"Ich bin eigentlich Fellini-sozialisiert"

Hubertus Meyer-Burckhardt im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Der Produzent und Journalist Hubertus Meyer-Burckhardt langweilt sich in Blockbuster-Filmen. Er habe eine Vorliebe für einzelne Menschen und für Sperriges. Deshalb stehe auch in seinem neuen Film "Valerie" mit Franka Potente die Textarbeit im Vordergrund.
Liane von Billerbeck: Und genau der ist jetzt bei uns zu Gast. Willkommen, Hubertus Meyer-Burckhardt!

Hubertus Meyer-Burckhardt: Guten Tag!

von Billerbeck: Sie sind, wenn man Sie etwas beobachtet, was Sie so treiben, einer von diesen bunten Hunden im Unterhaltungs- und Filmgeschäft, da hat man das Gefühl, der hat scheinbar überall seine Finger im Spiel, ein Kommunikator vor dem Herrn. Wieso macht so einer jetzt sogar schon zum dritten Mal einen Monologfilm, so was Schlichtes, ein Kammerspiel?

Meyer-Burckhardt: Na ja, weil ich in einer Generation groß geworden bin – ich bin 55 Jahre –, ich bin natürlich noch so Cineast. Ich war auf der Filmhochschule in München und habe im damaligen Kino Türkendolch in der Türkenstraße in München die ganzen Nouvelle-Vague-Filme gesehen, darüber hinaus Louis Malles, Melville. Also ich bin wirklich groß geworden mit Filmkunst, wenn Sie so wollen, und ich hab ja eine ganze Reihe Filme produziert, die, wenn Sie so wollen, schwierig sind. Also alle Filme, die ich mit Oliver Hirschbiegel ... Das fing an mit "Trickser" mit Dominique Horwitz, das war ein Film mit fünf Personen, sehr klaustrophobisch. Ich mag das eigentlich, sperrige Filme zu machen, und wenn Sie meine Filmografie angucken, sind es meistens sperrige Filme.

von Billerbeck: Aber was macht das Besondere eines solchen Films aus – die Intensität, die Konzentration?

Meyer-Burckhardt: Zwei Dinge: Das eine ist, mich langweilen Massenszenen, ich bin dadurch nicht zu beeindrucken. Ich langweile mich auch in großen Blockbuster-Filmen. Was mich interessiert, ist die Beobachtung des Menschen, des einzelnen Menschen. Ich kann mich stundenlang irgendwo auf eine Parkbank setzen oder in ein Café und einfach Menschen beobachten. Die Körpersprache, wie sie lächeln, wie sie reden, warum sie was ... das finde ich extrem spannend. Und das Zweite, was mich interessiert, ist, Sie wissen vorher nicht, ob es erfolgreich ist. Sie können grandios scheitern und Sie können ...

von Billerbeck: Das ist doch der Albtraum für einen Produzenten.

Meyer-Burckhardt: Nein, mein Leben führe ich gerne so, dass ich es nah an meinen Träumen gerne führe, aber auch nah an der Grenze zu dem, was man sich gerade noch zutrauen kann, und das Schlimmste ist, wenn es langweilig ist.

von Billerbeck: Welche besonderen Fähigkeiten muss ein Schauspieler haben, dem Sie das zutrauen, da ganz alleine vor der Kamera zu stehen?

Meyer-Burckhardt: Na ja, er muss zunächst mal sich für Textarbeit interessieren. Also wenn eine Theater ... – Hannelore Elsner bei "Mein letzter Film", Ben Becker, die haben – gerade im Besonderen Ben Becker – die haben eine lange Theaterarbeit hinter sich. Das hat Franka nicht gehabt. Aber Franka hat ein großes Interesse an Textarbeit gehabt. Das müssen sie schon haben, sie müssen ein geradezu erotisches Verhältnis zur Sprache, zur deutschen Sprache haben. Das ist das eine.

