Hurra, wir schrumpfen!?

Von Kostas Petropulos |
Hurra, Deutschland schrumpft! – so jubelte kürzlich die Kommentatorin einer großen deutschen Tageszeitung über die Meldung vom anhaltenden Bevölkerungsrückgang. Endlich könne man in unserem dicht besiedelten Land wieder auf mehr Platz hoffen: in der U-Bahn, an den Badestränden der Nordsee oder in den Bergen.
Und endlich gebe es auch weniger Kinder! So könnten wir das vorhandene Geld in deren gute Bildung und in richtig schöne Kindergärten mit genügend Pädagogen stecken. Selbst die jungen Alten der Generation 50+ müssten nicht länger um ihren Arbeitsplatz bangen. Schon bald würden sie von den Personalchefs hofiert.

Kurz: Wohin das Auge schaut – die kommende Altenrepublik Deutschland ist kein Schreckgespenst, sondern vielmehr eine Verheißung.

Als Leser dieser Zeilen gerät man doch ins Grübeln. Warum machen wir uns angesichts dieser rosigen Aussichten eigentlich Sorgen? Sind wir Deutschen wieder mal nur Opfer unseres sprichwörtlichen Pessimismus geworden? Ist das Bangen um die Sicherheit der Renten oder die Finanzierbarkeit der Kranken- und Pflegeversicherung völlig unbegründet?

Ja! – schallt es uns entgegen. Der Schlüssel unseres Wohlstandes lag und liegt angeblich in der stets wachsenden Produktivität. Mehr und bessere Technik! - lautet also die Zauberformel, die uns voller Optimismus in die Zukunft blicken lassen soll.

Doch diese Vision ist eine Schimäre. Denn anders als in den letzten Jahrhunderten bedarf unser Wohlstand kaum eines erhöhten Ausstoßes von materiellen Produkten. Gefragt sind viel mehr Dienstleistungen, vor allem solche, die den persönlichen Umgang mit Menschen erfordern: In den Kindergärten, den Schulen, den Universitäten, den Krankenhäusern oder im Pflegebereich. Hier sind dem Technikeinsatz Grenzen gesetzt. Oder wer will sich beispielsweise im Krankenhaus schon gern von einem effizienten, aber seelenlosen Pflegeroboter umsorgen lassen? Daher brauchen wir für diesen rapide wachsenden Bereich personenbezogener Dienstleistungen auch in Zukunft eine ausreichende Zahl von Menschen.

Aber müssen die unbedingt jung sein? – Sicher können bei der Kranken- und Altenpflege oder bei anderen Tätigkeiten Menschen über das 65. Lebensjahr hinaus eingesetzt werden. Aber Forschung, Innovationen und deren rasche Einführung in die Betriebe und den Alltag sind eine Domäne der Jugend – wie nicht nur der spielerische Umgang von Kindern mit Computern oder Handys vor Augen führt.

Gleiches gilt für Kunst, Kultur und neue Formen des Arbeitens und Zusammenlebens in der Gesellschaft - nicht die Alten, sondern die Jungen waren und sind der Motor des Wandels.

Daher wird unsere alternde und schrumpfende Gesellschaft sich auf eine nachlassende Produktivität und damit sinkenden Wohlstand einstellen müssen.

Selbst die Hoffnung, wenigstens unser Arbeitslosenproblem zu lösen, ist trügerisch. Mit der kleineren Nachwuchsgeneration sinkt zwar das Angebot an Arbeitskräften. Allerdings genauso die Zahl von innovativen und risikobereiten Unternehmensgründern oder Unternehmensnachfolgern – also genau derjenigen, die Arbeitsplätze erhalten oder neue schaffen.

Ganz gleich, welches der dringendsten Probleme der Gegenwart wir uns näher betrachten – die Vergreisung und Schrumpfung unserer Bevölkerung wird es nicht automatisch beseitigen. Das Schwinden unserer Nachwuchsgeneration ist nämlich nicht die Lösung dieser Probleme, sondern nur Ausdruck einer tief reichenden Krise des deutschen Lebensmodells. Schon seit Jahrzehnten haben wir im Kern unser Gemeinwesen ausschließlich als Dienstleistungsbetrieb für die Wirtschaft organisiert. Männer wie Frauen kam und kommt dabei die Aufgabe zu, sich flexibel und stets einsatzbereit in die auf Effizienz getrimmte Arbeitswelt zu integrieren. Als Lohn dafür winkte ihnen die Aussicht auf ein Leben mit einer Fülle von Konsum- und kommerziellen Freizeitmöglichkeiten. Tatsächlich war dieses "Modell Deutschland" jahrzehntelang wirtschaftlich höchst erfolgreich.

Allerdings führte es nicht nur zu einem individuellen Lebensstil, der unsere natürlichen Grundlagen ausbeutet und zerstört. Bei diesem Lebens- und Arbeitsmodell ist vor allem immer weniger Platz für Kinder. Der politisch ausgelöste, massive Globalisierungsschub der letzten Jahre hat die Situation noch verschärft: Wirtschaftliche Sicherheit und materieller Wohlstand über eigene Erwerbstätigkeit ist für die Nachwuchsgeneration nur mit noch größerer Einsatzbereitschaft zu haben. Das heißt mit noch größerem Verzicht auf Freiräume jenseits der Arbeitswelt. Freiräume in denen bislang die Entscheidung für und das Zusammenleben mit Kindern fiel, aber zum Beispiel auch das Engagement in der Nachbarschaft, in Vereinen oder in Verbänden.

Deshalb ist die jüngste Meldung vom Schrumpfen der deutschen Bevölkerung keine frohe Botschaft. Sie ist vielmehr ein Alarmzeichen, das zum Nachdenken über eine Gesellschaft führen muss, der die eigene Zukunft ausgeht.


Kostas Petropulos, Publizist, 1960 in Dresden geboren, studierte Deutsch und Geschichte in Tübingen. Seit 1987 als freier Journalist vor allem als Autor von wirtschafts- und familienpolitischen Themen hervorgetreten. 1995 Mitbegründer des Heidelberger Büros für Familienfragen und soziale Sicherheit, das er seit Ende 1996 leitet.