Humor von der bitteren Sorte
Zwei Männer sind auf der verzweifelten Suche nach Eiern - nicht, weil sie Hunger haben, sondern weil sie sich im Januar 1942 vor der Hinrichtung durch die deutschen Besatzer retten wollen. David Benioff hat mit "Stadt der Diebe" einen märchenhaften, leicht grotesken und zugleich äußerst spannenden Schelmenroman geschrieben.
Januar 1942 in Leningrad, kurz vor der 900 Tage währenden deutschen Belagerung. Trotz Ausgangssperre untersucht der 17-jährige Lew die Leiche eines an einem Fallschirm tot herab gesegelten deutschen Soldaten und wird auf der Stelle verhaftet: Auf Plünderung steht die Todesstrafe.
Der Geheimdienstchef von Leningrad gibt ihm und seinem Zellenkameraden Kolja jedoch eine Chance, wie sie ihr Leben retten können: Binnen sechs Tagen sollen sie zwölf Eier auftreiben. Der Oberst will die bevorstehende Hochzeit seiner Tochter reichhaltig ausstatten.
Die beiden jungen Männer machen sich auf den Weg. Sie jagen Gerüchten über Hühnerhaltung hinterher und können nur mit knapper Not einem schwarzbärtigen Hünen entkommen, der - wie sie zu Tode erschreckt feststellen - Kannibale ist. Ein anderes Mal stoßen sie auf einen sterbenden Jungen, der unter seiner Jacke ein Huhn versteckt - doch das legt keine Eier mehr.
Ihre letzte Chance scheint das Umland der Stadt zu sein. Dort treffen sie auf Partisanen, und Lew verliebt sich in Vika, ein Mädchen der Gruppe. Vika ist darauf aus, den brutalen Anführer einer deutschen Schwadron zu ermorden. Um von ihr geliebt zu werden, würde Lew alles für sie tun. Da fällt ihm ein, dass er noch das Messer des toten deutschen Soldaten bei sich trägt, und er würde nicht zögern, es auch einzusetzen. Doch was hilft es ihm? Schon bald muss er ja wieder vor dem russischen Oberst stehen, dem er gegen sein Leben ein Dutzend Eier bringen soll.
David Benioffs Buch ist ein märchenhafter, leicht grotesker und zugleich äußerst spannender Schelmenroman, der in einer der bittersten Zeiten der europäischen Geschichte spielt. Der Autor - bei dem Thema sicher erstaunlich - beweist Humor, wenn auch von der bitteren Sorte. Die beiden Hauptfiguren, Lew und Kolja, könnten unterschiedlicher nicht sein, doch das Schicksal hat sie aneinander gefesselt, und sie müssen Freunde werden.
David Benioff zeichnet alle Charaktere im Roman sehr deutlich, fast schon holzschnittartig. Wie in einem Märchen kann man von einem schwarzbärtigen Hünen nichts Gutes erwarten, und so kommt es ja auch. Die unzähmbare Partisanin Vika wiederum kommt im Kampfanzug daher - extremer könnte man sie kaum noch beschreiben.
Interessant ist der Einstieg in die Geschichte:
"Mein Großvater, der Messerstecher, tötete zwei Deutsche, bevor er achtzehn war","
schreibt David Benioff und lässt im Folgenden offen, inwieweit Ich-Erzähler und Autor identisch sind. Eine Zeitschrift habe ihn, den Ich-Erzähler, gebeten, einen Aufsatz über sich zu schreiben. Doch der findet sein bisheriges Leben zu langweilig und möchte lieber über Leningrad schreiben. Also besucht er seinen Großvater mit einem Kassettenrekorder in Florida. Und der, Lew Benioff, erzählt eine Geschichte aus dem Krieg in Leningrad. Anschließend fordert er den Enkel zu Änderungen auf:
""David, ... Du bist doch der Schriftsteller. Denk dir was aus."
Vermutlich werden Männer mehr Spaß an Benioffs Buch haben als Frauen. Zwei junge Männer in einer extremen Situation sprechen nun einmal nicht so miteinander wie Klosterschüler, und immer wieder geht es um sexuelle Fantasien aus Männerperspektive. Nicht alle Klippen auf der schmalen Gratwanderung zwischen Schelmentum und Kriegsgräueln umschifft Benioff dabei sicher, er wird manchmal ganz einfach zu derb. Dafür gibt er seinen männlichen Lesern einen ganz entscheidenden Rat:
"Das ganze Geheimnis, eine Frau zu erobern, ist geflissentliche Nichtbeachtung."
