"Ich befürchte, er hat nicht viel gelernt"

Michael Spreng im Gespräch mit Britta Bürger |
Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat angekündigt, er wolle in Zukunft wieder staatspolitisch agieren. Politikberater Michael Spreng wundert sich über diese Äußerungen. Solange das Ermittlungsverfahren gegen Wulff nicht abgeschlossen ist, gebe es dafür keinerlei Basis.
Einspielung Christian Wulff

Britta Bürger: Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rücktrittserklärung am 17. Februar dieses Jahres. Seitdem haben 24 Sonderermittler an die hundert Zeugen befragt – Wulffs Sekretärin ebenso wie die Kosmetikerin seiner Frau. Eine Million Dateien, 20.000 Aktenseiten, 37 Telefonanschlüsse – es wurde viel gesucht, doch wenig gefunden, was strafrechtliche Konsequenzen haben könnte. Derzeit sieht es so aus, als würde das Verfahren gegen den Ex-Bundespräsidenten eingestellt werden, nach der Niedersachsenwahl, versteht sich.

Was ist geblieben vom Rücktritt Christian Wulffs, darüber wollen wir jetzt aber wirklich mit dem Politikberater und Journalisten Michael Spreng reden. Schönen guten Morgen, Herr Spreng!

Michael Spreng: Guten Morgen, Frau Bürger!

Bürger: Gehört das Verb wulffen am Ende dieses Jahres auch zu Ihrem Wortschatz?

Spreng: Nein. Ich fand es immer etwas unschön, und ich finde, dass man zu beanstandende Tätigkeiten nicht durch neue Worte oder Wörter definieren muss, sondern da gibt es ja in der deutschen Sprache schon genug dafür.

Bürger: Strafrechtlich wird, wie es derzeit aussieht, von den Vorwürfen gegen Christian Wulff nicht viel übrig bleiben. Was hat er in Ihren Augen falsch gemacht?

Spreng: Ja, es gibt ja zwei Ebenen: die juristische, die strafrechtliche, wie die ausgeht, kann ich nicht beurteilen, und dann gibt es die politisch-moralische. Und dort hat er seine entscheidenden Fehler begangen, und ich bin auch nach wie vor der Ansicht, dass er aus diesen Gründen auch hätte zurücktreten müssen, nicht nur wegen des Ermittlungsverfahrens.

Er hat einfach nicht mehr gewusst, was man tut und was man nicht tut. Wie sich ein Politiker, gerade ein Präsident in einer Vorbildfunktion benehmen muss oder benommen haben muss. Er hat sich nicht an die Maßstäbe gehalten, was Annahme von Geschenken betrifft, die er für seine eigenen Beamten aufgestellt hat. Und er hat vertuscht und verschleiert, als es um die Aufklärung der Affäre ging.

Bürger: Viele haben in diesem Jahr versucht zu erklären, wie Christian Wulff tickt. Bei uns im Radiofeuilleton war das unter anderem der Journalist Friedrich Küppersbusch:

Friedrich Küppersbusch: Der Wulff wollte nach oben. Und ich erinnere mich daran, wie ich den niedersächsischen Oppositionsführer, der allgemein als verunglückter Schwiegersohn galt, mal in einer Fernsehsendung interviewen durfte. Und nach der Sendung tranken wir noch einen Kaffee zusammen und er sagte, Mensch, das hat ihm ja toll gefallen, und er schrieb auf einen Bierdeckel, wenn ich mal Bundeskanzler werde, dann darf ich das erste Interview Herr Küppersbusch führen. Zehn Jahre später bin ich Produzent von Sandra Maischberger bei N-TV, Christian Wulff ist im Studio, ich komme nach der Show dahin und komme in eine Situation, wo Herr Wulff gerade auf einen Bierdeckel schreibt, wenn ich mal Bundeskanzler bin, darf Frau Maischberger mich als Erste interviewen. Wulff sieht mich dazukommen und schreibt noch schnell meinen Namen dazu, weil er denkt, sonst fliegt die Nummer auf. Ich weiß nicht, ob der Sandra Maischberger und mir das jeweils erste Interview für seine Kanzlerschaft versprochen hat oder ob es in deutschen Journalistenkreisen von diesen Bierdeckeln gibt. Aber der Mann wollte nach oben und er wusste, wie man die Journalisten pampert.

