"Ich betrachte mich nach wie vor als Sozialistin"

Angela Davis im Gespräch mit Susanne Burg |
Sie engagierte sich für die Black-Panther-Bewegung und gegen den Vietnamkrieg und saß deshalb 16 Monate im Gefängnis. Heute engagiert sich Angela Davis für die Wiederwahl Barack Obamas - nicht Obama zuliebe, sondern "für all die Leute, die nach wie vor rassistisch oder ökonomisch unterdrückt werden".
Stephan Karkowsky: "Free Angela and all political prisoners", so heißt ein neuer Dokumentarfilm über Angela Davis, Politaktivistin der 68er in den USA. Der Film über ihr Leben läuft gerade auf dem Internationalen Filmfestival in Toronto. Dort hat sich Susanne Burg mit Angela Davis getroffen, um über den Film und vor allem ihr Leben zu sprechen.

Susanne Burg: Es gibt im Film einige Bezüge zu Deutschland, unter anderem erzählen Sie von Ihrer Zeit in Frankfurt am Main, wo Sie 1965 hingegangen sind, um bei Adorno und Horkheimer zu studieren. Für die 68er-Bewegung in Deutschland war die Uni in Frankfurt sehr, sehr bedeutend. Wie wichtig war denn die Zeit für Sie und Ihr politisches Denken?

Angela Davis/Dolmetscherin: Die Zeit, die ich in Frankfurt verbracht habe, war sehr wichtig. Das war das Ende der 60er-Jahre. Ich war von 1965 bis '67 dort. Ich hatte mit einigen Studentengruppen zu tun, besonders mit dem SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. So konnte ich mein politisches Engagement auch in Deutschland fortsetzen.

Ich muss aber sagen, dass es sehr frustrierend war, in Deutschland zu sein zu einer Zeit, in der sich in den USA so viel veränderte. Die Black-Panther-Partei wurde 1966 gegründet, da fühlte ich mich definitiv am falschen Ort. Gleichzeitig hatte mein Mentor Herbert Marcuse, mit dem ich auch nach Frankfurt noch zusammenarbeitete, in Europa eine größere Bedeutung erhalten. Es war eine sehr aufregende Zeit. Ich erinnere mich nicht nur an meine Studien zu Kant, Marx, Hegel mit Adorno, Horkheimer, Habermas und Oskar Negt, sondern auch an die Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam.

Burg: Und was von dem Denken haben Sie dann mit zurückgenommen in die USA?

Davis: Ich habe viel von der Zusammenarbeit mit anderen Studenten gelernt, mit den politischen Aktivisten, die sich zum Beispiel in verschiedenen Bewegungen gegen den Schah im Iran oder den Vietnamkrieg engagierten. Da konnte ich mein Wissen anwenden, besonders das philosophische, das ich mir Stück für Stück angeeignet hatte. Anwenden in einer Weise, die hoffentlich die Gesellschaft verändern konnte. Und glücklicherweise unterstützte Herbert Marcuse das in seinen Schriften und durch die Art und Weise, in der er uns unterrichtete, die wir versuchten, uns philosophisches Wissen anzueignen.

Burg: Der Film konzentriert sich auf die Zeit vor und während Ihres Prozesses Anfang der 70er-Jahre. Sie sagen im Film, die Revolution war um die Ecke, es fühlte sich wie Krieg an. Haben Sie das damals auch schon so empfunden?

Davis: Es war eine sehr intensive Zeit, so als würde die Zeit beschleunigt, oder, wie Walter Benjamin einmal sagte: Es gab eine neue Zeitordnung, eine neue Zeitrechnung. Und von daher fühlten wir, dass die Revolution bevorstand. Natürlich ereigneten sich auch immense Veränderungen in anderen Teilen der Welt, in Afrika zum Beispiel versuchten die afrikanischen Befreiungsbewegungen – oft auch erfolgreich – den Kolonialismus loszuwerden, es gab die kubanische Revolution Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre, Che Guevara war eine herausragende Figur, Patrice Lumumba. Wir fühlten uns als Teil dieser globalen Veränderung.

Burg: Als Sie dann im Gefängnis waren, da gab es eine große internationale Solidaritätswelle, auch aus der DDR kamen säckeweise Postkarten, direkt an Sie ins Gefängnis geschickt, wie sie erzählt haben, an Angela Davis, USA. Wie haben Sie das damals wahrgenommen, diese Briefe aus der DDR?

Davis: Das war eine faszinierende Erfahrung. Anfangs waren es nur ein paar Postkarten. Dann war da eine Kampagne, die an den Schulen der DDR durchgeführt wurde, eine Million Rosen für Angela! Mich beeindruckte das damals sehr, diese riesigen Postsäcke voller Karten, die ich erhielt, tatsächlich mehr als eine Million Postkarten! Vor kurzem war ich in Ostdeutschland und habe viele der Leute wieder getroffen, die damals als Kinder an dieser Kampagne teilgenommen hatten. Und sie erzählten mir, wie ihr Leben beeinflusst wurde davon, wie wichtig es für sie war, sich als Teil eines größeren globalen Kampfes für soziale Gerechtigkeit zu fühlen.

Burg: Als ich meinen Kollegen erzählt habe aus der ehemaligen DDR, dass ich Sie treffe, da kriegten die alle leuchtende Augen. Kennen Sie dieses Phänomen?

Davis: Ja, absolut. Und ich werde den Leuten, die daran teilgenommen haben, immer dankbar sein! Aber ich muss auch sagen, dass manche Leute mich als Grund dafür betrachten, warum sie diese Gefühle für diese Zeit haben. Diese Nostalgie sollte sie nicht daran hindern zu sehen, dass es sich um eine riesige internationale Bewegung gehandelt hat, organisiert von Menschen aus allen Teilen der Erde.

