"Ich kämpfe bis zur letzten Kuh"

Von Almuth Knigge, Barbara Roth, Claudia van Laak |
Die EU-Agrarsubventionen werden in diesem Jahr anders verteilt: Die Landwirte erhalten weniger direkte Beihilfen für ihren Betrieb. Das Geld fließt stattdessen in die ländliche Entwicklung. Für Deutschlands Bauern bedeutet das in diesem Jahr Einbußen von insgesamt 240 Millionen Euro. Besonders betroffen ist Ostdeutschland, denn den großen, industriell arbeitenden Unternehmen werden proportional mehr Subventionen gestrichen als den kleinen Familienbetrieben.
Mecklenburg-Vorpommern

Jeden Tag macht Klaus Dieter Meissner mit seinem Jeep in Nordwestmecklenburg seine Runde.

"Das sind alles Flächen Veelböken, von Mühlen-Eichsen bis nach Pätow, unsere Visitenkarte, sage ich immer, alles Veelböken, links und rechts. Das ist gut, sieht vernünftig aus."

Vorbei an 1800 Hektar Land - alles seins, beziehungsweise das der Genossenschaft, der Agrargenossenschaft Veelböken. 1800 Hektar Ackerland, 230 Hektar Grünland, 400 Milchkühe, 60 Mutterkühe und 360 Stück Vieh in der Nachzucht werden von 24 Mitarbeitern und zwei Lehrlingen bewirtschaftet. Klaus Dieter Meissner ist der Geschäftsführer.

Entstanden ist die Genossenschaft 1991, als die LPG aufgelöst werden musste. Viele Genossenschaften sind damals entstanden, deshalb sind die Agrarstrukturen im Nordosten auch so großflächig - und deshalb trifft die stufenweise Kürzung der EU-Beihilfen die Landwirte in Mecklenburg-Vorpommern auch am stärksten. Für fast 400 Betriebe fällt der Scheck aus Brüssel nun empfindlich kleiner aus.

"Wir haben immer wieder gesagt, unsere Subventionsgelder, wenn wir alles das, was wir an Geldern bekommen, einrechnen - Beihilfen für Acker Grünland, auch Fördergelder, die wir kriegen, wenn wir Ställe umbauen -, dann sind das 20 Prozent des Betriebsumsatzes."

Bei anderen Betrieben sind es sogar 50 Prozent - dadurch werden die Großbetriebe keine Insolvenz anmelden müssen - aber geplante Investitionen in Technik, Stallausrüstung und Flächenkäufe müssen jetzt warten. Auch die Lohnerhöhung, die er gerne zahlen würde.

Vielen Bauern war klar, dass die EU-Subventionen nach dem Ende der laufenden Förderperiode 2013 sinken würden. Bis dahin haben sie ihre Investitionen geplant. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kürzung der Direktzahlung zusammenfällt mit drastisch steigenden Betriebskosten und sinkenden Erzeugerpreisen für Getreide und vor allem für Milch.

"Wir sind in der Lage, mit Hilfe des Ackerbaus auch schwierige Zeiten in der Milchwirtschaft zu überstehen. Wir haben 24 Arbeitskräfte, wir haben uns letztes Jahr einen neuen Melkstand angeschafft - also alles, um den Betrieb effektiv zu gestalten. Und wir haben das Gefühl, dass die Politik das nicht gern sieht."

Klein gegen groß, West gegen Ost, da verlaufen die Frontlinien in der Agrarpolitik, das sehen zumindest Meissner und seine Nachbarn so. Viele Kritiker titulieren die Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern als Agrarindustrie. Hochtechnisiert, effektiv - bäuerliche Romantik mag hier schwer aufkommen.

"Hier haben wir einen Tiefstall, ich fahre mal einfach hier durch, das ist ein alter Anbindestall, der wurde entkernt, da wurde der Fußboden rausgerissen - und da haben wir dann einfach einen Tiefstall draus gemacht."

Meissner ist am Kuhstall angekommen, dreimal am Tag wird gemolken, der Großteil der Kühe steht in einem sogenannten Laufstall. Jede hat einen Transponder um den Hals - wie und wo sie sich bewegt und wie viel Milch sie gibt - alles das wird darauf gespeichert. Erst vor drei Jahren hat die Genossenschaft noch einmal viel Geld in den Milchbetrieb gesteckt, jetzt aussteigen?

