Fabian Goldmann ist Journalist und Islamwissenschaftler. Für verschiedene Magazine und Zeitungen berichtete er viele Jahre aus Nahost. Zurzeit widmet er sich vor allem dem Islam diesseits des Bosporus. Auf seinem Blog "Schantall und die Scharia" bloggt er über Islamophobie in Deutschland. Im Sommer 2018 erscheint sein erstes Buch: Die "Islamisierung der Willkommenskultur
Geht es eine Nummer sachlicher und unaufgeregter?
Die Angst vor Wandel und Umbruch ist menschlich. Doch die aktuelle Aufregung einiger konservativer Kommentatoren hält der Journalist Fabian Goldmann für mehr als übertrieben. Er rät dazu, tief durchzuatmen - und ab und zu Facebook auszuschalten.
Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie: Die Welt geht unter. Suchen Sie sich den passenden Grund aus: Meinungsdiktatur? Kulturbarbarei? Gesinnungsterror? Sprachfaschismus? Hexenjagd? Moralischer Totalitarismus? Die Zeitungen sind voll davon.
Drohender Untergang des Abendlandes
Täglich vermelden Kolumnisten und Politiker den baldigen Untergang von Demokratie, Meinungsfreiheit oder gleich dem ganzen Abendland. Dazu braucht es nicht viel. Ein außer Kontrolle geratener Polizeieinsatz vor einer Flüchtlingsunterkunft kann da schon mal das Ende des Rechtsstaats herbeiführen (FAZ). Die fragwürdige Asta-Entscheidung an einer kleinen FH in Berlin-Hellersdorf erinnert schnell an die Terrorherrschaft der Jakobiner (BILD). Und aus ein paar linken Kunstkritikern wird leicht das "trojanische Pferd totalitärer Macht" (NZZ).
Überempflindlichkeit und Opfergetue. Dieser Vorwurf wandert für gewöhnlich von rechts nach links. Linksliberale wollten mit Moralkeulen und Sprechverboten einen "Safe Space" der Political Correctness errichten. Daran ist nicht alles falsch. Aber zunehmend macht sich auch ein gegenteiliges Phänomen breit: Hypersensible Konservative, die stets nur einen #metoo-Tweet davon entfernt sind, in die nächste Weltuntergangsvision getriggert zu werden.
Im Netz wird jeder Hypochonder fündig
Manche Feuilletons haben sich mittlerweile zu einer Art Human Rights Watch für die ihrer Meinung nach einzig wirklich unterdrückte Spezies entwickelt: den weißen Mann. Mangels Studien über dessen systematische Diskriminierung, suchen die Kommentatoren ihre empirischen Daten dort, wo bisher noch jeder Hypochonder fündig geworden ist: im Netz. Mit der Resilienz eines genderfluiden Youtube-Influencers durchforsten sie die nichtigsten Abweichungen von der konservativen Norm: Zu wenig Schweinefleisch in der Kita? Zu viele Brüste im Kika? Steht da etwa Südseekönig? Und dort ein Gender-Sternchen?
Klar, auch auf der Gegenseite gibt es viel zu kritisieren. Aber mal im Ernst: Steckt hinter der Gomringer-Kontroverse wirklich ein "Generalangriff auf unsere Kultur und damit auf unsere Freiheit" (DIE WELT)? Ist die Charakterisierung von #metoo als "feministischer Volkssturm", der alle Männer "ins Lager der moralisch Minderwertigen?" einsperren wolle (DIE ZEIT), nicht etwas übertrieben? Ginge es nicht auch eine Nummer kleiner, sachlicher, unaufgeregter? Wahrscheinlich nicht.
Es bricht derzeit wirklich eine Welt zusammen
Denn in gewisser Weise hat der hypersensible Konservative recht: Es bricht derzeit wirklich eine Welt zusammen. Nicht DIE Welt, sondern seine. Nicht die Diskursfreiheit ist bedroht, sondern seine Diskurshoheit. Nicht unsere Welt droht sich in einen linken Safe Space zu verwandeln. Es ist der erodierende konservative Safe Space, nach dem sich viele zurücksehnen. Zurück in eine Zeit, bevor all die Muslime, Schwulen, Flüchtlinge und Feminist*innen anfingen, mit eigenen Meinungen und Interessen zu nerven.
Wer es nie gewohnt war, Widerspruch zu ertragen, dem muss ein kritischer Twitter-Post wirklich wie ein Zivilisationsbruch erscheinen.
Durchatmen und ab und zu Facebook ausschalten
Ja, es herrscht Gesinnungsterror. Aber in den allermeisten Fällen eben nur im eigenen Kopf. Was dagegen hilf: tief durchatmen, ab und zu Facebook ausschalten, zuhören, was andere zu sagen haben. Schon sieht die Welt nur noch halb so männerfeindlich, islamisiert und verschwult aus. Auch morgen wird man noch ohne schriftliche Zustimmung Sex haben, breitbeinig in der U-Bahn sitzen und ein Schweineschnitzel in der Cafeteria bestellen können. Und über all das und sein Gegenteil darf weiter gemeckert werden. Die einen mit Gender-Sternchen, die anderen mit drei Ausrufezeichen. Und das ist doch eine gute Nachricht für uns alle.