"Ich habe in Abgründe hineingeguckt"

Andres Veiel im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Öffentlich wollten die Banker nicht über ihre riskanten Geschäftspraktiken mit Andres Veiel sprechen. Nur unter Wahrung der Anonymität gaben sie Informationen über ihre Geldgeschäfte preis. Dieses brisante Material kommt ab Januar in Stuttgart auf die Bühne.
Liane von Billerbeck: Den Filmemacher Andres Veiel interessieren bei seinen Arbeiten zumeist die psychologischen, politischen oder gesellschaftlichen Hintergründe von Ereignissen. So hat er für seine Dokumentation "Blackbox BRD", die Biografien von Wolfgang Grams und Alfred Herrhausen gegenübergestellt und den Umgang der Bundesrepublik mit der RAF beleuchtet. In seinem Film "Der Kick" reflektierte er einen Mord, verübt von Jugendlichen im brandenburgischen Potzlow basierend auf einem Theaterstück, das Veiel ebenfalls schrieb. Jetzt hat er wieder für das Theater gearbeitet: "Das Himbeerreich", so heißt sein Dokumentartheaterstück, das derzeit am Stuttgarter Staatstheater entsteht – in Kooperation mit dem Deutschen Theater Berlin – und das im Januar Premiere hat.

Veiel hat für dieses Stück umfangreiche Recherchen angestellt und Gespräche geführt mit Akteuren aus der internationalen Finanzwelt. Mit Andres Veiel habe ich kurz vor unserer Sendung gesprochen. Herr Veiel, es gibt schon diverse Filme, darunter den Oscar-gekrönten Dokumentarfilm "Inside Job" über die Mechanismen der Finanzwelt. Woher rührte Ihr Interesse an dieser für viele Menschen ja undurchschaubaren Welt?

Andres Veiel: Gerade weil sie so undurchschaubar ist, hat mich immer interessiert, dass man eben nicht nur von außen auf diese Glaspaläste schaut, sondern mit den Akteuren selbst spricht – und das waren jetzt überwiegend ehemals Verantwortliche, nämlich Vorstandsmitglieder, die inzwischen pensioniert sind und von der Seitenlinie draufgucken, jetzt nicht nur in Deutschland, sondern auch Luxemburg, Schweiz und in Großbritannien. Und da bin ich auf sehr spannende Äußerungen gestoßen, weil es Menschen sind, die über Jahre das begleitet haben, nämlich einen Finanzkapitalismus, der immer mehr aus der Bahn, aus der Spur geraten ist, und gleichzeitig zum Teil sehr viel kritischer drauf schauen als das, was aus der Occupy-Bewegung so zu hören war.

Und dieser Widerspruch, dass es Verantwortliche sind, die über Jahre diesen Weg mitgemacht haben, aber heute anders denken, aber eben sich nur anonymisiert äußern. Und das war für mich eine schöne Herausforderung, diese Diskrepanz zwischen dem, wie sie sich öffentlich äußern, und dem, was sie mir in dieser Vertraulichkeit dann anvertrauen, aber eben mit dieser Zusage, sie zu anonymisieren, sie zu schützen, und damit war mir klar: Da habe ich eine Chance, sehr brisantes Material auf die Bühne zu bringen und damit eine andere Perspektive auf das zu ermöglichen, was wir in den Zeitungen lesen. Für den Zuschauer wird es bestimmt eine Herausforderung sein, weil die einfachen Reflexe, jetzt nur zu sagen, jetzt sperren wir doch die Investmentbanker einfach mal weg, nicht bedient werden.

Es ist ein Phänomen, was auch aus der Mitte der Gesellschaft kommt, das heißt, es ist eben auch der Zahnarzt, der ein Renditemodell haben will von über zwei Prozent, es ist der Stadtkämmerer, der die Wasserversorgung verkauft hat, weil er geglaubt hat, damit dem Haushalt einen guten Dienst zu erweisen. Es gibt da so viele Kollaborateure dieses Systems, und das geht alles in die Mitte der Gesellschaft rein, und deshalb ist es zu einfach, nur zu sagen, jetzt hauen wir mal auf die Investmentbanker ein.

von Billerbeck: Das heißt, die Leute waren bereit, zu reden, aber nicht bereit, ihren Namen preiszugeben, und Sie konnten demzufolge auch gar keinen Film drehen, es war von Anfang an klar, das wird ein Theaterstück?

