Hummelschwarm Kreativwirtschaft
Die Kreativwirtschaft-Initiatve der Bundesregierung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, meinen Stadtforscher Bastian Lange und Autor Holm Friebe. Beide haben ein Weißbuch über die Branche verfasst, das Ende November erscheinen wird.
Joachim Scholl: Vielfalt pur – so wird auf einer Internetseite der Bundesregierung die Kreativwirtschaft gepriesen. 240.000 Unternehmen, eine Million Beschäftigte, Umsatz 2008 132 Milliarden Euro. Hoppla, denk man da, unglaublich, was all die freischaffenden Künstler, Musiker, Schreiber, Film- und Projektemacher auf die Beine stellen. Tolles leben und arbeiten also als Kreativer?
Im Studio begrüße ich Holm Friebe, er gehört zur Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin, hat am Buch "Wir nennen es Arbeit" mitgeschrieben. Es ist so eine Art Manifest dieser freien, kreativen Arbeitswelt geworden. Ebenfalls zu Gast ist Bastian Lange, er ist Stadtforscher, berät die Politik in Sachen Kreativwirtschaft, und beide, Holm Friebe und Bastian Lange, arbeiten derzeit zusammen an einem entsprechenden Buch im Auftrag des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums. Willkommen im "Radiofeuilleton", die Herren!
Holm Friebe: Hallo!
Bastian Lange: Hallo, guten Tag!
Scholl: Herr Friebe, wenn man Sie fragt, was haben Sie für einen Beruf, was antworten Sie?
Friebe: Dann würde ich sagen, ich bin Unternehmer und Autor.
Scholl: Ein Mensch in Festanstellung, der jeden Morgen pünktlich um acht im Büro sitzen muss, mag bei der Berufsbezeichnung "freischaffender Kreativer" vermutlich erst mal denken: Die haben es gut, die müssen morgens nicht früh aufstehen, und mittags um zwölf mit dem Laptop im Café sitzen – so was nennen die also Arbeit. Wie definieren Sie, Herr Lange, einen Menschen der Kreativwirtschaft?
Lange: Er ist sicherlich in höherem Maße auf seine eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Organisationsfähigkeiten angewiesen, weil er nicht in dem Maße einen stabilen, fixierten, organisatorischen Rahmen hat, im Rahmen einer Normal… – sage ich mal – …anstellung. Das heißt, er muss motorischer sein vielleicht als manch andere, gleichwohl würde ich doch sehr dafür plädieren, dieses Bild des Kreativen nicht zu idealistisch zu zeichnen, sondern auch darauf hinweisen wollen, dass sehr viele kreative Akteure in sozialversicherungspflichtig beschäftigen Strukturen arbeiten, und auch im Grunde genommen dort natürlich in Agenturen, ja, sehr flexibel agieren. Das heißt auch, wenn man in diese Unternehmen reinschaut, entspricht die Praxis, die sich dort vollzieht, nicht mehr dem klassischen 9-to-5-Modell.
Scholl: Wenn Leben und Arbeit ineinander übergehen, man nicht mehr trennt, dann könnte man so von einer erfüllten Existenz sprechen. Andererseits arbeitet man ohne gesichertes soziales Netz vielfach. Gut, Sie haben gesagt, es gibt natürlich viele Kreative, Herr Lange, die auch in sozialversicherungspflichtigen Berufen arbeiten, aber nehmen wir jetzt mal so die Menschen, die wirklich auch von Projekt zu Projekt arbeiten, die also nicht an die Rente denken können und wenn sie krank werden, ist es auch ziemlich schlecht. Ist es nicht auch ein permanenter Stress der Selbsterhaltung? Sie müssten den kennen, Herr Friebe, oder?
