"Ich glaube, wir kehren in eine uralte Weltkarte zurück"

Parag Khanna im Gespräch mit Alexandra Mangel · 25.03.2011
Die klassische Diplomatie ist überholt, sagt Politologe Parag Khanna. Zu den Akteuren der Geopolitik des 21. Jahrhunderts gehörten nicht mehr nur Staatsdiplomaten, sondern vermehrt auch NGOs, Wissenschaftler oder Unternehmen.
Alexandra Mangel: Er ist gegenwärtig einer der einflussreichsten Geopolitologen weltweit, er arbeitet für das Weltwirtschaftsforum in Davos und für den US-Think Tank "New America Foundation". Er hat Barack Obama während des Präsidentschaftswahlkampfs außenpolitisch beraten und – das sei nur nebenbei erwähnt – dabei ist Parag Khanna gerade 33 Jahre alt. Jetzt hat er ein Buch vorgelegt, in dem er nicht weniger als eine neue Weltordnung entwirft – genauer gesagt eine neue Diplomatie, eine Mega-Diplomatie, wie er sie nennt, mit der wir die globalen Probleme und Krisen unserer Welt besser in den Griff bekommen sollen. Herzlich willkommen, Parag Khanna!

Parag Khanna: Vielen Dank!

Mangel: Wir können uns auf Deutsch unterhalten, denn Sie sprechen sechs Sprachen fließend und sind eigentlich selbst ein Vertreter der neuen Spezies, die Sie in Ihrem Buch vorstellen: Der neuen postmodernen Mega-Diplomaten, die eben keine Staatsdiener mehr sind, sondern eine eigene Agenda verfolgen. Wer sind diese neuen Diplomaten und wie regieren sie die Welt?

Khanna: Es sind viele neue Diplomaten, wir reden dann jetzt nicht mehr nur von Staatsdiplomaten vom Auswärtigen Amt, sondern auch diejenigen, die verschiedene Zwecke und Ziele und Causa sozusagen bedienen. Das sind Leute wie George Soros und Bill Gates, diese Philanthropisten. Es sind natürlich auch die Menschenrechtsorganisationen, es sind aber auch Unternehmen, die an der Diplomatie beteiligt sind, dadurch, dass die ganze Gesetze ändern, dass die dann durch das Investment eine viel größere Rolle spielen als die ganze Entwicklungshilfe der Welt von öffentlichen Staatskassen. Also allerlei sind Teilnehmer an der Diplomatie, die setzen die Spielregeln, die machen neue Koalitionen zusammen. Und durch diese mega-diplomatischen Koalitionen werden immer mehr Probleme gelöst oder zumindest angegangen – statt über die traditionellen Institutionen der Vereinten Nationen.

Mangel: Aber ein George Soros, der Milliarden in Nichtregierungsarbeit investiert, oder ein Bill Gates, der sich in Afrika engagiert, verfolgt ja immer auch eine eigene Agenda, der ist ja nicht öffentlich legitimiert. Ist die neue Ordnung der Zukunft eine von privaten Interessen bestimmte?

Khanna: Ich sehe das ganz anders. Die Mehrheit der Gelder, die von der Gates-Stiftung gespendet werden, werden auf Partnerschaften gespendet, und das sind zwar Partnerschaften mit Regierungen. Es ist nicht eine eigene Parallelagenda, die dafür gerichtet ist, den Staat oder die gastgeberische Regierung zu unterwandern, ganz im Gegenteil, die sind eingeladen. Bill Gates hat keine Armee, der hat kein Heer.

Mangel: Aber was hat er anzubieten?

Khanna: Was er anzubieten hat, ist nicht nur Geld, es ist auch Expertise. Auch die Regierungen haben Geld. Wir haben 50 Jahre Entwicklungshilfe gegeben an viele Länder, aber wenig geliefert, was eine Verbesserung des Wohlstands angeht. Es gibt auch die Expertisenfrage: Expertise, warum NGOs überhaupt und Wissenschaftler und Unternehmen immer mehr Anteil haben an der Diplomatie, hinsichtlich Klimawandel Verhandlungen zum Beispiel. Es bedarf natürlich dieser Expertise, aus der akademischen Welt zum Beispiel, was Entwicklungshilfe angeht, es bedarf Expertise von denjenigen, die Mikrokreditprogramme wirklich selbst geleitet haben, auf dem Boden sozusagen in der entwickelten Welt. Das haben traditionelle Diplomaten selbst nicht gemacht, deswegen verbreitet sich dieses Umfeld der Diplomatie.

