Warum Literaturverfilmungen selten gelingen
Mit "Kindeswohl" kommt in diesem Jahr bereits die zweite Romanverfilmung des britischen Autors Ian McEwan ins Kino. Filmkritikerin Sonja Hartl erklärt, warum Schriftsteller die Drehbücher zu ihren verfilmten Romanen besser nicht selbst schreiben.
Frank Meyer: Heute kommt der Film "Kindeswohl" in unsere Kinos, ein Film, der auf einen Roman des britischen Schriftstellers Ian McEwan zurückgeht. Das ist schon die zweite Ian-McEwan-Verfilmung in diesem Jahr. "Am Strand" hieß die erste, und überhaupt scheint dieser Autor geradezu für das Kino zu schreiben. Aus zehn seiner Texte sind schon Filme geworden. Die beiden neuen Filme zeigen aber auch, wie schwierig es ist, Romane von McEwan zu verfilmen und überhaupt Romane ins Kino zu bringen. Das sagt die Literatur- und Filmkritikerin Sonja Hartl. Und deswegen will ich von ihr wissen, was ist denn für sie das Grundproblem bei den Verfilmungen von "Kindeswohl" und "Am Strand"?
Steife Atmosphäre
Sonja Hartl: Es sind sicherlich beides keine schlechten Filme. Ich würde sie so grundsätzlich als gehobenes Arthouse-Kino einordnen. Aber es ist auch in jeder Minute zu spüren und zu hören und zu erkennen, das ist eine Literaturverfilmung. Es gibt so wohlformulierte Sätze, die man vielleicht so nicht sprechen würde. Es ist eine gewisse Steifheit in der Atmosphäre da. Ich denke, eine Literaturverfilmung ist immer dann gelungen, wenn sie eine eigene Bildsprache entwickelt und eine eigene Interpretation liefert. Und beide Filme bleiben letztlich zu nahe an der Vorlage.
Meyer: Gut, Sie haben gesagt, zu steif, es klingt zu sehr nach Papier vielleicht, die Filme. Das ist das Hauptproblem bei dieser zu großen Nähe zu den Vorlagen?
Hartl: Nein, nicht nur. Aber beide Filme gestalten letztlich das aus, was im Roman bereits angelegt ist. Und sie verkennen so ein bisschen, dass Büchern und Filmen einfach andere Mittel zur Verfügung stehen, andere Erzählweisen. Und wir haben auch eine andere Glaubwürdigkeit bei Büchern und Filmen. Und was eine Verfilmung ja auch könnte, ist, gewisse Schwächen in der Vorlage auszugleichen. Bei "Am Strand" ist es so, wir haben dieses frisch verheiratete Ehepaar, das in einem Hotel am Strand ist, und sie sollen nun zum ersten Mal miteinander Sex haben, und das ist ein ganz großes Problem. Und während sie in diesem Hotelzimmer sind, befragen sie so ein bisschen ihre Vergangenheit, um irgendwie die Gegenwart zu verstehen. Und der Film wird ganz konventionell und nutzt diese Rückblenden, um von ihrem Aufwachsen und ihrem Kennenlernen zu erzählen, obwohl das eigentlich Spannende doch in der Gegenwart stattfindet. Und er wird dadurch von Minute zu Minute konventioneller und geht immer mehr in Richtung Liebesfilm.
Gute Literaturverfilmungen
Meyer: Das verlockt jetzt aber sehr, zu fragen, was ist denn für Sie die Maßstab setzende tollste Literaturverfilmung überhaupt?
