"Ich habe immer noch einen Riesenspaß an der Musik"

Moderation: Britta Bürger |
Er sei praktisch ohne Kinderlieder aufgewachsen, sagt der Kinderliedermacher und promovierte Soziolinguist Fredrik Vahle. Daher sei bereits früh der Impuls entstanden, Lieder zu schreiben, die nicht nur Kinder selbst, sondern auch das innere Kind in ihm und in anderen Erwachsenen ansprechen.
Britta Bürger: Der will euch was erzählen, was sagen und was singen, zum Beispiel: "Hau mich, hau mich, hau mich, hau mich lieber nicht", der Kinderliedermacher und promovierte Soziolinguist Fredrik Vahle. Am Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag.

"Einspielung Geburtstagslied"

Im Lied darf man das, aber nicht am Telefon, da sage ich nur schönen guten Morgen und gratuliere noch nicht vorab, Fredrik Vahle. Hallo!

Fredrik Vahle: Hallo, hallo!

Bürger: Mit was für Kinderliedern sind Sie eigentlich selbst aufgewachsen?

Vahle: Praktisch mit keinen Kinderliedern, denn meine Mutter hat nicht gesungen, der hatten sie beim Arbeitsdienst bei den Nazis das Singen von Volksliedern verleidet, die musste das damals tun, hat es deshalb nicht wieder getan, und mein Vater, der hat so CVJM-Volkslieder gesungen, "Nun kommen die lustigen Tage". Dann gab es noch ein Kindermädchen, und die hat so alte Schlager gesungen "Ein zartes Naturkind" und "Schauerliche Moritat von einem Soldaten" und so was. Das waren praktisch die Kinderlieder, mit denen ich aufgewachsen bin. Und die ... so diese klassischen Kinderlieder, da habe ich so ein paar gelernt im Kindergarten, also "Alle meine Entchen", "Hänschen klein", "Fuchs, du hast die Gans gestohlen", das kannte ich natürlich auch. Aber so die markanten Lieder aus meiner Kindheit waren eigentlich diese alten Schlager und Volkslieder.

Bürger: Das heißt, da schrie regelrecht was in Ihnen, dem was entgegenzusetzen?

Vahle: Kann sein, dass damals schon so ein erster Impuls entstanden ist, also Lieder zu schreiben, die sozusagen das innere Kind in mir ansprechen – und wenn es denn die realen Kinder anspricht, umso besser.

Bürger: In dem Lied "Die Rübe", da geht es um Kinder in einer multikulturellen Nachbarschaft, die eine dicke Rübe gemeinsam aus der Erde ziehen, eben nicht nur Paul, Fritz und Klaus, sondern auch Antonio und Carlo. Hat diese Art von politischer Früherziehung tatsächlich funktioniert oder war das nicht auch ein bisschen konstruiert?

Vahle: "Die Rübe" war ja sozusagen das erste Bewegungslied, was ich geschrieben habe, da hat das funktioniert, wobei das gar nicht so wichtig ist, ob das jetzt Italiener sind und Deutsche, es können auch irgendwie andere Unterschiede zwischen den Kindern sein. Auf alle Fälle ist es so, dass das Lied zeigt, dass jeder Einzelne stark sein muss, damit dann alle gemeinsam die Rübe rausziehen können. Und das ist eigentlich so etwas, was in vielen Kinderspielen auch vorkommt, und das finde ich nicht politisch aufgesetzt.

Bürger: Was meinen Sie mit Bewegungslied?

Vahle: Bewegungslied, das heißt, dass der Text nicht nur gesungen wird, sondern dass da auch Lautgebärden dazukommen und einzelne Teile der Handlung von den Kindern so in direkter Aktion gespielt werden.

Bürger: Kinder lieben das ja, wenn sie Lieder singen können, in denen sie mit rumhampeln können und alles Mögliche dazu machen können, in denen Regelverstöße vorkommen, Grenzen übertreten würden und oft auch richtig schöner Unsinn gedichtet wird. Worauf muss man achten, damit ein Kind ein Lied wirklich witzig findet, dass das dann auch ankommt?

