"Ich hab auch Personen erfunden"
Zwar spielen bestimmte biografische Daten der Schweizer Autorin Melinda Nadj Abonji eine Rolle in "Tauben fliegen auf". Dennoch ist der Roman keine Rückkehr in ihre eigene Vergangenheit, sagt die Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2010.
Joachim Scholl: Da hat sich gestern Abend jemand ganz doll gefreut! In Frankfurt am Main im Kaisersaal des Frankfurter Römer verkündete der Vorsteher des Deutschen Börsenvereins Gottfried Honnefelder eine Überraschung: Die Schweizer Autorin Melinda Nadj Abonji galt unter den sechs Finalisten eher als Außenseiter – die Jury hat das anders gesehen und den Roman "Tauben fliegen auf" zum eben besten deutschen Roman 2010 gekürt. Das ist der Sinn des Deutschen Buchpreises, den es seit fünf Jahren gibt, dotiert mit 25.000 Euro für den Gewinner; jeweils 2500 Euro erhalten die übrigen fünf Finalisten. Wir hatten am Anschluss an die Verleihung Gelegenheit mit der glücklichen Preisträgerin zu sprechen. Und die ersten Worte an Melinda Nadj Abonji mussten natürlich lauten: Herzlichen Glückwunsch zum Deutschen Buchpreis!
Melinda Nadj Abonji: Vielen Dank!
Scholl: Beim Deutschen Buchpreis, Frau Abonji, ist es ja im Gegensatz zu anderen Literaturpreisen schon eine besondere Situation, in einem Festsaal zu sitzen und nicht zu wissen, ob man nun den Preis bekommt, sechs Autoren sind im Finale. War das nicht merkwürdig für Sie?
Abonji: Doch. Doch, klar. Ich meine, ich habe mich ja noch gefreut, dass mein Verleger da war, meine Lektorin und einfach der Verlag halt, und deswegen habe ich das so relativ gelassen genommen. Also ich dachte einfach, gut ja, das ist jetzt so, wie es ist, aber ... ja.
Scholl: Hatten Sie damit gerechnet, vielleicht ein bisschen so, den Preis zu bekommen?
Abonji: Nein, nein. Ich habe das allen gesagt und ich sag es Ihnen auch gerne noch mal.
Scholl: Und wie erlebt man dann diesen Augenblick, wenn der eigene Name fällt?
Abonji: Ja das ist einfach ... Im ersten Moment ist nichts, und dann ist immer noch, es ist unmöglich. Und dann okay, jetzt musst du was sagen!
Scholl: Überlegt man sich das vorher ...
Abonji: ... schaltet der Kopf ein ... Entschuldigung?
Scholl: Ja, überlegt man sich das eigentlich vorher, was man sagt? Also natürlich tut man das, also so wie bei der Oscar-Verleihung: Wenn es denn sein sollte. Hatten Sie sich das überlegt?
Abonji: Ja also ich meine, darauf aufmerksam wurde ich ja gemacht vom Verlag, das versteht sich ja von selbst. Also das solltest du dir ein bisschen überlegen, falls und so. Ich hätte das nicht gemacht und am Schluss war es auch ein Freestyle. Also ich hab dann einfach, ich hab mir schon ein paar Sachen aufgeschrieben, aber irgendwie bin ich da nicht so reingekommen. Da hab ich gedacht, Mensch ja ...
Scholl: Lassen Sie uns über Ihr Buch reden, Frau Abonji. Sie sind 1968 in Serbien, in der Vojvodina geboren, sind in der Schweiz aufgewachsen, haben dort auch deutsche Literatur und Geschichte studiert. Und Ihr Roman "Tauben fliegen auf" erzählt nun eine Familiengeschichte, ja die bei aller literarischen Verfremdung doch auch Ihre persönliche ist, das haben Sie auch schon deutlich gemacht. Ist dieses Buch so eine Art ja Rückkehr in die Vergangenheit?