Hartl: Ich glaube, es gibt nicht die eine Literaturverfilmung. Es gibt gute Literaturverfilmungen, zum Beispiel "Brooklyn" wurde, finde ich, sehr gut verfilmt, auch mit Saoirse Rona, die jetzt bei Ian McEwan wieder zu sehen ist, weil da so ein bisschen die Atmosphäre eingefangen wurde und dieses Zartbittere, was diese verschiedenen Liebesgeschichten haben. Oder auch "Tinker Tailor Soldier Spy" nach dem Roman von John le Carré, dem Roman. Da wurde einfach diese Atmosphäre der 60er-Jahre sehr stark durch die Musik in Szene gesetzt. Und die Spannung entsteht durch parallele Einstellungen. Und das Wichtige ist einfach, man braucht eigene Bildsprachen. Und das hat "Abbitte" zum Beispiel auch. Es gibt da eine Szene, in der Briony in einem Zimmer steht und aus dem Fenster guckt. Und sie guckt eigentlich eine Wespe an der Scheibe an, und das fokussiert die Kamera auch. Und die Kamera nimmt dann ihre Perspektive ein, und auf einmal sieht sie auch, was draußen hinter der Scheibe passiert. Aber sie kann das nicht einordnen. Und durch diese wechselnden Fokussierungen wird ganz klar, sie ist jetzt verwirrt. Das heißt, es muss nicht erzählt werden, es muss nicht gesagt werden – huhu, wir haben hier ein verwirrtes junges Mädchen, sondern wir sehen es im Bild.
Meyer: Ein Grundproblem beim Übergang von Büchern zu Filmen, ist ja, Sie haben es zum Teil auch schon angesprochen, in Büchern sind wir oft im Inneren von Figuren. Wir erleben mit, was sie denken, wovon sie träumen, woran sie sich erinnern. Filme blicken notwendigerweise von außen auf Figuren. Dadurch können sie vieles nicht so transportieren, wie das eben Bücher transportieren können. Haben die McEwan-Verfilmungen auch mit diesem Grundproblem zu kämpfen?
Hartl: Die beiden neuen, "Am Strand" und "Kindeswohl", haben damit zu kämpfen. Sie haben das große Glück, dass sie zwei hervorragende Hauptdarstellerinnen haben. Und sowohl Emma Thompson in "Kindeswohl" als auch Saoirse Ronan in "Am Strand" können mit ihrer Mimik und mit ihrer Körpersprache so viel ausdrücken, was wir eigentlich nicht sehen im Bild. Also, natürlich, durch sie sehen wir es im Bild, aber da merkt man, da bringen die Schauspielerinnen ganz viel rein. Aber auch die beste Schauspielerin der Welt kann natürlich Leerstellen im Drehbuch nicht ausgleichen, und das sieht man bei "Kindeswohl" am Beispiel der Kinderlosigkeit der Hauptdarstellerin. Das ist auch im Roman kein zentrales Thema, aber es wird immer wieder angesprochen, denn wir haben hier eine Richterin, die in eine berufliche und private Krise gerät und die sich immer wieder fragt, bin ich gescheitert, und wo bin ich gescheitert, was habe ich falsch gemacht. Und da spielt im privaten Bereich nun mal auch diese Kinderlosigkeit eine Rolle. Im Film wird nun angedeutet, sie haben keine Kinder. Man vermutet, das war keine unbedingt freiwillige Entscheidung, aber man erfährt nicht mehr dazu, und deswegen wird es so ein bisschen geschwächt einfach.
Meyer: Um mal auf eine Stärke des Films zu gucken, den nicht so ungerecht zu behandeln – gut, die Schauspielerinnen sind natürlich auch eine große Stärke –, aber eine andere Ausstattung zum Beispiel oder die Orte, an denen ein Film spielt, das ist ja etwas, was in Büchern beschrieben werden muss, uns vor Augen geführt werden muss mittels Sprache. Filme können das einfach zeigen. Die McEwan-Verfilmungen, nutzen sie diesen strategischen Vorteil des Films?
