele Menschen haben sich aufgrund dieses Drucks entschlossen, ihre Namen ändern zu lassen - die ihre Namen entweder in der Schreibweise haben angleichen lassen oder haben übersetzen lassen. Prominentes Beispiel eines Fußballspielers - Emil Czerwinski ließ sich umbenennen zu Emil Rothardt."
Auch unter den Ruhrpolen waren nationalistische Stimmungen verbreitet. Ihre Vereine, Zeitungen und Parteien setzten oft auf Abgrenzung. Verbindend wirkte die Zugehörigkeit der Mehrzahl zur katholischen Kirche, die sich um die Zuwanderer bemühte.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprachen die meisten gut Deutsch, immer mehr "gemischte" Ehen wurden geschlossen. An den Arbeitsplätzen und in den Wohnvierteln überwog ein friedliches Mit- oder zumindest Nebeneinander.
Nach dem Ersten Weltkrieg löste sich das polnische Milieu im Ruhrgebiet langsam auf. Aus zwei Gründen, so Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück:
"Sie haben mehr politische Mitsprachemöglichkeiten in der Demokratie der Weimarer Republik."
Außerdem:
"Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs haben wir die Situation, dass ein neuer polnischer Staat entsteht. Polen und Deutschland - die Weimarer Republik - sind, das kann man so sagen, verfeindet. Es gibt immer wieder schwere Konflikte, die auch zurückwirken auf die polnische Minderheit."
Die Folgen – so Dietmar Osses vom Bochumer Industriemuseum:
"Nach dem Ersten Weltkrieg: ein Drittel - das assimilierte Drittel - ist hier geblieben. Ein Drittel ist nach Polen gegangen. Das andere Drittel ist nach Frankreich und Belgien gegangen, weil dort der Bergbau sie angeworben hat."
1925 lebten an der Ruhr nur noch 15.000 Polnisch sprachige und 55.000 zweisprachige Einwohner.
"Nach 1933, der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wird der Druck auf die Polen erhöht."
Am Ende stand die gewaltsame "Umvolkung"
Am Ende stand die gewaltsame "Umvolkung", wie es damals hieß. Hunderte Wortführer der Minderheit wurden ermordet. 1945 waren die polnische Sprache und Kultur an der Ruhr fast verschwunden.
"Glück gehabt - und da habe ich 62 im März einen Arbeitsvertrag unterschrieben mit VW und zwei Tage später war ich in Wolfsburg."
Die folgenreichste Zuwanderung nach Deutschland begann um 1955 - mit manchen Ähnlichkeiten zur Geschichte der Ruhrpolen. Die Bundesrepublik der "Wirtschaftswunderjahre" brauchte mehr Industrie- und Bauarbeiter - sie suchte sie in Italien, Spanien, Griechenland, Jugoslawien oder der Türkei, wo hohe Arbeitslosigkeit herrschte.
Die Gastarbeiter der ersten Jahre waren überwiegend gering qualifiziert - und waren unentbehrlich für das "Wirtschaftswunder". Viele verdienten besser als in ihrer Heimat. Der VW-Arbeiter Rocco Artale kam aus Italien:
"Ich glaube, es waren etwa 2,50 Mark pro Stunde - das war für uns unheimlich viel Geld."
Am Anfang wurden meist befristete Verträge angeboten.
"Die Italiener selber wollten nicht für eine Ewigkeit hier bleiben. Viele sind auch wieder nach Hause gegangen. Vielleicht haben sie Kinder in Italien gelassen, die Ehefrau. Da war Heimweh."
Allmählich fanden die Unternehmen es lästig, ständig neue Arbeitskräfte einzuarbeiten. Außerdem machten etliche Gastarbeiter sich selbstständig - mit Lokalen, Imbissen oder Lebensmittelgeschäften.
"In den späten sechziger Jahren wird deutlich, dass immer mehr Menschen, die zugewandert sind, bleiben. Das zeigt sich daran, dass immer mehr Familienangehörige nachgeholt werden, dass die Zahl von Schülerinnen und Schülern ausländischer Staatsangehörigkeit massiv nach oben geht."
1980 leben vier Millionen Einwanderer in Deutschland
Um 1980 lebten bereits vier Millionen Menschen ausländischer Herkunft in Deutschland. Am fremdartigsten wirkten auf viele Deutsche die Menschen aus der Türkei. Sie prägten ganze Viertel in Großstädten - was als Ghettobildung kritisiert wurde, erleichterte "Neuangekommenen" sich zurechtzufinden. Die Bankangestellte Ayten Kaya, 1970 geboren, wuchs in einer Gastarbeiterfamilie in Berlin-Kreuzberg auf:
"Der Wrangelkiez ist eine Gegend, wo man sich sicher fühlt. Es gibt keine Diskriminierung."