"Betriebswirtschaftlich geht so etwas überhaupt nicht. Rein von der Logik her geht das nicht."

Auf der anderen Seite kann man trotz guter Milchleistung keine schwarzen Zahlen erwirtschaften, wenn die Molkerei pro Liter teilweise nicht mehr als 24 Cent bezahlt. Die ersten kleineren Milchbetriebe denken schon ans Aufhören. An Entlassungen gar nicht zu denken.

"Der Landwirt ist nicht anspruchsvoll, in vielen Dingen nicht anspruchsvoll. Sie wissen das, wenn ich an die Arbeitszeit denke oder an die Vergütung. Wir sind eben in einem Bereich, wo wir unterdurchschnittliche Löhne zahlen , das müssen wir zugeben. Und viele machen Verzicht, auch um die Betriebe zu erhalten."


Dabei soll die Änderung der Direktzahlung doch gerade der Beschäftigungssituation und dem Umweltschutz im ländlichen Raum zugute kommen. Auch Landwirtschaftsminister Till Backhaus geht zu den EU-Beschlüssen auf Distanz.

"Das ist aus meiner Sicht eigentlich die Idiotie an der europäischen Agrarpolitik, nämlich dass Unternehmen, die viele Menschen bewirtschaften, die eine hohe Veredlung vornehmen, dass diese bestraft werden dafür, dass sie diese Strukturen entwickelt haben. Und dass auf der anderen Seite bei einem reinen Marktfruchtbetrieb, der heute schon sehr wenig an Wertschöpfung, an Beschäftigung, absichert, die Einbußen sehr gering ausfallen."

Klaus Dieter Meissner sitzt in seinem Büro. Hinter ihm eine Karte mit den Anbauflächen der Genossenschaft. Jeden Tag verfolgt er am Computer die Rohstoffpreise.

"Die Preise werden weltweit gemacht, und da kann sich Deutschland oder Europa nicht mehr von abkoppeln."

Durch die Finanzkrise und die Spekulationen am Rohstoffmarkt sind auch die Preise für Getreide in den Keller gegangen. Wer nicht rechtzeitig verkauft hat, bekommt jetzt teilweise nur noch ein Drittel des Preises aus dem vergangenen Jahr. Das ist zwar immer noch mehr als vor drei Jahren, aber die Preise für Dünge- und Futtermittel haben sich auch drastisch erhöht. Kosten- und personalintensive Viehhaltung lohnt sich kaum mehr. Schon jetzt wird in Mecklenburg-Vorpommern mehr Schweinefleisch gegessen als produziert wird.

Das war vor 20 Jahren genau umgekehrt. Auch Hackfrüchte, wie Zuckerrüben oder Kartoffeln, sind für einen modernen Betrieb kaum noch interessant. Zu hoher Arbeitsaufwand, zu wenig Ertrag. Dabei hängen an der Zuckerrübe ganze Wertschöpfungsketten, ebenso wie beim Raps. Es hilft nichts, sagt er - wir müssen das anbauen, was den meisten Gewinn bringt.

"Wir haben vorhin über Geld gesprochen, über Geld, das uns speziell entzogen wird. Dieses Geld wäre gut in den Betrieben aufgehoben, dann könnte man überlegen, ob man Alternativen sucht, so muss man die effektivsten Dinge nutzen, um den Betrieb über Wasser zu halten."

Ein Strukturwandel in der Landwirtschaft steht bevor.

"Und das heißt im Prinzip eine Monokultur von Gerste, Weizen, Raps."

Bayern

46 Milchkühe stehen bei den Holzmanns im Stall. Draußen ist es längst dunkel, wenn am Ende eines harten, zwölfstündigen Arbeitstages das Vieh gemolken und gefüttert ist. Dann kommt Martin Holzmann ins Grübeln.

"Gedanken macht man sich schon. Mache ich Schweine? Oder höre ich ganz auf? Im Prinzip muss man sagen, kann man fast nicht weitermachen. Aber die Freude zur Natur und den Viechern, die ist einfach da. Und dadurch hat man immer weitergemacht."

