"Ich habe es zunächst mal gar nicht geglaubt"
Der Leiter des Filmarchivs der Stiftung Deutsche Kinemathek, Martin Koerber, hielt die Entdeckung jahrzehntelang verschollener Szenen des Klassikers "Metropolis" 2008 in Argentinien zunächst nicht für sensationell. Nachdem er die Nachricht bekommen habe, habe er gedacht: "Das kennen wir sicherlich schon", sagte der "Metropolis"-Rekonstrukteur.
Susanne Führer: Und einer, der sich diesem Film ganz verschrieben hat, ist Martin Koerber. Er leitet das Filmarchiv der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin und war bereits für die letzte Edition der "Metropolis"-Restaurierung von 2001 mitverantwortlich, wie auch für die neue. Herzlich willkommen, Herr Koerber!
Martin Koerber: Guten Tag!
Führer: Was ging in Ihnen vor, als Sie von dem Fund in Buenos Aires erfahren haben?
Koerber: Ich habe es zunächst mal gar nicht geglaubt. Also ich bekam einen Anruf, glaube ich, oder eine E-Mail, ich weiß es nicht mehr genau, und da hieß es, es wäre ein 16-Millimeter-Material in Buenos Aires und wir müssten jetzt unbedingt sofort am nächsten Wochenende nach Buenos Aires fahren und das begutachten.
Und ich habe gedacht: Solche Anrufe habe ich schon öfter gehabt in den letzten zehn Jahren, und es war immer irgendein 16-Millimeter-Material, und wahrscheinlich ist das eine Kopie, die jemand da am Goethe-Institut mal vergessen hat, das kennen wir sicherlich schon.
Es war dann ein bisschen später, dass – die Argentinier waren klug genug, das zu einem Experten nach Madrid zu schicken, den ich auch kenne und dem ich vertraue, und der hat sich das auf einer Videokassette angesehen und mir dann eine Mail geschrieben und hat gesagt: It's the real thing. Und dann wussten wir, dass das doch wichtig war.
Führer: Sie wussten ja immer, Herr Koerber, dass etwas fehlt an der Fassung, die Sie noch hatten, aber nicht was, oder?
Koerber: Doch, wir wussten sehr genau was, weil "Metropolis" glücklicherweise ein Film ist, der sehr gut dokumentiert ist. Dadurch war es auch überhaupt schon möglich, die Fassung, die zunächst in den 80er-Jahren im Münchener Filmmuseum von Enno Patalas gemacht worden war, zu erarbeiten und dann darauf basierend das, was 2001 erschienen ist.
Und was wir wussten, wussten wir aus dem Drehbuch. Wir hatten die Zensurkarte, in der die Zwischentiteltexte in der richtigen Reihenfolge stehen und auf der auch steht, wie lange jede Rolle war und so weiter. Und die wichtigste Quelle war die Musik, denn die Musik gibt ja ein ganz klares Zeitraster vor. Was in dem Film vorkommt, wird von einer Musik begleitet und ist ein Zeitablauf wie in einer Oper.
Führer: Und davon hatten Sie noch den Klavierauszug?
Koerber: Wir haben den Klavierauszug und wir haben auch die Originalpartituren, also die handschriftlichen Noten, die der Komponist geschrieben hat, und die sind sehr genau annotiert, beziehungsweise im gedruckten Klavierauszug sind Stichworte eingedruckt, damit der Dirigent immer weiß, wo er ist in dem Film. Der muss ja synchron zu dem Film dirigieren – damals wurde ja die Musik live gespielt und war nicht auf dem Film als Tonspur drauf.
Und dadurch weiß man in der Musik immer genau, was zu sehen ist. Man kann die erhaltenen Teile des Films anhand dieser drei Raster, die man sozusagen über das Material legen kann, sehr gut neu anordnen, und dann sieht man, was wohin gehört, und man sieht auch, was fehlt, weil natürlich Lücken entstehen.
Führer: Also gab es eigentlich gar keine Überraschungen für Sie durch diesen Fund in Buenos Aires?