Schon früh setzte eine Art spontaner Integration ein. Viele Kinder lernten perfekt Deutsch. "Militante" Integrationsverweigerung war sehr selten. Aber Ältere konnten sich oft auch nach Jahren kaum verständigen, deutsche Kultur und Politik blieben ihnen ziemlich gleich.
"Es gibt türkische Familien, die noch nie Kontakt mit deutschen Familien hatten. Genauso gibt es aber deutsche Familien, die noch nie ein Wort mit einem türkischen Mitbürger gewechselt haben. Die Leute, die wissen nicht, was kommt auf mich zu: Oh, ich weiß nicht, türkisch - ich weiß nicht, ob ich die in meine Wohnung lassen soll, die klauen doch …"
Der frühere VW-Arbeiter Rocco Artale erzählt:
"Solche Wörter wie 'Ihr Spaghettifresser' oder 'Kanaken' ... Solche Erfahrungen hat es in den sechziger Jahren hier sehr stark auch gegeben."
Eine Reaktion war Rückzug.
"Ich denke, das ist verständlich. Nicht okay, aber verständlich ..."
Umgekehrt beharrte die Politik in Westdeutschland darauf, dass die Bundesrepublik kein Einwanderungsland sei. Deutscher konnte und sollte - seit den Zeiten des Deutschen Kaiserreichs - nur sein, wer deutschen Geblüts war. In der Bezeichnung Gastarbeiter kam zum Ausdruck, welche Haltung gegenüber den Arbeitskräften und Mitbewohnern aus anderen Ländern vorherrschte. Professor Oltmer:
"Es bleibt bei der Vorstellung, es handele sich um ein begrenztes Phänomen."
"Es sind viele italienische Kinder auf der Strecke geblieben. Wir hatten in der Schule große Probleme - nicht weil die dümmer waren, sondern weil sie nicht die Sprache hatten. "
"Auch die DDR hat mit Arbeitskräftemangel zu tun, nicht zuletzt wegen der starken Abwanderung von DDR-Bürgern nach Westdeutschland."
Die DDR holte Arbeitskräfte aus Polen, Kuba, Vietnam
Arbeitskräftemangel – das war auch im zweiten deutschen Staat der Grund, in befreundeten Staaten wie Polen, Kuba, Mosambik und vor allem Vietnam seit den sechziger Jahren hunderttausende Arbeiter und Arbeiterinnen anzuwerben. Der staatliche Umgang mit ihnen war rigide:
"In der Regel kommen diese Menschen für maximal fünf Jahre in die DDR und werden dann wieder zurückgeschickt."
So Jochen Oltmer. Ihre Familien durften die sogenannten Vertragsarbeiter nicht mitbringen. Sie erhielten den gleichen Lohn wie ihre deutschen Kollegen. Teilbeträge wurden aber an die Regierungen in Havanna oder Hanoi überwiesen - diese zahlten damit unter anderem Schulden bei der DDR zurück. Den Neuen fielen gewöhnlich einfache, anstrengende Jobs in der Industrie zu. Vielen gelang aber eine berufliche Qualifizierung.
"Außerhalb des Arbeitsplatzes gibt es sehr wenig Kontakt, auch weil diese Arbeitskräfte in eigenen Wohnanlagen untergebracht sind."
Manchmal erlebten die "ausländischen Werktätigen" Diskriminierung im Alltag, trotz aller Floskeln von "Völkerfreundschaft".
Nach 1989 änderte sich die Situation von Vietnamesen oder Mosambikanern dramatisch – sie gehörten zu den "Überzähligen" auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt - man entließ sie vorzeitig und drängte sie zur Ausreise.
"Ich bin nicht nur Türkin"
"Ich fühle mich integriert. Ich kann nicht sagen, dass ich nur Türkin bin. Weil ich viele Eigenschaften auch von den Deutschen habe."
Saniye Yildiran wuchs in einer Gastarbeiterfamilie in Duisburg auf und wurde Radiologie-Assistentin. Sie gehört zu jenen, die in die deutsche Gesellschaft hineinwuchsen, obwohl die politischen Vorzeichen dafür ungünstig waren. Aber es zeigte sich hier eine normative Kraft des Faktischen. Die Familien und Kinder der Gastarbeiter entwickelten sich in dem Land und der Gesellschaft, in der sie lebten und wurden, ob die Politik das wollte oder nicht, Teil dieser Gesellschaft. Jochen Oltmer von der Uni Osnabrück:
"Menschen, die in die Bundesrepublik kommen, sind auf der Suche nach Chancen. Sie gehen ein hohes Risiko ein, nehmen auch in der Regel hohe Kosten auf sich. Wir sehen, dass zu einem guten Teil Zuwanderer Arbeitsplätze in Anspruch nehmen, die Deutsche ablehnen, dass sie Arbeitsbedingungen, Wohnbedingungen akzeptieren, die Einheimische längst nicht mehr akzeptieren. Das Ziel ist, Erfolg zu haben, sich anzupassen - Integrationsverweigerung würde dem Zweck von Zuwanderung widersprechen."