Friebe: Ja, ich kenne den, der ist mir durchaus geläufig. Andererseits beobachten wir immer – und das zeigen auch die Umfragen –, dass Soloselbstständige, die auch nicht vereinzelt arbeiten, sondern in Netzwerken, die einen gewissen Rückhalt bieten und ein gewisses Auffangnetz darstellen, nach einer Zeit, wenn sie sich so etabliert haben, fünf bis zehn Jahre, ein größeres Gefühl von Absicherung haben als es heutzutage viele Festangestellte – oder was sich heute noch fest angestellt nennt – haben. Also wenn man diese beiden Seiten unter Risikoaspekten gegeneinander aufwiegt, dann ist gar nicht ausgemacht, wer da eigentlich auf der sichereren Seite ist, und ich glaube, dass die allgemeine Tendenz am Arbeitsmarkt in die Richtung geht, dass auch die Festangestellten sich ihrer Sache nicht mehr sicher sein können.
Und von daher finde ich es gar nicht mal ausgemacht, wer da eigentlich auf der sicheren Seite steht. Mit einem bunt gemischten Portfolio an Kunden und Fähigkeiten und Referenzen, auf die man verweisen kann, fühlt man sich eigentlich nach einer Zeit relativ robust und resilient, würde ich sagen. Also es gibt immer wieder Rückschläge, aber irgendwie weiß man, dass man diese Fähigkeit ausgebildet hat, wieder auf die Beine zu kommen, sich was Neues einfallen zu lassen.
Scholl: Nun gibt es diese schönen, schmückenden Zahlen, wie ich sie vorhin genannt habe, Milliardenumsätze, die Politik hat die Kreativwirtschaft entdeckt, nennt Kreativität einen wichtigen Rohstoff. Es gibt eine entsprechende Initiative, die der Bundesregierung zuarbeitet. Ist das gut? Bringt das was für die Kreativen?
Lange: Ja, also ich denke, es ist ein erster Schritt der Bundespolitik, mit der Initiative ihr Verhältnis zu diesen sehr kleinteiligen Strukturen, den Selbstständigen aufzubauen. Es ist ein Versuch, innerhalb der Branchen neue Kommunikationsbeziehungen zu Marktteilnehmern, zu Institutionen herzustellen, zu fragen, was braucht ihr eigentlich, was können wir für euch machen? Das ist also erst mal prinzipiell nicht schlecht.
Friebe: Ich glaube, der wichtige Lernprozess ist, dass man diese Strukturen lange Zeit nicht erkannt hat, weil sie nicht so sichtbar sind und nicht so ansprechbar, also in der Chemiebranche weiß ich, da gibt es drei, vier große Firmen, mit denen kann ich mich an einen Tisch setzen. Wie redet man mit 200.000 Freiberuflern, Soloselbstständigen aus Sicht der Politik. Und in den Blick zu nehmen, dass sie auch einen erheblichen und wachsenden Anteil an der volkswirtschaftlichen Gesamtwertschöpfung haben, ist ein erster Schritt, zu verstehen, dass man vielleicht nicht immer nur in Richtung Industrieansiedlungspolitik denkt, sondern mal fragt: Was brauchen die denn eigentlich?
Und da geht es dann nicht um Fördermilliarden oder Subventionen, sondern da geht es um angepasste Förderprogramme. Da geht es aber vor allen Dingen auch darum, Hürden zu beseitigen und Schikanen, die die Politik installiert, weil sie eben immer noch das mittelständische Unternehmen als kleinste unternehmerische Einheit vor Augen hat und nicht den Soloselbstständigen, der sich mit Finanzamt, Gewerbeaufsicht und so weiter rumschlagen muss.
Scholl: Jede Wirtschaftsbranche hat ihren eigenen Berufsverband. Wäre das denn überhaupt wünschenswert, brauchen die Kreativen eine, ja, richtig verfasste Lobby, oder ist es nicht auch so ein bisschen widersinnig, weil es sich doch mit dem Prinzip so des freien Kreativen schlecht verträgt?
Friebe: Also ich würde sagen, da wird diese Branchendefinition natürlich problematisch, weil sie sowohl große Player, Verwerter, Sender, Verlage und so weiter in den Blick nimmt als auch die einzelnen Kreativen, die teilweise als Dienstleister für diese Verwerter arbeiten. Und da gibt es natürlich Interessenlagen und Interessenkonflikte, die quer durch das Feld laufen, also da kann man einfach nicht mehr von der Kreativwirtschaft reden, geschweige denn von der kreativen Klasse als gemeinsame Interessenlage. Und da muss man dann im Einzelfall gucken: Ist das ein Freiberufler, der vielleicht besser in der Gewerkschaft organisiert ist, was auch problematisch ist, oder ist es ein Branchenverband wie Musik? Also da laufen Grenzen quer durch das ganze Feld.
