"Ich glaube, wir scheitern immer"
Auf dem Filmfestival von Venedig ausgezeichnet, von konservativen Katholiken wegen des Vorwurfs der Blasphemie verklagt - Ulrich Seidls "Paradies: Glaube" spaltet das Publikum. Nach Einschätzung des Regisseurs bricht sein Film ein Tabu, indem er die Verbindungen zwischen katholischer Religion und Sexualität thematisiert.
Christine Watty: Der Filmemacher Ulrich Seidl provoziert, angetrieben von dem Impuls, das öffentliche Bewusstsein für Probleme zu schärfen. In "Paradies: Glaube", dem zweiten Teil seiner Trilogie, der jetzt bei uns in die Kinos kommt, geht es auch um eine kritische Auseinandersetzung mit religiösem Fanatismus an sich, beispielhaft beleuchtet am Fall der eifernden Katholikin Anna Maria.
Dafür gab es einen Preis in Venedig, allerdings auch nach der Filmaufführung dort folgend eine Anzeige wegen Blasphemie einer konservativen katholischen Gruppe. Der Tabubruch ganz klar: die Verbindung katholische Religion und Sexualität. Sie zeigt nämlich auch, wie diese beiden Dinge natürlich zusammengehören, weil sie eben nicht zusammengehören dürfen. Ich habe gestern mit Ulrich Seidl gesprochen und meine erste Frage an ihn war: Warum hat denn diese Verbindung beziehungsweise Nichtverbindung Ihrer Meinung nach so eine Bedeutung?
Ulrich Seidl: Man weiß, das ist auch geschichtlich, dass sehr wohl vor allem auch in Nonnenklöstern Frauen, die sich Gott verschrieben haben und eben nicht verheiratet sind und keine Familie haben und keine Kinder haben, ihren Jesus und ihren Gott als Partner nehmen, den sie sehr wohl auch dann sexuell begehren, in den sie alle ihre Sehnsüchte hineinlegen und in ihrer unfassbaren Einsamkeit, die da ausgeht. Und wenn man jetzt auch sozusagen, wenn man das im Kino sieht, so wie das erzählt wird, und manche Leute sind schockiert, dann kann ich nur wiederum sagen: Ja, die schauen halt nicht so genau hin. Das ist auch eine Wahrheit, und zwar eine wichtige Wahrheit, das natürlich die katholische Kirche nicht so gern sieht.
Watty: Ich wollte gerade sagen, weil die sogenannte Provokation eben erschließt sich in dem Film absolut. Es gibt, wenn man den Film sieht und nachvollzieht, was mit Maria passiert, eigentlich überhaupt auch nicht ein erschreckendes Moment, sondern es ist sehr schlüssig.
Seidl: Es ist schlüssig, es ist ganz klar, dass das passieren wird.
Watty: Ja. Wünschen Sie sich auf irgendeine Art und Weise mehr Empörung noch von der katholischen Kirche, oder sind Sie in diesem Punkt nicht selbst missionarisch, was dieses große Thema des Filmes angeht?
Seidl: Na ja, zunächst einmal zu diesem Blasphemie-Vorwurf: Also, das ist natürlich nicht Blasphemie. Blasphemie heißt, dass man bewusst Gläubige provoziert oder sich über den Glauben lustig macht oder ihn lächerlich macht. Das ist natürlich bei mir gar nicht. Sondern ich zeige etwas, was sehr wohl die katholische Kirche interessieren müsste. Und sie hat sich dazu aber nicht geäußert, möglicherweise aus Strategie, um sich nicht, sozusagen, hier in etwas zu verfangen oder etwas auszuliefern. Weil, ich hätte eigentlich schon ganz gerne ein Statement gehabt vom Vatikan zum Beispiel.
Watty: Die sind wahrscheinlich gerade mit was anderem beschäftigt im Vatikan, vielleicht kommt das, wenn sich die Papst-Aufregung ein bisschen gelegt hat.
Seidl: Möglicherweise. Man munkelt ja schon.