Die Entwicklung verlief ziemlich unberechenbar. Sie ist ein Beleg dafür, wie wenig steuerbar Migration ist. Millionen Gastarbeiter oder ihre Kinder verließen in den letzten Jahrzehnten Deutschland. Gleichzeitig trafen "nachziehende" Familienangehörige ein, dazu Wirtschaftsmigranten aus EU-Staaten, die von ihrer neuen Freizügigkeit Gebrauch machten - und viele Flüchtlinge zuerst aus dem zerfallenden Jugoslawien, in den letzten Jahren aus dem Irak und Syrien. Besonders misstrauisch beobachtet wurde der Zuzug von Roma aus den EU-Ländern Bulgarien und Rumänien. Eine der größten Migrantengruppen waren deutsche "Aussiedler" aus Russland, der Ukraine oder Kasachstan.
"Unsere Russlanddeutschen - die sprechen in den Familien Russisch. Das ist so. Ich spreche auch in meiner Familie Ukrainisch oder Russisch."
Die Lehrerin Svetlana Hayduk zog 2002 aus der Ukraine nach Berlin.
Fast 20 Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund leben heute in Deutschland, unter ihnen vermutlich über fünf Millionen Muslime.
Es gibt inzwischen eine "migrantische" Infrastruktur
Damit hat sich eine "migrantische" Infrastruktur entwickelt - Sport-, Musik-, Heimatvereine, Kirchen- oder Moscheegemeinden. Ähnliches gab es schon bei den Einwanderern in Preußen oder im Ruhrgebiet – aber in mehr oder weniger bescheidenen Ausmaßen. Trotzdem: Die Fragen, die durch die Migration aufgeworfen werden, sind vergleichbar: Wie vermischen sich die Kulturen der Alteingesessenen und der Zuwanderer? Saniye Yildiran aus Duisburg:
"Ich hab meine Kinder in Deutschland geboren, die Kinder sind hier auf die Welt gekommen. Die sind hier aufgewachsen, die fühlen sich hier sehr wohl, die haben keine Schwierigkeiten - bis jetzt. Ich hoffe, dass das so bleibt. Sie haben auch deutsche Freunde, türkische Freunde auch."
Der Schreiner Georg Lessmann im Duisburger Stadtteil Marxloh, in dem sehr viele Muslime leben, meint:
"Wir haben gelernt, damit umzugehen - vielleicht weil hierher schon immer Leute aus anderen Ländern kamen. Zum Bergbau kamen ja viele aus Polen. Meine Frau ist polnischer Abstammung."
Svetlana Hayduk aus der Ukraine hat die Erfahrung gemacht:
"Dann bist du plötzlich in Deutschland. Wir bleiben - sogar ich bleibe noch sehr lange eine Russin hier in Deutschland. Von der Mentalität, der Kultur her. Wir sind als 17köpfige Familie nach Deutschland gekommen - nur meine Mutter konnte Deutsch sprechen. Aber jetzt, nach neun Jahren, sprechen alle Deutsch. Meine Kinder sprechen perfekt Deutsch."
Angst vor Parallelgesellschaften
Auch wenn die Definitionen umstritten und die Daten lückenhaft sind - wahrscheinlich ist die große Mehrheit der Migranten gut integriert. Fast zehn Millionen besitzen inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft. Es gibt unzählige "gemischte" Ehen und Partnerschaften, für Kinder ist Mehrsprachigkeit oft selbstverständlich. Für viele Jüngere hat das Thema "Migrationshintergrund" an Bedeutung verloren.
Aber das ist nur ein Teil der Realität. Der andere, öffentlich viel stärker thematisierte Teil ist die Angst vor Parallelgesellschaften.
Schreiner Georg Lessmann in Duisburg-Marxloh begegnet immer wieder Zuwanderern mit ungenügenden Deutschkenntnissen:
"Wenn ich in einem Land wäre, dann würde ich wollen, dass ich mich verständigen kann. Man kann sich doch nur integrieren, indem man sich ein bisschen verständigen kann."