Koerber: Ja, die Überraschung war, dass das so genau aufging. Wir wussten aus dem Drehbuch natürlich, was dort stattfinden muss, und hatten das Drehbuch ja auch benutzt, um die Überbrückungstexte zu schreiben in der Fassung, die 2001 und auch vorher schon entstanden war, wo ja die Lücken markiert sind und wo das, was man zum Verständnis der Handlung braucht, was aber nicht zu sehen ist, dargestellt wird als Text.
Und die Überraschung war für mich eigentlich eher, zu sehen, dass es genauso ist, wie man sich es vorgestellt hat und dass es so gut passt. Das war natürlich auch eine große Genugtuung zu sehen, dass also die Rekonstruktionsmaßnahmen, die man gemacht hat, auch tatsächlich die Sache so treffen, dass das, was jetzt hinzukommt, so genau einzupassen ist.
Führer: Also sozusagen eine Bestätigung Ihrer Arbeit für die Fassung von 2001.
Koerber: Absolut, aber nicht nur meiner Arbeit, auch der Arbeit der Leute, die das vorher schon versucht haben. Das ist ja so, dass bei "Metropolis" eine generationenlange Beschäftigung mit diesem Film schon seit Mitte der 30er-Jahre stattgefunden hat.
Führer: Also ein wirkliches Gesamtkunstwerk in diesem Fall. Noch mal zum Verständnis: Diese Kürzungen, die damals schon 1927 vorgenommen worden sind, sind da eigentlich nur sogenannte Längen rausgenommen worden, oder hat das eigentlich auch die Handlung des Films verändert?
Koerber: Das hat die Handlung des Films sehr stark verändert. Also ein Ziel der Bearbeitung war sicherlich, den Film kürzer oder schneller zu machen, weil deutsche Filme in Amerika immer als zu langsam galten, aber die Handlung ist auch ganz entscheidend verändert worden. Es sind also tatsächlich die Kernpersonen der Handlung entfernt oder so beschnitten worden und neu arrangiert worden, dass der Film eine andere Handlung hat.
Der Film, wie er in Amerika gelaufen ist und wie er eben dann lange auch nur bekannt war überall, war im Grunde so eine Art Frankenstein-Geschichte. Also verrückter Erfinder bastelt an Roboter, und der Roboter gerät außer Kontrolle und macht alles kaputt. Und das ist jetzt, wie Sie sehen werden, gar nicht mehr der Fall, sondern das ist ein Film, der doch ein bisschen mehr Handlung enthält als nur das.
Führer: Wie verlief denn jetzt eigentlich die Rekonstruktion? Theoretisch hätten Sie ja jetzt einfach diese argentinische Fassung nehmen können und sie digital bearbeiten und alles gut, oder?
Koerber: Nee, so einfach ist es nicht, denn die argentinische Fassung ist in einem Zustand, der eigentlich jenseits jeder Bearbeitung oder Restaurierung ist, muss man leider sagen. Das Material ist kein Original mehr der Entstehungszeit, sondern eine Umkopierung auf Basis einer sehr, sehr abgespielten und zerstörten Nitrokopie, die also vor 1927 war, und die ist vermutlich vor ungefähr 40 Jahren in Argentinien kopiert worden, aber leider verkleinert worden auf 16 Millimeter.
Dabei sind auch Teile abgeschnitten worden vom Bild. Und alle Schäden, die die alte Kopie hatte, also Ölflecken, Schmutz, Staub, Schrammen und Beschädigungen jeder Art sind leider nicht gereinigt worden und abgewischt und irgendwie sonst beseitigt worden bei dieser Kopierung, sondern mit kopiert worden und sind jetzt Teil des fotografischen Bildes und entsprechend schwer zu entfernen. Die einzige Lösung war also, von diesem Material so viel wie nötig, aber auch so wenig wie möglich zu nehmen und es digital zu bearbeiten.
Aber man wird trotzdem den Unterschied zu dem ja ansonsten sehr schön erhaltenen Material, das auf das Originalnegativ zurückgeht, sehr deutlich sehen. Also der ruinöse Charakter, den dieser Film seit 80 Jahren nun hat, der bleibt in gewisser Weise erhalten. Man kann es vielleicht vergleichen auch ein bisschen mit dem Neuen Museum hier in Berlin, wo Chipperfield ja versucht hat, die Beschädigungen des Gebäudes nicht auszublenden bei der Wiedererrichtung, sondern sie als Teil der Geschichte des Hauses zu begreifen und auch zu erhalten.
