Human Rights Watch: Kein Boykott der Fußball-WM in Katar
Trotz der katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen in Katar will sich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) nicht den Rufen nach einem Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft anschließen. Sportveranstaltungen sollten nicht boykottiert werden, meint HRW-Referent Wolfgang Büttner.
Christopher Ricke: Heute soll die Untersuchung beginnen, und die Frage, die untersucht wird, lautet: Sterben auf den Baustellen der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar wirklich so viele Menschen? Sind die Arbeitsbedingungen tatsächlich so miserabel und sind die Bauunternehmer so zynisch, menschenverachtend, wie seit Tagen berichtet wird? Die Regierung von Katar hat eine unabhängige Anwaltskanzlei beauftragt, all diese Vorwürfe zu klären. Diese Anwälte kommen heute und werden untersuchen.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat schon vor mehr als einem Jahr auf die schlechte Situation der Arbeiter in Katar aufmerksam gemacht, und Wolfgang Büttner ist Referent bei Human Rights Watch.
Guten Morgen, Herr Büttner!
Wolfgang Büttner: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Was glauben Sie denn, wird die Anwesenheit der Anwälte die Bedingungen für die Arbeiter verbessern?
Büttner: Wir hoffen es natürlich. Wir können im Grunde genommen nur die Berichte, die vom "Guardian" vor Kurzem veröffentlicht worden sind, wieder bestätigen. Es gibt immer wieder Tote auf den Baustellen in Katar. Wir haben teilweise zwangsarbeiterähnliche Zustände. Es ist so, dass Löhne an die Arbeiter oftmals nicht bezahlt werden oder die Löhne zurückgehalten werden. Die Pässe werden eingezogen und sie arbeiten oft auch unter enorm schlechten Bedingungen.
Ricke: Sie bestätigen also das, was der "Guardian" schreibt. Und der "Guardian" hat ja schließlich das bestätigt, was Sie schon vor einem Jahr berichtet haben. Nun sagt aber die Regierung von Katar genauso wie der Weltfußballverband, man sei absolut erschrocken und entsetzt, habe das alles gar nicht so gewusst. Wie glaubhaft ist aus Ihrer Sicht diese Empörung?
Büttner: Diese Empörung ist unserer Meinung nach überhaupt nicht glaubhaft. Wir haben, wie gesagt, vor einem Jahr diesen Bericht über die Situation von Arbeitsmigranten in Katar veröffentlicht, waren danach auch mit den Behörden in Katar und auch mit der FIFA in Kontakt, haben ihnen die Ergebnisse der Studie vorgelegt, die jetzt eben auch vom "Guardian" bestätigt worden sind. Und deshalb weiß sowohl die Regierung von Katar als auch die FIFA seit einem Jahr - spätestens seit einem Jahr - Bescheid über die Bedingungen der Arbeitsmigranten in Katar.
Ricke: Was haben denn die FIFA und was hat die Regierung von Katar gesagt, als Sie ihnen diese Studie vorgelegt haben?
Büttner: Also beide sind natürlich auf uns zurückgekommen und haben gesagt, sie wollen die Situation verbessern, vor allen Dingen das lokale Organisationskomitee in Katar hat sich dazu verpflichtet, Arbeitsrechtsstandards in die Verträge mit den Arbeitsmigranten einzufügen. Und auch die FIFA, der Generalsekretär der FIFA hat sich uns gegenüber so geäußert, dass sich auch die Situation verbessern soll und dass die FIFA auch diese Standards beachten will und auch die Implementierung von Arbeitsstandards fordern will. Allerdings, da ist bis jetzt nichts passiert.
Ricke: In Deutschland streiten sich ja die Fußballfunktionäre schon wie die Kesselflicker. Der ehemalige DFB-Präsident macht seinem Nachfolger Vorwürfe. Dabei ist das Kind ja längst in den Brunnen gefallen. Die WM ist schließlich nach Katar vergeben. Kann man denn in irgendeiner Art und Weise von Deutschland aus Einfluss nehmen, dass das Leid der Arbeiter gemildert wird?
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat schon vor mehr als einem Jahr auf die schlechte Situation der Arbeiter in Katar aufmerksam gemacht, und Wolfgang Büttner ist Referent bei Human Rights Watch.
