Ibram Kendi: "How To Be an Antiracist"
btb, 2020
416 Seiten, 12 Euro
Antirassismusforscher Ibram Kendi
"Auch Weiße fühlen sich nicht weiß", sagt Ibram Kendi. Sie betrachten sich als "Standard". © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Steven Senne
"Wer weiß und wer schwarz ist, liegt im Auge des Betrachters"
05:50 Minuten
Für das US-Magazin "Time" gehört der Antirassismusforscher Ibram Kendi zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Als Kind einer schwarzen Mittelstandsfamilie erlebte auch er Rassismus. In seinem Buch "How To Be an Antiracist" schreibt er davon.
Die Botschaft ist schlicht, der Stil von Ibram Kendis aktuellem Buch „How To Be an Antiracist“ ist es auch, denn für Kendi gibt es nichts zu beschönigen, wie er sagt: "Der Weg, nicht mehr über ‚race‘ reden zu müssen, ist, rassistische Ideen zu benennen, die uns glauben lassen, dass bestimmte Menschen weniger haben, weil sie weniger wert sind."
Dass dabei menschliche "races" genauso wenig existieren wie Meerjungfrauen, begründet Kendi ausführlich. Nur deswegen auf das "R-Wort" zu verzichten, wie zum Beispiel auf das "N-Wort", hält Kendi allerdings für sinnlos.
Durch und durch rassistisch
Nur weil es keine "Rassen" gibt, bedeutet das nicht, dass es Rassismus nicht gibt, betont der knapp 40-Jährige.
Kendi zitiert Wirtschafts- und Sozialdaten seines Heimatlandes: die überproportionale Arbeitslosenquote unter Afroamerikanern, der hohe Prozentsatz schwarzer Gefängnisinsassen. Sie dienen ihm als Beleg für den durch und durch rassistischen Charakter der US-amerikanischen Gesellschaft. Aber belegen die gleichen Daten nicht vor allem soziale Ungleichheit?
"Wenn es um wirtschaftliche Ungleichheit geht, sollten wir über Klassen reden, wenn es um rassistische Ungleichheit geht, über ‚race‘. In den USA zum Beispiel sind weiße Arme aufgrund ihres sozialen Umfelds in einer wirtschaftlich besseren Lage. Wenn man schwarz und arm ist, trägt man eine doppelte Last", ist Kendis Antwort.
Die Last, als schwarzes Mittelstandskind in den USA aufzuwachsen, beschreibt der Autor eindrücklich: „Als schwarzer Teenager in den 1990er-Jahren in New York wurde mir ständig eingetrichtert, dass ich eine Gefahr für die Gesellschaft sei.“
Als Teenager mit Mehrheitsmeinung
Kendi erzählt, wie er als Teenager bei einem Redewettbewerb zu Ehren Martin Luther Kings einen flammenden Appell an seine Altersgenossen hält und ausschließlich schwarze Jugendliche für Schulabbruch, Kriminalität und Drogensucht verantwortlich macht. "Ich hatte viele der anti-schwarzen rassistischen Vorstellungen verinnerlicht."
Dass Minderheiten die Vorurteile der Mehrheit übernehmen, ist ein typisches Muster: Frauen in einer männern-dominierten Arbeitswelt, Schwule und Lesben in der Hetero-Welt, Kopftuch tragende Muslima im bio-deutschen Umfeld.
Wer bestimmt, wer schwarz und wer weiß ist?
Immer geht es darum, der Mehrheit zu beweisen, dass die Vorurteile nicht stimmen. Dass Frauen oder Homosexuelle oder oder oder … genauso gute Arbeit leisten, genauso wertvoll sind wie die Mehrheit. Rassismus aufgrund von Hautfarbe ist eine Form der Diskriminierung – für Ibram Kendi ist es die einzige.
Der Rassismus, den er beschreibt, ist so alt wie die fiktive Vorstellung unterschiedlicher Menschenrassen. Nur wer bestimmt, wer schwarz, wer weiß ist?
Die Antwort, wer weiß und wer schwarz ist, liegt im Auge des Betrachters. Und sie kann sich unterscheiden, je nach Land, nach politischer Situation, je nach historischem Kontext. Und das beweist mir, dass es so etwas wie 'race' als objektive wissenschaftliche Kategorie nicht gibt.
Hat Kendi selbst diese Erfahrung gemacht, und sich jeweils „weiß“ gefühlt? Zum Beispiel bei der problemlosen Einreise als Inhaber eines US-amerikanischen Passes?
"Ich habe mich niemals weiß gefühlt. Die meisten Weißen fühlen sich übrigens auch nicht weiß - ‚Weißheit‘ als Konstrukt funktioniert nämlich so, dass sich weiße Menschen nicht als Weiße, sondern vor allem als Menschen wahrnehmen und quasi als ‚Standard‘ für alle anderen.“
Die Geschichte von W. E. B. Du Bois
Das ist eine in der Geschichte des Kolonialismus äußerst erfolgreiche Strategie. Was hellhäutige Europäer unterwegs zum Beispiel in Asien, nicht davor schützt, „weißer Geist“ oder „weißer Affe“ nachgerufen zu bekommen.
Aber zurück nach Berlin, wo Ibram Kendi vor ein paar Tagen in der Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sein Buch vorstellte. Hier in Berlin erlebte im späten 19. Jahrhundert der von ihm oft zitierte Historiker und Vorkämpfer der Bürgerrechtsbewegung W. E. B. Du Bois als Austauschstudent sein soziales Umfeld auf Augenhöhe, während fast zeitgleich schwarze Hereros in sogenannten Völkerschauen vorgeführt wurde.
Wie "Race" in Deutschland diskutiert wird
"Wo wird in Deutschland nach ‚race‘ unterschieden? Wie war das in der Geschichte?", fragte Ibram Kendi am Ende sein deutsches Publikum. Kurz zuvor hatte ein Zuhörer darauf hingewiesen, dass in der deutschen Übersetzung von "How To Be a Antiracist" das englische "Race" nie übersetzt wird.
Aus gutem Grund: Denn im Antisemitismus der Nazis diente das deutsche "R-Wort" dazu, den millionenfachen Mord an jüdischen Deutschen und Europäern zu legitimieren. In der Tat: Die deutsche Gesellschaft hat ein Rassismus-Problem. Schade, dass bei der Buchvorstellung die Zeit für eine Diskussion darüber nicht reichte.