Die Schärfe des jüdischen Witzes
Das Schreckliche weglachen: Oft die einzige Möglichkeit, sich zu wehren. Vielleicht deshalb taucht das Thema Antisemitismus so häufig im jüdischen Witz auf. Er ist ohnehin immer eine Waffe der Schwachen gewesen.
Brigitte Fleissner leitet den Münchner Verlag Langen-Müller, in dem die deutschsprachige Gesamtausgabe der Werke Ephraim Kishons, des wohl meistgelesenen großen israelischen Satirikers, verlegt ist:
"Das hat mir auch Lisa Kishon, seine dritte Ehefrau erzählt, wenn sie durch die Schweiz gefahren sind, schob er eine Kassette ins Autoradio, und es war - eine Rede von einer Nazi-Größe. Und er hat es genossen, dass er sie in seinem feinen Auto fahren konnte, und das so anhören kann. Das gehörte sicher auch mit zur Verarbeitung."
Kishon wurde wegen Hitler Satiriker
Der Ungar Ephraim Kishon, der eigentlich Ferenc Hoffmann hieß, kam 1949 nach Israel. Viele Jahre später erinnerte er sich an seinen schriftstellerischen Anfang:
"Ich würde sagen Adolf Hitler hat mich persönlich zum Satiriker gemacht. In der letzten Phase des Krieges war ich in Budapest. Ich habe mich versteckt in einem Keller, wo ich nichts anderes gefunden habe als Hunderte Flaschen mit Tomatensaft, den ich noch immer nicht ausstehen kann, ja, wegen dieser sechs Wochen, die ich dort verweilt habe, und eine Menge von Papier und Bleistift. Weil ich gar nichts anderes machen konnte, habe ich mich hingesetzt, und einen außerordentlichen guten satirischen Roman geschrieben über eine politische Bewegung gegen die Glatzköpfigen. So bin ich ein Satiriker geworden."
Der jüdische Witz prägte die deutsche Literatur
Meist thematisiert der jüdische Witz das jüdische Leben und die jüdische Geschichte. Und natürlich, sagt Burkhard Meyer-Sickendieck, Geisteswissenschaftler am Institut für deutsche und niederländische Philologie der Freien Universität Berlin, gibt es nicht den jüdischen Witz, sondern viele.
Und immer ist er ein Schild, eine Abwehr, eine Methode der Verarbeitung von Zuständen, Angriffen oder sogar Verfolgung: "Es gibt ihn in unterschiedlichsten kulturellen Ausprägungen. Es gibt ihn in den USA, wo er eine etwas andere Stoßrichtung hat als in Europa."
Und Rabbi Walter Rothschild von der "Union progressiver Juden in Deutschland" sagt: "Irgendjemand hat gesagt: Antisemitismus ist, wenn man Juden mehr hasst, als nötig ist. Ich weiß nicht, ob er von Woody Allen ist."
Meyer-Sickendieck weiter: "Es gibt ihn vor 1945, und nach 1945, und es gibt ihn auch in kurzer und langer Form. Das ist ein umfangreiches Kulturphänomen. Wenn man sich die Geschichte des Witzes, beziehungsweise der Satire ansieht, dann kann man schon erkennen, dass die mit jüdischen Autoren um 1830 herum eine neue Form erlangt hat. Also Heinrich Heine, Ludwig Börne, das sind Autoren, die die deutsche Satire ganz wesentlich geprägt haben, verändert haben, und ihr auch eine gewisse, ich möchte fast sagen: Schärfe gegeben haben, die vorher so nicht bekannt war in der deutschen Literatur. Das ist sicher dieser Salzgehalt dieses jüdischen Witzes."
Gerhard Kämpfe, unter anderem Intendant der "Jüdischen Kulturtage" in Berlin, erklärt dazu: "Ich glaube, der jüdische Witz hat noch eine Besonderheit. Er geht den Gegner, in Anführungsstrichen, Feind, nicht unbedingt direkt an. Sondern, wenn überhaupt, verlacht er ihn, verhöhnt ihn. Ein sehr typisches Beispiel ist, dass Jankele nach New York kommt, 1941, und sein Freund Moshe sagt, du kannst bei mir wohnen. Und er betritt zum ersten Mal die Wohnung von Moshe. Und er ist begeistert, in was für er eine wunderschöne Wohnung er kommt. Und er kommt in den großen Wohnsalon, und über der Couch hängt ein großes Portrait von Adolf Hitler. Jankele prallt zurück und sagt: 'Moschele, biste meschugge, was soll das? Das, sagt er, ist mein Mittel gegen Heimweh.'"
Humor ist eine Waffe der Schwachen
Wichtig ist die Unterscheidung von sogenanntem "Judenwitz" und "jüdischem Witz". Schon bei Sigmund Freud ist sie zu finden, in seinem Werk "Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten": "Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, dass der Jude den Fremden als komische Figur gilt."
