Der Sound der Millennials
In der Musik des englischen Duos Let's Eat Grandma bündelt sich alles, was in der digitalen Welt aktuell gelebt wird: Spaß, Kommerz, geteilte Inhalte. Selbst verpasste Anrufe zeichnen die 19-Jährigen klanglich nach, die jetzt ihr zweites Album "I'm All Ears" veröffentlicht haben.
Kurz gehaltene Intros, frühe Hooks und der sogenannte "Millennial-Whoop" – Streaming verändert den Pop. Nicht nur, wie wir ihn erleben, sondern auch wie er geschrieben wird. Denn um bei der Masse landen zu können, sind neue Songs so konzipiert, dass sie am besten gleich ins Ohr gehen.
Auch die Songs des englischen Duos Let's Eat Grandma folgen dieser Strategie. Auf die Internet-Erfolge eines Drake, der zu den mit Abstand am meisten gestreamten Musikern gehört, schielen Jenny Hollingworth und Rosa Walton allerdings nicht:
"Ich denke, hätten wir ein Album machen wollen, das allein darauf ausgelegt ist, viele Streams zu erreichen, dann hätten wir es wie Drake gemacht und ein Album mit 25 Tracks veröffentlicht. Aber so sind wir nicht, das interessiert uns gar nicht so."
"Ich denke, hätten wir ein Album machen wollen, das allein darauf ausgelegt ist, viele Streams zu erreichen, dann hätten wir es wie Drake gemacht und ein Album mit 25 Tracks veröffentlicht. Aber so sind wir nicht, das interessiert uns gar nicht so."
Mit ihren 19 Jahren gehören Let's Eat Grandma zu einer Generation, die eine Welt ohne Musikstreaming gar nicht kennen, und die vielleicht gerade deshalb nostalgischer ist als je eine Generation zuvor. Ihre Songs klingen informiert, sie fassen alte Popstrukturen der 80er und 90er auf und kombinieren diese mit aktuellen Klangelementen – wie jener der PC Music Szene. Zu der zählt sich auch die Londoner Musikerin SOPHIE, die einige Songs von Let's Eat Grandma produziert hat.
Rosa: "Ich finde, ihre Musik gehört zum Spannendsten, was es zurzeit im Pop gibt."
Debüt-Album mit unkonventionellen Strukturen
Sagt Rosa Walton begeistert. Von SOPHIE haben die beiden viel lernen können, zum Beispiel wie man mit Stilmitteln verschiedener Internet-Subkulturen avantgardistische Popsongs produziert. Auf Hochglanz poliert, künstlich aggressiv und zuckersüß zugleich, orientiert sich PC Music – wie ihr Name schon andeutet – an der Ästhetik des Virtuellen. Reizüberflutung pur – und damit auch für Let's Eat Grandma interessant, die bereits auf ihrem Debüt "I, Gemini" mit unkonventionellen Strukturen gespielt haben.
Weibliche, teils Computermanipulierte Stimmen über synthetisch-funkelnden Sounds. In Let's Eat Grandmas Musik bündelt sich alles, was in der digitalen Welt aktuell gelebt wird: Spaß, krasser Kommerz, geteilte Inhalte und Erfahrungen, Kitsch, Naivität und ein gewisses Gender-Bewusstsein. Der Sound der Millennials eben. Selbst verpasste Anrufe zeichnet das Duo klanglich nach.
Jenny: "Viele Erwachsene verstehen die Jugendlichen von heute nicht, weil sie denken, dass diese ganzen neuen Technologien, der technische Fortschritt einen großen Einfluss darauf hat, wie wir uns als junge Teenager erleben. Dabei ist die Erfahrung, die wir machen, im Grunde die gleiche. Nur, dass wir vielleicht eher zum Handy greifen und eine Nachricht schreiben, als persönlich mit jemandem zu sprechen."
Tracks wie ein endloser Loop
Doch genau darin liegt der feine Unterschied; wir kommunizieren mittlerweile zeitversetzt über die unterschiedlichsten Entfernungen miteinander, das passiert über Smartphones und Tablets, GIFs und Memes machen unsere Chatverläufe bunter. Let's Eat Grandma spielen mit diesem verschobenen Raum- und Zeitempfinden, indem sie auf ihrem Album enorm kurze Tracks enorm langen gegenüberstellen. Und diese klingen so eingängig und unaufgeregt, dass so etwas wie ein Höhepunkt gar nicht zwingend notwendig ist.
Elf-Minuten Tracks wie "Donnie Darko" – sie wirken wie ein endloser Loop. Nicht nur, dass Let's Eat Grandma damit ein musikalisches Statement zur gleichgeschalteten Musikindustrie setzen, die kalkuliert ihre auf Massenunterhaltung ausgerichteten Tracks produziert. Das Duo spiegelt damit auch seine eigene Generation, die gelangweilt durchs Internet surft, maßlos konsumiert und dabei gar nicht merkt, wie schnell die Zeit vergeht. "I'm All Ears" ist ein clever produziertes Album, das hoffentlich nicht bald schon vom Zeitgeist überholt wird.