Und so ähnlich ist das jetzt bei "Metropolis" auch. Also man hat zwar wieder die Form, aber es ist an einigen Stellen deutliche Beschädigung zu sehen, und man kann also verfolgen, was mal rausgenommen worden ist. Das ist nämlich das, was so schlecht aussieht.
Führer: Und ist das jetzt die Version der Uraufführung von 1927, die wir jetzt zu sehen bekommen?
Koerber: Also das ist die Version der Uraufführung, soweit man sie wiederherstellen kann. Es fehlen uns ungefähr zwei bis drei Minuten, würde ich schätzen, und es gibt zwei Stellen, wo wir weiterhin nur mit einem Schrifttäfelchen Ihnen erklären können, was da mal gewesen sein muss. Aber ansonsten ist es also der komplette Film, der eben an einigen Stellen etwas ramponiert aussieht, aber doch vorhanden ist.
Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Martin Koerber von der Stiftung Deutscher Kinemathek über den Film "Metropolis", der endlich in einer Fassung vorliegt, die, ja, fast dem Original entspricht. Herr Koerber, "Metropolis" ist ja ein Film der Superlative. Zu seiner Entstehungszeit war er der teuerste deutsche Film, und weil ihn dann niemand sehen wollte, hat er die UFA ruiniert – also erst einmal, die hat sich dann wieder erholt.
Später war er dann der erste Film, der von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt wurde, und viele Künstler haben ja Motive aus dem Film für ihr Werk verwendet. Was fasziniert Sie denn an "Metropolis"?
Koerber: Na ja, mich kann man da nicht unbedingt mitzählen, weil ich habe ja eine Berufskrankheit, also mich interessiert der Film als Restaurator, weil es ein Film ist, der diese starke Veränderungen erfahren hat, die man aber nun wieder rückgängig machen konnte, und der so viel anderes Material mit sich trägt, das man verwenden kann, um das wiederherzustellen.
Wir haben ja sehr selten den Fall, dass wir einen Film haben, zu dem wir sehr viel Material haben, in verschiedenen Fassung, zu dem wir außerdem noch 800 Standfotos haben, zu dem wir die Musikpartitur haben, zu dem wir das Drehbuch haben und die Zensurkarte und noch Berichte von Zeitzeugen und, und, und, also jede Menge Sekundärmaterial, aus der man die Rekonstruktion sehr gut wieder hinkriegen kann. Das ist in der Regel ja nicht der Fall – man hat ein Material und muss damit klarkommen.
Insofern ist also dieser Film auch für den Restaurator ein gefundenes Fressen und ein Spezialfall und ein Genuss, weil es so gut geht. Und der Film funktioniert, glaube ich, deswegen heute noch so gut – er ist ja immer ausverkauft, also Sie können ja "Metropolis" zeigen, in welcher Fassung auch immer, wenn ich den auf Super 8 zeige, dann kommen auch Leute –, weil er so viel aufgreift an Geistesgeschichte und kulturellen Anregungen, die auch Leuten, die sich gar nicht mit Geistesgeschichte und Kulturgeschichte beschäftigen, was bietet.
Also es ist ein Film, der von der UFA selbst ja als ein Film mit kommunistischer Tendenz beurteilt wurde. Von der kommunistischen Presse wurde er für faschistisch gehalten. Wenn Sie sich den Film ansehen, dann werden Sie sehr viel christliche Mythologie entdecken, und, und, und.
Also es sind ganz viele Dinge, die über Jahrhunderte zurückreichen, da verarbeitet, und noch die Ästhetik der 20er-Jahre – Expressionismus bis Bauhaus und sonst wohin, Futurismus, Roboter und so weiter. Er ist ja auch einer der ersten Science-Fiction-Filme, könnte man sagen, und als solcher ist er vielleicht am bekanntesten und unter den Sci-Fi-Fans am höchst geschätzten.
