Hundeobsession eines Reiseschriftstellers

19.02.2013
Seit der französische Reiseschriftsteller Jean Rolin in Turkmenistan von einem streunenden Wildhund angefallen wurde, ist er wie besessen von den Tieren. In seinem Reportageband hält er Ausschau nach Streunern am Rande der Gesellschaft.
Aus der Sicht streunender Hunde kann die Wahl einer Stadt zum Austragungsort der Olympischen Spiele "nur als eine existenzbedrohende Katastrophe angesehen werden". Im Moskau wurde etwa 1980 aus diesem Anlass zum wiederholten Mal versucht, die streunenden Hunde auszurotten. "Fünf Jahre später erweist sich die Durchführung eines Internationalen Festivals, der Weltfestspiele der Jugend und Studenten, erneut als ein Blutbad für die Hunde." Der russische Hundespezialist, mit dem Jean Rolin am Ende dieses Bandes in Moskau durch die Straßen läuft, betont, dass die Anzahl der Ratten danach sprunghaft in die Höhe gestiegen sei, dass streunenden Hunden also "eine positive Rolle bei der Erhaltung der öffentlichen Hygiene zugewiesen würde".

Andererseits findet sich in diesem Buch - dessen Titel auf eine Schreckensgeschichte in Malcolm Lowrys Roman "Unter dem Vulkan" zurückgeht - auch die Behauptung, dass Hunde und Ratten harmonisch zusammenlebten. Es geht in diesen Reportagen nicht um eindeutige Thesen oder wissenschaftlich belegte Thesen. Die werden zwar auch immer wieder zitiert ebenso wie es um literarische Spuren geht, vor allem aber betreibt Jean Rolin Feldforschung: Auf jeder seiner Reisen hält er Ausschau nach streunenden Hunden.

Rolin schnappt sich eine Eisenstange, brüllt das knurrende Tier an
Es gibt ein Initialerlebnis für diese Hundeobsession des Autors: In Turkmenistan wird er von einem streunenden Hund angefallen. Er fürchtet um sein Leben, ergreift eine schwere Eisenstange, die glücklicherweise direkt vor seinen Füßen liegt und brüllt das dumpf knurrende Tier an. Die Beschreibung dieser Szene bricht genau in dem entscheidenden Augenblick des Kampfes ab. Offenbar hat Rolin überlebt, hat den Hund besiegt - wie und mit welchen Folgen, das erfährt man nicht. Oder doch, denn die Folgen dieser Begegnung sind eben in dieses Buch eingegangen.

Wohin es den Reporter treibt, er fragt nach den Hunden, verfolgt die Spuren von Rudeln oder Einzelgängern. In Baltimore etwa in einem trostlosen Viertel, das längst aufgegeben wurde von der Stadtverwaltung oder in Bukarest, in Mexico City: Überall herrschen an diesen "Rändern der Welt" Krieg, Armut, Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit. Und genau dort sind die verwilderten Hunde zu Hause, werden zu Freunden oder Feinden.

Jean Rolin beschreibt genau, was er sieht, was er weiß, was er vermutet. Das ist spannend zu lesen, auch wenn man sich manchmal einen kürzenden Lektor für die eine oder andere Abschweifung gewünscht hätte. In Australien nimmt er an einer (erfolglosen) Dingo-Jagd teil. In Port au Prince will er ein Massentier-Asyl besuchen, im Libanon, - eine der stärksten Reportagen - spürt er in seinem Hotelzimmer die Folgen einer Explosion, sitzt dann später auf dem Balkon mit Freunden und beginnt über Hunde zu reden. Jeder habe zu diesem Thema etwas beizutragen, schreibt er und berichtet dann von einer militanten amerikanischen Tierschützergruppe, die im Libanon Hunde (und Katzen) befreien und retten will. Eine absurde Geschichte. Eine von vielen, die man in diesem Band findet, der sich mit einem Randthema beschäftigt, von dem sich klug auf die Zentren der Konflikte und Dramen dieser Welt schauen lässt.

Besprochen von Manuela Reichart

Jean Rolin: Einen toten Hund ihm nach. Reportage von den Rändern der Welt.
Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller
Berlin Verlag, Berlin 2012
254 Seiten, 24,99 Euro