"Ich hatte einst ein schönes Vaterland"
"Mein Heimweh hieß Savignyplatz" heißt die Schau über Mascha Kaléko (1907-1975) im Literaturhaus Berlin. Das Leben der Großstadtdichterin ganz eigenen Stils wird darin mit Notizbüchern, Briefen und Fotos dokumentiert. In der Ausstellung ist auch eine bisher unbekannte Filmaufnahme zu sehen.
Mascha Kaléko machte 1930 Urlaub auf Hiddensee. Ein Foto zeigt sie im weißen Hosenanzug, die schwarzen Locken vom Winde verweht, die Fäuste in die Hüften gestemmt, breitbeinig, kess in die Kamera blickend. 23 Jahre alt war sie da, und eine Großstadtdichterin ganz eigenen Stils:
"Zwei Seelen wohnen, ach, in mir zur Miete. / Zwei Seelen von konträrem Appetite. / Was ich auch brau in meinem Dichtertopf, / stets schüttelt Janus einen halben Kopf. / Denn was einst war, das stimmt uns meistens lyrisch. / Doch das was ist, zum großen Teil satirisch."
Diese Verse sind typisch für die "Philosophin der kleinen Leute", wie Anna Rheinsberg die verehrte Kollegin nannte. Mascha Kaléko: "Interview mit mir selbst".
"Ich bin als Emigrantenkind geboren / in einer kleinen, Klatsch beflissenen Stadt, / die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren / und eine große Irrenanstalt hat. / Mein meist gesprochenes Wort als Kind war 'Nein!' / Ich war kein einwandfreies Mutterglück. / Und denke ich an jene Zeit zurück: / Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein."
In steiler, ungeübter Handschrift schrieb ihre Mutter Rozalia Chaja Engel 1952: "Bei Deiner Geburt habe ich vier Tage schwer gelitten. Du warst ein schwer erziehbares Kind." Daneben liegt das Foto eines neugierig in die Welt blickenden nackten Babys auf dem Lammfell und die 1938 aus dem Polnischen übersetzte Geburtsurkunde. Jutta Rosenkranz, Biografin Mascha Kalékos, hat die Ausstellung im Literaturhaus vorbereitet und gestaltet.
"Wir haben sehr viele Ausstellungsstücke aus dem Nachlass, die zum ersten Mal gezeigt werden, also zum Beispiel Notizbücher, in denen sie Gedichtentwürfe notiert hat, Briefe, Fotos, Dokumente.
Wir haben auch von privaten Leihgebern sehr schöne Exponate bekommen, Plakate aus den fünfziger, sechziger Jahren, wo sie in Berlin gelesen hat, Mascha Kaléko, auch unbekannte Fotos, die noch nie gezeigt worden sind, wir haben ein einziges kleines Stückchen Film ausfindig machen können. Das ist die einzige Filmaufnahme, die von Mascha Kaléko erhalten ist, die zeigen wir in der Ausstellung."
Es ist eine Diskussion in Jerusalem. Man spricht Deutsch und Englisch durcheinander. Es geht um die existenzielle Frage: Soll man das Geld, das von der Bundesrepublik Deutschland an die Überlebenden der Shoa überwiesen wird, als "Wiedergutmachung" ansehen? Mascha Kaléko ergreift das Wort: Nein, das ist keine "Wiedergutmachung", dieses Wort ist nicht hinzunehmen. - Mascha Kalékos erste Veröffentlichung erschien 1933.
"Sie hat einige wirklich sehr wichtige, originelle Gedichte geschrieben, in denen sich auch eben der zeitgeschichtliche Hintergrund spiegelt. Sie ist die einzige Dichterin, die in dieser Art, also schon auch mit dieser gereimten, aber auch witzigen, melancholischen Art das Emigrantendasein geschildert hat. Das gibt es sonst so nicht. Und deshalb, glaube ich, werden diese Gedichte Bestand haben."
"Ich hatte einst ein schönes Vaterland - / so sang schon der Flüchtling Heine. / Das seine stand am Rheine, / das meine auf märkischem Sand. / Wir alle hatten einst ein (siehe oben!) / Das fraß die Pest, das ist im Sturm zerstoben. / O Röslein auf der Heide, / Dich brach die Kraftdurchfreude."