Guten Morgen, Herr Büttner!
Wolfgang Büttner: Guten Morgen, Herr Ricke!
Ricke: Was glauben Sie denn, wird die Anwesenheit der Anwälte die Bedingungen für die Arbeiter verbessern?
Büttner: Wir hoffen es natürlich. Wir können im Grunde genommen nur die Berichte, die vom "Guardian" vor Kurzem veröffentlicht worden sind, wieder bestätigen. Es gibt immer wieder Tote auf den Baustellen in Katar. Wir haben teilweise zwangsarbeiterähnliche Zustände. Es ist so, dass Löhne an die Arbeiter oftmals nicht bezahlt werden oder die Löhne zurückgehalten werden. Die Pässe werden eingezogen und sie arbeiten oft auch unter enorm schlechten Bedingungen.
Ricke: Sie bestätigen also das, was der "Guardian" schreibt. Und der "Guardian" hat ja schließlich das bestätigt, was Sie schon vor einem Jahr berichtet haben. Nun sagt aber die Regierung von Katar genauso wie der Weltfußballverband, man sei absolut erschrocken und entsetzt, habe das alles gar nicht so gewusst. Wie glaubhaft ist aus Ihrer Sicht diese Empörung?
Büttner: Diese Empörung ist unserer Meinung nach überhaupt nicht glaubhaft. Wir haben, wie gesagt, vor einem Jahr diesen Bericht über die Situation von Arbeitsmigranten in Katar veröffentlicht, waren danach auch mit den Behörden in Katar und auch mit der FIFA in Kontakt, haben ihnen die Ergebnisse der Studie vorgelegt, die jetzt eben auch vom "Guardian" bestätigt worden sind. Und deshalb weiß sowohl die Regierung von Katar als auch die FIFA seit einem Jahr - spätestens seit einem Jahr - Bescheid über die Bedingungen der Arbeitsmigranten in Katar.
Ricke: Was haben denn die FIFA und was hat die Regierung von Katar gesagt, als Sie ihnen diese Studie vorgelegt haben?
Büttner: Also beide sind natürlich auf uns zurückgekommen und haben gesagt, sie wollen die Situation verbessern, vor allen Dingen das lokale Organisationskomitee in Katar hat sich dazu verpflichtet, Arbeitsrechtsstandards in die Verträge mit den Arbeitsmigranten einzufügen. Und auch die FIFA, der Generalsekretär der FIFA hat sich uns gegenüber so geäußert, dass sich auch die Situation verbessern soll und dass die FIFA auch diese Standards beachten will und auch die Implementierung von Arbeitsstandards fordern will. Allerdings, da ist bis jetzt nichts passiert.
Ricke: In Deutschland streiten sich ja die Fußballfunktionäre schon wie die Kesselflicker. Der ehemalige DFB-Präsident macht seinem Nachfolger Vorwürfe. Dabei ist das Kind ja längst in den Brunnen gefallen. Die WM ist schließlich nach Katar vergeben. Kann man denn in irgendeiner Art und Weise von Deutschland aus Einfluss nehmen, dass das Leid der Arbeiter gemildert wird?
"Vielleicht noch eine Chance"
Büttner: Also, wir denken schon, dass vor allen Dingen Theo Zwanziger sehr im Exekutivkomitee der FIFA ist, dass er eben jetzt auch Druck ausüben soll auf die FIFA, damit da auch tatsächlich was passiert. Und wir sehen, natürlich einerseits ist die Situation jetzt schlecht, allerdings andererseits kann man auch jetzt die Weltmeisterschaft 2022 als Chance sehen.
Es sind noch zehn Jahre bis dorthin, und wenn jetzt noch Druck ausgeübt wird und wenn jetzt noch versucht wird, die Bedingungen der Arbeitsmigranten in Katar zu verbessern, dann ist da vielleicht noch eine Chance.
Ricke: Man muss sich ja mal anschauen, was da diesen Berichten nach passiert: Arbeitssklaverei, Zwangsarbeit, Schlepperorganisationen - wie lässt sich das eigentlich wirklich hieb- und stichfest belegen?