Hartl: "Kindeswohl" nutzt das ganz toll. Bei "Kindeswohl" ist es wirklich so, mir reicht ein Blick in die Wohnung, und ich weiß, wer da wohnt. Das ist ein Akademiker-Ehepaar, die gehören wenigstens zur oberen Mittelschicht, die sind gebildet, jemand spielt Klavier. Wir haben Bücher, wir haben alles das, wir haben so ein bisschen das, wie wir uns vorstellen, wie ein gut situiertes, älteres englisches Ehepaar lebt. Bei "Am Strand" wird es auch da leider ein bisschen problematisch. Am Anfang ist es sehr schön, wie mit der Musik und den Bildern gearbeitet wird. Aber der Film spielt ja Anfang der 60er-Jahre, und ich finde, das ist sowieso immer eine ein bisschen schwierige Zeit, im Film darzustellen. Die ist oft ein bisschen zu sauber und zu glatt. Und bei "Am Strand" ist es auch hier so, dass jedes Detail wirklich sehr bemüht gesetzt ist, und das erdrückt so ein bisschen die Lebendigkeit.
Sind Romanautoren mutiger als Drehbuchautoren?
Meyer: Was einem oft auffällt, wenn man so Romane und Filme miteinander vergleicht, ist, dass Romanautoren mutiger sind, was den Ausgang von Geschichten angeht, dass in Büchern man viel öfter traurigere Enden hat oder offenere Enden oder vieles einfach offen bleibt. In Filmen kriegt man fast immer einen eindeutigen Schluss serviert. Da schlagen dann wahrscheinlich die Konventionen des Massenmediums durch. Wie glücklich sind Sie denn mit den Abschlüssen der Ian-McEwan-Verfilmungen, der neuen.
Hartl: Damit bin ich überwiegend unglücklich, tatsächlich. Weil Ian-McEwan-Verfilmungen sind in der Regel immer gut bis zur ersten Katastrophe. Und dann stecken die Figuren in der Katastrophe und müssen irgendwie rauskommen. Und bei "Kindeswohl" ist es auch so, der Film ist über weite Strecken ein erwachsener Film, in dem erwachsene Menschen erwachsene Probleme haben. Und das wird sehr ernsthaft behandelt, und das ist wirklich auch interessant anzuschauen. Und dann kommt am Ende so eine Szene, wo nun die Richterin erfährt, dass der Mann, dem sie einst mit einem Urteil das Leben gerettet hat, nun doch im Sterben liegt. Und dann rennt sie los in das Krankenhaus, und man denkt sich, Moment, bin ich jetzt hier doch in einem Fernsehdrama, oder was ist das? Es wäre einfach nicht nötig gewesen. Noch schlimmer ist es bei "Am Strand". Da gibt es im Vergleich zu dem Buch noch so einen sentimentalen Nachklapp, in dem es zu einem Wiedersehen der beiden Hauptfiguren kommt. Und da wird wirklich diese wunderbare Florence, diese Frau, die Anfang der 60er so einen unkonventionellen Vorschlag gemacht hat, und jetzt ist sie in der Gegenwart, in der Film-Gegenwart angekommen, und die bekommt so ein sentimentales Familienglück angedichtet, und dann auch noch mit dem Schnösel, den sie vorher nicht wollte. Und das ist dann so konventionell Liebesdrama, das passt auch nicht zu dem, wie der Film vorher war.
Meyer: Das macht mich ja sehr nachdenklich. Erschwerend kommt hinzu, dass der Romanautor Ian McEwan für diese beiden Filme doch auch selbst die Drehbücher geschrieben hat, also mitverantwortlich ist für diese Enden, die Sie so unglücklich machen.
Hartl: Ja, es ist, glaube ich, auch nicht immer eine gute Idee, wenn Autoren ihre eigenen Bücher adaptieren. Ich glaube, ihnen fehlt oft die Distanz. Viele Autoren machen es auch nicht, die adaptieren ihre eigenen Stoffe nicht, und ich glaube, dafür gibt es Gründe. Das sieht man ja auch an "Abbitte", da hat Christopher Hampton wirklich gerade am Schluss eine schlichte Entscheidung getroffen, die wunderbar funktioniert. Und das hätten die beiden Filme hier auch verdient.
Meyer: Und das war der Drehbuchautor bei "Abbitte". "Kindeswohl", der jüngste Ian-McEwan-Film, ist ab heute in unseren Kinos, die zehnte Verfilmung eines McEwan-Textes. Vielen Dank an Sonja Hartl.
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