"Ich glaube, dass das Regime strategisch auch überrascht ist"
Der ägyptische Politikwissenschaftler Amr Hamzawy sieht in den aktuellen Unruhen in Ägypten die Anfänge eines ernsthaften Aufstandes. Der Forschungsdirektor der Carnegiestiftung sagte, Unruhen wie in den Straßen Kairos, Alexandrias und anderen ägyptischen Städten habe es seit den Brot-Unruhen 1977 nicht gegeben.
Nana Brink: Es gärt weiter in den östlichen Mittelmeerstaaten: Nach Tunesien rollt nun auch durch Ägypten eine Protestwelle. Am Dienstag gingen erstmals Zehntausende auf die Straße, bis das autoritäre Regime unter Präsident Mubarak Polizei in die Hauptstadt Kairo schickte und in Stellung brachte. Vier Menschen starben bei den gewaltsamen Demonstrationen, und das Innenministerium erklärte, die Polizei werde keine Versammlungen oder Proteste tolerieren, aber trotzdem gehen die Menschen auf die Straße. Das tut auch Amr Hamzawy, Forschungsdirektor der angesehenen amerikanischen Carnegie-Stiftung in Beirut. Einen schönen guten Morgen, Herr Hamzawy!
Amr Hamzawy: Schönen guten Morgen nach Berlin!
Brink: Sie sind aber nicht in Beirut, sondern in Kairo, waren vorgestern auch am Tag des Zorns in Kairo. Haben Sie eine Revolution gesehen?
Hamzawy: Nein, wir haben die Anfänge eines ernsthaften Aufstands gesehen. Das, was wir vorgestern, am Dienstag, den 25. in den Straßen Kairos, Alexandrias und anderer ägyptischer Städte gesehen haben, haben wir, haben die Menschen hier seit 1977, seit den Brot-Unruhen unter Sadat, nicht gesehen. Das ist der erste Aufstand in dieser Dimension unter Mubarak seit 1981. Es ist der erste Aufstand, wo nicht nur politische Forderungen in den Vordergrund gestellt werden, sondern auch sozioökonomische Forderungen, es ist der erste Aufstand, wo so viele junge Ägypter daran teilnehmen, die politisch unorganisiert sind. Das ist alles neu, und ich glaube, dass das Regime auch eben strategisch überrascht ist und dass sie das nicht erwartet haben.
Brink: Das klingt aber doch sehr euphorisch. Haben Sie keine Angst?
Hamzawy: Man hat weiterhin Angst, es gibt neue dauernde Versuche der Sicherheitskräfte. Die Freiheiten, die die Menschen hier, sei es im Internet, dort zu organisieren, … und das Internet hat eine tragende Rolle gespielt am 25. und auch gestern, aber auch etwas Beschränkung, die man als Intellektuelle oder Schriftsteller hier auch im Moment erfährt im Hinblick auf Kommunikation mit den ägyptischen und den arabischsprachigen Medien. Aber im Moment verhalten sie sich immer noch etwas zurückhaltend, die Sicherheitskräfte.
Es gab eine Verhaftungswelle unter Aktivisten vor allem, aber das blieb für ägyptische Verhältnisse in dem Umfang, den man erwartet hat, also mehrere Hunderte, bis jetzt nicht mehrere Tausende. Deshalb hat man im Moment keine Angst und man fühlt sich auch sehr inspiriert von dem, was insgesamt regional passiert ist, in Tunesien, Jordanien und anderswo. Ägypten hat das Recht, die Ägypter haben das Recht, auch eben für ein besseres Land und für ihr Land etwas zu tun und einfach das, was hier herrscht seit drei Jahrzehnten, nicht mehr hinzunehmen.
Brink: Sie haben das Internet angesprochen. Wie informieren Sie sich eigentlich über das, was passiert?
Hamzawy: Das ist eine sehr gute Frage. Vor dem 25. hat man sich vor allem über Facebook und Twitter informiert, über das, was geplant war. Für die letzten zwei Tage … Mehrere von diesen Seiten wurden geblockt seitens der Sicherheitskräfte, im Moment gibt es wenige Facebook-Seiten, auf denen man sieht, was die Aktivisten in mehreren Städten, nicht nur in Kairo … weil in Kairo, weil ich ja eben jetzt hier bin, kann man sich schon frei bewegen und sehen, was passiert. Aber Sie wissen nicht, was in Suez, im Osten des Landes, in Alexandria, in anderen Städten passiert, und hier helfen diese Facebook-Seiten sehr bis jetzt, es ist auch eine Frage der Zeit, ob die geblockt werden.
Brink: Sie haben erwähnt, dass ganz viele junge Leute, junge Ägypter auch auf die Straße gehen. Haben die plötzlich ihre Angst verloren?