Bürger: Tja, sind es nur Küppersbusch und Maischberger oder, Michael Spreng, gehören Sie auch zu diesen signierten Bierdeckelbesitzern?

Spreng: Nein. Also unser Verhältnis war lange Zeit nicht gut, weil er mir vorgeworfen hat, ich sei mit Schuld gewesen, dass er die Niedersachsenwahl gegen Herrn Schröder verloren habe. Und insofern war unser Verhältnis lange Zeit nicht gut. Am Ende hat es sich wieder eingerenkt, aber insofern kam er nicht dazu, mir solche Versprechungen zu machen. Außerdem, damals hätte ich auch die Ankündigung, wenn er Bundeskanzler wird, wahrscheinlich als lächerlich empfunden.

Bürger: Stimmen Sie dem zu, was Küppersbusch eben gesagt hat, dass Christian Wulff wusste, wie man Journalisten pampert?

Spreng: Ja, er wusste – er wollte nach oben, das stimmt, ja, er war sehr ehrgeizig und er hat immer versucht, Journalisten gegenüber gefällig zu sein. So wie er sich ja dann auch ab einem bestimmten Stadium seiner Karriere mit einem Kreis von Freuden umgeben hat, die in Wirklichkeit Zweckfreunde waren, von denen er aber glaubt, dass sie ihm nützten in seiner gesellschaftlichen Reputation und bei seinen politisch-wirtschaftlichen Verbindungen. Also ich glaube, er hat bei dem Aufstieg die Maßstäbe verloren.

Bürger: Erinnern wir uns noch mal: Ab wann war Wulff tatsächlich untragbar als Bundespräsident?

Spreng: Ja, eigentlich schon im Verlauf der Veröffentlichung über seinen Hauskauf. Er hat ja erst abwieglerisch reagiert. Dann in Form einer Salamitaktik, indem er immer nur das zugegeben hat, was gerade bekannt wurde und veröffentlicht wurde. Dann dieser merkwürdige Anruf bei dem Chefredakteur der "Bild"-Zeitung, der ja so einen drohenden Charakter hatte. Er hat sich in immer mehr Widersprüche verwickelt.

Und er hat eben bis heute wohl nicht eingesehen, dass er damals im niedersächsischen Landtag nicht die Wahrheit oder nur eine Teilwahrheit gesagt hat und dass er anschließend immer wieder versucht hat, seine Kreditgeber zu verschleiern. Er hat ja selbst seine eigenen Mitarbeiter zu täuschen versucht über seine Kreditgeber, die ja wechselnd waren. Also er hat einfach den Überblick verloren über sein merkwürdiges Finanzgebaren und hat sich dann in immer mehr Widersprüche verstrickt und war am Ende untragbar.

Bürger: Die wichtigen Debatten des Jahres 2012 – was ist geblieben vom Rücktritt des Bundespräsidenten? Darüber sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Politikberater und Journalisten Michael Spreng. Bei den Ermittlungen gegen Christian Wulff, da geht es ja um keine großen Geldsummen. Unter Umständen sind es gerade mal 400 Euro für zwei Übernachtungen. Dagegen kostet das Verfahren über zwei Millionen Euro. Ist das, Herr Spreng, nicht völlig unverhältnismäßig?

Spreng: Ja gut, vor dem Gesetz sind alle gleich, und die Staatsanwaltschaft muss ihre Pflicht tun. Das ist bei anderen genauso. Es gibt auch andere Verfahren, die hinterher eingestellt wurden, die aber dennoch sehr viel Geld gekostet haben. Das ist der Weg unseres Rechtsstaates. Man kann ja nicht im Vorwege schon feststellen, es handelt sich um eine Bagatelle.

Wobei ich selbst finde, wenn es nur die zwei Hotelübernachtungen wären, wäre es keine Bagatelle, denn die Beamten des Landes Niedersachsen dürfen keine Geschenke über 15 Euro annehmen, ja? Und ich finde, für einen Bundespräsidenten müssen mindestens die Maßstäbe gelten, die für die Beamten gelten, die für ihn arbeiten oder früher gearbeitet haben. Also da sind die Maßstäbe verschoben. Auf jeden Fall ist es politisch-moralisch viel schärfer zu bewerten, als es möglicherweise die Staatsanwaltschaft tut.

