Ibram X. Kendi: "Gebrandmarkt – Die wahre Geschichte des Rassismus in Amerika"
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Röckel und Heike Schlatterer
C.H. Beck Verlag, München 2017
604 Seiten, 34,00 Euro
So wuchs der Rassismus in den USA
Mit "Gebrandmarkt" hat Ibram X. Kendi eine kenntnisreiche und leicht verständliche Kulturgeschichte des amerikanischen Rassismus verfasst. Er zeigt darin, dass es gesellschaftliche Strukturen und Jahrhunderte alte Denkmuster sind, die Rassismus hervorbringen.
Man könnte meinen, Rassismus sei ein Problem vor allem der USA. Während Kendi an seinem Buch schrieb, kamen dort wiederholt Schwarze durch unverhältnismäßige Polizeigewalt ums Leben. Fünfmal höher als bei Weißen liegt die Wahrscheinlichkeit für nordamerikanische Schwarze, ins Gefängnis zu kommen, einundzwanzigmal höher, von der Polizei getötet zu werden.
Aber Kendi ist keiner, der nur Statistiken deutet. Er hat eine Kulturgeschichte des amerikanischen Rassismus verfasst, erzählerisch, kenntnisreich und leicht verständlich. Sie führt durch die amerikanische Geschichte und Gegenwart, doch sie beginnt in Europa. Dass das Abendland den Rassismus gebar und über den Atlantik exportierte, wird hierzulande oft ausgeblendet. Schon in der Antike bei den Griechen, später im portugiesischen und spanischen Weltreich und im britischen Empire sicherte ethnische Diskriminierung die Macht der Herrschenden. Wer also glaubt, dass Schwarze in europäischen Monarchien und Demokratien weniger dem Rassismus ausgesetzt waren als in den USA, sieht sich nach Lektüre dieses Buches eines Besseren belehrt. Denn es sind gesellschaftliche Strukturen und Jahrhunderte alte, subtil wirkende Denkmuster, die das Verhalten selbst derer prägen, die glauben, nicht rassistisch zu sein. Kendi macht dies auf beeindruckende Weise, klaglos kühl und souverän, sichtbar.
Obama und Clinton nicht frei von Rassismus
Er räumt auf mit der naiven, volkstümlichen Vorstellung, dass Unwissen und Hass zu rassistischen Vorstellungen führen und verweist auf die umgekehrte Logik: am Beginn steht die ethnische Diskriminierung, die führt zu rassistischen Ideen, welche Hass produzieren. Der Autor bekennt, anfangs selbst diese kausale Verknüpfung nicht durchschaut zu haben:
"Von rassistischen Ideen beeinflusst, war mir nicht vollständig klar, dass das Einzige, was mit schwarzen Menschen nicht stimmt, unser Glaube ist, dass etwas mit ihnen nicht stimme."
Rassismus definiert er als "jegliche Vorstellung, die eine bestimmte ethnische Gruppe als einer anderen ethnischen Gruppe unterlegen oder überlegen betrachtet."
Und so kommen auch Personen, denen man keineswegs Rassismus unterstellen würde – wie zum Beispiel die US-Präsidenten Abraham Lincoln, Bill Clinton oder sogar Barak Obama – nicht als antirassistische Lichtgestalten in diesem Buch vor, sondern als Politiker, die durchaus mit assimilationistischen Einstellungen agierten.
Eindringliches, zorniges Werk
Kendi unterscheidet grob drei Gruppen: Segregationisten, Assimilationisten und Anti-Rassisten. Die ersten sind Anhänger der Rassentrennung. Sie führen religiöse oder pseudowissenschaftliche Gründe für ethnische Ungleichheit an. Anti-Rassisten lehnen die Existenz einer solchen grundsätzlich ab. Die Assimilationisten hingegen machen sowohl Diskriminierung als auch die Schwarzen selbst für die gesellschaftliche Ungleichheit verantwortlich.
Anhand von fünf historischen Gestalten führt Kendi in seinem eindringlichen, umfangreichen und zornigen Werk vor, in welch widerspruchsvollem Auf und Ab sich rassistische Politik in den USA in den vergangenen vierhundert Jahren entwickelt hat. Seine Hoffnung auf ein Amerika ohne Rassendiskriminierung ist vorläufig gering. Seine Forderung aber zielt genau darauf. Das verleiht diesem Buch seine mitreißende Kraft.