Lange: Man muss ja auch dazu sagen, es gibt Branchenverbände, du hattest einige ja angesprochen. Der Punkt ist einfach der, dass die nicht in dem Maße oft die Bedarfe abdecken, die vielleicht auch eher eine jüngere Generation in diesen Märkten haben. Gleichwohl finde ich es auch wichtig, dass man nicht nur über die Frage der Professionalisierung, der Organisierung dieser neuen Märkte spricht, sondern auch überlegt, ob nicht vonseiten der Politik und der Verwaltung aus, ja, neue Strukturen geschaffen werden, die ihnen ein gelingendes Interagieren mit diesem Hummelschwarm von Bienen quasi ermöglichen. Also ich finde, da müssen sich zwei Seiten annähern, aber man wird nie in dem Maße eine fixierte, stabile Lobbystruktur aufbauen können, wie wir sie aus der chemischen Industrie oder aus der Automotive Industry kennen.
Scholl: Chris Dercon, der Leiter der Münchner Kunsthalle, hat in einem Interview zu dem Komplex ziemlich böse gesagt, es herrsche eine stille Übereinkunft der politischen Parteien von links wie rechts, Selbstausbeutung zu stimulieren, und das nennen sie dann Kreativwirtschaft.
Friebe: Das war ein schönes Interview, die Enthusiasmusproblematik, das ist tatsächlich eine Problematik, dass es vielen Akteuren im Feld nicht gelingt, ihre Tagessätze und Preise durchzusetzen, weil sie so leicht zu kriegen sind über die intrinsische Motivation, das heißt, man identifiziert sich so stark mit seiner Arbeit, dass man gerne bereit ist, auch zu nicht existenzsichernden Preisen zu arbeiten. Und da ist auch mein starkes Plädoyer, sich Routinen draufzuschaffen, womit man Preise und Tagessätze durchsetzt, und da fehlt einfach eine verknappende Instanz, wie sie die Gewerkschaften in anderen Bereichen geschaffen hat. Ich bin selbst Mitglied bei ver.di, die eine sehr gute Arbeit für Freie auch machen, und finde das sehr unterstützenswert. Da muss man irgendwie versuchen, sich selbst und den eigenen Enthusiasmus zu überlisten und Verhandlungsmacht aufzubauen.
Scholl: Ende November erscheint ein Weißbuch zur Kreativwirtschaft, dass Sie beide verfasst haben. Worum geht es Ihnen da?
Lange: Na, es ist der Versuch, das Feld Kreativwirtschaft aus der relativ rigiden Betrachtungsweise, gewissermaßen aus dem Korsett der Branchenlogik erst mal herauszulösen und zu fragen: Was leistet es für den Begriff und für das Feld Innovation, und wie kann es im Grunde genommen anschlussfähig gemacht werden, um auch die Leistungsfähigkeit dieses Feldes für andere Problemfelder in der Gesellschaft, in anderen Gesellschaftsfeldern irgendwo starkzumachen?
Friebe: Parallel dazu wollen wir Szenarien entwickeln, um mal zu gucken: Wo geht dieses ganze Feld eigentlich hin? Wo bewegt sich die Branche, wenn wir sie denn mal als Branche annehmen, hin, und bleibt sie noch die Branche, die wir uns jetzt mühsam zusammenpräpariert haben, um sie mal sichtbar zu machen, oder verschmilzt sie an den Rändern mit Bildung, Gesundheitswesen? Wichtiges Thema! Was leistet die Kultur an Kreativwirtschaft über den Beitrag zum Bruttosozialprodukt hinaus für andere Branchen im Hinblick auf Innovationsfähigkeit? Also inwiefern ist das, was da entsteht und was sich gar nicht mal so sehr in Zahlen niederschlägt, ein Humus oder ein Katalysator für andere Prozesse in anderen Branchen, die uns ermöglichen, besser mit den gesellschaftlichen Problemen klarzukommen?