Abonji: Nein, Rückkehr ist es natürlich nicht, weil die Erinnerung ist ja auch nur teilweise eingelöst. Also es gibt sehr viele Dinge, an die kann ich mich erinnern und die waren dann einfach nicht Thema, weil es dann irgendwann sehr schnell eine Eigendynamik gibt des Textes. Und da fallen Dinge weg und eben, ich hab auch Personen erfunden. Also für mich ist einfach, die Fantasie ist sehr, sehr wichtig beim Schreiben. Auch wenn es den Anschein hat, natürlich diese biografischen Daten, die Sie jetzt aufgezählt haben, die stimmen und das will ich auch nicht verleugnen. Aber auch ein großer Teil ist wirklich weg von meinem Leben. Das würde mich einfach nicht interessieren, mein Leben zu schreiben. Und das geht ja gar nicht.
Scholl: Wie sind Sie zu diesem Buch gekommen?
Abonji: Ich habe vor sechs Jahren damit begonnen und ich habe eigentlich, unmittelbar nachdem ich meinen ersten Roman beendet habe, war ich eben eingeladen von der Schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia, mit verschiedenen Künstlern zusammenzuarbeiten. Und zwar haben sie mich in die französische Schweiz eingeladen. Und als ich da war eben, hab ich mich einfach an sehr vieles erinnert aus meiner frühen Kindheit. Und gleichzeitig war irgendwie Abstimmung, ein Abstimmungskampf über die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation in der Schweiz, und da hingen eben sehr viele Plakate, die eben gegen diese Abstimmung Stimmung machten und ...
Scholl: ... der Schweizer Volkspartei ...
Abonji: ... ja genau, und das war auch so ein Moment, wo eben eruptiv einfach Erinnerungen eingesetzt haben, eben negative Erinnerungen, Erinnerungen an Erfahrungen, die meine Familie gemacht hat in der Schweiz. Und diese beiden Pole, die eben, die eigentlich relevant sind fürs Buch, die, ja die waren da einfach da. Und ich wusste, dass das einfach sehr, sehr lange Zeit mich beschäftigen wird.
Scholl: Politik und ja vor allem auch der Krieg in Jugoslawien spielt eine wichtige Rolle in dem Buch, was er für die Menschen bedeutet, eben auch für die Schweizer Serben. Wie war das für Sie selbst, Frau Abonji, in dieser Zeit? Sie waren ja doch noch sehr jung.
Abonji: Puh ja, jung, aber sehr wahrnehmungsfähig. Also ich meine ich war 20, bisschen mehr als 20, und es hat mich einfach sehr belastet, weil einfach eben sehr viel darüber geredet worden ist, es wurde sehr Stimmung gemacht eben gegen die Serben vor allem ...
Scholl: ... in der Schweiz auch ...
Abonji: ... ja, in der Schweiz und eben gegen die Gastarbeiter. Also eben es war einfach ein Schimpfwort: Jugo! Und in den 70er-Jahren waren eben die Jugos sehr gebildete Menschen, die man eben geholt hat und die, die konnten ja auch ausreisen, das war auch eine Politik von Tito, dass, weil man natürlich dadurch die Verwandten unterstützen konnte mit Devisen und so weiter. Also dieses Bild hat sich total geändert. Also das waren so diese Vorzeigeausländer in den 70er-Jahren, und in den 90er-Jahren wurden sie beschimpft als Jugos. Und wir waren dann natürlich so weder Fisch noch Vogel, respektive wir als Ungarischsprechende gehörten irgendwie dazu und nicht und, aber eben viele Leute dachten auch, wir seien Serbokroaten. Also na ja, das ist irgendwie zu kompliziert, aber ich meine jetzt, während des Krieges fand ich das sehr, sehr belastend, einfach auch nicht zu wissen, was einfach passiert. Also weil das tatsächlich so war, dass wir oft nichts von den Verwandten gehört haben, nicht wussten, ob sie genügend zu Essen haben, ob da jetzt eben ... Als der Konflikt in Bosnien so eskaliert ist, hab ich mir dann auch gedacht, das könnte jetzt genau so in der Vojvodina geschehen, weil das eben so von der Bevölkerungsvielfalt genau so, also sehr ähnlich die Situation war. Und insofern war das eine sehr schwierige Zeit, aber eigentlich habe ich mit Freunden und Freundinnen – ich war ja damals an der Uni auch –, hab ich überhaupt nicht diskutiert, ich hatte keine Lust.
