Humor

Bis auf die Knochen

Von Sigrid Menzinger |
In Zeiten von Facebook und Dschungelcamp ist die Schamgrenze sehr niedrig - das war nicht immer so. Peinlichkeiten und Blamagen gab es allerdings schon immer. Benjamin Dittmann und Jan Valk haben Weltliteratur nach Missgeschicken durchforstet. Senta Berger und Bjarne Mädel lesen das Werk auf der lit.COLOGNE, moderiert von Jörg Tadeusz. Eine Stunde Literatur, die schmunzeln lässt.
"Willkommen im Reich des permanent drohenden Ehrverlustes, wo ein kleiner Fehltritt mit nichts Geringerem als der absoluten Auslöschung bestraft wird", führt Moderator Jörg Tadeusz uns in ein vergangenes Jahrhundert - zu Anton Tschechow:
"An einem prächtigen Abend saß der nicht minder prächtige Gerichtsvollzieher Ivan Dimitri Tscherviakow in der zweiten Sesselreihe und sah sich durchs Theaterglas die Oper "Die Glocken von Cornville" an. Aber plötzlich verzog er sein Gesicht, rollte mit den Augen, hielt den Atem an, er nahm das Opernglas von den Augen, bückte sich, und er nieste."
Und bespuckte dabei die Glatze einer Exzellenz vor ihm. Dieser unfeine Ausrutscher war im zaristischen Russland nicht komisch, hatte im Gegenteil dramatische Folgen und das war bezeichnend für die damalige bürgerliche Gesellschaft.
In der Jetztzeit hingegen diktiert der Amerikaner David Foster Wallace einem etwas unterbelichteten Maurer dessen Versicherungsbericht über einen ziemlich dummen Arbeitsunfall in die Feder - zur heimlichen Schadenfreude des Publikums:
"Ich befestigte das Seil am Boden, ging aufs Dach, schwang die Tonne hinaus und belud sie mit den Ziegeln. Dann ging ich wieder nach unten, knotete das Seil los und hielt es fest, um ein langsames Herablassen der 99 Kilogramm Ziegelsteine zu gewährleisten. Wie Sie Kästchen Nummer elf entnehmen können, wiege ich 75 Kilo."
Mehrfache Blessuren war die Folge. Nicht alle Missgeschicke in diesem Hörbuch enden derart schmerzhaft. Was sie aber eint, ist die Absurdität menschlichen Tuns und deren literarische Anverwandlung.
Alfred Polgar zum Beispiel nimmt sich hier eines permanenten Problems der feinen Gesellschaft des letzten Jahrhunderts an :
"Besonders gefährlich ist jene Tischnachbarin, der man nie zuvor begegnet ist. Wie beginnt da der Gentleman die Unterhaltung? Der gesellschaftlich erfahrene Mann hat ja stets ein paar zuverlässige Wendungen vorrätig, um den ersten Kontakt mit der Tischnachbarin her zu stellen, wie etwa: "Ist Ihnen diese Gesellschaft auch so unerträglich wie mir? Oder: Um wieviel lieber säße ich jetzt bei einem Glas Bier im Wirtshaus! Oder: Nicht eine einzige hübsche Frau ist da!"
"Wenn etwas fein die Platte ziert
Wonach Dein Herz Verlangen spürt
So drück die Nase eins, zwei, drei
Bis Dir die Hand voll Schnodder sei"
Schlechteste Sängerin aller Zeiten
Keine Panne, sondern volle Absicht: Derart grauslig vermieste ein gewisser Friedrich Dedekind im Mittelalter seinen Tischnachbarn den Genuss.
Neben Arthur Schnitzlers blamiertem Voyeur, der Mackenplage des David Sedaris und Dorothy Parkers überaus peinlichem Walzer, begegnen wir auch Bohumil Hrabals zornigem Oberkellner Karel:
"Karel machte noch einen mächtigen Satz, kriegte das Tablett auch zu fassen, doch zwei Teller rutschten ihm weg. Zuerst der Spieß à la Pusta, dann die Soße und danach der Teller.
Und in genau der gleichen Reihenfolge folgte sodann der zweite Teller. Fleisch und Sauce und am Schluss die Knödel."
Es endet - ob der eigenen Ungeschicklichkeit - mit einem wütend geschirrzerdeppernden Karel.
Dieses Hörbuch ist voller Geschichten - nicht nur von fiktiven Gestalten.
Die beiden folgenden haben wirklich gelebt!, erklärt Moderator Jörg Tadeusz:
"Die Frau ist peinlich unbegabt, ist vielleicht eine der schlechtesten Sängerinnen aller Zeiten, er hat eine Begabung, die sich Eltern nicht zwangsläufig für ihre Kinder wünschen. Seine Name ist Joseph Pujol.
Le Pétomane ist einer der berühmtesten Acts des Moulin Rouge. Und mit Sicherheit der bestbezahlte Kunstfurzer aller Zeiten. Sein festes Repertoire umfasste beliebte Melodien wie O sole mio, das Kinderlied Au claire de la lune, aber auch eine eigene Improvisation über das Erdbeben von San Francisco
Die Sängerin war die Amerikanerin Florence Jenkins. Sie war sehr vermögend. Am Anfang ihrer "Gesangskarriere" - wenn man denn das Wort Gesang überhaupt in diesem Zusammenhang gebrauchen kann - mietete ..."
Die völlig selbstironiefreie Florence Foster Jenkins - eine Paraderolle für die Berger:
"Das letzte Konzert, das sie gab, war in der Carnegie Hall in New York, da war sie schon 76 und - auf ihren Grabstein ließ sie schreiben: Die Leute können vielleicht behaupten, dass ich nicht singen kann, aber niemand kann behaupten, dass ich nicht gesungen hätte!"

Bis auf die Knochen. Die größten Blamagen der Weltliteratur
Mit Senta Berger und Bjarne Mädel
Moderiert von Jörg Tadeusz
Live-Mitschnitt auf der lit.COLOGNE
Random House Audio
1 CD - Laufzeit 1 St. 15 Minuten, 22,90 Euro