Hunter S. Thompson

Radikal subjektiv

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Hunter S. Thompson gilt als Erfinder des "Gonzo-Stils" © picture-alliance/ dpa/dpaweb / Kosmicki
Von Gerd Brendel |
"Gonzo-Journalismus", so nennt man einen Stil, der das Ich des Reporters in den Mittelpunkt stellt. Zum zehnten Todestages des "Gonzo-Stil"-Erfinders Hunter S. Thompson erscheint mit "Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten" erstmals ein Auszug seiner riesigen Korrespondenz auf Deutsch.
"My next guest has been called the most accurate and the least factual reporter of today."
Der genaueste und am wenigsten faktengetreue Reporter Amerikas. So stellte der Talkmaster David Letterman einmal seinen Gast Hunter S. Thompson vor. In dessen radikal subjektiven Reportagen stecken mehr Einsichten zu amerikanischer Politik und Medienbetrieb als in jeder Agenturmeldung. Egal ob er das Kentucky Derby beschrieb, Boxkämpfe oder Präsidenten-Wahlkämpfe. Das gilt auch für Thompsons Romane.
Zum ersten Mal in deutscher Übersetzung
Thompsons Beschreibung von Touristen in einer Hotelbar als blutrünstige Reptilien in "Angst und Schrecken in Las Vegas" erinnert an die apokalyptischen Visionen mittelalterlicher Mystiker. Der Schriftsteller verdankte seine irren Bildwelten dem lebenslangen Konsum halluzinogener Drogen. Als der Roman Anfang der 70er-Jahre erschien war Thompson auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Der Band: "Odyssee eines Outlaw-Journalisten" präsentiert zum ersten Mal in deutscher Übersetzung Briefe aus dieser Zeit und aus den Anfangsjahren von Thompsons Karriere als "Gonzo-Journalist". "Gonzo-Journalismus" - Was man sich darunter vorzustellen hat, erklärt Thompson selbst im letzten Text des Sammelbands. Es liest Sophie Rois:
"Es handelt sich weniger um Geschriebenes als um Erlebtes und deswegen sollte das Ergebnis erfahrbar sein, statt einfach nur gelesen zu werden. Am besten in einem großen Raum mit Lautsprechern und einem offenen Feuer, alternativ in einer heißen Badewanne und Vibrator."
Gestern Abend in der Volksbühne müssen Sophie Rois und Alex Wandkes Vortrag das offene Feuer, die heiße Badewanne und den Rest ersetzen. Tausende Briefe hat Thompson auf der Schreibmaschine geschrieben und die Durchschläge sorgfältig archiviert. Fingerübungen und Zeitzeugnisse. Am 23. November 1963 in der Nacht nach dem Attentat auf Kennedy schreibt Thompson an einen Freund:
"Ich habe mich in eine psychotische Sphinx verwandelt. Ich will töten, weil ich nicht mehr reden kann."
Thompson schreibt an seine Mutter (nüchtern über Geldsorgen), Lektoren (überschwänglich über neue Romanideen), an den amerikanischen Präsidenten Lyndon Johnson (sehr selbstbewusst, um sich um ein politisches Amt zu bewerben)
"Es ist mir ein großes Vergnügen mich hier und jetzt für den Gouverneursposten auf Amerikanisch-Samoa zur Verfügung zu stellen."
Grob und beleidigend
Oder an befreundete Schriftsteller-Kollegen - grob beleidigend - zum Beispiel an Tom Wolfe 1971 nach Italien:
"Du läufst mit deinem schmierigen Anzug durch die Gegend."
Zwischen fantasievollen Beschimpfungen und fantastischen Romanszenarien legt Thompson seinen Briefpartnern gegenüber Rechenschaft ab.
"Lieber Dayle, danke für deinen schönen Brief ..."
schreibt er einem jugendlichen Fan:
"Aber ich habe seitdem eine entscheidende Lektion gelernt und das ist die Idee, nach dem eigenen Rhythmus zu leben."
Es wird nicht wehtun
Seinem eigenen Rhythmus folgte Thompson bis zum Schluss. Heute vor zehn Jahren erschoss sich der Erfinder des Gonzo-Journalismus, der wie kein zweiter die dunkle Seite des amerikanischen Traums erlebte und beschrieb mit einer 45er Magnum in seinem Haus in Aspen. In seinem allerletzten Brief an seine Frau schrieb er:
"Keine Spiele mehr. Keine Bomben mehr. Kein Laufen mehr. Kein Spaß mehr. 67. Das sind 17 Jahre nach 50. 17 mehr als ich brauchte oder wollte. Langweilig. Ich bin nur noch gehässig. Kein Spaß - für niemanden. 67. Du wirst gierig. Benimm dich deinem hohen Alter entsprechend. Entspann' dich - es wird nicht wehtun."

Hunter S. Thompson: "Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten - Gonzo-Briefe 1958-1976"
Aus dem Englischen von Wolfgang Farkas
Edition Tiamat, Berlin 2015
607 Seiten, 28 Euro

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