Hundert Bilder einer Badenden
Gibt es das <em>eine</em> Bild von einem Menschen, das alle seine Facetten umfasst? Die Fotografin Roni Horn hält diese Vorstellung für trügerisch. In der Hamburger Galerie der Gegenwart eröffnete die erste Ausstellung mit ihren Werken in Deutschland.
Vor strahlend blauem Hintergrund sieht man das Gesicht einer sommersprossigen Schönen. Nicht einmal, nicht zehnmal, sondern hundert Mal. Ganz nah zoomt Roni Horn das Gesicht der jungen Frau heran, die bis zum Hals im blauen Wasser einer isländischen Quelle sitzt. Auf den ersten Blick meint man, es sei immer ein und dasselbe Bild. Doch dann fallen kleine Unterschiede auf: Mal guckt die Badende skeptisch, mal entspannt, einmal umspielt sogar ein winziges Lächeln ihren Mund.
Die Serie "You are the Weather" entstand im Verlauf von zwei Jahren. Und sie ist typisch für Roni Horns Arbeitsweise, erklärt Kuratorin Petra Roettig:
"Das zentrale Thema bei ihr ist eigentlich unsere Vorstellung von Identität. Die Frage: Was ist Identität heute? Dass man immer denkt, wenn man ein Foto von jemandem sieht, das berühmte eine Foto, dass man damit schon die Identität einer Sache, einer Figur, einer Skulptur erfasst hat. Und dem ist ja eigentlich gar nicht so."
Deshalb entwickelte Horn eine Menge "Tricks", um unseren Blick zu irritieren und unsere Wahrnehmung für feinste Veränderungen zu sensibilisieren. Die hundert Bilder der isländischen Schönen etwa gliedert sie in Vierer- und Fünfer-Gruppen. Mal sind sie schwarz-weiß, mal farbig:
"Und man bekommt einen wunderbaren Eindruck von dieser Frau. Von den vielen, vielen Facetten dieses Gesichtes. Und zudem noch - und das ist typisch Roni - der Kick, dass der Titel auch wieder noch den Moment hat... Der Titel heißt: You are the weather. Es ist also: Die Frau wird zu dem Wetter, das sich in ihrem Gesicht spiegelt."
In anderen Serien arbeitet die 56-jährige, in New York lebende Roni Horn paarweise, konfrontiert ein Schwarz-Weiß-Foto mit einer Farbfotografie, setzt in einer Serie mit Selbstporträts Bilder aus unterschiedlichen Lebensphasen gegeneinander oder arbeitet mit winzigen Zeitversetzungen. So präsentiert sie an der Wand eines Kabinetts 96 kleinformatige Porträts ihrer jungen Nichte: Man sieht das Mädchen Kaugummi kauend, lachend, ernst, grimmig. Wechselt man in das nächste Kabinett, steht man vor derselben Arbeit. Weil das bei Roni Horn aber nicht sein kann, kehrt man zurück in den ersten Raum, beginnt, die Bilder zu vergleichen und entdeckt winzige, zeitliche Veränderungen:
"Deshalb sieht man eben oft mehrere Fotos: Immer ein kleiner verschobener Moment. Ein anderer Augenblick. Vielleicht auch mal eine andere Perspektive eines Ortes oder eines Menschen. Und daran erkennt man eben: Die Identität kann man eigentlich gar nicht greifen. Die ist eher im Fluss, und das hat Roni auch sehr schön gesagt: Identity is a river."
Nun ist diese Erkentnis nicht neu. Ebenso wenig wie die Frage nach dem, was "Identität" heute eigentlich bedeutet. Doch die Formen, die Horn entwickelt, um Veränderungen nachzuspüren und aufzuzeigen, faszinieren: Denn sie untersucht das "Fließen des Lebens" nicht nur in Serien über Menschen. Sie spürt ihm auch nach in den Landschaften Islands. Und sie entdeckt es in der Wasseroberfläche der Themse, die sie mehrere Wochen lang fotografierte. In der Galerie der Gegenwart hängt sie diese wunderbare Arbeit so niedrig, dass der Betrachter tatsächlich auf die Wasseroberfläche blickt, die jedes Mal anders aussieht. Und je näher man an die großformatigen Arbeiten herantritt, desto weniger gleicht das Dargestellte Wasser: Mal wirkt das Farbenspiel auf der Oberfläche wie ein Satellitenfoto aus dem All, mal wie eine Wüstenlandschaft oder ein abstraktes Gemälde.
Völlig undidaktisch verleiten Roni Horns Arbeiten, genau hinzusehen, schärfen und sensibilisieren sie die eigene Wahrnehmung der Dinge. Verstärkt wird dies noch durch Horns Einbeziehung der Architektur: Jede Serie präsentiert sie in einer eigenen, für das Gezeigte sinnfälligen Höhe und einer eigenen Gliederung.
Horns bewusstes Arbeiten mit Raum und Architektur bindet den Betrachter ungewöhnlich stark ein in die Ausstellung, und ermöglicht ihm damit, eine ebenso ungewöhnlich produktive Rolle einzunehmen.