Und das andere ist, sie müssen das haben, was sie nicht lernen können, sie müssen den Raum betreten oder vor die Kamera kommen, und von ihnen muss eine gewisse Aura ausgehen. Die können sie aber nicht einüben. Ich hab alle Filme von Franka Potente gesehen, auch noch mal, bevor ich die Entscheidung getroffen hatte, und ich hab immer das Gefühl gehabt, wenn diese Frau den, ja Gott, den Set betritt oder auf der Leinwand auftaucht, dann weiß man, warum sie ein Star geworden ist. Und das kann ich nicht begründen. Also ich fühl das.

von Billerbeck: Sie haben ja diese ersten beiden Filme mit einem Regisseur gedreht, mit Oliver Hirschbiegel, jetzt ein neuer, Josef Rusnak – warum der Wechsel, schlichte Terminprobleme oder wollten Sie einfach mal einen anderen ausprobieren?

Meyer-Burckhardt: Ich hab mit Josef Rusnak auf der Filmhochschule in München auf der HFF zusammen studiert, und Josef ging unmittelbar, nachdem er fertig war mit dem Studium, nach Los Angeles. Ich seh uns da noch hocken, und ich ging in eine Werbeagentur nach Düsseldorf und er ging nach Los Angeles. Und das hat mich unheimlich beeindruckt: Der Typ ging nach Los Angeles, damals, jedenfalls 1984. Er war so im Tross von Roland Emmerich.

Und wir haben immer den Kontakt irgendwie gehalten, und ich hab seine Filme beobachtet, die er in Amerika gemacht hat, und die haben mich interessiert. Und ich hatte immer vor, mit ihm was zu machen. Er hatte Lust, er hatte auch die Idee mit Franka, und Oliver schwirrte sowieso in irgendwelchen anderen nordirischen Filmproduktionen rum, also ich hab ihn gar nicht erst gefragt. Und dann hab ich gesagt: Josef, komm!

von Billerbeck: Momentan sieht man ja, dass viele amerikanische Blockbuster im Alltag laufen, auch deutsche Männerkomödien werden gerne genommen, und da kommen Sie nun mit einem Monologfilm – wie viel Sendungsbewusstsein braucht's dafür?

Meyer-Burckhardt: Sendungsbewusstsein weniger. Ich glaube, es gibt den Satz von Karl Popper, glaube ich, dem Philosophen: Es gibt keine vernünftige Alternative zum Optimismus. Und ich bin kein Kulturpessimist, ich bin einfach ein ziemlich zäher Hund, der sich nicht irremachen lässt, auch nicht von Kritikern, auch nicht von Programmverantwortlichen. Wenn ich was machen will, mach ich das, dann setz ich das auch durch und habe aber, nicht zu vergessen, dann natürlich Freunde, im Übrigen auch auf Senderseite. Dagmar Reim, die Intendantin des rbb war eine dieser Freundinnen, ohne die der Film überhaupt nicht entstanden wäre.

Aber mein Gott, ja, Sendungsbewusstsein – Sie müssen einfach in einen Stoff verliebt sein, Sie müssen ein erotisches Verhältnis zur zeitlichen Begrenztheit Ihrer eigenen Lebenszeit haben und sagen, okay, was willst du in deinem Leben bewegen. Und ich will, ehrlich gestanden, schon ein paar Sachen bewegen, sodass ich, wenn ich mit 87-einhalb in die Gruft steige, zurückgucke und meinem Enkel sage: Dein Opa hat ein paar Sachen möglich gemacht.

von Billerbeck: Hubertus Meyer-Burckhardt ist bei uns zu Gast, der seinen dritten Monologfilm – eine Schauspielerin, ein Schauspieler, eine Kamera – produziert hat: "Valerie" mit Franka Potente, der jetzt in die Kinos kommt. Nun beobachten wir ja, dass das Tempo, in dem Filme in die Kinos kommen und in dem sie vor allen Dingen wieder verschwinden, das scheint sich immer mehr zu erhöhen. Wenn man nicht rechtzeitig drauf achtet, zack, ist der Film weg. Weshalb braucht man da eigentlich noch so 'n Filmstart? Ist der eigentlich nur dazu da, dass die Leute mitkriegen, ach, da gibt's irgendwann eine DVD, Blu-ray oder was auch immer von diesem Film?