Bürger: Es gab ja noch einige andere Aufreger in den vergangenen Monaten und Wochen. Zum einen den Fall des CSU-Sprechers Hans-Michael Strepp, der nach seinem Anruf beim ZDF zurücktreten musste, und die Diskussion über die Vortragshonorare von Peer Steinbrück. Ist die Öffentlichkeit, ausgehend von der Debatte um Christian Wulff, jetzt insgesamt sensibler geworden oder doch nur hysterischer?

Spreng: Ich glaube, da ist schon in den letzten Jahren etwas passiert. Also diese ganzen Fragen der Transparenz oder auch Fragen der Korruption oder Vorteilsnahme, auch wenn es sich nur um Vermutungen handelt, das wird von den Medien und auch den nichtgesellschaftlichen Organisationen schärfer gesehen. Also eine Organisation wie Transparency International hat früher öffentlich keine Rolle gespielt. Heute sind die Maßstäbe schärfer geworden, und ich finde das gut so. Wir müssen uns ja von Republiken in anderen Erdteilen abheben. Und da ist die Öffentlichkeit sensibler geworden, das stimmt. Wobei ich also jetzt nicht den Fall Steinbrück in einen Bezug setzen würde zu der Affäre Wulff. Denn im Fall Steinbrück ist ja nichts zu beanstanden außer sein ungeschickter Umgang damit.

Bürger: Christian Wulff arbeitet ja derzeit offensichtlich an seinem Comeback als, ja, er nennt das selbst "junger Elder Statesman". Zuerst ist er aufgetreten beim World Knowledge Forum in Seoul, dann bei der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema Integrationspolitik, vor Kurzem dann an der Uni Heidelberg. Und er hat gesagt, er befände sich gerade in einer Art Lernphase. Ist erkennbar, was er gelernt haben könnte, wie seine neue Rolle aussehen könnte?

Spreng: Ich befürchte, er hat nicht viel gelernt, denn sonst hätte er sich mit seinen öffentlichen Auftritten zurückgehalten, bis die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abgeschlossen sind. Ich meine, er kündigt jetzt schon an, wie bei diesem Auftritt in Heidelberg, er wolle künftig wieder staatspolitisch agieren – auf welcher Basis denn, so lange das nicht abgeschlossen ist? Und so lange er nicht öffentlich Einsicht gezeigt hat und öffentlich artikuliert hat, dass er weiß, dass er sich politisch und moralisch falsch verhalten hat. Wenn er das nicht tut, ist keine Basis da für künftiges öffentliches Auftreten.

Bürger: 80 Prozent der Deutschen haben laut Umfragen kein Mitleid mit Christian Wulff. Wird sich das ändern, wenn das juristische Verfahren eingestellt wird?

Spreng: Ja, dann wird es noch mal eine breite Welle der Berichterstattung geben, es wird eine Reihe von Politikern und Kommentatoren geben, die versuchen werden, ihn gewissermaßen auch als verfolgte Unschuld darzustellen. Aber das betrifft ja nur den juristischen Aspekt. Der politisch-moralische ist davon nicht betroffen, und auch er hätte für den Rücktritt ausgereicht. Also ein mangelnder Aufklärungswille, diese ganze Verschleierung.

Er hat ja auch wirklich – er hat ja auch Dinge angenommen, die er nicht annehmen darf. Sei es seine Hochzeitsreise bei dem Chefverwaltungsratsvorsitzenden der Talanx-Versicherung. Es ging um das Air-Berlin-Upgrade, es ging um andere Reisen. Also diese Dinge sind dann möglicherweise strafrechtlich zu beanstanden, aber sie belasten die Reputation eines Bundespräsidenten.

Bürger: Wo sehen Sie Christian Wulff in fünf Jahren?

Spreng: Nein, ich glaube, wenn er diese Einsicht in sein Fehlverhalten zeigt und auch öffentlich artikuliert, dann hätte er eine Basis, künftig wieder aktiv sein zu können, aber besser wäre es, in einem sozialen Umfeld oder bei Nichtregierungsorganisationen oder bei Aufgaben, die nicht so eng mit seinen früheren Tätigkeiten verbunden sind.

Bürger: Der Journalist Michael Spreng. Danke Ihnen für das Gespräch!

Spreng: Ich danke auch!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.