Also es ist für jeden was dabei. Und zu meiner eigenen Überraschung ist dieser ja auch etwas monströse Film, der nicht nur teuer war, der auch teuer aussieht und der eben irgendwie doch sehr großartig daherkommt mit dem wahnsinnigen Button ...
Führer: Und sehr monströs.
Koerber: Er hat etwas Monströses, ist eben ein Film, der vielen alles bietet oder allen vieles bietet und irgendwie funktioniert.
Führer: Aber wenn Sie jetzt mal Ihren Restauratorenkittel abstreifen, ist das ein Film, den Sie mögen?
Koerber: Ich kann den Kittel nicht mehr abstreifen. Also ich hab so viel Zeit mit diesem Film verbracht, dass ich eigentlich diesen Schritt zurück nicht mehr tun kann. Für mich ist in dem Film alles plausibel und aufeinander bezogen und wunderbar, aber das mag für andere anders sein.
Führer: Was meinen Sie, Herr Koerber, wäre Fritz Lang froh über diese rekonstruierte Fassung? Er war ja damals zugegen, kann man ja so sagen, als die Kürzungen vorgenommen worden sind.
Koerber: Ja, er war mit den Kürzungen natürlich überhaupt nicht einverstanden. Also es gibt ein Interview mit ihm, das in London geführt wurde, nachdem die englischen Kritiker beim Start in England entdeckten, dass der Film ganz anders aussah, als sie ihn aus der Uraufführung in Erinnerung hatten.
Und da hat er sich sehr verbittert darüber geäußert, dass der Film gegen seinen Willen so verändert worden ist, und die Amerikaner wären das schuld und er würde nie nach Amerika mehr fahren und so weiter. Das ist dann ein bisschen anders gekommen, weil er ja Berlin verlassen musste und dann doch in Amerika gelandet ist und auch weiter arbeiten konnte. Aber natürlich wäre Lang, hoffe ich, mit dem, was wir gemacht haben, doch einverstandener mit dem, als was die Paramount damals gemacht hat.
Führer: Martin Koerber, Leiter des Filmarchivs der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin. Im Museum für Film und Fernsehen in Berlin eröffnet heute die Sonderausstellung "The Complete Metropolis", und am 12. Februar gibt es den Film dann auch noch mal in Gänze zu sehen. Wir werden natürlich darüber berichten. Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Koerber!
Martin Koerber: Guten Tag!
Führer: Was ging in Ihnen vor, als Sie von dem Fund in Buenos Aires erfahren haben?
Koerber: Ich habe es zunächst mal gar nicht geglaubt. Also ich bekam einen Anruf, glaube ich, oder eine E-Mail, ich weiß es nicht mehr genau, und da hieß es, es wäre ein 16-Millimeter-Material in Buenos Aires und wir müssten jetzt unbedingt sofort am nächsten Wochenende nach Buenos Aires fahren und das begutachten.
Und ich habe gedacht: Solche Anrufe habe ich schon öfter gehabt in den letzten zehn Jahren, und es war immer irgendein 16-Millimeter-Material, und wahrscheinlich ist das eine Kopie, die jemand da am Goethe-Institut mal vergessen hat, das kennen wir sicherlich schon.
Es war dann ein bisschen später, dass – die Argentinier waren klug genug, das zu einem Experten nach Madrid zu schicken, den ich auch kenne und dem ich vertraue, und der hat sich das auf einer Videokassette angesehen und mir dann eine Mail geschrieben und hat gesagt: It's the real thing. Und dann wussten wir, dass das doch wichtig war.
Führer: Sie wussten ja immer, Herr Koerber, dass etwas fehlt an der Fassung, die Sie noch hatten, aber nicht was, oder?
Koerber: Doch, wir wussten sehr genau was, weil "Metropolis" glücklicherweise ein Film ist, der sehr gut dokumentiert ist. Dadurch war es auch überhaupt schon möglich, die Fassung, die zunächst in den 80er-Jahren im Münchener Filmmuseum von Enno Patalas gemacht worden war, zu erarbeiten und dann darauf basierend das, was 2001 erschienen ist.
