"Humanitäre Entwicklungshilfeprojekte fortführen"

Moderation: Gabi Wuttke |
Angesichts der Gewalt in Ägypten sind die deutschen Hilfen für das Land umstritten. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Ruprecht Polenz, fände einen Stopp der Zahlungen "widersinnig". Denn gefördert würden vor allem Sozialprojekte, etwa für den Trinkwasserschutz.
Gabi Wuttke: 27. Juli, 7:48 Uhr, der Morgen nach den Freitagsgebeten in Ägypten. Wieder sind Menschen getötet worden bei den Demonstrationen für den gestürzten Präsidenten einerseits, für die Generäle andererseits, die den Muslimbrüdern bis heute ein Ultimatum gesetzt haben, sich den neuen Machthabern zu beugen. Ansonsten, so die Ansage, würden noch härtere Saiten aufgezogen. Am Telefon ist Ruprecht Polenz, der Christdemokrat sitzt dem Auswärtigen Ausschuss des Bundestages vor. Einen schönen guten Morgen, Herr Polenz!

Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Nach dem Sturz von Mohammed Mursi bezweifelten Sie, dass das Militär selbst regieren wollen würde. Bestehen daran für Sie nach wie vor Zweifel?

Polenz: Ja, ich glaube schon, dass das Militär die Zügel in der Hand behalten will, aber es möchte nicht in der ersten Reihe stehen, sondern es möchte die Fäden vom Hintergrund her in der Hand behalten.

Wuttke: Aber jetzt ist nicht von einem Hintergrund zu sprechen. Die Generäle stehen in der ersten Reihe und die Drohung gegen die Muslimbrüder ist kaum als ein wirkliches Kompromissangebot zu bewerten, oder?

Polenz: Nein, das ist richtig. Das Militär hat auch mit dem Demonstrationsaufruf für gestern mit zu einer Eskalation der Spannung beigetragen. Denn es ist ja schon ein bedenklicher Schritt, wenn man Menschen auf die Straße bringt als jemand, der die Macht in der Hand hat und gleichzeitig weiß, dass auch die Muslimbrüder ihre Anhänger auf die Straße bringen. Und man weiß dann ja nicht, was die Anhänger der jeweiligen Seite dann miteinander machen. Und das ist ja nun wohl auch gestern wieder so gewesen. Es hat Tote gegeben, es ist noch die Frage, wie viel, aber es hat sicherlich zu einer weiteren Eskalation beigetragen.

Wuttke: Und inwiefern bleiben die Generäle für Sie die Strippenzieher?

Polenz: Ich glaube nicht, dass sie auf Dauer wie eine lateinamerikanische Junta der 80er-Jahre die Macht wieder ausüben wollen, sondern sie werden eine zivile Regierung etablieren wollen, aber peinlich darauf achten, dass ihre Machtposition im Staat, vor allen Dingen auch ihre Privilegien in der ägyptischen Wirtschaft, dass die nicht angetastet werden. Sie haben ja auch bisher die Macht nicht wirklich aus der Hand gegeben.

Wuttke: Der geschasste Präsident Mursi befindet sich, so heißt es zumindest offiziell, inzwischen in Untersuchungshaft. Die internationale Gemeinschaft hatte gefordert, ihn freizulassen. So wie Sie es schildern, stellt sich für mich, bevor wir auf die Wirtschaft zu sprechen kommen, vor allen Dingen die Frage, was hieße es denn für den Rest der Welt, wenn plötzlich Generäle auftauchen, einen demokratisch gewählten Präsidenten, der ihnen inhaltlich genauso wenig passt wie einem großen Teil des Rests der Welt, wenn der einfach beiseitegetreten wird und man in eine neue Phase eintritt? Welches Signal wird denn da damit gegeben?

Polenz: Das ist ja das Problematische an der ägyptischen Entwicklung, dass diese Amtsenthebung Mursis sehr, sehr viele schwierige Nebenwirkungen hat auf andere Staaten, aber vor allen Dingen auch auf den politischen Islam. Innerhalb des politischen Islams gibt es ja eine heftige Diskussion darüber, soll man sich in einer Demokratie engagieren, soll man an Wahlen teilnehmen, hat man da eine Chance. Oder wie etwa Al-Kaida als sozusagen Exponent des gewaltsamen, des terroristischen Flügels sagt: Das funktioniert alles nicht. Wir haben nur eine Chance, wenn wir gewaltsam gegen ungerechte Herrschaft vorgehen. Zunächst einmal hier bei uns und dann gegen den Westen. Und diese Stimmen bekommen natürlich Auftrieb nach den Ereignissen in Ägypten.

Wuttke: Aber die internationale Gemeinschaft stützt doch weit weniger, in Anführungszeichen, lupenreine Demokraten?

