Hypermodernes vom Stararchitekten

Von Thomas Migge |
Südtirol in Norditalien ist autonom und leidet weniger unter der wirtschaftlichen Krise im Land. Aufwendige Projekte wie das neue naturwissenschaftliche Museum "MUSE" von Renzo Piano werden nicht infrage gestellt, sondern stolz vorgezeigt.
Es ist sehr schwül hier. In den hohen Bäumen und Büschen mit grellfarbigen großen Blüten brüllen Affen und ein Wasserfall rauscht von einem Felsen in einen kleinen See. Willkommen im Busch von Tansania. Den hat – en miniature – der Genueser Stararchitekt Renzo Piano in einem Teil des Muse nachgebaut. Jenseits des afrikanischen Dschungels, hinter den riesigen Glaswänden, ist der Trentiner Wald zu sehen, der hohe Berge hinauf wächst: der Gegensatz kann nicht größer sein.

Unter dem zackigen und unterschiedlich hohen und schrägen Dachkonstruktion des MUSE, sie erinnert an die umliegenden Berge, hat der Stararchitekt Renzo Piano Trentos neues Naturwissenschaftsmuseum untergebracht: das modernste und ökologischste ganz Italiens. Ein circa Siebentausend Quadratmeter großes Gebäude aus Stahl, Beton, Glas und Holz aus den nahen Wäldern.

Der Architekt ist ganz angetan von seinem neuen, wie er es nennt, "bambino":

Renzo Piano: "Das geht einem schon nah, und immer wieder ist das so für mich, wenn ein Bauwerk nicht mehr meines ist, sondern übergeben, geöffnet wird. Mehrere Jahre nahm dieses Projekt hier in Anspruch und es hat nie Probleme gegeben. Das ist alles zu schön um wahr zu sein. Das war eine lange wunderbare Zusammenarbeit."

Piano frohlockt über die Zusammenarbeit mit den lokalen Politikern. Da herrschte ein Einverständnis, wie sie der Baumeister in Italien sonst nie erlebt. Woanders gibt es immer wieder Finanzierungs- und Verwaltungsprobleme, von dem ständigen Ärger mit Politikern ganz zu schweigen. Doch in Trento: niente, nichts dergleichen.

In Trento ist alles ganz anders. Hier hat man Geld und politischen Willen. Nicht ohne Grund ist die politisch und wirtschaftlich autonome Region Südtirol-Trentino in Sachen Handel, Wirtschaft, Forschung und Kultur ganz vorn in Italien.

Die Stadt Trento kann es sich erlauben, im ganz großen Stil zu klotzen. Während überall in Italien die Gürtel enger geschnallt werden, scheint man in der autonomen Region im Geld zu schwimmen. Das hat vor allem zwei Gründe: man kann gut mit Geld umgehen und setzt gewinnbringend die vielen Euromilliarden ein, die die Region aufgrund ihres Autonomiestatuts nicht nach Rom überweisen muss. Das viele Geld, 90 Prozent des gesamten Steueraufkommens, bleibt in den Bergen und wird auch in
Kultur, Wissenschaft und Forschung investiert – also genau in jene Bereiche, die im übrigen Italien seit Jahren kaputt gespart werden.

Das Trentino und Trento: eine Insel der Glückseligen, die sich jetzt ein komplettes neues Stadtviertel leistet, "le Albere", zu dem auch das neue Museum gehört. Auf einem ehemaligen Industriegelände bebauten Piano und seine Mitarbeiter rund 117 Tausend Quadratmeter Fläche. Es entstand ein Wohn- und Geschäftsviertel, ein Park und ein riesiges modernes Museum. Es ist das genaue Gegenteil der aufgrund römischer Dauersparbeschlüsse vor sich hin gammelnden und teilweise oder immer öfter auch ganz geschlossenen Museen.

Der Geologe Michele Lanzinger ist glücklicher Direktor des MUSE. Im Gegensatz zu fast allen anderen italienischen Museumsdirektoren muss er nicht Jahr für Jahr um das Budget für sein Haus bangen. In der Region Trentino ist es eine feste Größe im jährlichen Haushalt:

"Das Muse kann man mit wenigen Worten beschreiben. Das ist ein naturwissenschaftliches Museum, das die regionale Natur mit der Natur der Welt, in unserem Fall Tansania, wo wir Forschungsprojekte laufen haben, in Zusammenhang setzt. Naturwissenschaft ist heute eine globale Wissenschaft. Wie gehen von unserer Vergangenheit aus, um in die Zukunft zu schauen."

So werden die schönsten der im Trentino gefundenen gewaltigen Dinosaurierskelette gezeigt, ebenso wie steinzeitliche Werkzeuge und ausgestopfte Tiere, die Piano in einem überdachten fünf Stockwerke hohen Innenhof auf verschiedenen Höhen an der Decke befestigte und die wie frei im Raum zu schweben scheinen – Igel, Gämse, Adler und anderes Berggetier.

Ebenso faszinierend für den Besucher sind hypermoderne virtuelle Installationen, die es dem Besucher erlauben, viel und unterhaltend über ökologische Zusammenhänge zu erfahren: In Bild, Ton und Film und viel 3D-Technologie. Renzo Piano und seine Mitarbeiter durften 70 Millionen Euro ausgeben.An nichts wurde gespart: weder am Design, noch an der technologischen Ausstattung und den Materialien. Susanna Scarabicchi war als Architektin für die konkrete Umsetzung von Renzo Pianos Projekt verantwortlich:

"Dieses Museum will als Gebäude ein Teil dessen sein, was es in seinem Innern thematisiert: Naturgeschichte und ökologische Aufklärung und Wissensvermittlung. Mit unserem Entwurf wollen wir den Besucher nicht nur für das Museum interessieren, sondern auch für das Bauwerk. Das gilt vor allem für Kinder und Jugendliche, die ja wohl der Hauptansprechpartner für ein Wissenschaftsmuseum sein sollen."

Das Beleuchtungssystem, mit modernster LED-Technologie, Sonnenkollektoren, die Wasserentsorgung, eine hochmoderne energiesparende Klima- und Heizungsanlage: alles ist ökologisch korrekt. Im Innern des Museums befinden sich sieben Stockwerke, zwei davon unter der Erde. Viel Platz, Prähistorisches und Modernstes unterzubringen.

Der recht kühl wirkende und hypermoderne Neubau Pianos, in dessen großen Glaswänden sich die nahen Berge und der azurblaue Sommerhimmel spiegeln, repräsentiert ein Italien, das es so nur in der autonomen Region Südtirol-Trentino zu finden gibt. Während das übrige Italien zur Kultur-, Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungswüste verkommt, zelebriert man im autonomen Norden wie es anders geht.
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