Und was wir wussten, wussten wir aus dem Drehbuch. Wir hatten die Zensurkarte, in der die Zwischentiteltexte in der richtigen Reihenfolge stehen und auf der auch steht, wie lange jede Rolle war und so weiter. Und die wichtigste Quelle war die Musik, denn die Musik gibt ja ein ganz klares Zeitraster vor. Was in dem Film vorkommt, wird von einer Musik begleitet und ist ein Zeitablauf wie in einer Oper.
Führer: Und davon hatten Sie noch den Klavierauszug?
Koerber: Wir haben den Klavierauszug und wir haben auch die Originalpartituren, also die handschriftlichen Noten, die der Komponist geschrieben hat, und die sind sehr genau annotiert, beziehungsweise im gedruckten Klavierauszug sind Stichworte eingedruckt, damit der Dirigent immer weiß, wo er ist in dem Film. Der muss ja synchron zu dem Film dirigieren – damals wurde ja die Musik live gespielt und war nicht auf dem Film als Tonspur drauf.
Und dadurch weiß man in der Musik immer genau, was zu sehen ist. Man kann die erhaltenen Teile des Films anhand dieser drei Raster, die man sozusagen über das Material legen kann, sehr gut neu anordnen, und dann sieht man, was wohin gehört, und man sieht auch, was fehlt, weil natürlich Lücken entstehen.
Führer: Also gab es eigentlich gar keine Überraschungen für Sie durch diesen Fund in Buenos Aires?
Koerber: Ja, die Überraschung war, dass das so genau aufging. Wir wussten aus dem Drehbuch natürlich, was dort stattfinden muss, und hatten das Drehbuch ja auch benutzt, um die Überbrückungstexte zu schreiben in der Fassung, die 2001 und auch vorher schon entstanden war, wo ja die Lücken markiert sind und wo das, was man zum Verständnis der Handlung braucht, was aber nicht zu sehen ist, dargestellt wird als Text.
Und die Überraschung war für mich eigentlich eher, zu sehen, dass es genauso ist, wie man sich es vorgestellt hat und dass es so gut passt. Das war natürlich auch eine große Genugtuung zu sehen, dass also die Rekonstruktionsmaßnahmen, die man gemacht hat, auch tatsächlich die Sache so treffen, dass das, was jetzt hinzukommt, so genau einzupassen ist.
Führer: Also sozusagen eine Bestätigung Ihrer Arbeit für die Fassung von 2001.
Koerber: Absolut, aber nicht nur meiner Arbeit, auch der Arbeit der Leute, die das vorher schon versucht haben. Das ist ja so, dass bei "Metropolis" eine generationenlange Beschäftigung mit diesem Film schon seit Mitte der 30er-Jahre stattgefunden hat.
Führer: Also ein wirkliches Gesamtkunstwerk in diesem Fall. Noch mal zum Verständnis: Diese Kürzungen, die damals schon 1927 vorgenommen worden sind, sind da eigentlich nur sogenannte Längen rausgenommen worden, oder hat das eigentlich auch die Handlung des Films verändert?
Koerber: Das hat die Handlung des Films sehr stark verändert. Also ein Ziel der Bearbeitung war sicherlich, den Film kürzer oder schneller zu machen, weil deutsche Filme in Amerika immer als zu langsam galten, aber die Handlung ist auch ganz entscheidend verändert worden. Es sind also tatsächlich die Kernpersonen der Handlung entfernt oder so beschnitten worden und neu arrangiert worden, dass der Film eine andere Handlung hat.
Der Film, wie er in Amerika gelaufen ist und wie er eben dann lange auch nur bekannt war überall, war im Grunde so eine Art Frankenstein-Geschichte. Also verrückter Erfinder bastelt an Roboter, und der Roboter gerät außer Kontrolle und macht alles kaputt. Und das ist jetzt, wie Sie sehen werden, gar nicht mehr der Fall, sondern das ist ein Film, der doch ein bisschen mehr Handlung enthält als nur das.