Scholl: Und dieser Roman ist jetzt eine Art ja literarischer Vergegenwärtigung dieser Zeit?
Abonji: Ja also es ist, es ist natürlich schon so: Gewisse Dinge haben dann einfach sehr viel Zeit gebraucht, um mich überhaupt damit zu beschäftigen. Also ich hab, die Zeitungsartikel von 1993, die hab ich einfach alle gelesen, also die ich bekommen konnte natürlich. Es gibt in Zürich so ein Sozialarchiv, das ist sehr gut bestückt, das hab ich alles kopiert und gelesen, und das war auch schrecklich, also weil ich da wirklich im Nachhinein so wirklich so eingetaucht bin in diese Berichterstatterwelt und weil das ja eben auch diese Ebene ist: In der Cafeteria wird oft von den Gästen so expertenhaft darüber geredet, wie jetzt eben die Situation ist auf dem Balkan, und da wollte ich einfach, genau ...
Scholl: ... die Cafeteria, das ist ein Schauplatz in Ihrem Roman.
Abonji: ... genau, die Cafeteria ist eigentlich ein sehr zentraler Schauplatz. Und das wollte ich dann einfach noch mal genauer wissen: Also was wurde da eigentlich berichtet, also es ist ein Teil auch wirklich Mediengeschichte in diesem Buch. Also Sätze, die die Leute sagen, das sind wirklich Sätze, die gedruckt worden sind in Zeitungen, teilweise Sätze, die ich aufgeschnappt habe. Und 2006 war ich mehrere Monate in Serbien, um zu recherchieren, um mit den Leuten über den Krieg zu sprechen. Und ja, das war dann schon sehr berührend und ... Ja, was da alles passiert ist. Und das war auch schrecklich, einfach die Auswirkung zu sehen, also die Armut und ... Die Bombardements, das war ja dann gar nicht Thema, so 1999 die Bombardements der NATO, das wäre dann eben für mich ein zweites Buch natürlich. Also, weil es hört, ja 1993 auf, der Text.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Melinda Nadj Abonji, sie hat den diesjährigen Buch ... , Deutschen Buchpreis erhalten für ihren Roman "Tauben fliegen auf". Frau Abonji, das ist Ihr zweiter Roman. Zuvor haben Sie schon aber auch etliche Auszeichnungen, Stipendien erhalten, 2004 am Bachmann-Literaturwettbewerb in Klagenfurt teilgenommen; daneben sind Sie aber auch als Performerin und Musikerin aufgetreten, haben mit einem bekannten Rapper zusammengearbeitet. Geht das so Hand in Hand, Literatur und Musik, für Sie?
Abonji: Ja, Literatur ist für mich immer Musik. Also ich gehe immer vom Text aus, auch wenn ich danach einen Text vortrage. Ich mache ja eigentlich nichts Spektakuläres, also ich trage Texte vor, die sind manchmal dann eben von Raplyriker Jurczok 1001 begleitet, respektive konterkariert. Also mich interessiert eigentlich Begleitung gar nicht, also musikalische Begleitung. Aber eben fürs Schreiben ist für mich Musik zentral schon immer, das ist einfach das Herzstück meiner Arbeit.
Scholl: Nun sind Sie Deutscher-Buchpreis-Trägerin 2010, Frau Abonji. Der Preis ist in den letzten Jahren zu einem der ja wichtigsten Preise, deutschsprachigen Preise geworden, auch weil er schon einen ziemlichen Schub beim Publikum erzeugt, da rollt jetzt ziemlicher Ruhm auf Sie zu. Wissen Sie das?
Abonji: Ja was soll ich dazu sagen? Klar, ich werde mal schauen, wie das ist.