Meyer-Burckhardt: Wissen Sie, das Problem ist, es gibt von allem zu viel. Es gibt zu viel Apotheken, es gibt zu viel Briefkästen, es gibt zu viel Magazine ...

von Billerbeck: Briefkästen nicht.

Meyer-Burckhardt: Briefkästen nicht, nehme ich zurück, aber zu viele Zeitschriften. Es gibt zu viele Architekturbüros, es gibt zu viele Filme – wer will das bestreiten? – und es gibt auch zu viele Bücher, und wie ich gerade gelernt habe, 81.000 Neuerscheinungen pro Jahr. Da erwischen Sie mich auf dem absolut falschen Fuß, weil da gebe ich Ihnen recht, ich sage ja, auch diesen Film braucht keiner, so wie alle anderen Filme auch keiner braucht. Aber das Blöde ist, ich lebe davon, Filme zu produzieren, und deswegen mach ich das weiter, und das macht mir Spaß und es verleiht meinem Leben irgendwie einen Sinn.

von Billerbeck: Sie sind ja auch an der Hamburg Media School, bilden da junge Filmemacher aus und versuchen ihnen vermutlich auch irgendwie Tipps zu geben, wie sie im Haifischbecken Filmindustrie erfolgreich mitschwimmen oder vielleicht sogar als Erste anschlagen können – das Bild war jetzt nicht ganz gerade, aber okay. Kennen Sie da irgendwie die Rezepte, wie man's macht?

Meyer-Burckhardt: Gibt's ja nicht, also es gibt ja leider keine Rezepte. Das Schöne ist ja, wenn man in den Produzentenberuf geht, ist das ein bisschen vergleichbar mit Pfarrerberuf und Chirurg. Warum? Das Privatleben und das Berufsleben verschmelzen. Der Pfarrer muss ein offenes Pfarrerhaus haben, der Chirurg muss immer im Restaurant damit rechnen, dass er angerufen wird und so – so ist es mit dem Produzentenberuf ja auch. Sie haben nicht in dem Sinne ein Privatleben, umgekehrt kann man aber auch sagen, Sie sind immer privat. Ich wollte immer so leben, und das ist die erste Frage, die man an sich selber stellen muss: Willst du so leben?

von Billerbeck: Einer Ihrer Studenten, Max Zähle, der hat ja kürzlich einen der begehrten Studenten-Oscars bekommen für "Raju", ein Film über Auslandsadoptionen in Kalkutta. Wir hatten den auch im Interview hier, und er hat ganz ausdrücklich auch die Hamburg Media School erwähnt. Ist das irgendwie so was, wo Ihr Herz hüpft, wenn Sie wissen, an dem Erfolg bist du definitiv beteiligt?

Meyer-Burckhardt: An dem Erfolg von "Raju" bin ich höchstens insofern beteiligt, dass ich den Weg nach Kalkutta geebnet habe, weil ich an der dortigen Roopkala Kendro Film School in West Bengal, wie die so schön sagen, einen Lehrauftrag habe, und Kalkutta gehört zu den großen Abenteuern meines Lebens. Dass die Jungs da runtergegangen sind und den Film gemacht haben, da ziehe ich den Hut, und das haben die alleine gemacht. Wir haben die ein bisschen motiviert, aber das ist schon deren Leistung.

von Billerbeck: Man findet, wenn man Artikel über Sie liest, immer so ein paar Hinweise auf Ihre musikalische Sozialisation – Rod Stewart taucht da immer auf –, aber es wird nicht so viel über Ihre filmische erzählt. Ein bisschen haben Sie am Anfang schon gesagt – gab es so einen Film, der der absolute Lieblingsfilm war oder wo Sie sagen, der war so eine Art Initialzündung, dass ich da in dieses Geschäft gehe?