Führer: Wie verlief denn jetzt eigentlich die Rekonstruktion? Theoretisch hätten Sie ja jetzt einfach diese argentinische Fassung nehmen können und sie digital bearbeiten und alles gut, oder?
Koerber: Nee, so einfach ist es nicht, denn die argentinische Fassung ist in einem Zustand, der eigentlich jenseits jeder Bearbeitung oder Restaurierung ist, muss man leider sagen. Das Material ist kein Original mehr der Entstehungszeit, sondern eine Umkopierung auf Basis einer sehr, sehr abgespielten und zerstörten Nitrokopie, die also vor 1927 war, und die ist vermutlich vor ungefähr 40 Jahren in Argentinien kopiert worden, aber leider verkleinert worden auf 16 Millimeter.
Dabei sind auch Teile abgeschnitten worden vom Bild. Und alle Schäden, die die alte Kopie hatte, also Ölflecken, Schmutz, Staub, Schrammen und Beschädigungen jeder Art sind leider nicht gereinigt worden und abgewischt und irgendwie sonst beseitigt worden bei dieser Kopierung, sondern mit kopiert worden und sind jetzt Teil des fotografischen Bildes und entsprechend schwer zu entfernen. Die einzige Lösung war also, von diesem Material so viel wie nötig, aber auch so wenig wie möglich zu nehmen und es digital zu bearbeiten.
Aber man wird trotzdem den Unterschied zu dem ja ansonsten sehr schön erhaltenen Material, das auf das Originalnegativ zurückgeht, sehr deutlich sehen. Also der ruinöse Charakter, den dieser Film seit 80 Jahren nun hat, der bleibt in gewisser Weise erhalten. Man kann es vielleicht vergleichen auch ein bisschen mit dem Neuen Museum hier in Berlin, wo Chipperfield ja versucht hat, die Beschädigungen des Gebäudes nicht auszublenden bei der Wiedererrichtung, sondern sie als Teil der Geschichte des Hauses zu begreifen und auch zu erhalten.
Und so ähnlich ist das jetzt bei "Metropolis" auch. Also man hat zwar wieder die Form, aber es ist an einigen Stellen deutliche Beschädigung zu sehen, und man kann also verfolgen, was mal rausgenommen worden ist. Das ist nämlich das, was so schlecht aussieht.
Führer: Und ist das jetzt die Version der Uraufführung von 1927, die wir jetzt zu sehen bekommen?
Koerber: Also das ist die Version der Uraufführung, soweit man sie wiederherstellen kann. Es fehlen uns ungefähr zwei bis drei Minuten, würde ich schätzen, und es gibt zwei Stellen, wo wir weiterhin nur mit einem Schrifttäfelchen Ihnen erklären können, was da mal gewesen sein muss. Aber ansonsten ist es also der komplette Film, der eben an einigen Stellen etwas ramponiert aussieht, aber doch vorhanden ist.
Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Martin Koerber von der Stiftung Deutscher Kinemathek über den Film "Metropolis", der endlich in einer Fassung vorliegt, die, ja, fast dem Original entspricht. Herr Koerber, "Metropolis" ist ja ein Film der Superlative. Zu seiner Entstehungszeit war er der teuerste deutsche Film, und weil ihn dann niemand sehen wollte, hat er die UFA ruiniert – also erst einmal, die hat sich dann wieder erholt.
Später war er dann der erste Film, der von der UNESCO zum Weltdokumentenerbe erklärt wurde, und viele Künstler haben ja Motive aus dem Film für ihr Werk verwendet. Was fasziniert Sie denn an "Metropolis"?
Koerber: Na ja, mich kann man da nicht unbedingt mitzählen, weil ich habe ja eine Berufskrankheit, also mich interessiert der Film als Restaurator, weil es ein Film ist, der diese starke Veränderungen erfahren hat, die man aber nun wieder rückgängig machen konnte, und der so viel anderes Material mit sich trägt, das man verwenden kann, um das wiederherzustellen.