Vahle: Na ja, das ist sehr unterschiedlich. Das kommt auf die Stimmung des Kindes an, die Situation und so weiter. Was bei Kindern immer gut ankommt, ist, wenn sie selber mitmachen können, wenn sie selber mitdenken können, aber auch, wenn es so Dinge gibt, die ihnen vielleicht unbekannt vorkommen, aber die sie faszinieren. Also ein Lied kann durchaus auch was Geheimnisvolles haben, umso besser. Also zum Beispiel die "Anne Kaffeekanne", die kommt in alle möglichen unterschiedlichen Orte dieser Erde und es gefällt auch schon kleineren Kindern, die mit diesen Orten direkt, also geografisch, noch gar nicht viel anfangen können.

"Musikeinspielung "Anne Kaffeekanne""

Bürger: Fredrik Vahle, gehörte zu dem Lied die lila Latzhose?

Vahle: Nicht unbedingt. Ich hatte nie eine.

Bürger: Aber die Mütter dieser Mädchen vielleicht, die diese Lieder hören sollten.

Vahle: Das weiß ich nicht.

Bürger: Worauf ich hinauswill: Ist das der feministische Aspekt, der da auch eingeflossen ist in dieser Zeit in Ihre Texte? Also waren das nicht nur Unisex-Lieder, sondern tatsächlich dann doch auch welche, die eher die Mädchen angesprochen haben ganz bewusst?

Vahle: Ich habe damals die "Anne Kaffeekanne" geschrieben, es gab das Lied von der Postfrau, ich hatte auch so kritische Briefe bekommen, also wo sich Mütter beschwert haben, dass die Jungs so eine dominante Rolle gespielt haben in den Liedern. Und dann habe ich gedacht, na ja, also gut, Mädchen singen oft "Hänschen klein", ohne sich viel dabei zu denken, da kann es ja eben auch mal eine weibliche Hauptfigur geben, und dann ist die "Anne Kaffeekanne" entstanden.

Bürger: Sie haben als Soziolinguist über Kindersprache und Kinderlied habilitiert, lehren auch noch immer als außerplanmäßiger Professor an der Universität in Gießen. Ich habe mich gefragt – das ist doch wahnsinnig schwer, wenn man so viel Hintergrund und Überbau hat –, wie man das dann schafft, immer wieder zu einer so einfachen Form zurückzukommen? Was sind für Sie Kriterien für ein gutes Kinderlied?

Vahle: Na ja, das liegt doch daran, dass ich das eigentlich seit Anfang meiner Berufslaufbahn parallel gemacht habe, also die wissenschaftliche Arbeit und die Arbeit mit den Kinderliedern, und da gab es immer so verschiedene Brücken, schon am Anfang. Und deswegen fällt mir das, weil ich das schon immer gemacht habe, auch nicht schwer, die wissenschaftliche Arbeit und die Arbeit in den Liedern miteinander zu verbinden, obwohl das zum Teil ganz, ganz unterschiedliche Bereiche sind. Also da haben Sie recht, das kann man eigentlich nicht so direkt in Bezug setzen. Um mal einen so einen Berührungspunkt zu nennen: Bei dem Lied von der Rübe, da habe ich vorher Recherchen gemacht an Schulen hier in Lollar, und da kam wirklich mal so ein Kindergespräch vor, wo ein Junge sagte: Die Italiener, das sind doch Spaghettifresser, und dann sagte ein Mädchen, ja, du hast dich doch aber an Spaghetti neulich fast überfressen. Und dann lachten sie alle. Und das war so eine kleine Episode, die ist dann auch in das Lied eingegangen.

"Musikeinspielung "Die Rübe""

Bürger: Das waren die Kinder der ersten Gastarbeitergeneration in Deutschland, die Sie da mit eingebaut haben. Welche anderen, neuen Themen haben Sie damals ins Kinderliedgut eingebracht?