Watty: Es gibt das Symbol der Wandermuttergottes in diesem Film, mit dem Maria dann in ganz unterschiedlich dramatische Alltagssituationen eintritt, wo sie dann eben versucht, Menschen zum Glauben zu bewegen. Haben Sie dafür vorab in echt hinter Türen geschaut – weil, das sind ja sehr harte Situationen teilweise –, um sich vorzustellen, wie man hinterher wiederum die Situation darstellt, dass jemand irgendwo klingelt und dann da einfach 'reinplatzt?
Seidl: Ja, das haben wir natürlich gemacht und das war überhaupt der Anfang dieses Filmprojekts. Also, wir sind mit einer Wandermuttergottes, die wir uns selbst gekauft haben, die Maria Hofstätter in dem Fall, sind wir von Tür zu Tür gegangen und haben einfach ausprobiert, was passieren wird, wenn wir quasi missionieren gehen. Also das war sozusagen unsere Einschulung in das Thema und den Film. Und natürlich erlebt man da ja auch Unglaubliches und das ist aber auch wirklich sehr hart, ein sehr hartes Geschäft. Weil man meistens ja auf Ablehnung stößt. Aber das war richtig, um den Film auch zu recherchieren, eben genau zu recherchieren. Und wie ich ja gehört habe: Angeblich gibt es ja in Österreich mehrere Tausende Wandermuttergottesstatuen, die kursieren, und auch in Süddeutschland auch.
Watty: Sagt der Filmemacher Ulrich Seidl im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" über seinen neuen Film "Paradies: Glaube". Sie erlösen uns ein weiteres Mal nicht, wie es Ihnen zu eigen ist. Es gibt viele Szenen, in denen man eben einen erlösenden Schnitt geradezu herbeiwünscht. Zum Beispiel – bleiben wir bei dieser Wandermuttergottessituation –, in der Maria in der Wohnung einer betrunkenen Frau landet, die sie zu bekehren wünscht, und es wird immer verzweifelter, es wird auch handgreiflich zwischen beiden und man windet sich förmlich auf dem Stuhl oder auf dem Sofa und leidet da mit. Wie weit nehmen Sie sich vor als Filmemacher, in diesen Situationen zu gehen, um sich vorzustellen, was der Zuschauer in dem Moment spürt?
Seidl: Ich versuche ja immer Szenen so zu inszenieren, dass sie so hautnah sind, dass der Zuschauer sozusagen auch angegriffen ist und sich auch fürchtet oder irritiert ist oder auch provoziert wird. Das ist ja ganz wichtig in dieser Art des physischen Kinos, das ich hier versuche zu machen. Weil mein Anliegen ja immer ist, den Zuschauer mit einzubeziehen in diese Welt, die hier gezeigt wird. Weil, er ist auch ein Teil dieser Welt.
Watty: Wie ist es für Sie auch in diesen Situationen? Vielleicht konkret auf "Paradies: Glaube" bezogen, gibt es auch Momente, in denen Sie Ihren Film kaum aushalten können oder wo Sie spüren, es gibt Szenen, da wird das auch für Sie schwierig dabeizubleiben?
Seidl: Das gibt es nicht, weil ich natürlich das schon so, so oft durchlebt habe. Also, ich bin bei der Vorbereitung dabei, ich drehe den Film, ich schneide ihn, das sind letztendlich drei Jahre, die man damit befasst ist. Und ich glaube, sozusagen, meine Bestürzung oder meine Depression oder was immer passiert [ist ] viel früher, bei der Recherche, wenn man sich mit dem Thema befasst, wenn man Menschen kennenlernt und wenn man in diese Welt eintaucht. Da begegnet man Menschen und Lebensverhältnisse, die einem schon manchmal das Fürchten lehren.
Watty: Wie ist denn Ihr persönliches Verhältnis zum Thema Religion?