Scholl: Die Kreativwirtschaft und die Politik, das waren Holm Friebe von der Zentralen Intelligenz Agentur aus Berlin, und der Stadtforscher Bastian Lange. Danke für Ihren Besuch!
Lange: Danke auch!
Friebe: Besten Dank!
Im Studio begrüße ich Holm Friebe, er gehört zur Zentralen Intelligenz Agentur in Berlin, hat am Buch "Wir nennen es Arbeit" mitgeschrieben. Es ist so eine Art Manifest dieser freien, kreativen Arbeitswelt geworden. Ebenfalls zu Gast ist Bastian Lange, er ist Stadtforscher, berät die Politik in Sachen Kreativwirtschaft, und beide, Holm Friebe und Bastian Lange, arbeiten derzeit zusammen an einem entsprechenden Buch im Auftrag des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums. Willkommen im "Radiofeuilleton", die Herren!
Holm Friebe: Hallo!
Bastian Lange: Hallo, guten Tag!
Scholl: Herr Friebe, wenn man Sie fragt, was haben Sie für einen Beruf, was antworten Sie?
Friebe: Dann würde ich sagen, ich bin Unternehmer und Autor.
Scholl: Ein Mensch in Festanstellung, der jeden Morgen pünktlich um acht im Büro sitzen muss, mag bei der Berufsbezeichnung "freischaffender Kreativer" vermutlich erst mal denken: Die haben es gut, die müssen morgens nicht früh aufstehen, und mittags um zwölf mit dem Laptop im Café sitzen – so was nennen die also Arbeit. Wie definieren Sie, Herr Lange, einen Menschen der Kreativwirtschaft?
Lange: Er ist sicherlich in höherem Maße auf seine eigenen Kompetenzen, Fähigkeiten und Organisationsfähigkeiten angewiesen, weil er nicht in dem Maße einen stabilen, fixierten, organisatorischen Rahmen hat, im Rahmen einer Normal… – sage ich mal – …anstellung. Das heißt, er muss motorischer sein vielleicht als manch andere, gleichwohl würde ich doch sehr dafür plädieren, dieses Bild des Kreativen nicht zu idealistisch zu zeichnen, sondern auch darauf hinweisen wollen, dass sehr viele kreative Akteure in sozialversicherungspflichtig beschäftigen Strukturen arbeiten, und auch im Grunde genommen dort natürlich in Agenturen, ja, sehr flexibel agieren. Das heißt auch, wenn man in diese Unternehmen reinschaut, entspricht die Praxis, die sich dort vollzieht, nicht mehr dem klassischen 9-to-5-Modell.
Scholl: Wenn Leben und Arbeit ineinander übergehen, man nicht mehr trennt, dann könnte man so von einer erfüllten Existenz sprechen. Andererseits arbeitet man ohne gesichertes soziales Netz vielfach. Gut, Sie haben gesagt, es gibt natürlich viele Kreative, Herr Lange, die auch in sozialversicherungspflichtigen Berufen arbeiten, aber nehmen wir jetzt mal so die Menschen, die wirklich auch von Projekt zu Projekt arbeiten, die also nicht an die Rente denken können und wenn sie krank werden, ist es auch ziemlich schlecht. Ist es nicht auch ein permanenter Stress der Selbsterhaltung? Sie müssten den kennen, Herr Friebe, oder?
Friebe: Ja, ich kenne den, der ist mir durchaus geläufig. Andererseits beobachten wir immer – und das zeigen auch die Umfragen –, dass Soloselbstständige, die auch nicht vereinzelt arbeiten, sondern in Netzwerken, die einen gewissen Rückhalt bieten und ein gewisses Auffangnetz darstellen, nach einer Zeit, wenn sie sich so etabliert haben, fünf bis zehn Jahre, ein größeres Gefühl von Absicherung haben als es heutzutage viele Festangestellte – oder was sich heute noch fest angestellt nennt – haben. Also wenn man diese beiden Seiten unter Risikoaspekten gegeneinander aufwiegt, dann ist gar nicht ausgemacht, wer da eigentlich auf der sichereren Seite ist, und ich glaube, dass die allgemeine Tendenz am Arbeitsmarkt in die Richtung geht, dass auch die Festangestellten sich ihrer Sache nicht mehr sicher sein können.