Ich persönlich habe gar nicht so viel mit dieser Arbeit zu tun, die diese Bewegung hervorgebracht hat. Ich habe natürlich davon profitiert. Aber wenn ich sehe, wie Leute diese Zeit so nostalgisch betrachten, erinnern sie sich doch eigentlich vor allem ihre eigene Jugend und natürlich an eine Zeit, in der es möglich schien, die Welt zu verändern. Und ich denke, genau dieses Gefühl brauchen wir heute.

Burg: Deutschlandradio Kultur, die US-amerikanische Bürgerrechtlerin und Philosophin Angela Davis ist hier zu Gast. Ein Film über sie läuft gerade beim Internationalen Filmfestival in Toronto. Angela Davis, Sie haben im letzten Jahr zur Wiederwahl von Barack Obama aufgerufen. Tun Sie das noch immer? Er gilt ein bisschen als isoliert gerade, auf einsamem Posten.

Davis: Ich muss sagen, dass ich nie davon überzeugt war, dass die Demokratische Partei das Land oder gar die Welt verändern kann. Ich hatte also keine Illusionen, was die Wahl Obamas betraf. Aber dennoch war es ein welthistorischer Moment. Die meisten Menschen hatten ja nicht geglaubt, dass es möglich wäre, dass er zum Präsidenten gewählt wird. Das Wichtigste an dieser Kampagne war nicht Barack Obama, sondern die Bewegung, die sich aus dem Kampf für seine Wahl heraus gebildet hatte.

Und ich denke, bei dieser Wahl müssen wir unbedingt sicherstellen, dass kein Republikaner gewählt wird. Gleichzeitig müssen wir unsere Bewegung wiederbeleben und wir müssen Barack Obama diesmal wieder wählen für all die Leute, die nach wie vor rassistisch oder ökonomisch unterdrückt werden. Diesmal müssen wir es für uns selber tun. Letztes Mal taten wir es für ihn, für Barack Obama.

Burg: Er hat ja immer ein bisschen die Schwierigkeit, dass ihm der Ruf des Sozialisten anhaftet. Wie ist es, müssen Sie als ehemalige Kommunistin nicht fürchten, dass sie ihm mehr schaden als nützen, wenn Sie ihn unterstützen?

Davis: Es stimmt, dass ich zwar kein Mitglied der Kommunistischen Partei mehr bin, aber meine Sympathien gehen doch immer noch stark in diese Richtung. Ich betrachte mich nach wie vor als Sozialistin. Ich halte es für wichtig, dass während der Amtszeit Obamas die Occupy-Bewegung aufgekommen ist mit ihrer heftigen Kritik am globalen Kapitalismus. Obwohl Obama manchmal von den Rechten kritisiert wird für seine Haltung zur Wall Street, müsste er eigentlich noch weiter gehen. Man muss versuchen, ihn zu überzeugen, zu zwingen, weiter gehende Schritte vorzunehmen.

Jeder, der glaubt, dass Sozialismus möglich wäre, wird definitiv nicht davon ausgehen, dass ausgerechnet der Präsident der USA eine sozialistische Ära einläuten wird! Was wir tun müssen, ist, jetzt also den etwas erweiterten Spielraum auszunutzen, den wir für die Bildung einer Bewegung haben, die dann hoffentlich irgendwann mal den Kapitalismus abschaffen kann.

Burg: Sie selber haben auch 1980 und '84 kandidiert als Vizepräsidentin der KP USA für das Amt des US-Vizepräsidenten. Reizt Sie die Politik immer noch?

Davis: Ja, das habe ich gemacht. Ich habe mich parteipolitisch engagiert und zur Wahl gestellt, weil ich so eine Plattform hatte, von der aus ich die Kandidaten der großen Parteien kritisieren konnte. Das sehe ich als meine Rolle. Eine feministische Position erlaubt mir, sowohl kritisch zu sein als auch zu unterstützen.

So sehe ich auch den Verlauf der nächsten Monate: die Haltung der Obama-Regierung zu kritisieren wie zum Beispiel das Versagen in der Schließung Guantánamos, die Fortsetzung des Kriegs in Afghanistan, das Scheitern eines kraftvolleren Gesundheits- und Krankenversicherungssystems und sein Ignorieren des riesigen Problems der Gefängnisindustrie. Die Kampagne muss also in einer Dialektik ablaufen, die erlaubt, sowohl kritisch zu sein als auch gleichzeitig Obama zu unterstützen.

Burg: Angela Davis, Sie hätten bequemere Wege gehen können. Die akademischen Voraussetzungen hatten Sie. Wenn Sie zurückblicken, würden Sie alles heute noch mal genau so machen?

Davis: Diese Frage muss ich bejahen, obwohl ich einige schwierige Zeiten durchlebt habe, war meine Zeit im Gefängnis zum Beispiel nicht ansatzweise so schwer wie die hunderttausend anderer, die dieses Schicksal teilten. Es war sicher nicht die bequemste Entscheidung, mein Leben so zu leben. Aber es gab auch Zeiten des Vergnügens und der Freude und ich denke, ich würde mich wohl wieder genau so entscheiden, wenn ich noch einmal die Wahl hätte.

Burg: Angela Davis, herzlichen Dank für das Gespräch!

Davis: Bitte schön!

Karkowsky: Danke schön! Mit Angela Davis sprach Susanne Burg. Der Dokumentarfilm über das Leben von Angela Davis heißt "Free Angela and all political prisoners" und hatte Premiere auf dem Internationalen Filmfest in Toronto. Übersetzt wurde das Gespräch von Marei Ahmia.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.