Mangel: Es sind ja die Staatsdiplomaten alten Schlages, die Diplomaten, die schon 1814 auf dem Wiener Kongress Europa neu geordnet haben, die seit Jahrhunderten die Politik der Nationalstaaten gelenkt haben, die laut Ihrer Analyse schon heute von diesen neuen Nichtregierungsdiplomaten, den neuen Unternehmerdiplomaten an Einfluss weit übertroffen werden. Welche Aufgaben und Ziele hat denn diese alte Diplomatie für Sie weltpolitisch verfolgt?

Khanna: Es ist auf keinen Fall komplett überholt worden, das ist nicht der Ansatz dieses Buchs, sondern dass es ein neues Kooperationsumfeld gibt, wo alle beteiligt sind. Es sind Staaten, die natürlich noch souverän und stark und selbstbewusst und kompetent sind, aber das sind vielleicht die Hälfte der Staaten der Welt. Ich rede nicht von allen, und ich will sie nicht unbedingt zur Seite schieben. Die deutschen Diplomaten sind zum Beispiel immer noch sehr, sehr wichtig, die haben eine technische Kompetenz zum Beispiel. Das haben auch Kanadier und andere Staaten, aber nicht alle. Die Hälfte der Welt besteht aus postkolonialen Staaten, viele von ihnen sind in einem hoch fortgeschrittenen Enthaltungsprozess zu betrachten. Nehmen wir doch mal das Beispiel von Libyen oder Jemen: Sind das wirklich anständige Staaten? Nein, auf keinen Fall.

Mangel: Wenn wir tatsächlich mal die wichtigste weltpolitische Frage nehmen, also die nach Krieg und Frieden, was erwarten Sie denn da vom zunehmenden Einfluss dieser neuen Diplomaten, der Nichtregierungsdiplomaten?

Khanna: Sehr viel. Nehmen wir mal das Beispiel aller Aktivitäten gegen den Terrorismus. Man kann das ewig lange mit militärischen Mitteln bekämpfen, aber was wirklich funktioniert, ist die Arbeitschaffung, das funktioniert über Unternehmen und Investitionen, das bedarf Risikoversicherungen von verschiedenen Banken und von internationalen Behörden, es bedarf natürlich auch neuer Bildungslager, die neu erfunden werden. Deswegen gibt es inzwischen 40 US-amerikanische Universitäten, die neue Campuszweige eröffnet haben im Nahen Osten, weil man auch durch diese intellektuellen geistigen Mittel auch den Terror bekämpfen kann. Es ist natürlich mehrfach zu verstehen, wie man diese Sicherheitsprobleme eigentlich löst. Und von daher gibt es doch eine Rolle von diesen neuen Akteuren.

Mangel: Können Sie noch mal ein Beispiel nennen, wo das jetzt schon aus Ihrer Sicht gut funktioniert?

Khanna: Ja, nehmen wir das Beispiel vom Klimawandel. Man kann ewig lange jedes Jahr große Gipfel auf der UNO-Ebene einrichten, also Kyoto, Bali, Kopenhagen, Cancun, wo auch immer dann die nächsten stattfinden werden, und man kann Jahr nach Jahr tagen, ohne dass es jemals ein universal verpflichtendes Abkommen geben würde. Gleichzeitig kann man aber dann auch in die neue Umwelttechnik investieren, was wirklich Rohstoffe reduziert, und diese Technologien verbreiten. Das bedarf keinerlei dieser großen Gipfel, sondern es braucht Investmentsubventionen, Transfertechnologien, vor allem die Rolle von NGOs und von Unternehmen.

Mangel: Wenn wir jetzt noch mal beim Thema Konfliktlösung bleiben, aber der jüngste Konflikt der Weltgeschichte, der Konflikt in Libyen, zeigt doch gerade, wie alles, wie Wohl und Wehe der Zivilbevölkerung am Funktionieren oder eben Nichtfunktionieren dieser alten Staatsdiplomatie hängt. Ist da die alte Weltordnung nicht voll in Kraft?

Khanna: Die alte Weltordnung im Sinne von einer Staatenwelt oder einer Welt, die von einer kleinen Anzahl von Großmächten gesteuert oder geleitet wird, das sieht man zum Teil im Libyen-Fall, weil das sind natürlich die Machthaber oder die Staaten, die dazu fähig sind, zumindest dieses Regime von Gaddafi zu beseitigen. Aber es gibt auch viele andere Akteure, die dort vorhanden sind, um den Menschenschutz zu gewährleisten. Wenn wir über Libyen hinaus denken und schauen auf die ärmsten 50 Länder der Welt – in Afrika und anderswo, Lateinamerika, Asien –, dass in Bevölkerungen der Wohlstand zum großen Teil von NGOs eigentlich täglich gewährleistet wird. Und der Regierungszustand oder das Governance in diesen Ländern besteht genauso viel aus NGOs und Firmen als von Regierungen selbst.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Politologen Parag Khanna über sein Buch "Wie man die Welt regiert", in dem er die Zukunft der Diplomatie einer postmodernen Nichtregierungsdiplomatie entwirft. Herr Khanna, Sie beschreiben, wie die Bedeutung der Nationalstaaten im Zuge der Globalisierung abnimmt, wenn diese alte Weltordnung sich auflöst. Wie wird die Neue denn dann aussehen? Wer sind die neuen Akteure, die neuen Mächtigen?