Seidl: Na ja, dass das Thema Religion eben auch ein Thema immer wieder ist in meinen Filmen, hat natürlich auch mit mir zu tun. Ich komme aus einer sehr katholischen Familie, meine Kindheit und Jugend war davon geprägt. Aber auch meine Rebellion gegen die Kirche, gegen das Elternhaus, gegen die Schule, gegen die falschen Autoritäten hat das ja auch ausgelöst. Und letztendlich hat das auch meinen Blick geschärft und meine Filme sind ja auch immer wieder Versuche, bestimmte Wahrheiten zu zeigen, nämlich dorthin zu schauen, wo es uns möglicherweise auch unangenehm ist. Aber ich glaube, das ist ganz wichtig, weil es ein Mittel ist, sich zu verändern, und weil es immer wieder dazu da ist, ein anderes Bewusstsein zu bekommen.
Watty: Das Paradies, das Ihrer Trilogie voransteht, also Paradies Glaube, Liebe und bald Hoffnung, ist ja ein Sehnsuchtsort, ein Zustand, der unerreichbar bleibt, irgend so ein Idealzustand. Würden Sie sagen, dass es tatsächlich unerreichbare Zustände sind, an denen wir eigentlich nur scheitern können? Denn diesen Eindruck hat man zumindest nach "Paradies: Liebe" genau so wie nach "Paradies: Glaube".
Seidl: Also, ich glaube, dass wir Menschen immer wieder in unserem Leben auf der Suche nach dem Paradies sind. Jeder von uns sucht vielleicht ein anderes Paradies, aber wir ersehnen ja immer einen Zustand des Liebenkönnens oder Geliebtwerdens, oder den Zustand des Glücklichseins oder der Harmonie. Und ich denke, dass man ihn aber auch letztendlich nie erreichen wird. Und trotzdem, trotzdem muss man ihn aber suchen, trotzdem muss man den Sinn des Lebens immer wieder suchen, auch wenn man schon ahnt, dass es keine Erlösung geben wird oder dass es keine, wie sagt man … also, es wird keine Antwort geben!
Watty: Aber es scheint doch ein bisschen so, als müsste man auf dem Weg dorthin, das Paradies zu suchen, durch die Hölle oder auf jeden Fall durch extrem schwierige Zustände. Denn zumindest, wie jetzt auch wieder in "Paradies: Glaube", ist dieses Paradies, wie wir uns das vorstellen, so wahnsinnig weit davon entfernt, von dem, was Maria findet zum Beispiel.
Seidl: Ja, aber da könnte ich nur drauf sagen: Schauen wir uns doch unsere Welt an! Also, schauen wir uns doch an, wie wir Menschen sozusagen, wie viel Probleme es gibt und wie sehr wir das auch versuchen zu überdecken möglicherweise, weil, sonst können wir möglicherweise gar nicht leben! Aber ich glaube, die Aufgabe der Kunst oder dieses Films ist es auch, Dinge zur Disposition zu stellen und Fragen aufzuwerfen und nicht zu bestätigen. Auch wenn das unangenehm ist. Und ich bin ja sozusagen auch nicht … Ich bin ja nur der Überbringer der schlechten Nachrichten mit meinen Filmen. Und ich will ja nichts anderes als den Zuschauer damit auch aufzurufen, sich damit zu beschäftigen.
Watty: Ist eine dieser schlechten Nachrichten eigentlich auch, dass es eine Form des reinen Glaubens gar nicht gibt? Denn Maria findet zum Glauben, nachdem ihr Mann diesen Unfall hatte, sagt das ja auch in diesem Satz: 'Irgendwann, nachdem du den Unfall hattest, es war ein Geschenk Gottes, denn jetzt kann ich, habe ich zu meinem Glauben gefunden.' Es hat aber immer eine, es gibt immer Bedingungen, die dann am Ende zum Glauben führen, und so hören wir das ja auch aus unserem Alltagsumfeld: Jemand findet zum Glauben, nachdem irgendwas geschehen ist. Gibt es gar keine Form von Glauben, weil man es möchte? Braucht man dazu Bedingungen?
