Inschrift am Humboldt Forum

Überreste eines religiösen Kolonialismus

07:42 Minuten
Die Kuppel vom Neuen Stadtschloss mit dem Humboldt Forum vor blauem Himmel
Innen postkoloniale Aufarbeitung, außen christliche Symbolik: An Kreuz und Inschrift auf der Kuppel des Berliner Humboldt Forums entzünden sich heftige Debatten. © imago images / CHROMORANGE / Karl-Heinz Spremberg
Von Matthias Bertsch |
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Auf dem Berliner Humboldt Forum thront eine Kuppel mit Kreuz und einem von König Friedrich Wilhelm IV. zusammengesetzten Bibelvers, laut dem alle Welt die Knie vor Jesus beugt. Wie geht das zusammen? Darüber streiten sogar die Theologen.
Ein Freitagnachmittag im März, auf der Dachterrasse des Humboldt Forums. Aus einigen Lautsprechern ertönt plötzlich ein Lied – zur Verwunderung nicht nur dieses Besuchers: „Völlig überraschend, auf dem Dach des Schlosses so eine Musik auf diese Weise geliefert zu bekommen, das ist nun ganz außergewöhnlich", sagt der Mann. "Ich finde das toll, aber mehr weiß ich dazu nicht.“

Das Kreuz über den Objekten aus aller Welt

Mehr kann man auch kaum wissen, denn es gibt nirgendwo einen Hinweis auf die Klanginstallation von Emeka Ogboh. Der nigerianische Künstler hat das traditionelle Volkslied "Nne, Nne, Udu" als Gegenentwurf zum Kreuz auf der benachbarten Kuppel inszeniert. Das christliche Symbol sei ein Instrument der kolonialen Herrschaft Europas, meint er.
Ähnlich empfindet das auch der aus Kamerun stammende Kurator Bonaventure Soh Bejeng Ndikung: „Die extreme Gewalt des Christentums bei der Kolonialisierung kann nicht vergessen werden, und die Tatsache, dass man auf dem Humboldt Forum, das Objekte aus aller Welt beherbergen soll, das Kreuz errichtet, ist eine unglaubliche Zurschaustellung von Überlegenheit.“
Doch geht es wirklich um die christliche Überlegenheit im Humboldt Forum? Das Kreuz auf der Kuppel ist Teil der historischen Rekonstruktion des Berliner Schlosses, die vor 20 Jahren vom Bundestag beschlossen wurde.

Fassade und Programm nicht zusammen gedacht

„Das Grundproblem ist ja ganz offenkundig, dass Form und Inhalt, Innen und Außen, nicht richtig zusammen gedacht sind,“ erklärt der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland, Johann Hinrich Claussen.
„Das sind zwei unterschiedliche Gedanken gewesen", sagt er: "Einerseits will man das Schloss wieder aufbauen und hat dabei aber nicht wirklich bedacht, was das sein soll; und dann ist man auf diese Idee des Humboldt Forums gekommen – und die hat aber eine Dynamik entwickelt, jetzt durch neuere postkoloniale Diskurse, so dass das Ursprungsmodell, diese Ursprungsidee sehr in Frage steht.“
Eine Dynamik, der sich das Humboldt-Forum nicht entziehen kann und will, so der Generalintendant des Museums, Hartmut Dorgerloh. „Die Diskussionen, die wir inzwischen haben, sind natürlich davon geprägt, dass Migrationsprozesse intensiver geworden sind“, sagt er. „Black Lives Matter, Globalisierungskritik, militärische Auseinandersetzungen und auch das Konzept der europäischen Aufklärung, das nicht mehr unwidersprochen bleibt: Das heißt, man muss sich im Humboldt Forum immer wieder neu ins Verhältnis setzen auch zur Fassade, und deshalb ist eine unserer Aufgaben, dass wir uns sehr intensiv mit der Geschichte des Ortes beschäftigen und auch mal fragen: Warum ist denn damals so eine Schlosskapelle auf das Schloss gekommen?“

