Zum 75. Geburtstag von Ian Anderson
Ikonenhafte Pose seit über 50 Jahren: Ian Anderson einbeinig stehend und mit Querflöte bei der Jubiläumstour 2017. © imago-images / POP-EYE / Christian Behring
Rock ’n’ Roll ohne Sex and Drugs
07:18 Minuten

Vor wenigen Jahren zelebrierte die Band Jethro Tull ihren 50. Geburtstag, nun feiert ihr Mastermind Ian Anderson seinen 75. Der sei ein sehr eigenständiger Machertyp, sagt unser Kritiker Fabian Elsäßer. Doch seine Mitspieler habe er nicht immer gut behandelt.
Die Querflöte in der Rockmusik - das gab es schon vor Jethro Tull. Aber keiner hat sie dort so konsequent, virtuos und unverkennbar als Lead-Instrument neben der E-Gitarre etabliert wie Ian Anderson, Gründer, Sänger, Texter, Komponist, Gitarrist und ja, eben: Querflötist der britischen Art-Rock-Combo Jethro Tull. Neben der Musik war er für seine lange Mähne und für wilde Bühnenauftritte bekannt, auf denen er gerne den verrückten Kobold spielte.
Eigenständig und innovativ
Das ist zwar schon eine Weile her, aber Ian Anderson macht immer noch Musik unter dem Namen Jethro Tull, auch wenn von der Besetzung der frühen und mittleren Jahre nur noch er übriggeblieben ist. Wie er zur Querflöte kam, erzählt er gerne:
"Es gab viele gute Gitarristen damals in den späten 60er-Jahren: Jeff Beck oder Eric Clapton zum Beispiel. Da musste ich mir etwas Eigenes suchen. Auf die Querflöte war noch keiner gekommen. Ich spiele auf keinen Fall so gut Gitarre wie Eric Clapton, aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass der nicht so gut Flöte spielt wie ich."
Einer der weiß, wie man auffällt
Bei einem Interview mit dem Musikjournalisten Fabian Elsäßer im Jahr 2014 hatte er eine wesentlich pragmatischere Erklärung: "Die Querflöte kann ich einfach in eine Jackentasche packen und überall mit hinnehmen."
Ian Anderson sei schon immer darauf bedacht gewesen, wie man auf sich aufmerksam machen könne, sagt Elsäßer: "Er ist einer, der weiß, wie man auffällt, um sich von anderen Bands zu unterscheiden, um dadurch erfolgreich zu sein, da hat Humor eine große Rolle gespielt und überhaupt Unterhaltung, es war immer sehr unterhaltsam, was er gemacht hat."
Aus dem anfänglichen Blues, so Elsäßer, sei eine Mischung aus Progressive-, Folk- und Hardrock entstanden. "Die Präsentation der Band, das waren fast immer seine Ideen. Mal wirkten sie wie Spielmänner aus der Renaissance, die im 20. Jahrhundert gelandet sind, später sind sie in weißen Astronautenanzügen über die Bühne gerannt, die allerdings sehr schnell durchgeschwitzt waren und dann transparent wurden - etwas peinlich."
Sich selbst hat er immer schon sehr ernst genommen
Anderson habe auch früh die Möglichkeiten von Lightshows und Videoeinspielern erkannt, Streichquartette auf die Bühne geholt oder das Publikum mit riesigen Luftballons bespaßt, erzählt Elsäßer: "Auch die Plattencover waren immer sehr aufwändig. Sich selbst hat er schon sehr ernst genommen, aber diesen Rockzirkus, den hat er kritisch und auch belustigt beäugt." So habe er die riesigen Arenen in den USA, in denen er in den 70ern regelmäßig spielte, nach eigener Aussage nicht gemocht.

Meilenstein der Musikgeschichte: Jethro Tull mit Bandkobold Ian Anderson spielten 1970 auf dem Isle of Wight Festival vor mehr als 600.000 Menschen.© imago-images / Le Pictorium / Philippe Gras
Lange Haare, ungewöhnliches Outfit, das habe an einen Hippie erinnert, doch Anderson sei eigentlich eher konservativ, so Elsäßer: "Er hat sogar einmal gesagt, dass er Hippies nicht leiden kann, und das hat zu einer großen Fehlentscheidung in seiner Karriere geführt." So war die Band zu Woodstock eingeladen, doch Anderson wollte da nicht spielen: "Seine Begründung: Es würde ihn irritieren, wenn im Publikum nackte Frauen stünden oder säßen."
Von einem ehemaligen Jethro-Tull-Mitglied stammt der Satz: „Wenn man beim Haschrauchen erwischt worden wäre, wäre man sofort aus der Band geflogen. Also eher Rock'n'Roll ohne Sex und Drugs."
Geschäftlich sehr erfolgreich
Anderson war einst auch ein sehr erfolgreicher Unternehmer, hatte eine große Lachsfarm in Schottland und ein eigenes Studio in London. Ganz offenbar sei er auch ein rastloser Machertyp, bestätigt Elsäßer: "Vor allem einer, der immer alles selber in der Hand haben möchte. Das macht ihn nicht unbedingt sympathisch."
"Er hat einmal die ganze Band gefeuert bis auf den Gitarristen Martin Barre, weil er - 1980 war das - eigentlich ein Soloalbum mit anderen Musikern machen wollte, die Plattenfirma aber gesagt hat, das bringst Du als Jethro-Tull-Album heraus. Und dann ist er Martin Barre 2011 auch losgeworden, indem er gesagt hat: 'Jethro Tull gibt’s nicht mehr', und dann hat er ein paar Jahre später mit ganz anderen Leuten weitergemacht." Starke Persönlichkeiten, so bestätigte Martin Barre in einem Interview, habe Anderson nicht geduldet.
Auch wenn Ian Anderson erst dieses Jahr wieder ein neues Album unter dem Namen Jethro Tull herausgebracht habe, sei dies kein musikalisches Vermächtnis, meint Elsäßer. Anderson habe kaum schlechte Alben gemacht, auch seine Soloarbeiten seien interessant:
"Es ist vor allem die Art, wie er Flöte spielt, die er sich vom Jazzmusiker Roland Kirke abgeschaut hat, aber ins Extrem getrieben, dieses aggressive Überblasen, Flatterzungentechnik, ins Instrument hineinbrabbeln, murmeln und singen. So ist die Flöte tatsächlich zum Heavy Metal-Instrument geworden."