Aufgeben, aufhören – das Vieh und den Hof verkaufen - darüber denken die Holzmanns in letzter Zeit oft nach. Das in sanfte Hügel eingebetete Anwesen im niederbayerischen Landkreis Landshut liegt abgeschieden. Das Gehöft hat Geschichte: 1492 wurde es erstmals urkundlich erwähnt, seit über 100 Jahren ist es im Besitz der Familie.

Aber die Idylle trügt: Das alte Haus, die Scheune und der Stall sind dringend sanierungsbedürftig. Doch dafür ist kein Geld da, seufzt Sabine Holzmann - bei dem Milchpreis:

"Wir sind derzeit noch bei 32 Cent pro Liter Milch. Er ist aber rückläufig. Die Molkerei hat angekündigt, im Januar nur noch 24 Cent pro Liter Milch ausbezahlen zu können. Wir führen mit unseren Molkerein einen Machtkampf. Ich denke, es geht darum, die bäuerliche Landwirtschaft auszurotten. Man möchte Milch und Landwirtschaft industriell."

Ein Landwirt bekommt das ausbezahlt, was andere ihm übriglassen: Die großen Supermarktketten setzen ihre Verkaufspreise samt Gewinnspannen für Milchprodukte fest, die Molkereien rechnen ihren Anteil heraus - und den Rest bekommen die Bauern. Die dreifache Mutter weiß oft nicht, wie es für die Familie weitergehen soll. 40 Cent pro Liter Milch – rechnet Sabine Holzmann vor – bräuchte sie eigentlich, um kostendeckend arbeiten zu können.

"Ich habe ja nicht nur die Ausgaben von Futter. Ich muss meinen Kühen einen Stallplatz zur Verfügung stellen, der kostet Geld. Ich brauche einen Lohn, ich muss meine Familie ernähren. Und ich brauche Rücklagen, weil irgendwann geht eine Maschine kaputt.

Ich habe eine Außenwirtschaft, dafür brauche ich Maschinen, um die Kühe zu füttern. Das kostet alles Geld. Und in einem Milchviehbetrieb kommt es nur aus der Milch."

Gut 800 Liter Milch geben ihre 46 Kühe täglich. Doch der Milchpreis befindet sich im freien Fall. Innerhalb eines Jahres ist er bereits um zehn Cent pro Liter gesunken. Die Ankündigung ihrer Molkerei, Ende des Monats nur noch 24 Cent pro Liter zahlen zu wollen, ist für Sabine Holzmann eine Hiobsbotschaft.

"Das ist das Aus. Da gibt es überhaupt keine Möglichkeit, das zu überleben. Momentan leben wir noch von der Substanz. Alles, was wir erspart haben, geht rüber auf das Betriebskonto. Im Jahr bin ich bei 35.000 Euro, was ich drauf zahle. Aber das funktioniert nicht mehr lange. Auf die Dauer kann keiner von der Substanz leben.

Wenn der Milchpreis sich nicht bald ändert, spätestens in vier, fünf Monaten, müssen die Kühe vom Hof gehen. Dann ist Schluss, es gibt dann wieder einen Bauer in Deutschland weniger. Das Höfe-Sterben wird rasant zunehmen."

Gut 48.000 Milchviehbetriebe zählt man in Bayern. Es sind anders als in Ost- oder Norddeutschland kleine Familienbetriebe; im statistischen Schnitt hält jeder bayerische Milchbauer nur 27 Kühe. Die Zukunft sieht düster aus: Denn der Milchpreis wird seine rasante Talfahrt fortsetzen.

Der Grund: Die Agrarminister der europäischen Mitgliedsstaaten haben gerade die Erhöhung der Produktionsmenge um jährlich ein Prozent beschlossen, obwohl ohnehin zuviel Milch auf dem Markt ist. Damit sollen die Bauern auf 2015 vorbereitet werden, wenn in der EU sämtliche Mengenbeschränkungen wegfallen. Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner nennt die Quotenausweitung einen Fehler.