Petra Roettig: "Man muss sich oft auch mal von Raum zu Raum bewegen, um Vergleiche zwischen den Bildern zu machen. Man denkt dann immer, man hat sich falsch erinnert, und merkt dann plötzlich: Da ist doch noch etwas anderes... Und das tariert sie unglaublich aus. Sie zwingt einen zu bestimmten Abständen bei Bildern. Und das kennen wir ja gar nicht. Wir schreiten oft so Räume ab. Manchmal ein bisschen indifferent. Manchmal ein bisschen weniger indifferent. Und da nimmt sie die Architektur an der Kandare und zwingt uns praktisch eine bestimmte Rolle auf."
Die Serie "You are the Weather" entstand im Verlauf von zwei Jahren. Und sie ist typisch für Roni Horns Arbeitsweise, erklärt Kuratorin Petra Roettig:
"Das zentrale Thema bei ihr ist eigentlich unsere Vorstellung von Identität. Die Frage: Was ist Identität heute? Dass man immer denkt, wenn man ein Foto von jemandem sieht, das berühmte eine Foto, dass man damit schon die Identität einer Sache, einer Figur, einer Skulptur erfasst hat. Und dem ist ja eigentlich gar nicht so."
Deshalb entwickelte Horn eine Menge "Tricks", um unseren Blick zu irritieren und unsere Wahrnehmung für feinste Veränderungen zu sensibilisieren. Die hundert Bilder der isländischen Schönen etwa gliedert sie in Vierer- und Fünfer-Gruppen. Mal sind sie schwarz-weiß, mal farbig:
"Und man bekommt einen wunderbaren Eindruck von dieser Frau. Von den vielen, vielen Facetten dieses Gesichtes. Und zudem noch - und das ist typisch Roni - der Kick, dass der Titel auch wieder noch den Moment hat... Der Titel heißt: You are the weather. Es ist also: Die Frau wird zu dem Wetter, das sich in ihrem Gesicht spiegelt."
In anderen Serien arbeitet die 56-jährige, in New York lebende Roni Horn paarweise, konfrontiert ein Schwarz-Weiß-Foto mit einer Farbfotografie, setzt in einer Serie mit Selbstporträts Bilder aus unterschiedlichen Lebensphasen gegeneinander oder arbeitet mit winzigen Zeitversetzungen. So präsentiert sie an der Wand eines Kabinetts 96 kleinformatige Porträts ihrer jungen Nichte: Man sieht das Mädchen Kaugummi kauend, lachend, ernst, grimmig. Wechselt man in das nächste Kabinett, steht man vor derselben Arbeit. Weil das bei Roni Horn aber nicht sein kann, kehrt man zurück in den ersten Raum, beginnt, die Bilder zu vergleichen und entdeckt winzige, zeitliche Veränderungen:
"Deshalb sieht man eben oft mehrere Fotos: Immer ein kleiner verschobener Moment. Ein anderer Augenblick. Vielleicht auch mal eine andere Perspektive eines Ortes oder eines Menschen. Und daran erkennt man eben: Die Identität kann man eigentlich gar nicht greifen. Die ist eher im Fluss, und das hat Roni auch sehr schön gesagt: Identity is a river."
Nun ist diese Erkentnis nicht neu. Ebenso wenig wie die Frage nach dem, was "Identität" heute eigentlich bedeutet. Doch die Formen, die Horn entwickelt, um Veränderungen nachzuspüren und aufzuzeigen, faszinieren: Denn sie untersucht das "Fließen des Lebens" nicht nur in Serien über Menschen. Sie spürt ihm auch nach in den Landschaften Islands. Und sie entdeckt es in der Wasseroberfläche der Themse, die sie mehrere Wochen lang fotografierte. In der Galerie der Gegenwart hängt sie diese wunderbare Arbeit so niedrig, dass der Betrachter tatsächlich auf die Wasseroberfläche blickt, die jedes Mal anders aussieht. Und je näher man an die großformatigen Arbeiten herantritt, desto weniger gleicht das Dargestellte Wasser: Mal wirkt das Farbenspiel auf der Oberfläche wie ein Satellitenfoto aus dem All, mal wie eine Wüstenlandschaft oder ein abstraktes Gemälde.
Völlig undidaktisch verleiten Roni Horns Arbeiten, genau hinzusehen, schärfen und sensibilisieren sie die eigene Wahrnehmung der Dinge. Verstärkt wird dies noch durch Horns Einbeziehung der Architektur: Jede Serie präsentiert sie in einer eigenen, für das Gezeigte sinnfälligen Höhe und einer eigenen Gliederung.
Horns bewusstes Arbeiten mit Raum und Architektur bindet den Betrachter ungewöhnlich stark ein in die Ausstellung, und ermöglicht ihm damit, eine ebenso ungewöhnlich produktive Rolle einzunehmen.
Petra Roettig: "Man muss sich oft auch mal von Raum zu Raum bewegen, um Vergleiche zwischen den Bildern zu machen. Man denkt dann immer, man hat sich falsch erinnert, und merkt dann plötzlich: Da ist doch noch etwas anderes... Und das tariert sie unglaublich aus. Sie zwingt einen zu bestimmten Abständen bei Bildern. Und das kennen wir ja gar nicht. Wir schreiten oft so Räume ab. Manchmal ein bisschen indifferent. Manchmal ein bisschen weniger indifferent. Und da nimmt sie die Architektur an der Kandare und zwingt uns praktisch eine bestimmte Rolle auf."