Und von daher finde ich es gar nicht mal ausgemacht, wer da eigentlich auf der sicheren Seite steht. Mit einem bunt gemischten Portfolio an Kunden und Fähigkeiten und Referenzen, auf die man verweisen kann, fühlt man sich eigentlich nach einer Zeit relativ robust und resilient, würde ich sagen. Also es gibt immer wieder Rückschläge, aber irgendwie weiß man, dass man diese Fähigkeit ausgebildet hat, wieder auf die Beine zu kommen, sich was Neues einfallen zu lassen.
Scholl: Nun gibt es diese schönen, schmückenden Zahlen, wie ich sie vorhin genannt habe, Milliardenumsätze, die Politik hat die Kreativwirtschaft entdeckt, nennt Kreativität einen wichtigen Rohstoff. Es gibt eine entsprechende Initiative, die der Bundesregierung zuarbeitet. Ist das gut? Bringt das was für die Kreativen?
Lange: Ja, also ich denke, es ist ein erster Schritt der Bundespolitik, mit der Initiative ihr Verhältnis zu diesen sehr kleinteiligen Strukturen, den Selbstständigen aufzubauen. Es ist ein Versuch, innerhalb der Branchen neue Kommunikationsbeziehungen zu Marktteilnehmern, zu Institutionen herzustellen, zu fragen, was braucht ihr eigentlich, was können wir für euch machen? Das ist also erst mal prinzipiell nicht schlecht.
Friebe: Ich glaube, der wichtige Lernprozess ist, dass man diese Strukturen lange Zeit nicht erkannt hat, weil sie nicht so sichtbar sind und nicht so ansprechbar, also in der Chemiebranche weiß ich, da gibt es drei, vier große Firmen, mit denen kann ich mich an einen Tisch setzen. Wie redet man mit 200.000 Freiberuflern, Soloselbstständigen aus Sicht der Politik. Und in den Blick zu nehmen, dass sie auch einen erheblichen und wachsenden Anteil an der volkswirtschaftlichen Gesamtwertschöpfung haben, ist ein erster Schritt, zu verstehen, dass man vielleicht nicht immer nur in Richtung Industrieansiedlungspolitik denkt, sondern mal fragt: Was brauchen die denn eigentlich?
Und da geht es dann nicht um Fördermilliarden oder Subventionen, sondern da geht es um angepasste Förderprogramme. Da geht es aber vor allen Dingen auch darum, Hürden zu beseitigen und Schikanen, die die Politik installiert, weil sie eben immer noch das mittelständische Unternehmen als kleinste unternehmerische Einheit vor Augen hat und nicht den Soloselbstständigen, der sich mit Finanzamt, Gewerbeaufsicht und so weiter rumschlagen muss.
Scholl: Jede Wirtschaftsbranche hat ihren eigenen Berufsverband. Wäre das denn überhaupt wünschenswert, brauchen die Kreativen eine, ja, richtig verfasste Lobby, oder ist es nicht auch so ein bisschen widersinnig, weil es sich doch mit dem Prinzip so des freien Kreativen schlecht verträgt?
Friebe: Also ich würde sagen, da wird diese Branchendefinition natürlich problematisch, weil sie sowohl große Player, Verwerter, Sender, Verlage und so weiter in den Blick nimmt als auch die einzelnen Kreativen, die teilweise als Dienstleister für diese Verwerter arbeiten. Und da gibt es natürlich Interessenlagen und Interessenkonflikte, die quer durch das Feld laufen, also da kann man einfach nicht mehr von der Kreativwirtschaft reden, geschweige denn von der kreativen Klasse als gemeinsame Interessenlage. Und da muss man dann im Einzelfall gucken: Ist das ein Freiberufler, der vielleicht besser in der Gewerkschaft organisiert ist, was auch problematisch ist, oder ist es ein Branchenverband wie Musik? Also da laufen Grenzen quer durch das ganze Feld.
