"Ich habe in Amerika ein bisschen Ideologie verloren"

Von Vladimir Balzer |
Der Reporter Alexander Osang: Für viele im Osten ist er immer noch der, der die Außenseiter interviewt hat, der in brandenburgischen Kleinstädten Arbeitslose über ihren Frust hat reden lassen. Die Fremdheit gegenüber dem Westen, die aus seinen Texten drang, das konnten viele verstehen. Jetzt – Jahre später - hätten ihm Freunde gesagt: Er sei verbürgerlicht.
Hier oben bei Alexander Osang steht man auf dem Deck eines Luxusdampfers. Gut gearbeitete Holzplanken, hohe Brüstung, weiße Holzrahmen, der Wind pfeift etwas. Licht ist hier oben auch kein Problem. Es kommt von allen Seiten. Viel Platz ist hier. Ein Kamin. Dachgeschoß, in der Ferne die Spitze des Fernsehturms am Alexanderplatz.

Berlin-Prenzlauer Berg, oder genauer Bötzowviertel. Die Gegend im Osten Berlins, wo die Immobilienpreise inzwischen höher sind als in wohlhabenden West-Bezirken. Wo aber genau jene junge, schicke, urbane Kultur zu haben ist, die so konzentriert im Westen der Stadt nicht vorkommt.

Hier wohnt Alexander Osang. Für viele im Osten ist er immer noch der, der die Außenseiter interviewt hat, der in brandenburgischen Kleinstädten Arbeitslose über ihren Frust hat reden lassen. Die Fremdheit gegenüber dem Westen, die aus seinen Texten drang, das konnten viele verstehen. Jetzt – Jahre später - hätten ihm Freunde gesagt: Er sei verbürgerlicht.

"Ick fühle mich nicht besonders gesettled. Mich beunruhigt das teilweise och, ne Wohnung, Kamin und allet richtig machen. Wat die Leute denken, die dann hier rinkommen. Das sind Dinge, mit denen habe ich mich ein ganzes Leben lang schon beschäftigt. Klar – andererseits ist es auch sehr angenehm in einer schönen Wohnung zu leben."

Sieben Jahre war er in New York. Für den "Spiegel". Er wollte damals weg aus diesem Berlin, das ihn genervt habe. 1999 war das. Als alles hier her zog. Beamte, Journalisten, Regisseure. Berlin. Das war Hype. Das sollte Offenbarung sein. Da kam das Angebot des "Spiegel" – wegzugehen - gerade richtig.

Er schrieb in New York seinen Roman "Die Nachrichten" über die Stasi-Verstrickung eines Nachrichtensprechers zu Ende und wollte damit das Kapitel "ostdeutsch gebrochene Biografien" zu den Akten legen. Er wollte nicht mehr so was wie eine Stimme des Ostens sein.

"Ick hab jemerkt, dass ich ein bisschen Ideologie verloren habe in Amerika. Mir fällt et nich´ mehr so leicht, wie et mir zum Schluss fiel, für eine Seite zu entscheiden, meistens für den Osten."

Und dann hat ihn doch wieder so viel an den Osten erinnert in den USA.

"Ick globe, was mich an Amerika oder an New York immer gereizt hat – da war ein Stück Osten dran, also dieses Unfertige. Was mich am Westen deprimiert hat, und mich immer noch deprimiert, sind diese westdeutschen Kleinstädte, die bis auf den letzten Pflasterstein irgendwie fertig sind, einzementiert in die 70er Jahre. Das fand ich am Osten auch immer so beruhjend, dass es nicht fertig ist. New York ist auch so eine Stadt, die sich pausenlos neu erfindet, pausenlos wird abgerissen, neu aufgebaut, das ist manchmal nervend, aber auch sehr beruhigend für jemanden, der so unruhig ist wie ich."

Vielleicht hat er in Amerika die Energie gesucht, die er nach der Wende in Deutschland erfahren hatte. Besonders im Osten. Das sich Neu-Erfinden-Müssen. Viele Ostdeutsche konnten dabei ihre Improvisationskünste von früher weiter nutzen.

"Das hat was sehr Ostdeutsches – dieses Provisorische. erstmal ne Metallplatte irgendwo ruff legen, wenn ein Schlagloch ist, die Unfähigkeit des Servicepersonals, Handwerker hauen erstmal ein Loch in die Decke, dann verschwinden sie erst mal wieder für einen Monat. Jeder macht einen Beruf, den er nie gelernt hat, dass man immer eine neue Chance bekommt, und das spürt man in diesem Land, in dieser Stadt. Es ist eine unfassbare Energie da. Wenn man da die Wohnung verlässt, kriegt man son Schub, find ick."

Er sei nie so glücklich gewesen in seinem Leben wie in den sieben Jahren New York, sagt Alexander Osang. Aber dann wollte er weg. Einiges habe ihm gefehlt. Ja, auch die deutsche Melancholie: So mit dem Zug durch deutsche Mittelgebirgslandschaften zu fahren, das hat er gebraucht. Oder als er plötzlich merkte, dass seine achtjährige Tochter deutsch nur noch mit amerikanischem Akzent sprach, oder weil er einfach nicht in New York hängen bleiben wollte.

"New York ist eine Stadt, in der man hängen bleiben kann, weil New York immer ein unerfüllter Anspruch ist, man muss noch wat schaffen, bevor man hier weggeht, die Frage ist eigentlich wat man schaffen will. Ich habe diesen Sog auch gespürt, noch´n Jahr und noch´n Jahr und ich habe immer verlängert, einfach weil ich noch irgendwas schaffen wollte und am Ende gar nicht mehr wusste, was überhaupt."

Jetzt ist er also wieder in Berlin. Er arbeitet wieder beim "Spiegel". Drei Monate im Jahr kriegt er frei. Er will nicht nur Reporter sein. Er will einen dritten Roman schreiben, angefangen hat er schon, ein Drehbuch soll es noch sein, und sein aktuelles Buch mit den Titel "Lennon ist tot" hat auch beste Chancen, ein Film zu werden. Alexander Osang ist wieder da. Verbürgerlicht, haben ihm einige gesagt. Vielleicht ist er einfach anders geworden, Deutschland ist ja auch anders geworden.
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