Hamzawy: Ich glaube ja, ich glaube, dass die Bilder, die man aus Tunesien gesehen hat, wirklich dazu beigetragen haben, dass viele Ägypter ihre Angst abgelegt haben. Es gibt in Ägypten seit fünf, sechs Jahren eine zunehmende Protestbewegung, aber die Zahlen der Menschen, die wir am 25. gesehen haben und die Tatsache, dass es sich vor allem um junge Ägypter und Ägypterinnen handelte, die Tatsache, dass diese Ägypter politisch unorganisiert sind, dass sie unideologisch sind – es handelte sich nicht um junge Mitglieder der verbotenen Muslimbrüderschaft oder linker oder liberaler Parteien.
Das waren Ägypter, die an Universitäten sind, privaten wie staatlichen, die einfach für ihre Rechte protestiert haben und die das als normal ansehen. Und die diese Angst nach den Bildern aus Tunesien und von Ben Ali in den letzten Tagen, der als ehemaliger stärkster Diktator Nordafrikas zitterte vor dem Zorn der Bevölkerung, das hat die Menschen sehr inspiriert. Man sieht wenig Angst in den Gesichtern in Kairo und in anderen ägyptischen Städten im Moment.
Brink: Wird denn das Regime unter Präsident Mubarak – auch ein sehr autoritäres, obwohl es ja im Westen sehr angesehen ist, gerade in den USA. Zittert Mubarak auch?
Hamzawy: Er zittert, das Regime zittert, und sie zittern deshalb, weil sie das nicht erwartet haben. Wenn man liest, was Vertreter der Regierung vor dem 25. sagten, ihre Erwartung war - 'Hm, es wird sich um die gleichen 400, 500 Aktivisten handeln, die in den letzten sechs Jahren immer wieder den Aufstand erprobten und breite Massen der Ägypter nicht angesprochen haben' – das hat sich geändert. Sie fühlen sich überrascht, sie stehen im Moment vor der Wahl: Sie wissen, dass es mit den Sicherheitskräften so nicht weitergeht, dass auch ein autoritäres Regime die Bevölkerung nicht auf Dauer unterdrücken kann, dass die Sicherheitskräfte nicht auf Dauer auf der Straße stehen können. Und deshalb geht es vor allem darum, ob sie jetzt zu politischen Mitteln greifen werden, ob sie in der Lage sind, die Forderungen, die legitim sind – wenn man sagt, wir brauchen Verfassungsänderungen, wenn man sagt, das Recht zu demonstrieren, ist ein in der ägyptischen Verfassung verankertes Recht, das niemand den Ägyptern absprechen kann, wenn man sagt, Mubarak regiert das Land seit 1981, es ist an der Zeit, dass wir weiterkommen, an der Zeit, dass das politische Feld sich etwas aufmacht, etwas eröffnet, wenn man sagt, dass der Unterschied zwischen Reichtum und Armut in Ägypten so dramatisch geworden ist, dass es sich hier wirklich um mehrere Lebenswelten handelt –, das alles ist legitim. Entweder greifen sie zu politischen Mitteln und nehmen das ernst und setzen das um mit einer klaren Vision, die die Ägypter überzeugt, oder auf Dauer werden sie weiter zittern und die Straße wird nicht zur Ruhe kommen.
Brink: Amr Hamzawy, Forschungsdirektor der angesehenen amerikanischen Carnegie-Stiftung. Aber jetzt ist er in Kairo und erzählte uns, was passiert ist.
Amr Hamzawy: Schönen guten Morgen nach Berlin!
Brink: Sie sind aber nicht in Beirut, sondern in Kairo, waren vorgestern auch am Tag des Zorns in Kairo. Haben Sie eine Revolution gesehen?
Hamzawy: Nein, wir haben die Anfänge eines ernsthaften Aufstands gesehen. Das, was wir vorgestern, am Dienstag, den 25. in den Straßen Kairos, Alexandrias und anderer ägyptischer Städte gesehen haben, haben wir, haben die Menschen hier seit 1977, seit den Brot-Unruhen unter Sadat, nicht gesehen. Das ist der erste Aufstand in dieser Dimension unter Mubarak seit 1981. Es ist der erste Aufstand, wo nicht nur politische Forderungen in den Vordergrund gestellt werden, sondern auch sozioökonomische Forderungen, es ist der erste Aufstand, wo so viele junge Ägypter daran teilnehmen, die politisch unorganisiert sind. Das ist alles neu, und ich glaube, dass das Regime auch eben strategisch überrascht ist und dass sie das nicht erwartet haben.
Brink: Das klingt aber doch sehr euphorisch. Haben Sie keine Angst?
Hamzawy: Man hat weiterhin Angst, es gibt neue dauernde Versuche der Sicherheitskräfte. Die Freiheiten, die die Menschen hier, sei es im Internet, dort zu organisieren, … und das Internet hat eine tragende Rolle gespielt am 25. und auch gestern, aber auch etwas Beschränkung, die man als Intellektuelle oder Schriftsteller hier auch im Moment erfährt im Hinblick auf Kommunikation mit den ägyptischen und den arabischsprachigen Medien. Aber im Moment verhalten sie sich immer noch etwas zurückhaltend, die Sicherheitskräfte.