Lange: Man muss ja auch dazu sagen, es gibt Branchenverbände, du hattest einige ja angesprochen. Der Punkt ist einfach der, dass die nicht in dem Maße oft die Bedarfe abdecken, die vielleicht auch eher eine jüngere Generation in diesen Märkten haben. Gleichwohl finde ich es auch wichtig, dass man nicht nur über die Frage der Professionalisierung, der Organisierung dieser neuen Märkte spricht, sondern auch überlegt, ob nicht vonseiten der Politik und der Verwaltung aus, ja, neue Strukturen geschaffen werden, die ihnen ein gelingendes Interagieren mit diesem Hummelschwarm von Bienen quasi ermöglichen. Also ich finde, da müssen sich zwei Seiten annähern, aber man wird nie in dem Maße eine fixierte, stabile Lobbystruktur aufbauen können, wie wir sie aus der chemischen Industrie oder aus der Automotive Industry kennen.
Scholl: Chris Dercon, der Leiter der Münchner Kunsthalle, hat in einem Interview zu dem Komplex ziemlich böse gesagt, es herrsche eine stille Übereinkunft der politischen Parteien von links wie rechts, Selbstausbeutung zu stimulieren, und das nennen sie dann Kreativwirtschaft.
Friebe: Das war ein schönes Interview, die Enthusiasmusproblematik, das ist tatsächlich eine Problematik, dass es vielen Akteuren im Feld nicht gelingt, ihre Tagessätze und Preise durchzusetzen, weil sie so leicht zu kriegen sind über die intrinsische Motivation, das heißt, man identifiziert sich so stark mit seiner Arbeit, dass man gerne bereit ist, auch zu nicht existenzsichernden Preisen zu arbeiten. Und da ist auch mein starkes Plädoyer, sich Routinen draufzuschaffen, womit man Preise und Tagessätze durchsetzt, und da fehlt einfach eine verknappende Instanz, wie sie die Gewerkschaften in anderen Bereichen geschaffen hat. Ich bin selbst Mitglied bei ver.di, die eine sehr gute Arbeit für Freie auch machen, und finde das sehr unterstützenswert. Da muss man irgendwie versuchen, sich selbst und den eigenen Enthusiasmus zu überlisten und Verhandlungsmacht aufzubauen.
Scholl: Ende November erscheint ein Weißbuch zur Kreativwirtschaft, dass Sie beide verfasst haben. Worum geht es Ihnen da?
Lange: Na, es ist der Versuch, das Feld Kreativwirtschaft aus der relativ rigiden Betrachtungsweise, gewissermaßen aus dem Korsett der Branchenlogik erst mal herauszulösen und zu fragen: Was leistet es für den Begriff und für das Feld Innovation, und wie kann es im Grunde genommen anschlussfähig gemacht werden, um auch die Leistungsfähigkeit dieses Feldes für andere Problemfelder in der Gesellschaft, in anderen Gesellschaftsfeldern irgendwo starkzumachen?
Friebe: Parallel dazu wollen wir Szenarien entwickeln, um mal zu gucken: Wo geht dieses ganze Feld eigentlich hin? Wo bewegt sich die Branche, wenn wir sie denn mal als Branche annehmen, hin, und bleibt sie noch die Branche, die wir uns jetzt mühsam zusammenpräpariert haben, um sie mal sichtbar zu machen, oder verschmilzt sie an den Rändern mit Bildung, Gesundheitswesen? Wichtiges Thema! Was leistet die Kultur an Kreativwirtschaft über den Beitrag zum Bruttosozialprodukt hinaus für andere Branchen im Hinblick auf Innovationsfähigkeit? Also inwiefern ist das, was da entsteht und was sich gar nicht mal so sehr in Zahlen niederschlägt, ein Humus oder ein Katalysator für andere Prozesse in anderen Branchen, die uns ermöglichen, besser mit den gesellschaftlichen Problemen klarzukommen?
Scholl: Die Kreativwirtschaft und die Politik, das waren Holm Friebe von der Zentralen Intelligenz Agentur aus Berlin, und der Stadtforscher Bastian Lange. Danke für Ihren Besuch!
Lange: Danke auch!
Friebe: Besten Dank!