Rezensiert von Roland Krüger
David Benioff: Stadt der Diebe
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Karl Blessing Verlag, München, 2008
381 Seiten, 19,95 Euro
Der Geheimdienstchef von Leningrad gibt ihm und seinem Zellenkameraden Kolja jedoch eine Chance, wie sie ihr Leben retten können: Binnen sechs Tagen sollen sie zwölf Eier auftreiben. Der Oberst will die bevorstehende Hochzeit seiner Tochter reichhaltig ausstatten.
Die beiden jungen Männer machen sich auf den Weg. Sie jagen Gerüchten über Hühnerhaltung hinterher und können nur mit knapper Not einem schwarzbärtigen Hünen entkommen, der - wie sie zu Tode erschreckt feststellen - Kannibale ist. Ein anderes Mal stoßen sie auf einen sterbenden Jungen, der unter seiner Jacke ein Huhn versteckt - doch das legt keine Eier mehr.
Ihre letzte Chance scheint das Umland der Stadt zu sein. Dort treffen sie auf Partisanen, und Lew verliebt sich in Vika, ein Mädchen der Gruppe. Vika ist darauf aus, den brutalen Anführer einer deutschen Schwadron zu ermorden. Um von ihr geliebt zu werden, würde Lew alles für sie tun. Da fällt ihm ein, dass er noch das Messer des toten deutschen Soldaten bei sich trägt, und er würde nicht zögern, es auch einzusetzen. Doch was hilft es ihm? Schon bald muss er ja wieder vor dem russischen Oberst stehen, dem er gegen sein Leben ein Dutzend Eier bringen soll.
David Benioffs Buch ist ein märchenhafter, leicht grotesker und zugleich äußerst spannender Schelmenroman, der in einer der bittersten Zeiten der europäischen Geschichte spielt. Der Autor - bei dem Thema sicher erstaunlich - beweist Humor, wenn auch von der bitteren Sorte. Die beiden Hauptfiguren, Lew und Kolja, könnten unterschiedlicher nicht sein, doch das Schicksal hat sie aneinander gefesselt, und sie müssen Freunde werden.
David Benioff zeichnet alle Charaktere im Roman sehr deutlich, fast schon holzschnittartig. Wie in einem Märchen kann man von einem schwarzbärtigen Hünen nichts Gutes erwarten, und so kommt es ja auch. Die unzähmbare Partisanin Vika wiederum kommt im Kampfanzug daher - extremer könnte man sie kaum noch beschreiben.
Interessant ist der Einstieg in die Geschichte:
"Mein Großvater, der Messerstecher, tötete zwei Deutsche, bevor er achtzehn war","
schreibt David Benioff und lässt im Folgenden offen, inwieweit Ich-Erzähler und Autor identisch sind. Eine Zeitschrift habe ihn, den Ich-Erzähler, gebeten, einen Aufsatz über sich zu schreiben. Doch der findet sein bisheriges Leben zu langweilig und möchte lieber über Leningrad schreiben. Also besucht er seinen Großvater mit einem Kassettenrekorder in Florida. Und der, Lew Benioff, erzählt eine Geschichte aus dem Krieg in Leningrad. Anschließend fordert er den Enkel zu Änderungen auf:
""David, ... Du bist doch der Schriftsteller. Denk dir was aus."
Vermutlich werden Männer mehr Spaß an Benioffs Buch haben als Frauen. Zwei junge Männer in einer extremen Situation sprechen nun einmal nicht so miteinander wie Klosterschüler, und immer wieder geht es um sexuelle Fantasien aus Männerperspektive. Nicht alle Klippen auf der schmalen Gratwanderung zwischen Schelmentum und Kriegsgräueln umschifft Benioff dabei sicher, er wird manchmal ganz einfach zu derb. Dafür gibt er seinen männlichen Lesern einen ganz entscheidenden Rat:
"Das ganze Geheimnis, eine Frau zu erobern, ist geflissentliche Nichtbeachtung."
Rezensiert von Roland Krüger
David Benioff: Stadt der Diebe
Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner
Karl Blessing Verlag, München, 2008
381 Seiten, 19,95 Euro