Meyer-Burckhardt: Ja, es gibt immer wieder Filme, die mich motivieren durchzuhalten. Also "Smoke" nach Paul Auster ist so ein Film, den ich mir, glaube ich, achtmal angeguckt habe. Und es gab Filme in den 70er-Jahren, "Coming home" mit Jon Voight und Jane Fonda ist so ein Film, oder "Harold and Maude" ist so ein Film, oder auch in Deutschland Roland Klick – "Supermarkt" war einer der frühen Filme, wo ich wirklich hoch euphorisiert aus dem Kino gekommen bin. Und Fellini, mein Hero ist Fellini, "Amarcord", "Stadt der Frauen", "La Strada" – ich bin eigentlich Fellini-sozialisiert.

von Billerbeck: Wir hatten schon mal gesagt, dass im Moment so viele Männerfilme in die Kinos kommen, deutsche Männerfilme muss man dazusagen, und Sie haben ja auch schon erwähnt, Sie haben auch einen Roman geschrieben, "Die Kündigung". Und haben da auf einen Mann geblickt, einen Manager, und in manchen Interviews dazu haben Sie sinngemäß gesagt, dass Sie sich diesen leistungsorientierten Typen mal so angeguckt haben und sich gefragt haben, was bleibt von dem und was bleibt von denen, wenn der berufliche Hochleistungssport weg ist. Aber war das nicht auch eine Frage an sich selbst? Sie sind ja beruflich auch ein Hochleistungssportler.

Meyer-Burckhardt: Ja, ich hab aber immer das Bestreben gehabt – also was ich vorhin schon mal sagte –, ich hab ein wirkliches sinnliches Verhältnis zu der Begrenztheit meines Lebens. Ich frage mich immer, möchtest du so leben. Und das hab ich auch schon getan, als ich der Sohn einer alleinerziehenden Mutter in Kassel war und das Geld nicht hatte, diese Frage überhaupt stellen zu können.

Ich bin das nicht, nein, ich bin das nicht, im Gegenteil, ich bin aus den Konzernen wieder rausgegangen nach sechs Jahren, weil ich ein Leben führen wollte, was selbstbestimmter ist. Das war eine Entscheidung – übrigens auch eine Entscheidung gegen Geld.

Aber die Frage, was bleibt von mir als Person ohne die Funktion, die ich einnehme, die sollte sich jeder immer mal wieder stellen, weil wie sehr wir uns über die Funktion definieren, kann man nur in einem sehr intimen Dialog mit sich selber beurteilen. Und da, finde ich, sollte die Person die Funktion stark dominieren und nicht die Funktion die Person.

von Billerbeck: Nun haben Sie ja gesagt, das ist egal, wenn man was will, welches Medium man dafür wählt, trotzdem ist ja Romanschreiben doch etwas Besonderes im Vergleich zu allen anderen Dingen, die Sie ansonsten so treiben. Was ist es, was Sie daran so besonders gereizt hat?

Meyer-Burckhardt: Die Einsamkeit. Mich reizt es, alleine irgendwo zu sitzen – in dem Fall war das in Irland, draußen ist es dunkel, und ich bin mir mein bester Freund. Ich schreibe, ich schreibe zum Beispiel auf Papier, also ich brauche den Widerstand des Papiers, ich schreibe nicht auf dem Computer, und ich bin dann der König in meinem Reich. Es ist ein bisschen pathetisch vielleicht – ich muss mich nicht entschuldigen oder erklären oder jemanden überzeugen oder ... Ich kann einfach mit mir alleine was Schönes, Sinnvolles machen. Das ist ein wunderbarer, harmonischer Prozess, und da fällt es mir auch leicht, das Telefon auszuschalten oder nicht zur Tür zu gehen, wenn jemand klingelt. Herrlich!

von Billerbeck: Und es wird einen nächsten Roman geben?

Meyer-Burckhardt: Ja.

von Billerbeck: Hubertus Meyer-Burckhardt war bei uns zu Gast, der Produzent des Filmes "Valerie" mit Franka Potente, Regie Josef Rusnak und Kamera Benedict Neuenfels. Danke fürs Kommen!

Meyer-Burckhardt: Vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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