"Ich hoffe auf einen dritten Wahlgang"

Christoph Giesa im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler |
Joachim Gauck begeistere mehr im Volk als bei SPD und Grünen, beklagt der Gründer der Facebook-Gruppe "Wir für Joachim Gauck" und FDP-Mitglied Christoph Giesa. Er sammelte mehr als 35.000 Unterschriften.
Jan-Christoph Kitzler: Heute Mittag wird es vielleicht spannend. Heute Mittag kommt nämlich in Berlin die Bundesversammlung zusammen, um einen neuen Bundespräsidenten zu wählen. Vielleicht wird es aber doch nicht so spannend, wenn es so ist, wie der "Spiegel" schreibt, nämlich eine Wahl, die keine ist, weil die Mitglieder der Bundesversammlung vor allem aus Gründen der Parteiräson wählen. Das wäre dann schlecht für Joachim Gauck, der im Regierungslager zwar viele Sympathien genießt, aber wie es aussieht wohl keine Mehrheit hat. Doch Joachim Gauck hat in kurzer Zeit für ziemlich viel Wirbel gesorgt. Er ist ein Beispiel dafür, wie Politik auch funktionieren kann. Innerhalb kürzester Zeit hat sich nämlich eine rege Community im Internet entwickelt, die Werbung macht für Gauck – zum Beispiel auf der Facebook-Seite "Joachim Gauck als Bundespräsident". Fast 37.000 Menschen haben sich dort angemeldet. Eingerichtet hat die Seite Christoph Giesa, Unternehmensberater und FDP-Mitglied. Er war für einige Zeit sogar Vorsitzender der Jungen Liberalen in Rheinland-Pfalz. Mit ihm bin ich jetzt in Berlin verbunden. Guten Morgen, Herr Giesa.

Christoph Giesa: Guten Morgen!

Kitzler: Als FDP-Mitglied haben Sie eine Kampagne für den Kandidaten von SPD und Grünen gestartet. Damit empfehlen Sie sich in Ihrer Partei nicht gerade für höhere Aufgaben, oder?

Giesa: Höhere Aufgaben strebe ich auch derzeit nicht an. Davon abgesehen habe ich die Kampagne gestartet, bevor Herr Gauck nominiert wurde von SPD und Grünen. Ich habe mich 2004 schon für ihn eingesetzt und habe auch dieses Mal die Kampagne schon gegründet, um möglicherweise Schwarz-Gelb dazu zu bringen, ihn zu nominieren. Das hat nicht geklappt, aber Rot-Grün hat anscheinend mein Rufen gehört.

Kitzler: Man muss dazu sagen, Sie sind in Berlin, sind heute auch im Bundestag, aber eben kein Mitglied der Bundesversammlung, dürfen also nicht wählen. Union und FDP zeigen sich ziemlich siegesgewiss, dass Christian Wulff heute gewählt wird. Was denken Sie, wie es ausgeht?

Giesa: Ich vermute mal, dass die wahrscheinlich Recht haben werden, aber man muss sehen, was passiert. Herr Gauck hat das selbst auch immer gesagt: Wir können zählen! Aber in der Bundesversammlung kann viel passieren, das ist eine freie Wahl, das ist eine geheime Wahl. Ich hoffe auf einen dritten Wahlgang!

Kitzler: Viele Menschen haben sich im Internet gerade für Joachim Gauck ausgesprochen. Ich habe schon gesagt: auf Ihrer Facebook-Seite haben sich fast 37.000 Menschen eingetragen. Joachim Gauck ist also auch ein Internet-Phänomen. Doch gleichzeitig kann der Kandidat ja mit dem Internet selbst nicht besonders viel anfangen. Was Facebook ist, das musste er erst vor kurzem lernen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Giesa: Das ist kein Widerspruch, weil letztendlich jeder, der sich im Internet bewegt, ja auch Bürger dieses Landes ist und die Leute, die sich im Internet bewegen, die haben ein ganz feines Gespür für Authentizität. Ich sage immer, Authentizität ist die Währung des Netzes, und Herr Gauck bringt davon, auch dadurch, dass er zum Beispiel sagt, er kann mit dem Internet selbst gar nicht so viel anfangen, aber dafür bringt er ganz viel mit, mit seinem Rückgrat, mit seiner Biografie. Deswegen findet er auch diesen Widerhall im Netz.

Kitzler: Hat er das denn überhaupt wahrgenommen, diese Kampagnen?

Giesa: Ja, er hat das auch ziemlich am Anfang schon wahrgenommen, weil nämlich seine Kinder und Enkel das sehr schnell auch begleitet haben und ihm das dann immer wieder zugetragen haben. Er war erstaunt bis fasziniert und inzwischen auch sehr interessiert an dem, was da passiert.

Kitzler: Im Internet klappt Ihre Unterstützung ja ganz gut, aber im wirklichen Leben irgendwie noch nicht so richtig. Die Demonstrationen, die Sie organisieren wollten für Joachim Gauck, waren kein besonders großer Erfolg. Wie bekommt man denn diese Zustimmung von der Onlinewelt auf die Straße?