Büttner: Wir senden Leute nach Katar in die Unterkünfte der Arbeitsmigranten und sprechen dann eben mit den Arbeitsmigranten über ihre Arbeitsbedingungen, wie sie rekrutiert worden sind, wie das Verhältnis zu den Arbeitgebern ist, ob sie aus dem Land wieder ausreisen können, wie die Unterkünfte sind, ob Gefahren auf den Baustellen sind. Und aufgrund dieser Interviews kommen wir dann eben zu unseren Schlüssen und Forderungen, mit denen wir uns dann an die Politik beziehungsweise an die FIFA wenden.
Ricke: Bitte halten Sie mich jetzt nicht für zynisch, aber das, was wir hier hören, sind das nicht Bedingungen, unter denen viele Wanderarbeiter leiden, einfach die Leute leiden, die in reichen Ländern die Drecksarbeit für die anderen machen?
Büttner: Das ist absolut richtig, und das können wir auch nur bestätigen. Vor allen Dingen in den Golfstaaten ist es immer wieder so, dass Arbeitsmigranten unter enorm schlechten Bedingungen arbeiten und enorm schlechten Bedingungen leben.
Es sind noch zehn Jahre bis dorthin, und wenn jetzt noch Druck ausgeübt wird und wenn jetzt noch versucht wird, die Bedingungen der Arbeitsmigranten in Katar zu verbessern, dann ist da vielleicht noch eine Chance.
Ricke: Man muss sich ja mal anschauen, was da diesen Berichten nach passiert: Arbeitssklaverei, Zwangsarbeit, Schlepperorganisationen - wie lässt sich das eigentlich wirklich hieb- und stichfest belegen?
Büttner: Wir senden Leute nach Katar in die Unterkünfte der Arbeitsmigranten und sprechen dann eben mit den Arbeitsmigranten über ihre Arbeitsbedingungen, wie sie rekrutiert worden sind, wie das Verhältnis zu den Arbeitgebern ist, ob sie aus dem Land wieder ausreisen können, wie die Unterkünfte sind, ob Gefahren auf den Baustellen sind. Und aufgrund dieser Interviews kommen wir dann eben zu unseren Schlüssen und Forderungen, mit denen wir uns dann an die Politik beziehungsweise an die FIFA wenden.
Ricke: Bitte halten Sie mich jetzt nicht für zynisch, aber das, was wir hier hören, sind das nicht Bedingungen, unter denen viele Wanderarbeiter leiden, einfach die Leute leiden, die in reichen Ländern die Drecksarbeit für die anderen machen?
Büttner: Das ist absolut richtig, und das können wir auch nur bestätigen. Vor allen Dingen in den Golfstaaten ist es immer wieder so, dass Arbeitsmigranten unter enorm schlechten Bedingungen arbeiten und enorm schlechten Bedingungen leben.
"Ein größeres Licht werfen"
Es sind eben einerseits die Bauarbeiter in Katar, das sind aber auch die Hausangestellten in Kuwait, das sind die Reinigungskräfte in Bahrain, das sind die Ölarbeiter in Saudi-Arabien. In all diesen Ländern ist die Situation der Arbeitsmigranten schlecht, und da muss auch ein größeres Licht drauf geworfen werden.
Ricke: Kann also vielleicht sogar der Fall Katar dazu beitragen, dass man sich grundsätzlich mal mit menschenverachtenden Ausbeutermethoden auseinandersetzt?
Büttner: Auf jeden Fall. Das ist auch die Möglichkeit, die in diesen internationalen Sportveranstaltungen liegt, dass da eben ein Schlaglicht auf Länder geworfen wird, in denen normalerweise kaum die Öffentlichkeit präsent ist. Und das ist auch eine Möglichkeit jetzt eben, um in Katar oder vielleicht auch in anderen Ländern das Schicksal der Arbeitsmigranten zu verbessern.
Ricke: Es gab ja schon, nicht unbedingt von Ihnen, aber von anderen die Forderung, das bleiben zu lassen mit der WM in Katar. Ist das eine Förderung, der sich Human Rights Watch anschließen würde, entweder die WM gleich zu verlegen oder zumindest in Deutschland zu empfehlen, nicht hinzufahren?