"Ich vergleiche das gerne mit der Autoindustrie, da denkt man zur Zeit auch nicht nach, ob man Sonderschichten fährt. Aber in der Europäischen Union und in Deutschland sind die Vorstellungen sehr unterschiedlich. Und wenn die Holländer 15 Prozent Quotenerhöhung gefordert haben und die Bayern Null - dann sieht man wie weit die Interessen auseinander liegen. Und deswegen war es am Schluss noch ein kleiner Erfolg, dass die Quote nicht mehr erhöht wurde als jährlich um ein Prozent. Aber dennoch: Ich halte es für die falsche Botschaft."

Der CSU-Minister weiß um die Sorgen seiner bäuerlichen Klientel, doch er ist machtlos – wie seine Parteikollegin Bundesland-wirtschaftsministerin Ilse Aigner; wie zuvor der heutige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Die CSU stellt seit Jahren den Bundesminister – doch auch der kann den bayerischen Milchbauern nicht helfen.

Den Landwirten geht das Geld aus. Der niedrige Milchpreis und Billigeinfuhren, die Politik der EU und hierzulande, all das treibt gerade die kleinen Milchviehbetriebe in einen Überlebenskampf. Allein im Freistaat müssen jedes Jahr rund 2.500 Landwirte aufgeben.

"Weil der Markt natürlich übersättigt wird. Wenn wir derzeit schon Probleme haben, die Milch an den Mann zu bringen zu einem vernünftigen Preis, laufen wir natürlich Gefahr. Wenn wir den Inlandabsatz nicht erheblich erhöhen können und die Chancen auf dem Weltmarkt nicht dramatisch erhöhen können, dass wir dann weiterhin mit einem Preis zurecht kommen müssen, der zwangläufig noch mehr unter Druck gerät."

Die bayerische Staatsregierung reagiert fast hilflos. Brunner rät den Milchbauern, ihre Produktionskosten zu senken. Er legt ihnen nahe, sich eine weitere Einnahmequelle zu suchen. Als Beispiele nennt er die Direktvermarktung, das Schneeräumen im Winter oder den Urlaub auf dem Bauernhof. Und er will den Milchverkauf an den Schulen wieder intensivieren und beim Verbraucher für Bauernmärkte werben. Der Landwirtschaftsminister hofft so, möglichst viele Höfe in Bayern zu erhalten.

"Die Vielfalt unserer bäuerlichen Betriebe ist ja auch gerade der Reiz Bayerns. Diese bäuerliche Struktur, diese 48.000 Milchbauern sind ein Reichtum für Bayern und diese Struktur möchte ich nicht zementieren, aber ich möchte sicherstellen, dass wir auch in Zukunft eine flächendeckende Landwirtschaft haben.

Ich frage umgekehrt: Was wäre mit unseren ländlichen Räumen, was wäre mit unserem Tourismus, was wäre mit der Attraktivität unserer Dörfer und Gemeinden, wenn wir nicht eine gepflegte Kulturlandschaft, eine flächendeckende Landwirtschaft auch in Zukunft hätten."

An das längst prophezeite Ende der bäuerlichen Landwirtschaft im Freistaat will der Minister einfach nicht glauben. Denn in der Tat: Das Landschaftsbild von Bayern würde sich verändern – wenn großflächige Agrarbetriebe, wie es sie im Osten gibt, auch im Freistaat die kleinräumigen Landwirtschaft ersetzen. Deshalb machte sich vor allem die CSU für den vom EU-Agrarrat beschlossene Milchfonds stark. Rund 300 Millionen Euro sollen den Milchbauern ab 2010 über den Fonds zur Verfügung stehen. Für die Milchbäuerin Holzmann nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

"Der Milchfonds ist doch lächerlich. Würde man den auf alle Milchbauern verteilen, würde bei jedem pro Kilo ein Cent ankommen. Ein Cent, das ist doch lächerlich. Und auf der einen Seite kürzt man uns die Subventionen, auf der anderen Seite gibt man uns wieder einen Topf. Wir möchten nicht mehr von Subventionen leben, wir möchten einfach einen guten Preis für unsere gute Ware, für unsere gute Milch."

Sabine Holzmann ist im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter engagiert, dem bundesweit mittlerweile 33.000 Mitglieder angehören. Auch sie machte im vergangenen Sommer beim Milchboykott mit. Schweren Herzens, wie sie sagt, hat auch sie die Milch ihrer Kühe weggeschüttet. Gebracht aber hat der Boykott nichts. Die Stimmung unter den Bauern mit kleinen, mit Familienbetrieben ist gereizt, oft auch resignierend, erzählt sie. Denn eine Lösung für ihre Finanzsorgen ist nicht in Sicht.

