"Ich bin stolz, im gleichen Geschäft tätig zu sein"

Wieland Freund im Gespräch mit Susanne Führer · 18.11.2011
Der Kinderbuchautor und Journalist Wieland Freund meint, dass die Kinderbücher von Max Kruse für die deutsche Nachkriegskinderliteratur extrem wichtig waren. Kruse zähle zu den Autoren, die "die Fantasie und die Freiheit zurückgebracht haben ins Kinderbuch in Deutschland nach dem Krieg."
Susanne Führer: Der Kinderbuchautor Max Kruse wird 90 Jahre alt. Den kennen Sie nicht? Den kennen Sie doch! Julia Möckl stellt uns einige der krusischen Geschöpfe vor.

Julia Möckl hat uns einige Geschöpfe Max Kruses vorgestellt. Urmels Vater wird also 90 Jahre alt. Max Kruse selbst gibt keine Interviews, aber zum Glück haben wir einen Freund und Kenner seiner Werke gewinnen können, den Schriftsteller – auch Kinderbuchautor – und Journalisten Wieland Freund nämlich. Guten Tag, Herr Freund!

Wieland Freund: Schönen guten Tag!

Führer: Wir haben es gerade gehört: Die Urmel-Bücher sind unter Max Kruses Werken die erfolgreichsten. Sind sie Ihrer Ansicht nach auch die wichtigsten?

Freund: Ach, ich würde da gar keine Hierarchie aufstellen wollen. Die Urmel-Bücher, "Der Löwe ist los", auch die Parodien, "Lord Schmetterhemd", der "Don Blech" auch – das sind alles Kinderbücher, die für die deutsche Nachkriegskinderliteratur extrem wichtig waren.

Führer: Warum?

Freund: Na ja, man muss sich vorstellen: Es hat keine Stunde Null gegeben, das ist wie in der Erwachsenenliteratur auch, stattdessen haben die alten NS-Schreiber weitergemacht. Das berühmteste Beispiel ist Fritz Steuben mit der Tecumseh-Reihe, da wurden die schlimmsten Rassismen dann rausgestrichen, im Grunde aber blieben es die gleichen Geschichten mit Obrigkeitstreue und Militarismus und allem drum und dran. Und Max Kruse zählt neben Michael Ende, Ottfried Preußler, James Krüss, zu denen, die die Fantasie und die Freiheit zurückgebracht haben ins Kinderbuch in Deutschland nach dem Krieg.

Führer: Was würden Sie denn sagen, was ist das Eigene, was ist das Besondere an den Kinderbüchern Max Kruses?

Freund: Ich glaube, dass es immer um Befreiung geht, das hat auch mit seiner Jugend im Dritten Reich zu tun, das hat aber auch mit seiner Mutter glaube ich zu tun, der Puppenbildnerin Käthe Kruse, die unheimlich berühmt war in seiner Jugend, und die ihn extrem behütet hat. Und da geht es immer in den Büchern darum, in die Freiheit aufzubrechen, das ist beim "Löwe ist los" so, es geht aber auch darum, auf Urmel bezogen, weil das jeder kennt, sich das Sprechen, wie wohl das Schreiben beizubringen: Habakuk Tibatongs Tiersprechschule. Und bezeichnenderweise steht dann auf dem Schild: "Unterricht freiwillig nach Vereinbarung".

Führer: Also es geht auch viel um Sprachspiele.

Freund: Da ist ganz viel Lust am Unfug dabei, er bezieht sich aber damit auch auf eine Tradition, die in Deutschland 1947, 48, als er "Der Löwe ist los" schrieb, sein erstes Buch, nicht angekommen war, nämlich die britische Kinderbuchtradition. Das ist einmal ganz sichtbar: Bei Urmel ist das Hugh Lofting, "Dr. Doolittle und seine Tiere", das war 1920 erschienen, zwar übersetzt in der Weimarer Zeit, aber im Grunde als Einfluss verschüttet, …

Führer: Und war sehr erfolgreich in der Weimarer Zeit, muss man sagen.

Freund: Das war sehr erfolgreich, aber dann hat da natürlich niemand mehr dran angeschlossen. Und Max Kruse war der, der 1947, 48 da weitermachte. Und der zweite große Einfluss ist natürlich "Pu, der Bär", I-Aah, den wir alle kennen, das ist im Grunde das Vorbild für den Seelefanten, in dem, so glaube ich, Max Kruse sich ein bisschen selbst porträtiert hat.

Führer: In dem …

Freund: In dem Seelefanten, der abseits Titiwus auf einem Felsen sitzt alleine und singt. Das ist ein bisschen das Kind Max Kruse. Die Mutter, die ihn behütete, hat ihm sogar die Schule weitgehend erspart, und als Max Kruse in Bad Kösen, wo die Puppenwerkstatt war, wo also die berühmten Käthe-Kruse-Puppen hergestellt wurden, als er da dann mit neun Jahren endlich zur Schule ging, musste er nur die Hauptfächer machen. Das heißt, er hatte ganz oft frei, während die anderen Schüler büffelten, und dann ist er in den Wald gegangen, ganz allein, und hat gesungen. Und ein bisschen ist das der Seelefant, das ist immer die Person am Rand, immer der, der ganz für sich ist und natürlich ein großer Individualist.

Führer: Der Autor und Journalist Wieland Freund im Deutschlandradio Kultur. Max Kruse, der Schöpfer des Urmels, wird heute 90 Jahre alt. Herr Freund, so richtig bekannt und berühmt geworden ist Max Kruse ja durch die Augsburger Puppenkiste. Liegt es vielleicht auch daran, dass seine Figuren und Geschichten ja häufig als nett und lustig und liebenswert, aber eben auch als vollkommen harmlos gelten?