Mascha Kaléko war mit ihrem zweiten Mann, dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver, und beider Sohn Steven 1938 in die USA geflüchtet. Dort lebten sie im New Yorker Stadtteil Greenwich Village.
"Ich bin vor jenen tausend Jahren / viel in der Welt herumgefahren. / Schön war die Fremde, doch Ersatz. / Mein Heimweh hieß Savignyplatz."
"Mein Heimweh hieß Savignyplatz" ist der Titel der Ausstellung im Literaturhaus Berlin. Aber:
"Wenn's heut mich nach zu Hause zieht, / dann heißt der Ort Minetta Street."
Jutta Rosenkranz: "Da hat sie siebzehn Jahre lang gewohnt. Ich glaube, dass sie sich dort schon ein bisschen heimisch gefühlt hat. Nach Berlin und Deutschland zurück konnte und wollte sie nicht, aus den bekannten Gründen der Verfolgung und so weiter.
Und ich glaube, dass sie deshalb für diese Straße oder dieses Haus votiert hat mit der Gedenktafel, die übrigens dort vor wenigen Monaten zu ihrem hundertsten Geburtstag auch angebracht wurde am Haus 1, Minetta Street in Greenwich Village."
Mascha Kaléko starb im Januar 1975 in Zürich, nur 14 Monate nach ihrem Mann Chemjo Vinaver. Beider Sohn Steven war bereits 1968 völlig unerwartet gestorben. Lange zuvor hatte Mascha Kaléko das Gedicht "Memento" geschrieben:
"Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang. / Nur vor dem Tode derer, die mir nahe sind. / Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? / Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur. / Doch mit dem Tod der andern muss man leben."
"Das ist übrigens auch das meistgedruckte Gedicht von Mascha Kaléko. Nicht die heiteren, lockeren Großstadtverse, sondern dieses Gedicht, das spricht die Menschen immer noch an, und es ist ein zeitloses Gedicht. Wir haben es hier in der Ausstellung an einer kleinen Stelle, und zwar hat sie es auf die Todesanzeige für ihren Mann gesetzt."
Service:
Die Ausstellung "Mein Heimweh hieß Savignyplatz" über Mascha Kaléko ist bis zum 20. Januar 2008 im Literaturhaus Berlin zu sehen.
"Zwei Seelen wohnen, ach, in mir zur Miete. / Zwei Seelen von konträrem Appetite. / Was ich auch brau in meinem Dichtertopf, / stets schüttelt Janus einen halben Kopf. / Denn was einst war, das stimmt uns meistens lyrisch. / Doch das was ist, zum großen Teil satirisch."
Diese Verse sind typisch für die "Philosophin der kleinen Leute", wie Anna Rheinsberg die verehrte Kollegin nannte. Mascha Kaléko: "Interview mit mir selbst".
"Ich bin als Emigrantenkind geboren / in einer kleinen, Klatsch beflissenen Stadt, / die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren / und eine große Irrenanstalt hat. / Mein meist gesprochenes Wort als Kind war 'Nein!' / Ich war kein einwandfreies Mutterglück. / Und denke ich an jene Zeit zurück: / Ich möchte nicht mein Kind gewesen sein."
In steiler, ungeübter Handschrift schrieb ihre Mutter Rozalia Chaja Engel 1952: "Bei Deiner Geburt habe ich vier Tage schwer gelitten. Du warst ein schwer erziehbares Kind." Daneben liegt das Foto eines neugierig in die Welt blickenden nackten Babys auf dem Lammfell und die 1938 aus dem Polnischen übersetzte Geburtsurkunde. Jutta Rosenkranz, Biografin Mascha Kalékos, hat die Ausstellung im Literaturhaus vorbereitet und gestaltet.
"Wir haben sehr viele Ausstellungsstücke aus dem Nachlass, die zum ersten Mal gezeigt werden, also zum Beispiel Notizbücher, in denen sie Gedichtentwürfe notiert hat, Briefe, Fotos, Dokumente.