Wir haben ja sehr selten den Fall, dass wir einen Film haben, zu dem wir sehr viel Material haben, in verschiedenen Fassung, zu dem wir außerdem noch 800 Standfotos haben, zu dem wir die Musikpartitur haben, zu dem wir das Drehbuch haben und die Zensurkarte und noch Berichte von Zeitzeugen und, und, und, also jede Menge Sekundärmaterial, aus der man die Rekonstruktion sehr gut wieder hinkriegen kann. Das ist in der Regel ja nicht der Fall – man hat ein Material und muss damit klarkommen.
Insofern ist also dieser Film auch für den Restaurator ein gefundenes Fressen und ein Spezialfall und ein Genuss, weil es so gut geht. Und der Film funktioniert, glaube ich, deswegen heute noch so gut – er ist ja immer ausverkauft, also Sie können ja "Metropolis" zeigen, in welcher Fassung auch immer, wenn ich den auf Super 8 zeige, dann kommen auch Leute –, weil er so viel aufgreift an Geistesgeschichte und kulturellen Anregungen, die auch Leuten, die sich gar nicht mit Geistesgeschichte und Kulturgeschichte beschäftigen, was bietet.
Also es ist ein Film, der von der UFA selbst ja als ein Film mit kommunistischer Tendenz beurteilt wurde. Von der kommunistischen Presse wurde er für faschistisch gehalten. Wenn Sie sich den Film ansehen, dann werden Sie sehr viel christliche Mythologie entdecken, und, und, und.
Also es sind ganz viele Dinge, die über Jahrhunderte zurückreichen, da verarbeitet, und noch die Ästhetik der 20er-Jahre – Expressionismus bis Bauhaus und sonst wohin, Futurismus, Roboter und so weiter. Er ist ja auch einer der ersten Science-Fiction-Filme, könnte man sagen, und als solcher ist er vielleicht am bekanntesten und unter den Sci-Fi-Fans am höchst geschätzten.
Also es ist für jeden was dabei. Und zu meiner eigenen Überraschung ist dieser ja auch etwas monströse Film, der nicht nur teuer war, der auch teuer aussieht und der eben irgendwie doch sehr großartig daherkommt mit dem wahnsinnigen Button ...
Führer: Und sehr monströs.
Koerber: Er hat etwas Monströses, ist eben ein Film, der vielen alles bietet oder allen vieles bietet und irgendwie funktioniert.
Führer: Aber wenn Sie jetzt mal Ihren Restauratorenkittel abstreifen, ist das ein Film, den Sie mögen?
Koerber: Ich kann den Kittel nicht mehr abstreifen. Also ich hab so viel Zeit mit diesem Film verbracht, dass ich eigentlich diesen Schritt zurück nicht mehr tun kann. Für mich ist in dem Film alles plausibel und aufeinander bezogen und wunderbar, aber das mag für andere anders sein.
Führer: Was meinen Sie, Herr Koerber, wäre Fritz Lang froh über diese rekonstruierte Fassung? Er war ja damals zugegen, kann man ja so sagen, als die Kürzungen vorgenommen worden sind.
Koerber: Ja, er war mit den Kürzungen natürlich überhaupt nicht einverstanden. Also es gibt ein Interview mit ihm, das in London geführt wurde, nachdem die englischen Kritiker beim Start in England entdeckten, dass der Film ganz anders aussah, als sie ihn aus der Uraufführung in Erinnerung hatten.
Und da hat er sich sehr verbittert darüber geäußert, dass der Film gegen seinen Willen so verändert worden ist, und die Amerikaner wären das schuld und er würde nie nach Amerika mehr fahren und so weiter. Das ist dann ein bisschen anders gekommen, weil er ja Berlin verlassen musste und dann doch in Amerika gelandet ist und auch weiter arbeiten konnte. Aber natürlich wäre Lang, hoffe ich, mit dem, was wir gemacht haben, doch einverstandener mit dem, als was die Paramount damals gemacht hat.
Führer: Martin Koerber, Leiter des Filmarchivs der Stiftung Deutsche Kinemathek in Berlin. Im Museum für Film und Fernsehen in Berlin eröffnet heute die Sonderausstellung "The Complete Metropolis", und am 12. Februar gibt es den Film dann auch noch mal in Gänze zu sehen. Wir werden natürlich darüber berichten. Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Koerber!