Mitte November machten die Milchbauern ihrer Wut Luft. Es kam zum sogenannten Haberfeldtreiben. Ein längst verbotener, alter bayerische Brauch aus dem 18. Jahrhundert. Eine Art nächtliche Gerichtsverhandlungen, bei der öffentlich Schmähungen verlesen werden, eine folkloristische Form des Mobbings.

Es war eine gruselige Veranstaltung im Schein von Fackeln. Die Haberer trugen dunkle Umhänge und hatten ihre Gesichter mit Ruß geschwärzt. Einen Hauptschuldigen für ihre missliche Situation glauben die Milchbauern gefunden zu haben: den Deutschen Bauernverband mit Gerd Sonnleitner an der Spitze.

"Die Bauern hast Du billig verkauft, dass alles in den Ruin rein läuft. Ist das wahr? War ist es …"

Lautstark lärmten rund 2000 Milchbauern - mit Trommeln, Kuhglocken und Ratschen. Sabine Holzmann war dabei. Sie wirft dem Bauernverband vor, den Milchbauern im Kampf um höhere Preise in den Rücken gefallen zu sein.

"Der Bauernverband hat uns verraten und verkauft. Der Bauernverband hat uns Zusagen gemacht und Versprechungen und hat uns dann kurzerhand das Messer in den Rücken gejagt. Ich habe es beim Haberfeldtreiben schon gesagt: Wir Milchbauern sind dabei, dem Bauernverband die Legitimation, uns zu vertreten, abzusprechen. Wir möchten vom Bauernverband nicht mehr vertreten werden."

Das Tischtuch ist längst zerschnitten, wenn Bauern gegen Bauern kämpfen. Nachgeben will Sabine Holzmann nicht.

"Wer aufgibt, hat schon verloren. Ich kämpfe bis zur letzten Kuh."

Brandenburg

Die Brielower Agrargesellschaft im Havelland westlich von Berlin. Täglich um 14 Uhr beginnt die zweite Melkrunde für die schwarz-weiß gescheckten Milchkühe.

Geschäftsführer Gerhard Ulrich ist in den Melkstand gekommen, schaut nach dem Rechten, gibt seinen zwei Melkern Anweisungen. Der Landwirt blickt sich um - Stall und Melkstand sind nicht auf dem neuesten Stand, müssten saniert werden. Gerhard Ulrich denkt über einen Neubau inklusive Biogasanlage nach. Die Kosten: etwa zwei Millionen Euro.

"Deshalb brauchen wir mittelfristige, besser noch langfristige Planungssicherheit. Aber bei der heutigen Agrarpolitik und Landespolitik ist das überhaupt nicht zu erkennen und sehr schwierig."

Die Brielower Agrargesellschaft besitzt 800 Rinder, bewirtschaftet 1500 Hektar Land und beschäftigt 23 Mitarbeiter. Die Zuschüsse aus Brüssel können sich sehen lassen - eine halbe Million Euro jährlich. Geschäftsführer Ulrich hat ausgerechnet, dass er durch die Umschichtungen im EU-Agrarhaushalt in diesem Jahr auf 43.000 Euro verzichten muss. Gleichzeitig sinken seine Erlöse durch den Verkauf von Getreide und Milch.

"Wir stehen im Moment wirklich vor ganz schweren Herausforderungen. Zusammengebrochene Agrarmärkte, hauptsächlich durch die Finanzkrise bedingt. Wir haben neben den Agrarmärkten für Getreide- und Ölsaaten, die zusammengebrochen sind, auch mit einer Riesenproblematik auf dem Milchmarkt zu tun. Der Milchmarkt ist auch, den Begriff muss man benutzen, im Zusammenstürzen."

Deshalb verbringt Gerhard Ulrich im Moment mehr Zeit vor dem Computer, als ihm lieb ist. Wo kann der Rotstift noch angesetzt werden, fragt er sich, während er auf die vier kleinen quietschbunten Gemälde blickt, die vergnügte Kühe zeigen.