Seidl: Ich glaube, das gibt es so nicht, den reinen Glauben. Weil, wir Menschen sind fehlerhaft! Also, ich glaube, wir scheitern immer. Das Ideal, das uns so vorschwebt, das ist auch gut, dass es, dass wir das versuchen einzuholen, aber letztendlich scheitern wir!
Watty: Sagt Ulrich Seidl. Sein Film "Paradies: Glaube" kommt heute in die Kinos. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Dafür gab es einen Preis in Venedig, allerdings auch nach der Filmaufführung dort folgend eine Anzeige wegen Blasphemie einer konservativen katholischen Gruppe. Der Tabubruch ganz klar: die Verbindung katholische Religion und Sexualität. Sie zeigt nämlich auch, wie diese beiden Dinge natürlich zusammengehören, weil sie eben nicht zusammengehören dürfen. Ich habe gestern mit Ulrich Seidl gesprochen und meine erste Frage an ihn war: Warum hat denn diese Verbindung beziehungsweise Nichtverbindung Ihrer Meinung nach so eine Bedeutung?
Ulrich Seidl: Man weiß, das ist auch geschichtlich, dass sehr wohl vor allem auch in Nonnenklöstern Frauen, die sich Gott verschrieben haben und eben nicht verheiratet sind und keine Familie haben und keine Kinder haben, ihren Jesus und ihren Gott als Partner nehmen, den sie sehr wohl auch dann sexuell begehren, in den sie alle ihre Sehnsüchte hineinlegen und in ihrer unfassbaren Einsamkeit, die da ausgeht. Und wenn man jetzt auch sozusagen, wenn man das im Kino sieht, so wie das erzählt wird, und manche Leute sind schockiert, dann kann ich nur wiederum sagen: Ja, die schauen halt nicht so genau hin. Das ist auch eine Wahrheit, und zwar eine wichtige Wahrheit, das natürlich die katholische Kirche nicht so gern sieht.
Watty: Ich wollte gerade sagen, weil die sogenannte Provokation eben erschließt sich in dem Film absolut. Es gibt, wenn man den Film sieht und nachvollzieht, was mit Maria passiert, eigentlich überhaupt auch nicht ein erschreckendes Moment, sondern es ist sehr schlüssig.
Seidl: Es ist schlüssig, es ist ganz klar, dass das passieren wird.
Watty: Ja. Wünschen Sie sich auf irgendeine Art und Weise mehr Empörung noch von der katholischen Kirche, oder sind Sie in diesem Punkt nicht selbst missionarisch, was dieses große Thema des Filmes angeht?
Seidl: Na ja, zunächst einmal zu diesem Blasphemie-Vorwurf: Also, das ist natürlich nicht Blasphemie. Blasphemie heißt, dass man bewusst Gläubige provoziert oder sich über den Glauben lustig macht oder ihn lächerlich macht. Das ist natürlich bei mir gar nicht. Sondern ich zeige etwas, was sehr wohl die katholische Kirche interessieren müsste. Und sie hat sich dazu aber nicht geäußert, möglicherweise aus Strategie, um sich nicht, sozusagen, hier in etwas zu verfangen oder etwas auszuliefern. Weil, ich hätte eigentlich schon ganz gerne ein Statement gehabt vom Vatikan zum Beispiel.
Watty: Die sind wahrscheinlich gerade mit was anderem beschäftigt im Vatikan, vielleicht kommt das, wenn sich die Papst-Aufregung ein bisschen gelegt hat.
Seidl: Möglicherweise. Man munkelt ja schon.
Watty: Es gibt das Symbol der Wandermuttergottes in diesem Film, mit dem Maria dann in ganz unterschiedlich dramatische Alltagssituationen eintritt, wo sie dann eben versucht, Menschen zum Glauben zu bewegen. Haben Sie dafür vorab in echt hinter Türen geschaut – weil, das sind ja sehr harte Situationen teilweise –, um sich vorzustellen, wie man hinterher wiederum die Situation darstellt, dass jemand irgendwo klingelt und dann da einfach 'reinplatzt?