Wir haben auch von privaten Leihgebern sehr schöne Exponate bekommen, Plakate aus den fünfziger, sechziger Jahren, wo sie in Berlin gelesen hat, Mascha Kaléko, auch unbekannte Fotos, die noch nie gezeigt worden sind, wir haben ein einziges kleines Stückchen Film ausfindig machen können. Das ist die einzige Filmaufnahme, die von Mascha Kaléko erhalten ist, die zeigen wir in der Ausstellung."
Es ist eine Diskussion in Jerusalem. Man spricht Deutsch und Englisch durcheinander. Es geht um die existenzielle Frage: Soll man das Geld, das von der Bundesrepublik Deutschland an die Überlebenden der Shoa überwiesen wird, als "Wiedergutmachung" ansehen? Mascha Kaléko ergreift das Wort: Nein, das ist keine "Wiedergutmachung", dieses Wort ist nicht hinzunehmen. - Mascha Kalékos erste Veröffentlichung erschien 1933.
"Sie hat einige wirklich sehr wichtige, originelle Gedichte geschrieben, in denen sich auch eben der zeitgeschichtliche Hintergrund spiegelt. Sie ist die einzige Dichterin, die in dieser Art, also schon auch mit dieser gereimten, aber auch witzigen, melancholischen Art das Emigrantendasein geschildert hat. Das gibt es sonst so nicht. Und deshalb, glaube ich, werden diese Gedichte Bestand haben."
"Ich hatte einst ein schönes Vaterland - / so sang schon der Flüchtling Heine. / Das seine stand am Rheine, / das meine auf märkischem Sand. / Wir alle hatten einst ein (siehe oben!) / Das fraß die Pest, das ist im Sturm zerstoben. / O Röslein auf der Heide, / Dich brach die Kraftdurchfreude."
Mascha Kaléko war mit ihrem zweiten Mann, dem Dirigenten und Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver, und beider Sohn Steven 1938 in die USA geflüchtet. Dort lebten sie im New Yorker Stadtteil Greenwich Village.
"Ich bin vor jenen tausend Jahren / viel in der Welt herumgefahren. / Schön war die Fremde, doch Ersatz. / Mein Heimweh hieß Savignyplatz."
"Mein Heimweh hieß Savignyplatz" ist der Titel der Ausstellung im Literaturhaus Berlin. Aber:
"Wenn's heut mich nach zu Hause zieht, / dann heißt der Ort Minetta Street."
Jutta Rosenkranz: "Da hat sie siebzehn Jahre lang gewohnt. Ich glaube, dass sie sich dort schon ein bisschen heimisch gefühlt hat. Nach Berlin und Deutschland zurück konnte und wollte sie nicht, aus den bekannten Gründen der Verfolgung und so weiter.
Und ich glaube, dass sie deshalb für diese Straße oder dieses Haus votiert hat mit der Gedenktafel, die übrigens dort vor wenigen Monaten zu ihrem hundertsten Geburtstag auch angebracht wurde am Haus 1, Minetta Street in Greenwich Village."
Mascha Kaléko starb im Januar 1975 in Zürich, nur 14 Monate nach ihrem Mann Chemjo Vinaver. Beider Sohn Steven war bereits 1968 völlig unerwartet gestorben. Lange zuvor hatte Mascha Kaléko das Gedicht "Memento" geschrieben:
"Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang. / Nur vor dem Tode derer, die mir nahe sind. / Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind? / Bedenkt: Den eignen Tod, den stirbt man nur. / Doch mit dem Tod der andern muss man leben."
"Das ist übrigens auch das meistgedruckte Gedicht von Mascha Kaléko. Nicht die heiteren, lockeren Großstadtverse, sondern dieses Gedicht, das spricht die Menschen immer noch an, und es ist ein zeitloses Gedicht. Wir haben es hier in der Ausstellung an einer kleinen Stelle, und zwar hat sie es auf die Todesanzeige für ihren Mann gesetzt."
Service:
Die Ausstellung "Mein Heimweh hieß Savignyplatz" über Mascha Kaléko ist bis zum 20. Januar 2008 im Literaturhaus Berlin zu sehen.