"Beim Personal ist es eben so, dass wir uns wirklich so orientieren müssen, nur noch das Allernotwendigste unter entsprechendem Arbeitszeitdruck zu erledigen, um hier die Kostenschraube Personal etwas zu bedienen. "

Ein Sonderopfer Ost müssen wir Landwirte in den neuen Ländern bringen, klagt Gerhard Ulrich, und teilt damit die Meinung des Landesbauernverbandes Brandenburg. Geschäftsführer Wolfgang Scherfke:

"Wir stehen mitten in einer Finanzkrise, in einer Wirtschaftskrise, die alle Zweige des wirtschaftlichen Lebens erfasst. Wir sehen jeden Tag neue Wirtschaftszweige, die sich bei der Politik hinten in die Schlange stellen und Unterstützung wollen und auch brauchen, und in dieser Phase sendet man ein politisches Signal aus: Die Bauern sind uns nichts wert."

10.000 Arbeitsplätze in Brandenburgs Landwirtschaft seien gefährdet, sagt der Landesbauernverband. Das Agrarministerium hat anderes gerechnet und kommt auf eine nur halb so große Zahl. 5000 Arbeitsplätze seien durch die EU-Subventionskürzungen bedroht, so das Ministerium. Es gibt Experten, die sagen: Alles Unsinn, kein einziger Job ist gefährdet. Reinhard Jung ist dieser Ansicht, er ist Geschäftsführer des Bauernbundes, der die kleinen Familienbetriebe vertritt.

"Überhaupt nicht nachvollziehbar. Die Arbeitskräfte haben immer damit zu tun, wie viel Fläche bewirtschaftet wird und wie viel Vieh gehalten wird. Und ich kann Ihnen hundertprozentig versichern, dass nach diesen EU-Beschlüssen kein Hektar Fläche, der bewirtschaftungswürdig ist, nicht bewirtschaftet wird. Machen Sie sich keine Sorgen, durch diese EU-Agrarbeschlüsse werden keine Arbeitsplätze wegfallen."

Der Bauernbund als Vertreter der kleinen Betriebe weist daraufhin, dass - auf den Hektar gerechnet - die bäuerlichen Familienbetriebe mehr Arbeitsplätze schaffen als die großen agrarindustriellen Unternehmen. In der Tat: Die Nachfolgebetriebe der LPGs sind auch deshalb so produktiv, weil sie große Maschinen einsetzen und damit teures Personal einsparen.

"Wer jetzt so groß jammert, das sind die Dinosaurier-Strukturen aus DDR-Zeiten, die seit der Wende genug Subventionen bekommen haben. Insofern ist das auch volkswirtschaftlich völlig in Ordnung, was da beschlossen wurde."

Das sieht auch Christian Liepe so. Der Landwirt aus Mützlitz im Havelland bewirtschaftet zusammen mit seinem Vater und zwei Angestellten 200 Hektar Fläche und kümmert sich um 80 Kühe.

Die schwarzen und roten Kühe bekommen ihr Heu vom Chef persönlich. Im Gegensatz zu seinem Berufskollegen im zehn Kilometer entfernten Brielow interessiert sich Landwirt Liepe nicht für das, was in Brüssel beschlossen worden ist. Er widmet sich lieber den gerade geborenen Kälbern.

"Wir sind ja nicht so groß, also wird es uns nicht betreffen."

Denn nur bei den Betrieben, die jährlich mehr als 300.000 Euro Subventionen erhalten, setzt Brüssel den Rotstift an. Trotzdem ärgert sich Christian Liepe über die EU-Agrarpolitik. Lieber gerechte Preise als abhängig sein von Entscheidungen der Europäischen Union, sagt er.

"Ich sage mal, uns würden helfen: richtig vernünftige Preise. Dann könnten wir die Entscheidungen alleine machen. Aber so geht es einfach nicht."

Seinen Vater Siegfried spricht man auf die Agrarpolitik der Europäischen Union lieber gar nicht an. Dann bekommt er einen roten Kopf und schimpft los:

"Zum Kotzen, kann ich gleich so Ihnen sagen, wir sind doch keine freien Bauern mehr, wir werden doch bevormundet. Früher, Großvater und so, konnten wir wirtschaften wie wir wollten. Und was war nach 1945? Erst kamen die Kommunisten, und jetzt ist Brüssel."