Hurrikan-Helfer unter Terrorverdacht
"Zeitoun" ist ein ruhiger, sachlicher, unpolemischer Tatsachenroman und dennoch so aufregend wie wenige andere Bücher. Es erzählt von der Zerstörung des amerikanischen Rechtsstaats in der Ära von George W. Bush. Abdulrahman Zeitoun wird zum Opfer der Anti-Terror-Hysterie dieser Jahre.
Zeitoun ist ein Amerikaner syrischer Abstammung, der sich in New Orleans eine Existenz aufgebaut hat. Als der Hurrikan "Katrina" immer näher kommt, bringt Zeitouns Frau Kathy sich und die vier Kinder in Sicherheit. Zeitoun aber bleibt in der Stadt, er will sein Haus und seine Baustellen nicht im Stich lassen, außerdem hat er als ehemaliger Matrose keine Angst vor dem Wasser. Die nächsten Tage scheinen ihm Recht zu geben. Nachdem der Hurrikan New Orleans unter Wasser gesetzt hat, breitet sich dort eine unwirkliche, fast paradiesische Stille aus.
"Er saß auf dem Dach, suchte die Gegend ab, hielt Ausschau nach Menschen, Tieren oder irgendeiner Maschine in Bewegung. Nichts."
Zeitoun fährt mit einem Kanu durch die gefluteten Straßen, er rettet Eingeschlossene aus ihren Häusern, füttert zurückgelassene Hunde. Aber nach einer Woche wird er verhaftet, weil Polizisten ihn für einen Plünderer halten. Und es kommt noch schlimmer. Für die Sicherheitskräfte, darunter viele Veteranen aus dem Irak-Krieg, steht bald fest: dieser Syrer, dieser Moslem ist ein Terrorist, ein Al-Kaida-Mann. Zusammen mit seinen Freunden wird Zeitoun in ein Freiluftgefängnis gesteckt, beschimpft und gedemütigt. Die Gefangenen sehen keinen Richter, keinen Anwalt, sie erfahren nicht mal, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird. Für Zeitoun ist am härtesten, dass er seine Familie nicht informieren kann. Seine Frau Kathy wird fast verrückt vor Sorge um ihn. Erst nach 24 Tagen kann Zeitoun einen Geistlichen überreden, seine Familie anzurufen, bald danach kommt er frei. Seine Freunde bleiben bis zu acht Monate eingesperrt, obwohl sich alle Vorwürfe gegen sie als blamabel falsch erweisen. Kathy und Zeitoun werden diesen Bruch in ihrem Leben nie mehr loswerden.
Dave Eggers hat bald nach "Katrina" von Zeitouns Schicksal erfahren und drei Jahre lang immer wieder mit ihm und Kathy gesprochen. Die Vorgänge in New Orleans hat Eggers akribisch recherchiert. Eine wesentliche Information: das US-Heimatschutzministerium hatte kurz vor dem Hurrikan davor gewarnt, dass Terroristen Naturkatastrophen für Anschläge nutzen könnten. Wegen solcher Warnungen haben die Behörden mit größerem Einsatz Verdächtige verfolgt als gefährdete Menschen aus der überfluteten Stadt gerettet.
Zeitouns Geschichte wird von Dave Eggers mit größter Zurückhaltung erzählt, in einer betont kunstlosen Sprache, ohne Anklagen, ohne Pathos, ohne Überhöhung. So ist ihm ein großartiges Buch gelungen, auf der Höhe der großen Tatsachenthriller von Truman Capote und Norman Mailer, bei dem man auch denkt: wie schade, dass sich bei uns nur so wenige Autoren an dieses Genre herantrauen.
Besprochen von Frank Meyer
Dave Eggers: Zeitoun
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2011
366 Seiten, 19,95 Euro
"Er saß auf dem Dach, suchte die Gegend ab, hielt Ausschau nach Menschen, Tieren oder irgendeiner Maschine in Bewegung. Nichts."
Zeitoun fährt mit einem Kanu durch die gefluteten Straßen, er rettet Eingeschlossene aus ihren Häusern, füttert zurückgelassene Hunde. Aber nach einer Woche wird er verhaftet, weil Polizisten ihn für einen Plünderer halten. Und es kommt noch schlimmer. Für die Sicherheitskräfte, darunter viele Veteranen aus dem Irak-Krieg, steht bald fest: dieser Syrer, dieser Moslem ist ein Terrorist, ein Al-Kaida-Mann. Zusammen mit seinen Freunden wird Zeitoun in ein Freiluftgefängnis gesteckt, beschimpft und gedemütigt. Die Gefangenen sehen keinen Richter, keinen Anwalt, sie erfahren nicht mal, was ihnen überhaupt vorgeworfen wird. Für Zeitoun ist am härtesten, dass er seine Familie nicht informieren kann. Seine Frau Kathy wird fast verrückt vor Sorge um ihn. Erst nach 24 Tagen kann Zeitoun einen Geistlichen überreden, seine Familie anzurufen, bald danach kommt er frei. Seine Freunde bleiben bis zu acht Monate eingesperrt, obwohl sich alle Vorwürfe gegen sie als blamabel falsch erweisen. Kathy und Zeitoun werden diesen Bruch in ihrem Leben nie mehr loswerden.
Dave Eggers hat bald nach "Katrina" von Zeitouns Schicksal erfahren und drei Jahre lang immer wieder mit ihm und Kathy gesprochen. Die Vorgänge in New Orleans hat Eggers akribisch recherchiert. Eine wesentliche Information: das US-Heimatschutzministerium hatte kurz vor dem Hurrikan davor gewarnt, dass Terroristen Naturkatastrophen für Anschläge nutzen könnten. Wegen solcher Warnungen haben die Behörden mit größerem Einsatz Verdächtige verfolgt als gefährdete Menschen aus der überfluteten Stadt gerettet.
Zeitouns Geschichte wird von Dave Eggers mit größter Zurückhaltung erzählt, in einer betont kunstlosen Sprache, ohne Anklagen, ohne Pathos, ohne Überhöhung. So ist ihm ein großartiges Buch gelungen, auf der Höhe der großen Tatsachenthriller von Truman Capote und Norman Mailer, bei dem man auch denkt: wie schade, dass sich bei uns nur so wenige Autoren an dieses Genre herantrauen.
Besprochen von Frank Meyer
Dave Eggers: Zeitoun
Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann
Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2011
366 Seiten, 19,95 Euro