Veiel: Das musste, genau, das musste ein Theaterstück werden, weil eben … Es ist nicht nur die Angst, die Pension zu verlieren oder eben das Gehalt, sondern wir wissen ja aus ähnlichen Fällen, dass Banken dann durchaus Mitarbeiter schadensersatzpflichtig machen, nach dem Motto, da ist jetzt ein immaterieller oder materieller Vermögensschaden entstanden durch bestimmte Äußerungen, Rufschädigungen, der oder die Deals sind nicht zustande gekommen, das heißt, da ist natürlich ein sehr persönliches Risiko, weil alle eben auch eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben, das heißt, sie dürfen nicht über interne Vorgänge berichten. Und meine Herausforderung war jetzt, diesem Informantenschutz zu genügen, und gleichzeitig aber die Strukturen, die hinter diesen Deals dann sichtbar werden, wo es ja eben oftmals in die Grauzone auch reingeht, diese Deals beschreibbar zu machen, ohne auf den Einzelfall einzugehen.

von Billerbeck: Hat da also wirklich jemand richtig ausgepackt?

Veiel: Da hat nicht nur einer sehr viel erzählt, da haben einige sehr viel erzählt, und das war für mich eben auch die Frage: Was mache ich mit diesem Material? Es ist ja eine sehr persönliche Herausforderung dann auch. Ich sehe mich in dem Sinne natürlich als jemand, der begreifen will, der verstehen will, der auch eine Notwendigkeit hat, bestimmte Dinge ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, und gleichzeitig habe ich es hier mit Menschen zu tun, die sich mir anvertraut haben, das heißt, es ist eine ganz feine Abwägung, dieses Vertrauen nicht zu verlieren, und trotzdem bestimmte Strukturen sichtbar zu machen, die auch, glaube ich, … wo die Öffentlichkeit ein Anrecht hat, sich da mit einer gewissen Komplexität dann auch auseinanderzusetzen, und da ist die Bühne eben der richtige, oder man kann sogar sagen, der ideale Ort dafür.

von Billerbeck: Deutschlandradio Kultur, der Autor, Theatermann, Regisseur und Dokumentarfilmer Andres Veiel ist mein Gesprächspartner, sein Stück über die Akteure der Finanzkrise, "Das Himbeerreich", unser Thema. Nun sind das ja Akteure, um es neutral auszudrücken, man könnte auch sagen, Täter, die durchaus eine Schuld haben, eine Mitschuld an dieser Finanzkrise, und im Film "Inside Job", da zeigten diese Finanzjongleure keine Einsicht, schon gar keine Reue. Sie würden, sagten sie in diesem Film, alles immer wieder genauso machen. Haben Sie denn reuigere Banker gefunden?

Veiel: Also, ich glaube, auf jeden Fall Menschen mit einer sehr kritischen Distanz auch zum eigenen Tun, und man kann ihnen natürlich dann – und das machen sie zum Teil auch selbst – vorwerfen, warum erst jetzt? Sie haben ja jahrelang das begleitet, zum Teil eben auch mit ins Leben gerufen, diese Form eines entfesselten Finanzkapitalismus. Warum jetzt diese kritische Position und warum dann nicht wirklich öffentlich, sondern hier nur anonymisiert? Und für mich ist damit ja natürlich die Frage der Verantwortung dann stellt sich: Sie sind Täter und Opfer, das heißt, es sind ja Verantwortliche, die hinauskatapultiert wurden, die Bedenken geäußert haben, wenn auch nur intern, und damit an einem bestimmten Punkt nicht mehr tragbar waren, weil es um ein beschleunigtes "Immer-mehr" geht. Und das war für mich ein interessanter Widerspruch, der bleibt im Stück auch so stehen, da muss jeder Zuschauer selbst urteilen: Inwieweit habe ich es hier mit Tätern zu tun oder auch an einem bestimmten Punkt mit Opfern?

Wichtig ist, glaube ich, ein dritter Punkt in diesem Dreieck, und das ist die Politik. Ich habe in den Recherchen festgestellt, dass die Politik über Jahre, also eigentlich schon unter Rot-Grün 2002, 2003, den Hund von der Leine gelassen hat, das heißt, entsprechende Gesetze auf den Weg gebracht haben, die genau das dann ermöglicht haben. Sie haben über die Aufsicht bestimmten Deals nicht nur sehr zugesprochen, sondern sie haben sie aktiv befördert. Von daher stellt sich auch noch mal die Frage der Politik, die Rolle der Politik neu. Es ist eben nicht nur der Nasenbär, der von den Märkten durch die Manege gezogen wird, das ist es auch, aber es ist eben auch eine sehr aktive Rolle. Und das alles zusammenzubringen, diese Widersprüche erst mal sehr zuzuspitzen und anzuschärfen, ich glaube, das ist ein spannender Versuch, weshalb sich die Arbeit auf jeden Fall gelohnt hat.

von Billerbeck: Herr Veiel, das klingt so, als ob das geradezu die ideale, die Traumsituation für einen Theatermacher ist: Er hat brisantes Material, er kann direkt in politische Debatten eingreifen und kann die künstlerisch auf die Bühne bringen. Da sind Sie ja richtig glücklich, dass Sie dieses Thema haben?