Es gab eine Verhaftungswelle unter Aktivisten vor allem, aber das blieb für ägyptische Verhältnisse in dem Umfang, den man erwartet hat, also mehrere Hunderte, bis jetzt nicht mehrere Tausende. Deshalb hat man im Moment keine Angst und man fühlt sich auch sehr inspiriert von dem, was insgesamt regional passiert ist, in Tunesien, Jordanien und anderswo. Ägypten hat das Recht, die Ägypter haben das Recht, auch eben für ein besseres Land und für ihr Land etwas zu tun und einfach das, was hier herrscht seit drei Jahrzehnten, nicht mehr hinzunehmen.
Brink: Sie haben das Internet angesprochen. Wie informieren Sie sich eigentlich über das, was passiert?
Hamzawy: Das ist eine sehr gute Frage. Vor dem 25. hat man sich vor allem über Facebook und Twitter informiert, über das, was geplant war. Für die letzten zwei Tage … Mehrere von diesen Seiten wurden geblockt seitens der Sicherheitskräfte, im Moment gibt es wenige Facebook-Seiten, auf denen man sieht, was die Aktivisten in mehreren Städten, nicht nur in Kairo … weil in Kairo, weil ich ja eben jetzt hier bin, kann man sich schon frei bewegen und sehen, was passiert. Aber Sie wissen nicht, was in Suez, im Osten des Landes, in Alexandria, in anderen Städten passiert, und hier helfen diese Facebook-Seiten sehr bis jetzt, es ist auch eine Frage der Zeit, ob die geblockt werden.
Brink: Sie haben erwähnt, dass ganz viele junge Leute, junge Ägypter auch auf die Straße gehen. Haben die plötzlich ihre Angst verloren?
Hamzawy: Ich glaube ja, ich glaube, dass die Bilder, die man aus Tunesien gesehen hat, wirklich dazu beigetragen haben, dass viele Ägypter ihre Angst abgelegt haben. Es gibt in Ägypten seit fünf, sechs Jahren eine zunehmende Protestbewegung, aber die Zahlen der Menschen, die wir am 25. gesehen haben und die Tatsache, dass es sich vor allem um junge Ägypter und Ägypterinnen handelte, die Tatsache, dass diese Ägypter politisch unorganisiert sind, dass sie unideologisch sind – es handelte sich nicht um junge Mitglieder der verbotenen Muslimbrüderschaft oder linker oder liberaler Parteien.
Das waren Ägypter, die an Universitäten sind, privaten wie staatlichen, die einfach für ihre Rechte protestiert haben und die das als normal ansehen. Und die diese Angst nach den Bildern aus Tunesien und von Ben Ali in den letzten Tagen, der als ehemaliger stärkster Diktator Nordafrikas zitterte vor dem Zorn der Bevölkerung, das hat die Menschen sehr inspiriert. Man sieht wenig Angst in den Gesichtern in Kairo und in anderen ägyptischen Städten im Moment.
Brink: Wird denn das Regime unter Präsident Mubarak – auch ein sehr autoritäres, obwohl es ja im Westen sehr angesehen ist, gerade in den USA. Zittert Mubarak auch?
Hamzawy: Er zittert, das Regime zittert, und sie zittern deshalb, weil sie das nicht erwartet haben. Wenn man liest, was Vertreter der Regierung vor dem 25. sagten, ihre Erwartung war - 'Hm, es wird sich um die gleichen 400, 500 Aktivisten handeln, die in den letzten sechs Jahren immer wieder den Aufstand erprobten und breite Massen der Ägypter nicht angesprochen haben' – das hat sich geändert. Sie fühlen sich überrascht, sie stehen im Moment vor der Wahl: Sie wissen, dass es mit den Sicherheitskräften so nicht weitergeht, dass auch ein autoritäres Regime die Bevölkerung nicht auf Dauer unterdrücken kann, dass die Sicherheitskräfte nicht auf Dauer auf der Straße stehen können. Und deshalb geht es vor allem darum, ob sie jetzt zu politischen Mitteln greifen werden, ob sie in der Lage sind, die Forderungen, die legitim sind – wenn man sagt, wir brauchen Verfassungsänderungen, wenn man sagt, das Recht zu demonstrieren, ist ein in der ägyptischen Verfassung verankertes Recht, das niemand den Ägyptern absprechen kann, wenn man sagt, Mubarak regiert das Land seit 1981, es ist an der Zeit, dass wir weiterkommen, an der Zeit, dass das politische Feld sich etwas aufmacht, etwas eröffnet, wenn man sagt, dass der Unterschied zwischen Reichtum und Armut in Ägypten so dramatisch geworden ist, dass es sich hier wirklich um mehrere Lebenswelten handelt –, das alles ist legitim. Entweder greifen sie zu politischen Mitteln und nehmen das ernst und setzen das um mit einer klaren Vision, die die Ägypter überzeugt, oder auf Dauer werden sie weiter zittern und die Straße wird nicht zur Ruhe kommen.
Brink: Amr Hamzawy, Forschungsdirektor der angesehenen amerikanischen Carnegie-Stiftung. Aber jetzt ist er in Kairo und erzählte uns, was passiert ist.