Scholl: Viele Leser werden jedenfalls in den Buchhandlungen nach Ihrem Roman fragen, Ihr österreichischer Verlag Jung und Jung wird sich auch freuen, dort ist "Tauben fliegen auf" erschienen. Noch einmal Glückwunsch an Sie, Melinda Nadj Abunji ...
Abonji: ... vielen Dank ...
Scholl: ... alles Gute und schönen Dank für dieses Gespräch!
Abonji: Ja, bitte.
Scholl: Und wir werden am kommenden Samstag hier im Programm von Deutschlandradio Kultur dann Melinda Nadj Abonji wieder hören mit einer Lesung aus dem preisgekrönten Buch "Tauben fliegen auf" um 17:30 Uhr.
Melinda Nadj Abonji: Vielen Dank!
Scholl: Beim Deutschen Buchpreis, Frau Abonji, ist es ja im Gegensatz zu anderen Literaturpreisen schon eine besondere Situation, in einem Festsaal zu sitzen und nicht zu wissen, ob man nun den Preis bekommt, sechs Autoren sind im Finale. War das nicht merkwürdig für Sie?
Abonji: Doch. Doch, klar. Ich meine, ich habe mich ja noch gefreut, dass mein Verleger da war, meine Lektorin und einfach der Verlag halt, und deswegen habe ich das so relativ gelassen genommen. Also ich dachte einfach, gut ja, das ist jetzt so, wie es ist, aber ... ja.
Scholl: Hatten Sie damit gerechnet, vielleicht ein bisschen so, den Preis zu bekommen?
Abonji: Nein, nein. Ich habe das allen gesagt und ich sag es Ihnen auch gerne noch mal.
Scholl: Und wie erlebt man dann diesen Augenblick, wenn der eigene Name fällt?
Abonji: Ja das ist einfach ... Im ersten Moment ist nichts, und dann ist immer noch, es ist unmöglich. Und dann okay, jetzt musst du was sagen!
Scholl: Überlegt man sich das vorher ...
Abonji: ... schaltet der Kopf ein ... Entschuldigung?
Scholl: Ja, überlegt man sich das eigentlich vorher, was man sagt? Also natürlich tut man das, also so wie bei der Oscar-Verleihung: Wenn es denn sein sollte. Hatten Sie sich das überlegt?
Abonji: Ja also ich meine, darauf aufmerksam wurde ich ja gemacht vom Verlag, das versteht sich ja von selbst. Also das solltest du dir ein bisschen überlegen, falls und so. Ich hätte das nicht gemacht und am Schluss war es auch ein Freestyle. Also ich hab dann einfach, ich hab mir schon ein paar Sachen aufgeschrieben, aber irgendwie bin ich da nicht so reingekommen. Da hab ich gedacht, Mensch ja ...
Scholl: Lassen Sie uns über Ihr Buch reden, Frau Abonji. Sie sind 1968 in Serbien, in der Vojvodina geboren, sind in der Schweiz aufgewachsen, haben dort auch deutsche Literatur und Geschichte studiert. Und Ihr Roman "Tauben fliegen auf" erzählt nun eine Familiengeschichte, ja die bei aller literarischen Verfremdung doch auch Ihre persönliche ist, das haben Sie auch schon deutlich gemacht. Ist dieses Buch so eine Art ja Rückkehr in die Vergangenheit?
Abonji: Nein, Rückkehr ist es natürlich nicht, weil die Erinnerung ist ja auch nur teilweise eingelöst. Also es gibt sehr viele Dinge, an die kann ich mich erinnern und die waren dann einfach nicht Thema, weil es dann irgendwann sehr schnell eine Eigendynamik gibt des Textes. Und da fallen Dinge weg und eben, ich hab auch Personen erfunden. Also für mich ist einfach, die Fantasie ist sehr, sehr wichtig beim Schreiben. Auch wenn es den Anschein hat, natürlich diese biografischen Daten, die Sie jetzt aufgezählt haben, die stimmen und das will ich auch nicht verleugnen. Aber auch ein großer Teil ist wirklich weg von meinem Leben. Das würde mich einfach nicht interessieren, mein Leben zu schreiben. Und das geht ja gar nicht.