Veiel: Ja, aber man muss sich nichts vormachen, das Theater ist ein merkwürdiger Ort dafür. Das heißt, das sehen dann vielleicht 5000 oder 10.000 Menschen, es ist ja ein sehr elitärer Bereich, es steht immer unter Kunstverdacht. Und in diesem Widerspruch muss man es einfach auch begreifen. Es unterfliegt ja sozusagen den Radar einer wirklichen Öffentlichkeit. Gleichzeitig ermöglicht es genau diese Freiräume, so ein Thema in dieser Form zu behandeln, und das ist für mich auch ein Experiment für mich, herauszufinden: Was kann man eigentlich in diesem merkwürdigen schwarzen Kasten alles erzählen?

von Billerbeck: Sie inszenieren Ihr Stück auch selbst, Sie haben es nicht nur geschrieben, und das Material wird mit sechs Schauspielern für die Bühne bearbeitet. Wie lässt sich denn dieses viele recherchierte Material, diese Interviews, die Sie da geführt haben, umsetzen in ein Theaterstück?

Veiel: Das war für mich die eigentliche Herausforderung, Schauspieler zu finden, die diese komplexen Bereiche denken können. Das heißt, ich sitze da als Regisseur und merke einfach: Inwieweit interessiert mich das selbst, was auf der Bühne da gerade von den Schauspielern übersetzt wird, sozusagen in eine andere Sprache auch übersetzt wird? Kommt das an, oder höre ich weg, oder ist es zu kompliziert? Und das finde ich für mich immer noch, also wir sind ja noch mittendrin, also auch hier auf der Zielgeraden noch mittendrin: Es ist ein Prozess, der nicht endet, der, glaube ich, auch weitergehen wird, weil tagtäglich passieren neue Dinge, wir wollen nicht tagesaktuell jetzt darauf reagieren, sondern immer bei den Strukturen bleiben, aber ich glaube, es ist ein Prozess, der auch nach der Premiere nicht abgeschlossen sein wird.

von Billerbeck: Herr Veiel, was war für Sie die überraschendste Erkenntnis bei, nach den Recherchen, beim Inszenieren?

Veiel: Erst mal von den Recherchen aus, in welche Abgründe ich hineingeguckt habe, in welche Abgründe, wie letztendlich öffentliches Geld, auch Steuergelder, verbrannt wurde, wie viel, es ist ja eine Summe, die sich bislang allein jetzt bei der deutschen Bankenrettung auf 100 Milliarden schon summiert und es wird noch mehr dazukommen, und wie gedankenlos, wie absurd zum Teil diese Geschäftskonstruktionen waren, für die wir hier alle geradestehen müssen – da habe ich nur gemerkt, der Zorn war von Anfang an da –, und gleichzeitig jetzt in der Recherche und in der Umsetzung zu sehen, es gibt da keine einfachen Lösungen.

Also wir müssen einfach in jeden Deal einzeln reingucken und begreifen: Was hat eigentlich wen dazu getrieben, warum hat die Aufsicht versagt, warum hat die Politik mitgemacht? Es ist ein Zusammenspiel von sehr viel unterschiedlichen Kräften, und ich glaube, die Zumutung ist, das in diesen Widersprüchen auszuhalten, und das tun wir im Prinzip auch immer wieder in der Inszenierung. Tagtäglich rufen die Schauspieler manchmal nachts noch an oder schicken mir E-Mails, wo sie sagen, diesen Satz kann ich so nicht sprechen, der stimmt nicht, der ist sachlich nicht fundiert, also die greifen inzwischen auch inhaltlich sehr stark ein. Und wir haben dann am nächsten Morgen oder manchmal noch mitten in der Nacht lange Diskussionen. Und das wird eben nach der Premiere wohl noch weitergehen.

von Billerbeck: Das sagt Andres Veil, Autor und Regisseur des Dokumentartheaterstücks "Das Himbeerreich", das sich die Akteure der Finanzkrise vorgenommen hat. Das wird am Theater Stuttgart in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater Berlin aufgeführt, hat in Stuttgart am 11. Januar Premiere. Andres Veiel, herzlichen Dank!

Veiel: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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