Während der Judenwitz Juden herabsetzt, gilt der "jüdische Witz" meist dem Antisemitismus, sagt Rabbi Walter Rothschild: "Man muss nie vergessen, Lachen, Humor, ist eine Waffe der Schwachen, der Machtlosen. Man fühlt sich machtlos, desto mehr braucht man Humor."
Wie man den Humor brauchen kann, hat Rothschild schon am eigenen Leib erlebt: "Ich erinnere mich, ich gehe spätabends in Wien, und jemand schrie mich an: Sind Sie Jude? Und ich schrie zurück: Ja, sind Sie Muslim? Und er sagt: Ja, und ging weg. Das ist nur eine Reaktion, aber es hat funktioniert, es kam zu keiner Schlägerei.
"Natürlich gibt es verschiedene Methoden sich zu wehren. Einmal, wenn nötig, tut mir leid, die Faust oder die Waffe. Es hängt davon ab, wie wird man angegriffen. Manchmal wird man mit Wörter angegriffen, dann muss man mit Wörter reagieren. Keine Eskalation, sondern eine Reaktion auf das gleiche, richtige Niveau. Und dann ist es wichtig, dass man die richtigen Wörter zur Hand hat. Ein paar Bemerkungen, ein bisschen Ironie, Sarkasmus, was auch immer. Und dann kann man mit erhobenem Kopf weiterlaufen."
Die feinste Art, sich zu wehren
Auch für Gerhard Kämpfe ist der jüdische Humor eine Möglichkeit, dem Antisemitismus zu begegnen: "Ich denke der jüdische Witz als solcher, wenn man ihn sich genau betrachtet, muss einen eigentlich dazu bringen, kein Antisemit zu sein. Das ist vielleicht die Chance des jüdischen Witzes. Denn wenn man über sich selbst lacht, über seine Eigenarten selbst Witze macht, gibt es ja zwei Reaktionen. Das eine ist innere Reaktion. Wenn ich über mich lache, in einer bestimmten, vielleicht in einer Problemsituation, bin ich schon fast draußen aus dem Problem, weil ich es geschafft habe über mich zu lachen. Und das Zweite ist: wer über sich selbst, und seine ganz speziellen Eigenarten Witze macht, wirkt dem Dritten gegenüber ungefährlicher."
Auch Gerhard Kämpfe hat sofort ein Beispiel parat: "Im Wien der 30er Jahre gab es das berühmte Kabarett von Fakasch. Wo die ganz großen Wiener Kabarettisten auftraten. Und da gibts die Geschichte des jüdischen Kabarettisten, der bei Fakasch auftrat, und sein Warm-Up war, dass Leute aus dem Publikum ihm Begriffe zuriefen, und er hat sofort daraus Reime gemacht.
Und im Jahr '38, das war ja der heißeste Sommer in Österreich, da wurden ja sogar die Roten und die Schwarzen braun, machte er wieder seinen Abend, und im Publikum saßen 20/25 dieser Braunhemden. Und die Leute riefen wieder ihre Stichworte, und er machte wieder seine Reime. Nun muss man wissen, er hatte immer einen sehr eleganten Smoking an, mit einer Rose im Revers. Und mitten in diesem Spiel zwischen Pubikum und ihm, rief einer von diesen Nazischergen: Judenbengel. Totenstille im Raum. Und er reagierte, als wenn nichts passiert wäre, zeigte auf seine Rose, und sagte: Hier die Rose, da der Stengel, dann zeigte er auf sich: Hier der Jude, und dann, auf den Rufer zeigend, brauchte er gar nicht mehr der Bengel zu sagen - das Publikum applaudierte. Er hatte sich, wie ich finde, auf feinste Art gewehrt."
Wenn das Lachen im Halse stecken bleibt
In seinem Buch ""Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß" beschrieb "Zeit"-Herausgeber Josef Joffe den jüdischen Humor ebenfalls als "Weisheit, Witz und Waffe". Damals wie heute, hier oder anderswo. Das Lachen kann einem im Halse stecken bleiben – wissen sowohl Rabbi Rothschild...
"Ein SS-Mann steht von den Reihen von Menschen auf dem Appellplatz, und sagt: Ich habe ein Glasauge. Wenn Sie rausfinden können, welches das Glasauge ist, werden Sie leben. Wenn nicht, werde ich Sie töten."
... als auch Gerhard Kämpfe:
"Ich will auch eine Erklärung dazu haben, wieso du es herausgefunden hast. Jankele schaut ihn an und sagt: 'Ich glaube, es ist das Linke.'"
Und schließlich Rothschild: "'Woher weißt du die Erklärung?' 'Ach wissen Sie, Herr Offizier, es sieht so menschlich aus.'"