Vahle: Ich habe damals eine CD gemacht mit Friedensliedern, dann gab es vor fünf Jahren eine über Wale und Delphine, dann gab es eine CD für das Ökologische Landschulheim in Licherode, also mit ökologischen Themen, und wie gesagt, eine CD, die schon etwas älter ist, die hieß "Der Elefant" und da waren so türkisch-deutsche, italienisch-deutsche und griechisch-deutsche Kinderlieder drin, wobei die griechische Musik und die spanische Musik immer einen sehr großen Einfluss auf meine Lieder hatten.

Bürger: "Kawuras, der Krebs" zum Beispiel.

Vahle: Ja, genau.

Bürger: Warum? Wie kam das dazu, dass dieses Südeuropäische Sie so angezogen hat? Sie leben glaube ich zum Teil auf Gomera.

Vahle: Ja, also ich bin schon als Student, eigentlich schon als Schüler, da sind wir nach Spanien getrampt, und seitdem bin ich eigentlich regelmäßig jedes Jahr nach Spanien gefahren, dann auch nach Griechenland, und da hat mich die Musik ganz besonders angesprochen, weil die zum Teil so meine, wie soll ich sagen, meine tiefsten Gefühle angesprochen hat. Also das war für mich eigentlich nichts Fremdes, sondern das war wie so eine Wiederentdeckung eines Teils von mir, in der griechischen Folklore und dann eben auch in der spanischen, das heißt, insbesondere im Flamenco, aber auch in den spanischen Volksliedern aus anderen Teilen von Spanien.

Bürger: Hannes Wader wird dieser Tage auch 70 Jahre alt. Hat er die Lieder für die erwachsenen Achtundsechziger geschrieben und Sie die für die Kinder?

Vahle: Also ich würde meine Lieder nicht als Lieder für die Achtundsechziger bezeichnen, weil ich damals eigentlich schon, also auch mit den politischen Kinderliedern, ein breiteres Spektrum erreicht habe als die Achtundsechziger selber.

Bürger: Haben Sie eigentlich selbst Kinder oder Enkelkinder?

Vahle: Ich habe keine Kinder, nein.

Bürger: Wie sind Sie so nah dran dann an den Kindern?

Vahle: Na ich denke, das hat was damit zu tun, dass ich eine sehr intensive Erinnerung an die eigene Kindheit habe, dass ich als Erwachsener ein relativ kindliches Verhältnis zur Musik habe, ich bin also kein ausgebildeter Musiker, aber ich habe immer noch einen Riesenspaß an der Musik, und das liegt drittens wohl daran, dass ich auch in den Liedern mein inneres Kind anspreche und vielleicht auch die inneren Kinder von Erwachsenen.

Bürger: Schreiben Sie eigentlich immer noch weiter Kinderlieder?

Vahle: Ja, ja, sicher, ich bin auch jetzt gerade dabei, na ja, wie soll man das nennen, Lieder übers Atmen, über die Stille, also spirituelle Kinderlieder zu schreiben, wenn Sie so wollen.

Bürger: Brauchen die Kinder das heute, dass man sie runterholt?

Vahle: Nein, ich glaube, Kinder haben ein ganz natürliches Bedürfnis nach Andacht, nach Besinnung, sich auf bestimmte Klänge einzulassen und irgendwie dieser Dauerberieselung, die es ja durch Musik auch gibt, zu entkommen. Und da sind natürlich solche Themen wie Stille oder Atem oder bestimmte Geschichten, die jetzt mehr bedächtig sind oder zur Nachdenklichkeit anregen, die sind da meiner Ansicht nach ganz, ganz wichtig, gerade heute.

Bürger: Wie halten Sie das Kind in Ihnen selbst wach?

Vahle: Ich glaube, wenn man versucht, so lebendig wie möglich zu sein, dann meldet sich doch immer wieder das eigene Kind, und ich habe nur zum Glück einen Beruf und auch ein Arbeitsfeld und auch eine Umgebung, also wenn ich an meine Lebensgefährtin denke, die malt gerne, malt auch auf eine sehr spontane Art, und da ist immer viel Lebendigkeit da, also auch zwischen uns beiden.

Bürger: Fredrik Vahle, am Sonntag feiert er seinen 70. Geburtstag und wir wünschen Ihnen dann einen schönen Tag und hoffentlich auch das eine oder andere Ständchen.

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