Büttner: Also dem Boykott schließen wir uns nicht an, also wir denken, grundsätzlich Sportveranstaltungen sollen nicht boykottiert werden. Allerdings, was uns wichtig ist, dass im Vorfeld, bevor die Sportveranstaltungen vergeben werden, dass da die Sportverbände eben Menschenrechtskriterien bei der Vergabe beachten und dass dann auch, nachdem diese Sportveranstaltung vergeben worden ist, in der Vorbereitung eben auch genau geachtet wird, was dort stattfindet, dass man dort Kontrollen einführt und dass man dadurch die Chance nutzt, die durch die Sportveranstaltung auch besteht und dadurch eine Verbesserung der Menschenrechtslage in den Ländern erreicht.
Ricke: Wer soll diese Kontrollen denn durchführen? Machen Sie das, macht das der Internationale Gewerkschaftsbund oder überlässt man das den Ländern selbst?
Büttner: Also in der Regel ist es natürlich am besten, wenn das die Länder selbst machen und in Katar zum Beispiel ist es der Fall, dass es dort ein sehr ausgeprägtes Inspektionssystem gibt.
Allerdings, dieses System wird eben nur mangelhaft angewendet. Die Inspekteure sprechen überhaupt nicht mit den Arbeitsmigranten, sondern sprechen nur mit den Arbeitgebern, und da ist es einfach dann wichtig, dass die FIFA Druck ausübt auf die katarischen Behörden, damit sie die bestehenden Regeln einfach umsetzen und implementieren.
Ricke: Wolfgang Büttner von Human Rights Watch. Herzlichen Dank und einen guten Tag!
Büttner: Vielen Dank, Herr Ricke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ricke: Kann also vielleicht sogar der Fall Katar dazu beitragen, dass man sich grundsätzlich mal mit menschenverachtenden Ausbeutermethoden auseinandersetzt?
Büttner: Auf jeden Fall. Das ist auch die Möglichkeit, die in diesen internationalen Sportveranstaltungen liegt, dass da eben ein Schlaglicht auf Länder geworfen wird, in denen normalerweise kaum die Öffentlichkeit präsent ist. Und das ist auch eine Möglichkeit jetzt eben, um in Katar oder vielleicht auch in anderen Ländern das Schicksal der Arbeitsmigranten zu verbessern.
Ricke: Es gab ja schon, nicht unbedingt von Ihnen, aber von anderen die Forderung, das bleiben zu lassen mit der WM in Katar. Ist das eine Förderung, der sich Human Rights Watch anschließen würde, entweder die WM gleich zu verlegen oder zumindest in Deutschland zu empfehlen, nicht hinzufahren?
Büttner: Also dem Boykott schließen wir uns nicht an, also wir denken, grundsätzlich Sportveranstaltungen sollen nicht boykottiert werden. Allerdings, was uns wichtig ist, dass im Vorfeld, bevor die Sportveranstaltungen vergeben werden, dass da die Sportverbände eben Menschenrechtskriterien bei der Vergabe beachten und dass dann auch, nachdem diese Sportveranstaltung vergeben worden ist, in der Vorbereitung eben auch genau geachtet wird, was dort stattfindet, dass man dort Kontrollen einführt und dass man dadurch die Chance nutzt, die durch die Sportveranstaltung auch besteht und dadurch eine Verbesserung der Menschenrechtslage in den Ländern erreicht.
Ricke: Wer soll diese Kontrollen denn durchführen? Machen Sie das, macht das der Internationale Gewerkschaftsbund oder überlässt man das den Ländern selbst?
Büttner: Also in der Regel ist es natürlich am besten, wenn das die Länder selbst machen und in Katar zum Beispiel ist es der Fall, dass es dort ein sehr ausgeprägtes Inspektionssystem gibt.
Allerdings, dieses System wird eben nur mangelhaft angewendet. Die Inspekteure sprechen überhaupt nicht mit den Arbeitsmigranten, sondern sprechen nur mit den Arbeitgebern, und da ist es einfach dann wichtig, dass die FIFA Druck ausübt auf die katarischen Behörden, damit sie die bestehenden Regeln einfach umsetzen und implementieren.
Ricke: Wolfgang Büttner von Human Rights Watch. Herzlichen Dank und einen guten Tag!
Büttner: Vielen Dank, Herr Ricke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.