Annette Seemann: "Ich bin eine befreite Frau. Peggy Guggenheim"
Ebersbach & Simon, 2018
144 Seiten, 16,80 Euro
Die Frau, die Kunst und Männer sammelte
Exzesse, Männer, Mode, Kunst: Wie keine andere verkörpert Peggy Guggenheim das "Girl of the Roaring Twenties". Annette Seemann hat ein Buch über die Millionenerbin und Kunstmäzenin geschrieben, das auch die literarischen Qualitäten der New Yorkerin würdigt.
Sie hatte eine Vorliebe für extravagante Kleidung, für riesige, schmetterlingsflügelige Sonnenbrillen, Edelterrier – und vor allem für zeitgenössische Kunst und Männer: die Kunstsammlerin, Galeristin und Mäzenin Peggy Guggenheim.
Am 26. August jährt sich ihr Geburtstag zum 120. Mal. Die Journalistin und Übersetzerin Annette Seemann hat der Frau mit dem exzentrischen Leben ein Buch gewidmet, in dem sie deren Werdegang nachvollzieht. Geboren wurde Peggy Guggenheim 1898 als mittlere von drei Schwestern in eine steinreiche New Yorker Familie. Als Mädchen hatte sie in den Augen der Familie nur eine Aufgabe: einen ebenso reichen Ehemann zu finden. "Sie ist nur ein Jahr in ihrem Leben überhaupt in eine Schule gegangen", sagt Annette Seemann. "Ansonsten war das mehr oder weniger eine willkürliche Auswahl von Gouvernanten, die gutes Benehmen vermittelt haben und vielleicht einige kunstgeschichtliche Kenntnisse."
"Langeweile – das war das rote Tuch"
Aus diesem Korsett brach Peggy Guggenheim früh aus: Sie wurde freiwillige Kriegsdiensthelferin und arbeitete danach in einer New Yorker Buchhandlung. "Da lernt sie die ersten Intellektuellen kennen und auch gleich ihren späteren Mann, Laurence Vail, einen Maler und Schriftsteller. Und da sieht man schon gleich auch diese Begeisterung sowohl für die Literatur wie für die Bildende Kunst."
Peggy Guggenheim umgab sich mit vielen namhaften Künstlern – und hatte mit fast allen eine Affäre: Ihre Freunde waren Marcel Duchamp, James Joyce, Hans Arp, Max Ernst, Djuna Barnes, Jean Cocteau, Samuel Beckett, Jackson Pollock und viele mehr.
"Sie verkörpert ja wirklich in idealer Weise das Girl of the Roaring Twenties", so die Biografin. "Das leben Peggy und Laurence Vail buchstäblich aus. Also skandalöse Dinge, sie tun sich auch gegenseitig Gewalt an. Er schmiert Marmelade in ihre Haare und versucht sie in der Badewanne, so lange wie möglich unter Wasser zu drücken. Also, das geht schon wirklich an gewisse Grenzen." Aber: "Langeweile – das war das rote Tuch und das musste auf jeden Fall bekämpft werden."
Sie liebte die Abgründe
Doch Peggy Guggenheim ist mehr als nur eine "befreite Frau", die sich die Männer nimmt, die sie haben will. Auch für die Kunst hat sie Bedeutendes geleistet:
"Sie bricht den Bann über die klassische Moderne", betont Annette Seemann "Bis weit in die 1950er-Jahre hinein galt die Kunst der klassischen Moderne eigentlich in der internationalen Sicht auf die Kunst nichts." Was sich auch daran zeigte, dass sich in Venedig kein Museum fand, dass 1948 Guggenheims Kunstsammlung ausstellen wollte, sodass sie diese in ihrem eigenen Palazzo unterbrachte.
Auch als Literatin hatte sie avantgardistische Qualität
Bereits zum 100. Geburtstag Peggy Guggenheims vor 20 Jahren hatte Annette Seemann eine Guggenheim-Biografie verfasst. Gegenüber diesem ersten Buch bezieht das jetzt vorliegende die aktuelle Forschungsliteratur ein, die Peggy Guggenheim, die zeitlebens an ihrer Autobiografie schrieb, auch in der Literatur avantgardistische Qualität zuerkennt.
"1945 hat man diese Art, wie sie schrieb, schockierend gefunden – also stilistisch auch. Es gab da überhaupt nur eine Person, die ein gutes Haar an diesem Schreibstil, der sehr radikal, filmisch-schneidend etwa vorgeht und eben sehr, sehr pauschale Urteile oft fällt. Aber die treffen meistens den Nagel auf den Kopf. Aber da hat man sozusagen dazugelernt und gesteht ihr zu, dass ihre Schreibweise auch literarischen Wert hat."