Händewaschen ist keine Bürgerpflicht
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Seit März demonstrieren sie gegen die coronabedingten Einschränkungen der Bürgerrechte. Doch die Macher der Protestzeitung "Demokratischer Widerstand" wenden sich inzwischen auch anderen Themen zu. Ein Besuch in der Redaktion.
"More Beer, good sex, no stress", hat jemand auf die Fassade des hellblauen Hauses im Berliner Wedding gesprüht. Oben, im vierten Stock, gelten andere Ideale: "Republik, Gewaltenteilung, Demokratie – Tschüß Corona-Diktatur", prangt auf einer der Titelseiten des "Demokratischen Widerstands". So heißt die Wochenzeitung der sogenannten Hygienedemonstranten.
Die Redaktion hat hier ihren Sitz, in drei Zimmern mit hellem Dielenboden und Balkon. Ein Immobiliengeschäftsmann aus München hat die Wohnung den Zeitungsmachern zur Verfügung gestellt. Es ist nicht das einzige Geschenk eines Bürgers.
Eine Spende für die Zeitung
An diesem Freitagnachmittag kommt Thomas Jahn in der Redaktion vorbei. Er ist Instrumentenbaumeister, 57 Jahre alt, dunkel gekleidet. Jahn verlangt: "Aufklärung, über das, was wirklich läuft in diesem Land. Das machen die Leute sehr gut."
Jahn, der Besitzer eines Ladens für Blechblasinstrumente, ist gekommen, um den Zeitungsmachern eine Spende vorbeizubringen. Das Konto der "Kommunikationsstelle Demokratischer Widerstand" sei von der Staatsanwaltschaft gesperrt worden, sagen die Aktivisten.
Jahn will helfen, damit sie trotzdem weiter demonstrieren, schreiben, drucken können. Dem Staat hält er "eine totale Desinformationskampagne" vor:
"Das ist eine Viruswelle, wie wir sie seit Tausenden von Jahren immer wieder haben. Aber alles, was ich höre von den Medizinern in diesem Lande - mit Ausnahme von Herrn Drosten - ist, dass es eine normale Viruswelle ist wie immer und dass sie bereits seit Ende März ausgelaufen ist. Jetzt wird hier eine Riesenshow zelebriert. Ist für mich nicht klar."
Viele Ärzte und Juristen sind dabei
Wer geht da eigentlich seit Wochen auf die Straße, in Berlin, Stuttgart, Kassel, Erfurt und so weiter? Anselm Lenz, einer der Gründer der Bewegung, betont:
"Auffällig ist, dass sehr viele Ärztinnen und Ärzte spenden. Das sieht man allein schon auf dem Spendenkonto, dass dort sehr viele Dr. meds draufstehen. Es sind auch viele Juristinnen und Juristen, die spenden. Das heißt, eine Mischung aus Arbeiterinnen, Angestellten, Pensionären und Menschen des Fachs, für die wir jetzt auch gerade mitarbeiten - aus Medizin und Juristerei."
Der Journalist Lenz und sein Compagnon, der Dramaturg Hendrik Sodenkamp, ziehen viele bürgerliche Existenzen an. Die Ärzte und Anwälte, die hinter den beiden stehen, zieren sich allerdings bei Interviewanfragen. Sie wollen im Hintergrund bleiben.
Das zentrale Medium der Berliner Hygienedemonstranten ist die Zeitung auf Papier. Auf Instagram und Telegram kümmert sich der Softwareentwickler Wolfgang Spraul darum, die Ideen der Bewegung auch jungen Leuten anzubieten:
"Ich glaub auch, dass der Lockdown, den wir jetzt machen, dass der große wirtschaftliche Auswirkungen haben wird, die werden außer Kontrolle geraten."
Zweifel an den Coronamaßnahmen
Spraul, ein hochgewachsener Mann im grauen T-Shirt, 48 Jahre alt, trägt ordentlich gestutztes schwarzes Haar. Er arbeitet im Hauptberuf für eine chinesische Softwarefirma.
"Seit Mitte April ist das für mich nicht mehr nachvollziehbar. Es gibt so viele Hinweise darauf, dass der Lockdown und die Abstandsmaßnahmen, social distancing, nutzlos sind, einfach nutzlos. Und mit jedem Tag gibt es weitere Schäden."
Spraul fehlt seit Beginn der Coronapandemie die lebendige demokratische Diskussion in den Parlamenten – zum Beispiel darüber, ob die Euro-Zone überhaupt funktionsfähig ist.
"Wenn’s so nicht geht, wenn das Wasser niemals den Berg hoch laufen wird, dann muss man was verändern, dass es funktioniert. Oder man muss diese Währungsunion beenden und einen vernünftigen, kontrollierten Ausstieg organisieren, damit nicht die Pensionszusagen und die Lebensversicherungen und sonst alles den Bach runtergeht und es vielleicht zu einem Bürgerkrieg oder irgendetwas kommt."
Basisdemokratie und Wirtschaftsregeln
Sprauls Redaktionskollege Sodenkamp telefoniert, läuft nervös in der Redaktion auf und ab. Er organisiert einen Mietwagen, damit die Zeitung über Nacht pünktlich zur Demonstration aus der Druckerei in Frankfurt am Main nach Berlin gebracht werden kann.
Zusammen mit der Redakteurin Anne Höhne schreibt Sodenkamp auf Seite eins des "Demokratischen Widerstands", neue Wirtschaftsregeln müssten "basisdemokratisch ausgehandelt werden".
"Ja, ich habe festgestellt, auf diesen Demonstrationen ist ein öffentlicher Raum entstanden, zu einer fixen Uhrzeit an einem fixen Ort haben unterschiedlichste Menschen zusammengefunden, die das auch gespürt haben. Erstmalig wurden wieder große Fragen gestellt. Es ging nicht darum, wen wählen wir heute, sondern: Was möchtest du eigentlich?"
Anne Höhne ist 28 Jahre alt, trägt große runde Ohrringe. Sie studiert Philosophie und Physik – und möchte Lehrerin werden. Höhne findet die "Panikmache" in Pandemiezeiten "verbrecherisch" – und will die Krise nutzen für eine Erneuerung der Demokratie.
"Wir haben begrenzte Ressourcen auf diesem Planeten. Wir haben Bedürfnisse, die sind beim Menschen relativ ähnlich. Wir wollen alle friedlich miteinander leben, frische Luft, frisches Wasser. Wir müssen aber erst mal dahinkommen, dass miteinander diskutieren überhaupt möglich ist."
Verrückt im bürgerlichen Leben
Angesprochen auf die Verschwörungsmythen und kruden Theorien, vom Impfzwang bis zur Steuerung durch Bill Gates, die bei den Samstagsdemonstrationen immer wieder vertreten werden, lächeln die Redakteurinnen und Redakteure. Bill Gates sei, so Wolfgang Spraul, ein "korrekter Unternehmer". Sich so richtig zu distanzieren von wirren Theorien, fällt ihm dennoch schwer.
"Wir können uns nicht den Sprachraum dermaßen eingrenzen lassen. Wir müssen uns zuerst vertrauen. Dann reden wir irgendwas, und da ist halt ein bisschen Quatsch dabei. Dann überschlafen wir das noch mal, am nächsten Tag streichen wir die Hälfte weg; die andere Hälfte ist vielleicht nicht so schlecht."
Und Höhne fügt hinzu: "Wir führen da alle, glaube ich, auf unsere Art ein ganz normales bürgerliches Leben, sind aber auch alle irgendwie verrückt - so ein bisschen."