Khanna: Ich glaube, wir kehren in eine uralte Weltkarte zurück, und das ist die Weltkarte des Mittelalters. Vor 1000 Jahren waren China und Indien und der Nahe Osten, die islamische Welt sehr stark. Europa war was schwächer und geteilt durch das Heilige Römische Reich und Byzanz, es war auch eine mehrstufige Weltordnung, wo Städte, Firmen, Lohnkämpfer, Kloster, Universitäten, Kirchen, wohlhabende Familien, die haben alle wichtige Rollen gespielt, damals vor 1000 Jahren. Und ich sehe die Rückkehr dieses uralten Modells der Diplomatie.

Mangel: Also Sie glauben, dass sich unsere Welt auf ein neues Mittelalter zubewegt?

Khanna: Ja, ich glaube, dass wir da schon eingestiegen sind.

Mangel: Können Sie das noch mal konkret machen, woran Sie das festmachen, diesen Vergleich?

Khanna: Nehmen wir erst mal den Fall der Städte, also die Wichtigkeit von Städten in der Welt heute: 40 Städte sorgen für ungefähr die Hälfte des Weltbruttoprodukts. Das zeigt, wie wichtig die Städte sind jenseits der Nationalstaaten und wie die eine Basis überhaupt der Globalisierung sind. Sehen wir dann nicht von 200 souveränen Staaten, als ob die alle wirklich gleich zu behandeln sind, sondern reden wir wirklich von diesen Dots auf der Karte – und das sind diese Städte. Also Städte sind ein Beispiel dieser sich entfaltenden neuen Weltordnung.

Mangel: Und wie passt die Globalisierung und der Einfluss des Internets in Ihren Mittelaltervergleich?

Khanna: Sehr wichtig, weil das Internet verbindet neue Gemeinschaften und neuartige Gemeinschaften – Firmen, NGOs, Städte, akademische Institutionen sind alle miteinander direkt vernetzbar, ohne dass es über den Staat geht, ohne dass es über die Regierung geht, ohne dass es über die traditionelle Diplomatie geht.

Mangel: Und wenn Sie jetzt mal beschreiben sollten, wie die neuen Diplomaten, die Sie Mega-Diplomaten nennen, nun in diesem neuen Mittelalter, also in einer sehr zersplitterten, fragmentierten, Sie schreiben selbst in einer unregierbaren Welt etwas ausrichten sollen, wie werden die arbeiten?

Khanna: Die werden zusammenarbeiten durch diese mega-diplomatische Koalition, die ich beschreibe. Das mag eine fragmentierte Welt sein, aber es ist auch eine Welt, über diese verschiedenen Akteure sind ganz viele Ressourcen verteilt, und die Ressourcen können besser zusammenkommen, wenn wir diese verschiedenen Akteure eingliedern in die diplomatische Praxis, statt uns nur auf die Staatenwelt zurückführen zu müssen.

Mangel: Das hieße aber auch, dass dieses neue Mittelalter keine Demokratie mit gleichen Mitbestimmungsrechten und mit öffentlicher Legitimation von Macht mehr kennt.

Khanna: Das haben wir noch nie in der Wirklichkeit gehabt. Das haben wir theoretisch gehabt, aber es gab immer natürlich die Macht der Stärken gegenüber den Schwächen, das gibt es sowieso immer noch. Internationale Demokratie gibt es auf keinen Fall. Aber in dieser neuen Weltordnung von Mega-Diplomatie gibt es etwas mehr gegenseitige Überwachung und Rechenschaft – und das sind die wichtigen Prinzipien einer Demokratie. Demokratie ist eine Art und Weise, eine Rechenschaft herbeizuführen, aber es gibt auch andere Mittel.

Mangel: Und würden Sie in diesem Szenario, das Sie da entwerfen, gerne leben wollen?

Khanna: Wir leben alle schon in diesem Szenario.

Mangel: Der Geopolitologe Parag Khanna, er arbeitet für die amerikanische Denkfabrik, den Think Tank "The New America Foundation" und für das Weltwirtschaftsforum in Davos, und gerade stellt er sein Buch "Wie man die Welt regiert. Eine neue Diplomatie in Zeiten der Verunsicherung" in Deutschland vor. Im Berlin-Verlag ist es erschienen. Danke schön fürs Gespräch, Herr Khanna!

Khanna: Vielen Dank!