Scholl: Wie sind Sie zu diesem Buch gekommen?
Abonji: Ich habe vor sechs Jahren damit begonnen und ich habe eigentlich, unmittelbar nachdem ich meinen ersten Roman beendet habe, war ich eben eingeladen von der Schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia, mit verschiedenen Künstlern zusammenzuarbeiten. Und zwar haben sie mich in die französische Schweiz eingeladen. Und als ich da war eben, hab ich mich einfach an sehr vieles erinnert aus meiner frühen Kindheit. Und gleichzeitig war irgendwie Abstimmung, ein Abstimmungskampf über die erleichterte Einbürgerung der zweiten Generation in der Schweiz, und da hingen eben sehr viele Plakate, die eben gegen diese Abstimmung Stimmung machten und ...
Scholl: ... der Schweizer Volkspartei ...
Abonji: ... ja genau, und das war auch so ein Moment, wo eben eruptiv einfach Erinnerungen eingesetzt haben, eben negative Erinnerungen, Erinnerungen an Erfahrungen, die meine Familie gemacht hat in der Schweiz. Und diese beiden Pole, die eben, die eigentlich relevant sind fürs Buch, die, ja die waren da einfach da. Und ich wusste, dass das einfach sehr, sehr lange Zeit mich beschäftigen wird.
Scholl: Politik und ja vor allem auch der Krieg in Jugoslawien spielt eine wichtige Rolle in dem Buch, was er für die Menschen bedeutet, eben auch für die Schweizer Serben. Wie war das für Sie selbst, Frau Abonji, in dieser Zeit? Sie waren ja doch noch sehr jung.
Abonji: Puh ja, jung, aber sehr wahrnehmungsfähig. Also ich meine ich war 20, bisschen mehr als 20, und es hat mich einfach sehr belastet, weil einfach eben sehr viel darüber geredet worden ist, es wurde sehr Stimmung gemacht eben gegen die Serben vor allem ...
Scholl: ... in der Schweiz auch ...
Abonji: ... ja, in der Schweiz und eben gegen die Gastarbeiter. Also eben es war einfach ein Schimpfwort: Jugo! Und in den 70er-Jahren waren eben die Jugos sehr gebildete Menschen, die man eben geholt hat und die, die konnten ja auch ausreisen, das war auch eine Politik von Tito, dass, weil man natürlich dadurch die Verwandten unterstützen konnte mit Devisen und so weiter. Also dieses Bild hat sich total geändert. Also das waren so diese Vorzeigeausländer in den 70er-Jahren, und in den 90er-Jahren wurden sie beschimpft als Jugos. Und wir waren dann natürlich so weder Fisch noch Vogel, respektive wir als Ungarischsprechende gehörten irgendwie dazu und nicht und, aber eben viele Leute dachten auch, wir seien Serbokroaten. Also na ja, das ist irgendwie zu kompliziert, aber ich meine jetzt, während des Krieges fand ich das sehr, sehr belastend, einfach auch nicht zu wissen, was einfach passiert. Also weil das tatsächlich so war, dass wir oft nichts von den Verwandten gehört haben, nicht wussten, ob sie genügend zu Essen haben, ob da jetzt eben ... Als der Konflikt in Bosnien so eskaliert ist, hab ich mir dann auch gedacht, das könnte jetzt genau so in der Vojvodina geschehen, weil das eben so von der Bevölkerungsvielfalt genau so, also sehr ähnlich die Situation war. Und insofern war das eine sehr schwierige Zeit, aber eigentlich habe ich mit Freunden und Freundinnen – ich war ja damals an der Uni auch –, hab ich überhaupt nicht diskutiert, ich hatte keine Lust.
Scholl: Und dieser Roman ist jetzt eine Art ja literarischer Vergegenwärtigung dieser Zeit?
