Zum 50. Todestag des Pianisten Wilhelm Backhaus
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Wilhelm Backhaus (1884-1969) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Pianisten des letzten Jahrhunderts. Schwer nachvollziehbar ist heute, warum sich der Musiker zu Sympathiebekundungen für Adolf Hitler hinreißen ließ.
Geboren wurde Wilhelm Backhaus 1884 in Leipzig. Er wuchs in jener selbstbewussten Phase des Wilhelminismus auf, in der man sich gerade von dem Debakel der Gründerjahre zu erholen begann.
An den Schulen wurde per Erlass "Gottesfurcht und die Liebe zum Vaterland" propagiert. Das geistige Ideal war der "Goethedeutsche", eine Erscheinung, die betont unpolitisch sich allein dem "Höheren" verschrieb.
Letzter Schliff und früher Ruhm
Mit zehn besuchte Wilhelm Backhaus bereits das Leipziger Konservatorium. Den letzten Schliff holte er sich bei Eugen D'Albert, der sein wichtigster Mentor wurde.
Seine ersten Konzerte gab er bereits 1899 in Hamburg und Leipzig. Doch seinen eigentlichen Durchbruch feierte er zwei Jahre später in London, wo er bereits mit siebzehn debütierte. 1902 holte ihn der Dirigent Hans Richter nach Manchester.
Mit 21 wird Backhaus als Professor an das Royal College of Music in Manchester berufen. Es folgen Engagements mit Stars wie der Pianistin Teresa Carreno und dem Geigenvirtuosen Jan Kubelik, überdies Lehraufträge u.a. am Curtis-Institute in Philadelphia.
Die englische Grammophone Company nimmt ihn 1910 unter Vertrag. Unter Sir Thomas Beecham spielt er Griegs Klavierkonzert ein, es ist die erste Trichteraufnahme mit Klavier und Orchester überhaupt.
Seine großen Erfolge und sein hohes Ansehen in England brachten Backhaus nicht zuletzt die Sympathien der Hohenzollern ein. Der Kronprinzessin Cecilie gab er bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Klavierunterricht. Dank der Protektion der Hohenzollern überstand Backhaus den Krieg glimpflich. Er gehörte nun gewissermaßen zur Entourage des Kaiserhauses.
Naivität oder Opportunismus
Nach dem Ersten Weltkrieg führten ihn Tourneen durch ganz Europa, nach Australien und in die USA. Doch so überschwänglich wie in England wurde Wilhelm Backhaus hier nicht gefeiert. Sein edler Indifferentismus beeindruckte in den Staaten weitaus weniger als im alten Europa.
Als Backhaus im Frühjahr 1926 nach Europa zurückkehrte, war auch hier das Leben härter geworden. Eine junge Virtuosen-Generation war nachgewachsen und versuchte, den Älteren wie Backhaus oder Schnabel das Revier streitig zu machen. Neulinge wie Claudio Arrau, Alexander Brailowsky, Edwin Fischer, Walter Gieseking, Egon Petri oder Rudolf Serkin stellten sich einem neugierigen Publikum vor und machten von sich reden.
Vielleicht erklärt sich hieraus bei Backhaus - aus durchaus nachvollziehbaren Künstlerängsten - die Bereitschaft, sein Netzwerk auszubauen und mit einem starken Partner, in diesem Fall den Nationalsozialisten, zu kooperieren. Ob diese den so integer wirkenden "Meister Backhaus" als Werbeträger gezielt ausgesucht haben oder ob er ihnen "freiwillig" aus Naivität oder Opportunismus ins Netz gegangen ist, lässt sich rückblickend nicht eindeutig klären.
Zu politischen Zwecken instrumentalisiert
Fest steht, dass Backhaus in den folgenden, brauner werdenden Jahren zur Stelle war. Dass er sich als Repräsentant deutscher Musikkultur gut eignete, hatten nationalistisch gesinnte Diplomatenkreise schon früh erkannt. Als Ende der zwanziger Jahre wurde er wie viele andere Künstler und Musiker auch zu politischen Zwecken instrumentalisiert.
In der Berliner Kulturschickeria kursierte das Gerücht, er sei der "Lieblingspianist des Führers". Fotos, die ihn mit Adolf Hitler zeigten und durch die Presse gingen, mögen diese Etikettierung begünstigt haben. Schwer nachvollziehbar ist auch heute noch, im 50. Todesjahr des Musikers, warum sich der eigentlich apolitische, international gefeierte Pianist zu Sympathiebekundungen für Adolf Hitler hinreißen ließ.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte Backhaus zu den musikalischen Repräsentanten der Adenauer-Ära. Das westdeutsche Nachkriegspublikum erkannte sich in Backhaus wieder und entlastete sich selbst, indem es dem harmlosen Mitläufer und Schicksalsgenossen applaudierte.
Backhaus jedenfalls setzte seine Karriere unbehelligt fort. Er konzertierte im In- und Ausland, in den USA, Südamerika, in Japan und Australien - und ließ sich als einer der großen deutschen Beethoven-Spieler weltweit feiern.