Hymnen und Abgesänge
Mit der überzeugenden Auswahl für den Band "100 Gedichte aus der DDR" haben die Herausgeber ein Gespür für die Literaturszene der DDR bewiesen. Das Spektrum der Texte reicht von den Hoffnungen des Anfangs bis zu den Abgesängen in und nach der Wendezeit. Darin finden sich Gedichte von Johannes R. Becher über Sarah Kirsch bis zu Bert Papenfuß.
"Habt ihr eure Schlachten selbst geschlagen
Oder euch den Zeiten angepaßt?"
Diese Frage stellt Rainer Kirsch in seinem Gedicht "2005", das sich in dem von Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach herausgegebenen Band "100 Gedichte aus der DDR" findet. Rainer Kirsch hatte die Beantwortung der Frage des 1962 entstandenen Textes in die Zukunft verlegt:
"Und sie werden jede Zeile lesen,
Ob in vielen Worten eines ist,
Das noch gilt und das sich nicht vergißt."
An dieser Prophezeiung haben sich die beiden Herausgeber orientiert, als sie sich auf die Suche nach bleibenden Gedichten gemacht haben, die zwischen der Gründung der DDR und ihrem Verschwinden entstanden sind. Was sie an Texten zusammengetragen haben, ist mehr als erstaunlich.
Als Prolog wird die Anthologie mit Johannes R. Bechers "Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik" eröffnet und als Epilog beschließen Reiner Kunzes "Die Mauer", Peter Hacks "1990" und Volker Brauns "Das Verschwinden des Volkseigentums" die Sammlung. Die weiteren in den Band aufgenommenen Gedichte haben die Herausgeber thematischen Blöcken zugeordnet, die sie "Auferstanden aus Ruinen", "Das Aufbegehren und die Macht", "Die Geräusche meines Lands" und "Proben des Grenzfalls" genannt haben.
Selbstverständlich sind wichtige Namen, wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Johannes Bobrowski, Stephan Hermlin, Peter Huchel, die man in einer solchen Anthologie erwartet, mit Gedichten vertreten, auch Heinz Czechowski, Wolf Biermann, Volker Braun, Adolf Endler, Wolfgang Hilbig, Sarah und Rainer Kirsch, Reiner Kunze, Karl Mickel, Helga M. Novak, Inge und Heiner Müller fehlen nicht und von den Jüngeren sind Gedichte u.a. von Kurt Drawert, Kerstin Hensel, Uwe Kolbe, Steffen Mensching, Hans-Eckardt Wenzel und Bert Papenfuß abgedruckt.
Eventuell ist man überrascht, dass auch Gedichte von Christa Reinig, Manfred Bieler, Heinar Kipphardt und Hartmut Lange aufgenommen wurden, die sich nach ihrem Weggang aus der DDR einen Namen in der westdeutschen Literatur gemacht haben. Selbst Richard Leising ist bei der Auswahl nicht vergessen worden, dessen Name eine Art Gradmesser für Anthologien war, die in der DDR erschienen. An Leising kam man nicht vorbei, Leising musste man kennen! Fehlten seine Gedichte, fiel das auf die Herausgeber zurück.
Mit der überzeugenden Auswahl für den Band "100 Gedichte aus der DDR" haben Buchwald und Wagenbach ein feines Gespür für die Literaturszene der DDR bewiesen. Das Spektrum der Texte reicht von den großen Hoffnungen des Anfangs bis zu den Abgesängen auf die DDR in und nach der Wendezeit.
Auswählen heißt aber auch weglassen, was schmerzlich ist. 100 Gedichte, das sind nicht einmal drei Gedichte pro Jahr, legt man die 40 Jahre zugrunde, die die DDR existierte. Bei wem kann man da den Rotstift ansetzen?
Im Wissen, wie schwierig die Wahl gefallen ist, sei dennoch an folgende Namen erinnert: Thomas Böhme, Stefan Döring, Eberhard Häfner, Johannes Jansen, Andreas Koziol, Andreas Reimann und Walter Werner. Sie werden vermisst.
Dennoch überwiegt das Positive. Anhand von lyrischen Texten erlaubt diese Anthologie einen Gang durch die 40 Jahre währende Geschichte der DDR, wobei einem ein facettenreiches und höchst aufschlussreiches Bild vor Augen geführt wird, das mehr zu bieten hat als eine Schwarz-Weiß-Malerei.