Koloniale Vergangenheit des Christentums

Die Antwort ist klar: Weil Friedrich Wilhelm IV. es so wollte. Der Preußenkönig war ein absolutistischer Herrscher und zugleich überzeugter Christ, erklärt der Vorsitzende des Fördervereins Berliner Schloss, Richard Schröder. Deswegen ließ er ab 1844 auf dem bereits 140 Jahre alten Schloss eine Kapelle errichten – in einer weithin sichtbaren Kuppel samt Kreuz.
Doch daraus lasse sich kein heute noch gültiger kolonialer Herrschaftsanspruch des Christentums ableiten, betont der Theologe Schröder. Die meisten Christen lebten ohnehin nicht mehr in Europa. „Allein in Nigeria leben doppelt so viel Christen wie in Deutschland", sagt Schröder. "Hier wird nun so getan, als ob Christentum und Kolonialismus und Weiße ein Zusammenhang sei gegen den Rest der Welt. Und das stimmt einfach nicht mehr. Früher hat es einmal diesen Zusammenhang gegeben, dass die Kolonialmächte auch die Förderer der christlichen Mission in anderen Erdteilen waren. Aber das ist doch vorbei, die Leute sind 100, 150 Jahre zurück in ihrer Auffassung.“
Aus Sicht postkolonialer Theoretiker wirkt das Erbe des christlichen Kolonialismus jedoch bis heute nach, in Strukturen wie in den Köpfen der Menschen.

Kontroverse um die Auslegung eines Bibelzitats

Schröders Ärger dagegen richtet sich vor allem gegen eine geplante Informationstafel auf der Dachterrasse des Humboldt-Forums. Sie soll das Bibelzitat einordnen, das der König auf einem Spruchband um die Kuppel anbringen ließ. In goldenen Buchstaben ist dort heute wieder zu lesen, „Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“
Auf der Informationstafel soll es heißen: „Der König behauptete mit der Inschrift einen Alleingültigkeits- und Herrschaftsanspruch des Christentums. Davon distanzieren sich alle Institutionen im Humboldt Forum ausdrücklich.“
Richard Schröder sagt dazu: „Er, der König, müsse für sein Tun und Handeln vor Gott Rechenschaft ablegen, das ist der Sinn dieses ‚alle Knie sollen sich vor Jesus beugen‘. Und nun wird daraus gemacht, dass der König offenbar irgendwie Leute zwingen will, in die Knie zu gehen. Das steht doch da gar nicht. Das steht weder in der Bibel noch steht das auf dem Spruch. Und ich meine, das geht nicht: Eine staatliche Behörde kann nicht eine willkürliche Deutung königlicher Absichten in Bronze gießen lassen.“

Ist der Streit ums Kreuz ein deutsches Problem?

Vielleicht ist das der Kern der immer wieder hochkochenden Debatte um die christlichen Symbole: Wer hat die Deutungsmacht in diesem Streit? Und: Wer spricht eigentlich für diejenigen, die in der Kolonialzeit unter dem Kreuz gelitten haben?
Das Humboldt Forum wolle diesen Menschen einen Raum geben, macht Hartmut Dorgerloh deutlich, doch die Frontlinien verliefen manchmal anders als erwartet, sagt er: „Da sagte neulich eine Frau aus dem Kongo in einer Diskussion, als sie angesprochen wurde auf die Frage, ob sie weiß, an was für einem schwierigen Ort sie sei: Ja gut, dann habt ihr damit ein Problem, macht das aber nicht zu unserem Problem! Dann müsst ihr euch damit beschäftigen, das ist eure Geschichte. Bei uns hat Kirche eine ganz andere Funktion. Und im Übrigen, kennt ihr einen Ort auf der Welt, wo es keine Probleme gibt?“
Auch Johann Hinrich Claussen wundert sich manchmal über die Frontlinien im Streit um Kreuz und Inschrift auf dem Humboldt Forum – und über das Bild des Christentums, das damit transportiert werde. „Ich würde schon sagen, dass die evangelische Kirche in Deutschland nicht gerade fundamentalistisch auftritt und auch nicht triumphalistisch, sondern eher zurückhaltend, manchmal fast schon zu leise oder zu vorsichtig", sagt Claussen.

Distanzierung von dem umstrittenen Bibelvers

Deshalb ärgere es ihn schon, "dass durch diese ganze Debatte um das Schloss der Eindruck entsteht: Hier ist die säkulare Moderne, und da ist das reaktionäre Christentum", so Claussen. "Diese Aufteilung, die schmeckt mir gar nicht, und deshalb habe ich selber meinen Vorbehalt oder meinen Ärger an diesem Kreuz und der Debatte darum.“
Die Debatte wird weitergehen: Neben der Informationstafel zur Geschichte von Kuppel und Kreuz plant das Humboldt Forum, die Inschrift auf der Kuppel nachts mit anderen Texten zu überblenden – zum Beispiel mit Zitaten aus dem Grundgesetz.
Damit will sich das Museum von dem umstrittenen Bibelspruch distanzieren. Ob das den Kritikern reicht, ist fraglich. Sonst bliebe immer noch die Möglichkeit, Kreuz und Inschrift wieder von der Kuppel zu entfernen. Allerdings bräuchte es dafür wohl einen erneuten Bundestagsbeschluss.

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