Seidl: Ja, das haben wir natürlich gemacht und das war überhaupt der Anfang dieses Filmprojekts. Also, wir sind mit einer Wandermuttergottes, die wir uns selbst gekauft haben, die Maria Hofstätter in dem Fall, sind wir von Tür zu Tür gegangen und haben einfach ausprobiert, was passieren wird, wenn wir quasi missionieren gehen. Also das war sozusagen unsere Einschulung in das Thema und den Film. Und natürlich erlebt man da ja auch Unglaubliches und das ist aber auch wirklich sehr hart, ein sehr hartes Geschäft. Weil man meistens ja auf Ablehnung stößt. Aber das war richtig, um den Film auch zu recherchieren, eben genau zu recherchieren. Und wie ich ja gehört habe: Angeblich gibt es ja in Österreich mehrere Tausende Wandermuttergottesstatuen, die kursieren, und auch in Süddeutschland auch.
Watty: Sagt der Filmemacher Ulrich Seidl im Deutschlandradio Kultur im "Radiofeuilleton" über seinen neuen Film "Paradies: Glaube". Sie erlösen uns ein weiteres Mal nicht, wie es Ihnen zu eigen ist. Es gibt viele Szenen, in denen man eben einen erlösenden Schnitt geradezu herbeiwünscht. Zum Beispiel – bleiben wir bei dieser Wandermuttergottessituation –, in der Maria in der Wohnung einer betrunkenen Frau landet, die sie zu bekehren wünscht, und es wird immer verzweifelter, es wird auch handgreiflich zwischen beiden und man windet sich förmlich auf dem Stuhl oder auf dem Sofa und leidet da mit. Wie weit nehmen Sie sich vor als Filmemacher, in diesen Situationen zu gehen, um sich vorzustellen, was der Zuschauer in dem Moment spürt?
Seidl: Ich versuche ja immer Szenen so zu inszenieren, dass sie so hautnah sind, dass der Zuschauer sozusagen auch angegriffen ist und sich auch fürchtet oder irritiert ist oder auch provoziert wird. Das ist ja ganz wichtig in dieser Art des physischen Kinos, das ich hier versuche zu machen. Weil mein Anliegen ja immer ist, den Zuschauer mit einzubeziehen in diese Welt, die hier gezeigt wird. Weil, er ist auch ein Teil dieser Welt.
Watty: Wie ist es für Sie auch in diesen Situationen? Vielleicht konkret auf "Paradies: Glaube" bezogen, gibt es auch Momente, in denen Sie Ihren Film kaum aushalten können oder wo Sie spüren, es gibt Szenen, da wird das auch für Sie schwierig dabeizubleiben?
Seidl: Das gibt es nicht, weil ich natürlich das schon so, so oft durchlebt habe. Also, ich bin bei der Vorbereitung dabei, ich drehe den Film, ich schneide ihn, das sind letztendlich drei Jahre, die man damit befasst ist. Und ich glaube, sozusagen, meine Bestürzung oder meine Depression oder was immer passiert [ist ] viel früher, bei der Recherche, wenn man sich mit dem Thema befasst, wenn man Menschen kennenlernt und wenn man in diese Welt eintaucht. Da begegnet man Menschen und Lebensverhältnisse, die einem schon manchmal das Fürchten lehren.
Watty: Wie ist denn Ihr persönliches Verhältnis zum Thema Religion?
Seidl: Na ja, dass das Thema Religion eben auch ein Thema immer wieder ist in meinen Filmen, hat natürlich auch mit mir zu tun. Ich komme aus einer sehr katholischen Familie, meine Kindheit und Jugend war davon geprägt. Aber auch meine Rebellion gegen die Kirche, gegen das Elternhaus, gegen die Schule, gegen die falschen Autoritäten hat das ja auch ausgelöst. Und letztendlich hat das auch meinen Blick geschärft und meine Filme sind ja auch immer wieder Versuche, bestimmte Wahrheiten zu zeigen, nämlich dorthin zu schauen, wo es uns möglicherweise auch unangenehm ist. Aber ich glaube, das ist ganz wichtig, weil es ein Mittel ist, sich zu verändern, und weil es immer wieder dazu da ist, ein anderes Bewusstsein zu bekommen.