Polenz: Nein, die internationale Gemeinschaft hat hier vergleichsweise wenig Möglichkeiten. Ich finde es richtig, dass sowohl der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon als auch die Europäische Union, unser Außenminister, die Bundeskanzlerin Ägypten aufgefordert haben, Mursi freizulassen. Und damit jedenfalls ein Signal gesetzt haben, dass diese Form der Amtsenthebung, vor allen Dingen jetzt mit den Weiterungen, Anklage, Prozess - das wird ja alles im Augenblick offensichtlich vorbereitet, - dass das die Sache nur schlimmer macht.

Wuttke: Sie haben von der Wirtschaftsmacht gesprochen, die die Generäle, die das Militär hat. Wäre es nicht doch angesagt, um eine weitere Eskalation zu verhindern, die dieses Gebilde noch instabiler macht, das umzusetzen, worüber die USA jetzt nachdenken, nämlich ob sie ihre Militärhilfe einstellen – immerhin weit über eine Milliarde Euro im Jahr – und ob der Bundesaußenminister wahr macht, was er vor acht Monaten angekündigt hat, dass Hilfe für Ägypten von der demokratischen Entwicklung abhängig ist?

Polenz: Ja, man muss sich anschauen, wer wo hilft. Die Amerikaner, das ist bekannt, haben enge Beziehungen mit dem ägyptischen Militär. Es gibt viel Militärhilfe aus den USA. Und es macht schon Sinn, weil es ein sehr direktes Signal ist, was auch bei den Generälen unmittelbar ankommt, hier jetzt kürzer zu treten. Und das haben die USA ja mit der Stornierung der Lieferung von vier Kampfflugzeugen auch getan.

Unsere Hilfe für Ägypten ist anders strukturiert. Wir haben vor allen Dingen Entwicklungshilfeprojekte, etwa für den Trinkwasserschutz, Gesundheitsprojekte, die die Kindersterblichkeit verringern sollen. Und da würde ich sagen, solange diese Projekte als solche durchgeführt werden können, finde ich es widersinnig, sie jetzt zu stoppen. Wem ist damit gedient, dass eine Stadt, ein Ort schlechtes Trinkwasser weiterhin hat. Oder dass bestimmte hygienische Zustände nicht verbessert werden und damit weiter eine hohe Säuglingssterblichkeit in einer bestimmten Region herrscht? Also, ich glaube, humanitäre Entwicklungshilfeprojekte, und so würde ich sie jetzt mal etwas untechnisch bezeichnen, die sollten wir fortführen.

Was die generelle wirtschaftliche Entwicklung angeht, es ist ja so, dass die Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds zunächst einmal auf Eis liegen, auch wegen der inneren Entwicklung. Aber Saudi-Arabien und andere Golfstaaten sind eingesprungen, haben auch sofort Geld überwiesen, weil sie eben auch in ihren Staaten die Muslimbrüder als besondere Herausforderung ihrer Herrschaft sehen und deshalb die Entwicklung in Ägypten fördern wollen.

Wuttke: Wenn sich Ägypten über den Faktor Wirtschaft entscheidet, wo steht Ägypten dann Ihrer Meinung nach jetzt? Ist das bereits ein Bürgerkrieg oder kommt der womöglich noch?

Polenz: Vielleicht noch ein Satz zur wirtschaftlichen Entwicklung: Ägypten ist auch sehr stark vom Tourismus abhängig. Und der fällt natürlich bei diesen Entwicklungen praktisch in sich zusammen. Wer will jetzt in Ägypten Urlaub machen bei diesen Nachrichten und bei dieser Sicherheitslage? Es gibt ja auch Reisehinweise des Auswärtigen Amtes, die davon abraten. Also, die Frage, wie sich Ägypten entwickelt, ich glaube, es gibt im Prinzip drei Möglichkeiten. Das optimistischste Szenario wäre, es würde eine Entwicklung nehmen wie die Türkei. Dort hat das Militär auch geputscht, hatte die Macht in der Hand, hat sie dann aber wieder abgegeben …

Wuttke: Also doch ein Putsch!

Polenz: Ich sage, wie in der Türkei, dort hat das Militär geputscht und hat die Macht dann wieder abgegeben. Und jetzt die letzte Regierung hat sich dann auch politisch immer stärker durchgesetzt. Dort ist das Militär sozusagen zivilisiert worden, die Politik hat dort jetzt das Sagen.

Das andere Szenario wäre wie in Algerien der 90er-Jahre. Dort hat das Militär in einen Wahlprozess eingegriffen. Das hat dann letztlich zu einem schlimmen Bürgerkrieg geführt über längere Zeit. Und Algerien war für diese Jahre mit das unsicherste Land in der ganzen Region. Und die dritte Möglichkeit, die ich sehe, auch keine schöne Option, ist, dass dann auf längere Sicht Ägypten zu einem Staat wird wie Pakistan. Sie kennen diesen etwas überpointierten Spruch, Pakistan, das sei eine Armee, die sich einen Staat hält.

Wuttke: Sagt Ruprecht Polenz und prognostiziert für Ägypten keine gute Zukunft. Vielen Dank an den christdemokratischen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Herr Polenz, ein schönes Wochenende!

Polenz: Danke schön, Frau Wuttke!

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