#IchBinArmutsbetroffen

Scham, Not und eine volle Schnauze

07:55 Minuten
Illustration zeigt Hände mit einer geöffneten aber leeren Geldbörse.
Über die eigene Not sprechen und Hilfe annehmen: Das sei eine große Hürde, sagt Anni W. © imago / fStop Images / Malte Müller
Anni W. im Gespräch mit Gesa Ufer |
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Während die Kosten für Lebensmittel und Energie steigen und steigen, berichten Menschen auf Twitter von ihrem Leben in Armut. Dabei wenden sie sich auch gegen mediale Bilder, die arme Menschen als faul und inkompetent zeichnen.
Die Inflation steigt stark, besonders Waren des täglichen Bedarfs werden teurer, doch in der aktuellen Debatte um die Folgen der höheren Preise finden die Menschen mit geringem Haushaltseinkommen bisher nur wenig Gehör.
Stattdessen werden an vielerlei Orten Stereotype aufgerufen und aktualisiert, wie man sie aus der Boulevardpresse und Reality-Formaten im Privatfernsehen kennt. Die Botschaft lautet in etwa: Arbeitslose sind faul, sie sind selbst schuld an ihrer Armut, und eigentlich kommen sie doch ganz gut auf Kosten der Allgemeinheit klar.

Toastbrot am Monatsende

In diese Richtung gehen auch Artikel, die in den letzten Wochen immer wieder bei „Focus Online“ erschienen sind. Sie haben Titel wie „Wer am Monatsende nur noch Toastbrot isst, kann mit Geld nicht umgehen“. Oder: „Berliner Hartz-IV-Empfänger: 449 Euro Stütze sind eigentlich zu viel“. Hier gibt es auch eine Reihe von vermeintlichen Spartipps, mit deren Hilfe man auch jetzt noch gut über die Runde kommen soll.

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In Reaktion auf solche Berichte schrieb Anni W. ihre ersten Tweets mit dem Hashtag #IchBinArmutsbetroffen: „Hi, ich bin Anni, 39 und habe die Schnauze voll! Ich lebe von Hartz IV und es reicht ganz einfach nicht!“

Artikel, die Menschen beschämen

Anni W. ist alleinerziehende Mutter aus Nordrhein-Westfalen und möchte aufgrund von Beleidigungen und anderen negativen Reaktionen anonym bleiben. Artikel wie oben machen sie wütend. Diese dienten "einfach nur dazu, Menschen zu beschämen“.
Zu sehen ist der Display eines Smartphones, auf dem der Denkfabrik-Newsletter angekündigt wird. Daneben befindet sich der Denkfabrik-Stempel.
Der Denkfabrik-Newsletter © Deutschlandradio
Seit ihrem ersten Tweet haben es ihr zahlreiche Menschen gleichgetan und ebenfalls aus ihrem Alltag berichtet: „Man erfährt, man ist nicht allein“, sagt Anni W.
Janine Wissler, Vorsitzende der Partei Die Linke, hat einige der Schilderungen im Bundestag vorgelesen.

Im Teufelskreis gefangen

Die Scham zu überwinden, über die eigene Not zu sprechen und Hilfe anzunehmen, das seien große Hürden, sagt Anni W.:

Man ist in diesem Teufelskreis gefangen, dass man selbst glaubt, man verdient keine Hilfe, weil einem ständig suggeriert wird: Es muss reichen. Wir sind ein Sozialstaat, wir kümmern uns. Ihr seid nur zu doof, um damit klar zu kommen. Das sitzt tief. Und ich glaube auch nicht, dass es so leicht ist, aus diesem Gedankengang rauszukommen. Ich spüre das bei mir selbst. Und ich glaube, anderen geht es da sogar noch wesentlich schlimmer.

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