Freund: Ja, das ist das große Missverständnis, und da sitzen wir im Grunde immer noch dem Diktat der großen Gruppe 47 auf. Das ist im Grunde folgendermaßen gelaufen: Nach dem Krieg formierte sich diese Gruppe, formulierte ihr Realismuskonzept, und 20 Jahre später nahmen Adepten aus der 68er-Generation das auf und attackierten die großen Fantasten, also Ottfried Preußler, James Krüss, Max Kruse, Michael Ende. Da sind dann Bücher erschienen wie eines von Melchior Schedler, das hieß "Schlachtet die blauen Elefanten", und da wurde denen vorgeworfen, sie neigten zu Kindertümelei, das sei alles unheimlich harmlos und habe mit sozialer Wirklichkeit oder mit der deutschen Vergangenheit auch nichts zu tun. Es kann natürlich nichts falscher sein. Also wenn man sich Preußlers "Krabat" anguckt oder Kruses "Don Blech", dann sieht man ganz deutlich, dass hier natürlich auch die Erfahrung des Dritten Reiches verarbeitet wird. Im Grunde wird immer noch nachgeplappert, was diese doch allzu forschen Theoretiker der Kinderliteratur 1968 folgende mal aufgeschrieben haben.

Führer: Sie haben schon ein paar Eigenschaften Max Kruses angedeutet. Sie sind ja seit einigen Jahren mit ihm befreundet. Was ist er denn so jetzt als erwachsener Mann für ein Mensch?

Freund: Er ist im Gespräch für die Pausen zuständig. Er ist ein unheimlich zurückhaltender Mensch, er ist still und leise, er ist unheimlich bescheiden, und ich kann vielleicht, um das zu verdeutlichen, einen Dialog wiedergeben, den wir hatten in seinem Haus in Penzberg, und da sagte er den Satz: "Ich wollte nie Kaufmann werden", das bezog sich darauf, dass er zeitweise die Puppenfabrik geführt hat, "Ich wollte nie Kaufmann werden, sondern immer Schriftsteller. Ich war dazu nicht besonders begabt, das muss ich ehrlich sagen." Und daraufhin fragte ich, wie, zum Kaufmann? Und er sagte, nein, zum Schreiben. Und das meinte er. Er ist jemand, der von seiner Mutter auch geprägt die großen Literaten hochgehalten hat, der ein Dichter werden wollte, und ich glaube lange Zeit geglaubt hat, dass ihm das missglückt ist, weil er ja nur, in Anführungsstrichen, Kinderbücher schrieb. Ich glaube, dass er sehr spät begriffen hat, was er da eigentlich leistet und geleistet hat.

Führer: Nun ist es vielleicht auch schwer, weil er ja aus einem wirklich berühmten Elternhaus kommt, Käthe Kruse kennt man heute noch, die Mutter, die Schöpferin der Käthe-Kruse-Puppen, auch sein Vater, Maler und Bildhauer, Max Kruse, war zumindest zu seinen Lebzeiten ein berühmter Mann. Das ist ja auch nicht leicht für so einen jungen Menschen, der Künstler werden möchte, wenn die Eltern vor ihm schon berühmt sind.

Freund: Ja. Er hat sich sicherlich lange Zeit, bevor er etwas Besonderes wirklich war, für etwas Besonderes gehalten, so erzählt er es zumindest selbst, und tatsächlich kommt er aus einem ganz besonderen Elternhaus. Man muss sich vorstellen: Der Vater Max Kruse, der hat ein berühmtes Bühnenbild für Max Reinhardt gemacht, der hat eine Büste von Nietzsche gemacht, die Einzige, für die Nietzsche auch wirklich auch gesessen hat noch – das war ein berühmter Mann zur Gründerzeit.

Und Käthe Kruse war eine der berühmtesten Frauen ihrer Zeit, und zwar international. Also darunter hat er sicherlich ein bisschen gelitten. Ich glaube aber letztlich, dass er von der ungeheuren Freiheit, die Gedankenfreiheit in diesem Haus auch profitiert hat. Die Eltern haben, bevor Max geboren wurde, in wilder Ehe gelebt zum Beispiel, mit zwei unehelichen Kindern, im Monte Verità unter anderem, im Tessin, dieser berühmten Künstlerkolonie, wo auch Hermann Hesse, Ernst Toller, Ernst Bloch waren – schon ein ganz besonderer Haushalt, von dem er sicherlich auch profitiert hat.

Führer: Sie haben vorhin gesagt, Herr Freund, wer Max Kruses Vorbilder waren für seine Kinderbücher. Sie schreiben nun auch Kinderbücher. Ist wiederum Max Kruse für Sie vielleicht ein Vorbild?

Freund: Ach, ja, mit den Vorbildern ist das immer schwer und ich glaube, man weiß das selber am schlechtesten, aber ich bin stolz, im gleichen Geschäft tätig zu sein wie er, ja.

Führer: Und was wünschen Sie ihm zum 90. Geburtstag?

Freund: Viel Freude und dass er mittlerweile weiß, was er geleistet hat.

Führer: Sagt der Schriftsteller und Journalist Wieland Freund über Max Kruse, den Vater des Urmels, der heute 90 Jahre alt wird. Ich danke Ihnen herzlich fürs Gespräch, Herr Freund!

Freund: Ich bedanke mich!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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