Rezensiert von Michael Opitz
Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach (Hg.): 100 Gedichte aus der DDR
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
157 Seiten, 16,90 Euro
Oder euch den Zeiten angepaßt?"
Diese Frage stellt Rainer Kirsch in seinem Gedicht "2005", das sich in dem von Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach herausgegebenen Band "100 Gedichte aus der DDR" findet. Rainer Kirsch hatte die Beantwortung der Frage des 1962 entstandenen Textes in die Zukunft verlegt:
"Und sie werden jede Zeile lesen,
Ob in vielen Worten eines ist,
Das noch gilt und das sich nicht vergißt."
An dieser Prophezeiung haben sich die beiden Herausgeber orientiert, als sie sich auf die Suche nach bleibenden Gedichten gemacht haben, die zwischen der Gründung der DDR und ihrem Verschwinden entstanden sind. Was sie an Texten zusammengetragen haben, ist mehr als erstaunlich.
Als Prolog wird die Anthologie mit Johannes R. Bechers "Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik" eröffnet und als Epilog beschließen Reiner Kunzes "Die Mauer", Peter Hacks "1990" und Volker Brauns "Das Verschwinden des Volkseigentums" die Sammlung. Die weiteren in den Band aufgenommenen Gedichte haben die Herausgeber thematischen Blöcken zugeordnet, die sie "Auferstanden aus Ruinen", "Das Aufbegehren und die Macht", "Die Geräusche meines Lands" und "Proben des Grenzfalls" genannt haben.
Selbstverständlich sind wichtige Namen, wie Bertolt Brecht, Johannes R. Becher, Johannes Bobrowski, Stephan Hermlin, Peter Huchel, die man in einer solchen Anthologie erwartet, mit Gedichten vertreten, auch Heinz Czechowski, Wolf Biermann, Volker Braun, Adolf Endler, Wolfgang Hilbig, Sarah und Rainer Kirsch, Reiner Kunze, Karl Mickel, Helga M. Novak, Inge und Heiner Müller fehlen nicht und von den Jüngeren sind Gedichte u.a. von Kurt Drawert, Kerstin Hensel, Uwe Kolbe, Steffen Mensching, Hans-Eckardt Wenzel und Bert Papenfuß abgedruckt.
Eventuell ist man überrascht, dass auch Gedichte von Christa Reinig, Manfred Bieler, Heinar Kipphardt und Hartmut Lange aufgenommen wurden, die sich nach ihrem Weggang aus der DDR einen Namen in der westdeutschen Literatur gemacht haben. Selbst Richard Leising ist bei der Auswahl nicht vergessen worden, dessen Name eine Art Gradmesser für Anthologien war, die in der DDR erschienen. An Leising kam man nicht vorbei, Leising musste man kennen! Fehlten seine Gedichte, fiel das auf die Herausgeber zurück.
Mit der überzeugenden Auswahl für den Band "100 Gedichte aus der DDR" haben Buchwald und Wagenbach ein feines Gespür für die Literaturszene der DDR bewiesen. Das Spektrum der Texte reicht von den großen Hoffnungen des Anfangs bis zu den Abgesängen auf die DDR in und nach der Wendezeit.
Auswählen heißt aber auch weglassen, was schmerzlich ist. 100 Gedichte, das sind nicht einmal drei Gedichte pro Jahr, legt man die 40 Jahre zugrunde, die die DDR existierte. Bei wem kann man da den Rotstift ansetzen?
Im Wissen, wie schwierig die Wahl gefallen ist, sei dennoch an folgende Namen erinnert: Thomas Böhme, Stefan Döring, Eberhard Häfner, Johannes Jansen, Andreas Koziol, Andreas Reimann und Walter Werner. Sie werden vermisst.
Dennoch überwiegt das Positive. Anhand von lyrischen Texten erlaubt diese Anthologie einen Gang durch die 40 Jahre währende Geschichte der DDR, wobei einem ein facettenreiches und höchst aufschlussreiches Bild vor Augen geführt wird, das mehr zu bieten hat als eine Schwarz-Weiß-Malerei.
Rezensiert von Michael Opitz
Christoph Buchwald und Klaus Wagenbach (Hg.): 100 Gedichte aus der DDR
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
157 Seiten, 16,90 Euro