Abonji: Ja also es ist, es ist natürlich schon so: Gewisse Dinge haben dann einfach sehr viel Zeit gebraucht, um mich überhaupt damit zu beschäftigen. Also ich hab, die Zeitungsartikel von 1993, die hab ich einfach alle gelesen, also die ich bekommen konnte natürlich. Es gibt in Zürich so ein Sozialarchiv, das ist sehr gut bestückt, das hab ich alles kopiert und gelesen, und das war auch schrecklich, also weil ich da wirklich im Nachhinein so wirklich so eingetaucht bin in diese Berichterstatterwelt und weil das ja eben auch diese Ebene ist: In der Cafeteria wird oft von den Gästen so expertenhaft darüber geredet, wie jetzt eben die Situation ist auf dem Balkan, und da wollte ich einfach, genau ...
Scholl: ... die Cafeteria, das ist ein Schauplatz in Ihrem Roman.
Abonji: ... genau, die Cafeteria ist eigentlich ein sehr zentraler Schauplatz. Und das wollte ich dann einfach noch mal genauer wissen: Also was wurde da eigentlich berichtet, also es ist ein Teil auch wirklich Mediengeschichte in diesem Buch. Also Sätze, die die Leute sagen, das sind wirklich Sätze, die gedruckt worden sind in Zeitungen, teilweise Sätze, die ich aufgeschnappt habe. Und 2006 war ich mehrere Monate in Serbien, um zu recherchieren, um mit den Leuten über den Krieg zu sprechen. Und ja, das war dann schon sehr berührend und ... Ja, was da alles passiert ist. Und das war auch schrecklich, einfach die Auswirkung zu sehen, also die Armut und ... Die Bombardements, das war ja dann gar nicht Thema, so 1999 die Bombardements der NATO, das wäre dann eben für mich ein zweites Buch natürlich. Also, weil es hört, ja 1993 auf, der Text.
Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Melinda Nadj Abonji, sie hat den diesjährigen Buch ... , Deutschen Buchpreis erhalten für ihren Roman "Tauben fliegen auf". Frau Abonji, das ist Ihr zweiter Roman. Zuvor haben Sie schon aber auch etliche Auszeichnungen, Stipendien erhalten, 2004 am Bachmann-Literaturwettbewerb in Klagenfurt teilgenommen; daneben sind Sie aber auch als Performerin und Musikerin aufgetreten, haben mit einem bekannten Rapper zusammengearbeitet. Geht das so Hand in Hand, Literatur und Musik, für Sie?
Abonji: Ja, Literatur ist für mich immer Musik. Also ich gehe immer vom Text aus, auch wenn ich danach einen Text vortrage. Ich mache ja eigentlich nichts Spektakuläres, also ich trage Texte vor, die sind manchmal dann eben von Raplyriker Jurczok 1001 begleitet, respektive konterkariert. Also mich interessiert eigentlich Begleitung gar nicht, also musikalische Begleitung. Aber eben fürs Schreiben ist für mich Musik zentral schon immer, das ist einfach das Herzstück meiner Arbeit.
Scholl: Nun sind Sie Deutscher-Buchpreis-Trägerin 2010, Frau Abonji. Der Preis ist in den letzten Jahren zu einem der ja wichtigsten Preise, deutschsprachigen Preise geworden, auch weil er schon einen ziemlichen Schub beim Publikum erzeugt, da rollt jetzt ziemlicher Ruhm auf Sie zu. Wissen Sie das?
Abonji: Ja was soll ich dazu sagen? Klar, ich werde mal schauen, wie das ist.
Scholl: Viele Leser werden jedenfalls in den Buchhandlungen nach Ihrem Roman fragen, Ihr österreichischer Verlag Jung und Jung wird sich auch freuen, dort ist "Tauben fliegen auf" erschienen. Noch einmal Glückwunsch an Sie, Melinda Nadj Abunji ...
Abonji: ... vielen Dank ...
Scholl: ... alles Gute und schönen Dank für dieses Gespräch!
Abonji: Ja, bitte.
Scholl: Und wir werden am kommenden Samstag hier im Programm von Deutschlandradio Kultur dann Melinda Nadj Abonji wieder hören mit einer Lesung aus dem preisgekrönten Buch "Tauben fliegen auf" um 17:30 Uhr.