Giesa: Ich glaube, das ist gar kein Problem der Onlinewelt, sondern ich vergleiche das immer: Überlegen Sie sich mal, Sie machen eine Unterschriftensammlung mit 35.000 Leuten, die unterschreiben, deutschlandweit für Tierschutz, und dann sagen Sie, wir machen jetzt eine Demonstration dazu in Berlin. Da kommen auch keine Tausende. Ich glaube, das ist ein Phänomen gerade auch des bürgerlichen Lagers, wenn solche Leute sich ausdrücken wollen. Die wissen gar nicht, dass man demonstrieren kann, oder wie das geht, und das mussten wir also auch feststellen.

Kitzler: Das heißt dann aber auch, dass es im Internet, dass man so viele Unterstützer leicht zusammenbekommt, weil es eben leicht ist, sich im Internet zu organisieren, oder?

Giesa: Das mag sein, aber auf der anderen Seite muss man eben sehen: Die Leute machen das trotzdem auch nicht, wenn sie nicht daran glauben. Herr Wulff musste das feststellen. Er hat sehr viel weniger Unterstützer. Man kann da die Leute nicht manipulieren. Das heißt, die Menschen, die sich geäußert haben, die meinen das auch tatsächlich.

Kitzler: Ihre Facebook-Seite ist nicht die einzige Seite über Joachim Gauck. Es gibt mehrere Internet-Kampagnen und das Problem bei diesen Kampagnen ist ja oft, dass man nicht so richtig weiß, wer steckt dahinter. Sie als FDP-Mitglied sind unverdächtig, aber es gibt auch einige Kampagnen, die sehr in der Nähe, sage ich mal, der Parteizentrale der SPD anzusiedeln sind. Auch weil Gauck als überparteilicher Kandidat präsentiert werden soll, merkt man das diesen Seiten aber nicht an. Sehen Sie das problematisch?

Giesa: Ich sehe das nicht als problematisch an. Ich habe diese Artikel wohl auch gelesen. Die Menschen, die sich da engagiert haben – ich habe die auch kennen gelernt -, das hat überhaupt keine Verbindung zu den Parteibüros. Es ist im Gegensatz sogar so, dass wir an der einen oder anderen Stelle uns gewünscht hätten, dass eben vielleicht die Parteibüros auch mal mitmobilisieren. Das ist gar nicht passiert. Die Begeisterung für Joachim Gauck ist in der Bevölkerung größer als selbst bei den Parteien, die ihn aufgestellt haben – leider.

Kitzler: Ist denn Joachim Gauck für Sie ein überparteilicher Kandidat?

Giesa: Er ist für mich ein absolut überparteilicher Kandidat. Ich meine, dafür spricht alleine schon, dass er eben 1999, 2004 auch schon im Gespräch war, eben von CDU und FDP, und jetzt von Rot-Grün nominiert wurde. Er bewegt Menschen aller Schichten, aller Klassen, und das haben wir auch dann bei den Demonstrationen beispielsweise gemerkt, dass man wirklich von Linken bis zu CSU-Wählern alle zusammen auf der Straße hatte.

Kitzler: Gleichzeitig muss man aber auch schon sagen, er ist aus ganz klarem Kalkül von SPD und Grünen ins Rennen geschickt worden. Man könnte sagen, er wird als so eine Art trojanisches Pferd benutzt, das in die Reihen von Schwarz-Gelb gestellt wird. Sind Sie nicht auch ein Teil dieser Strategie mit Ihrer Kampagne?

Giesa: Ich würde mich da nicht als Teil dieser Strategie sehen und ich glaube, Joachim Gauck sieht sich auch nicht als Teil der Strategie. Wir wissen sehr wohl alle, dass das nicht aus Gutmenschentum passiert ist, ihn aufzustellen, aber das macht den Kandidaten nicht schlechter. Und es ist ja auch so, dass offensichtlich die Menschen da draußen, die eben nicht hinter irgendwelchen Parteien herrennen, genau nach so etwas gesucht haben, um eben auch als Projektionsfläche zu sagen, solche Art von Politikern, die wünschen wir uns. Joachim Gauck ist da und jetzt hoffen wir heute auch, dass er gewählt wird!

Kitzler: Was wird denn aus den ganzen begeisterten Menschen, wenn er heute nicht gewählt wird?

Giesa: Ja, das ist eine gute Frage. Wir werden natürlich versuchen, das zu kanalisieren, weil da ganz viel positive Energie entstanden ist. Es ist ja eine Kampagne für etwas oder für irgendjemanden und nicht gegen etwas, und ich hoffe, dass die Leute, die sich jetzt teilweise auch zum ersten Mal wirklich engagieren, irgendwie dabeibleiben, sich ein Betätigungsfeld suchen, wo sie sich finden können und auch vielleicht jenseits der reinen Parteien eine Möglichkeit finden, sich gesellschaftlich einzubringen.

Kitzler: Christoph Giesa war das, der als FDP-Mitglied mit einigem Erfolg Joachim Gauck im Internet unterstützt. Vielen Dank und einen schönen Tag in Berlin!

Giesa: Danke!

Links auf dradio.de:

Bundespräsidentenwahl 2010
Mehr zum Thema