Watty: Das Paradies, das Ihrer Trilogie voransteht, also Paradies Glaube, Liebe und bald Hoffnung, ist ja ein Sehnsuchtsort, ein Zustand, der unerreichbar bleibt, irgend so ein Idealzustand. Würden Sie sagen, dass es tatsächlich unerreichbare Zustände sind, an denen wir eigentlich nur scheitern können? Denn diesen Eindruck hat man zumindest nach "Paradies: Liebe" genau so wie nach "Paradies: Glaube".
Seidl: Also, ich glaube, dass wir Menschen immer wieder in unserem Leben auf der Suche nach dem Paradies sind. Jeder von uns sucht vielleicht ein anderes Paradies, aber wir ersehnen ja immer einen Zustand des Liebenkönnens oder Geliebtwerdens, oder den Zustand des Glücklichseins oder der Harmonie. Und ich denke, dass man ihn aber auch letztendlich nie erreichen wird. Und trotzdem, trotzdem muss man ihn aber suchen, trotzdem muss man den Sinn des Lebens immer wieder suchen, auch wenn man schon ahnt, dass es keine Erlösung geben wird oder dass es keine, wie sagt man … also, es wird keine Antwort geben!
Watty: Aber es scheint doch ein bisschen so, als müsste man auf dem Weg dorthin, das Paradies zu suchen, durch die Hölle oder auf jeden Fall durch extrem schwierige Zustände. Denn zumindest, wie jetzt auch wieder in "Paradies: Glaube", ist dieses Paradies, wie wir uns das vorstellen, so wahnsinnig weit davon entfernt, von dem, was Maria findet zum Beispiel.
Seidl: Ja, aber da könnte ich nur drauf sagen: Schauen wir uns doch unsere Welt an! Also, schauen wir uns doch an, wie wir Menschen sozusagen, wie viel Probleme es gibt und wie sehr wir das auch versuchen zu überdecken möglicherweise, weil, sonst können wir möglicherweise gar nicht leben! Aber ich glaube, die Aufgabe der Kunst oder dieses Films ist es auch, Dinge zur Disposition zu stellen und Fragen aufzuwerfen und nicht zu bestätigen. Auch wenn das unangenehm ist. Und ich bin ja sozusagen auch nicht … Ich bin ja nur der Überbringer der schlechten Nachrichten mit meinen Filmen. Und ich will ja nichts anderes als den Zuschauer damit auch aufzurufen, sich damit zu beschäftigen.
Watty: Ist eine dieser schlechten Nachrichten eigentlich auch, dass es eine Form des reinen Glaubens gar nicht gibt? Denn Maria findet zum Glauben, nachdem ihr Mann diesen Unfall hatte, sagt das ja auch in diesem Satz: 'Irgendwann, nachdem du den Unfall hattest, es war ein Geschenk Gottes, denn jetzt kann ich, habe ich zu meinem Glauben gefunden.' Es hat aber immer eine, es gibt immer Bedingungen, die dann am Ende zum Glauben führen, und so hören wir das ja auch aus unserem Alltagsumfeld: Jemand findet zum Glauben, nachdem irgendwas geschehen ist. Gibt es gar keine Form von Glauben, weil man es möchte? Braucht man dazu Bedingungen?
Seidl: Ich glaube, das gibt es so nicht, den reinen Glauben. Weil, wir Menschen sind fehlerhaft! Also, ich glaube, wir scheitern immer. Das Ideal, das uns so vorschwebt, das ist auch gut, dass es, dass wir das versuchen einzuholen, aber letztendlich scheitern wir!
Watty: Sagt Ulrich Seidl. Sein Film "Paradies: Glaube" kommt heute in die Kinos. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.