Die Dimensionen von Sprachlosigkeit, Gleichgültigkeit oder Abschottung sind mangels Daten ziemlich ungewiss. Aber das Thema "Parallelgesellschaften unter Migranten" beunruhigt Georg Lessmann:
"Die meisten Muslime werden keine Verbrecher sein - im Gegenteil, die sind vielleicht christlicher und liebenswürdiger als mancher Christ. Das ist der Punkt - was passiert auf den Hinterhöfen?"
Auch zu den Themen "Kriminalität" und "Sympathien für islamistischen Terror" gibt es nur wenig gesichertes Wissen. Aber zu den Realitäten im Einwanderungsland Deutschland gehört auch: Ein sehr stark von Türken, Arabern und Roma bewohnter Ort wie Duisburg-Marxloh ist für viele Deutsche eine "No-go-Area". Georg Lessmann sieht es gelassener, aber man hört die Distanz:
"In meiner Nachbarschaft ist das okay. Mir hat noch keiner mein Auto beschädigt, Einbrüche haben nicht stattgefunden."
"Eine wirklich signifikant höhere Kriminalitätsbelastung bei ausländischen Staatsangehörigen gibt es nicht."
… hat Professor Oltmer festgestellt. Interessant ist, wie sich Einstellungen verschieben. Die westdeutsche Gesellschaft, die in den 60er Jahren ihre Schwierigkeiten hatte, mit den italienischen Gastarbeitern umzugehen – "Itaker" nannte man sie verächtlich -, hat diese Probleme nicht mehr.
"Was die italienische Zuwanderung angeht, können wir eine hohe Akzeptanz in der Bundesrepublik ausmachen. Es gibt keinen Widerstand gegen italienische Zuwanderer. Das ist kein Thema."
Bei anderen ist das noch längst nicht so - Saniye Yildiran:
"Als ich geheiratet habe, seitdem hab ich Schwierigkeiten und seitdem hab ich die Schwierigkeiten, wenn sie mich angesprochen haben - ich hab denen erklärt, warum, weshalb. Dann war Ruhe, dann haben sie verstanden. Aber die Bemerkungen im Vorbeigehen, gehässige Bemerkungen - das tut dann weh."
Mit den Fluchtwellen der neunziger Jahre verfinsterte sich wieder die Stimmung gegenüber jenen, die als fremd empfunden wurden.
"Angst hatte ich auch. 'Die Deutschen haben das mit den Juden getan.' Damals hab ich wirklich gesagt - machen die das auch mit uns? Machen die das auch mit uns?"
1993: drastische Einschränkung des Asylrechts
1993 reagierte die Politik mit einer drastischen Einschränkung des Asylrechts. Die Stimmung beruhigte sich – bis die neuen Fluchtwellen seit dem Herbst 2015 wieder die Gefühlslage der Nation aus dem Gleichgewicht brachte.
Wohin das führt, ist noch schwer absehbar. Immerhin hat sich die Gesetzeslage verändert: Die Bundesregierung hat die jahrzehntelange hartnäckige Weigerung, Deutschland als Einwanderungsland zu sehen, aufgegeben. Als die rot-grüne Koalition Ende der 90er Jahre die doppelte Staatsbürgerschaft einführen wollte, erntete sie einen Sturm der Entrüstung. Inzwischen gehört das Leben mit zwei Pässen zum Alltag in Deutschland.
Verglichen mit früheren Jahrzehnten leben wir heute in einer bunten Republik. Andererseits - Diskriminierung im Alltag geschieht nach wie vor, der Zugang zum Öffentlichen Dienst bleibt schwierig, in Führungspositionen sind Migranten unterrepräsentiert. Aber Schulen gehen mehr auf Migrantenkinder ein, Einbürgerung ist nicht nur leichter geworden, sie wird oft auch öffentlich zelebriert, Integrationskurse stehen zur Verfügung. Georg Lessmann aus Duisburg:
"Die machen schon was - das muss man auch anerkennen. Nur - ob das ausreicht?"
Svetlana Hayduk, die aus der Ukraine nach Deutschland kam, meint:
"Unsere Kinder, meine Kinder - die sind schon ganz anders. Deswegen haben wir manchmal mit meiner Tochter diese Gespräche - ich sage, wie das bei mir war und sie sagt: 'Mama, schau raus - wir sind schon ganz woanders'. Aber das ist schwierig für uns. Wir können diese Vorstellungen nicht so schnell und leicht abschaffen. Aber in einigen Jahren, denke ich, wird das schon kein Problem mehr sein."
Was in einigen Jahren das Problem sein wird, ist schwer absehbar. Diese Unwägbarkeit haben die Migrationsgeschichten der vergangenen Jahrhunderte in deutschen Landen gezeigt.