"Ich kann mir gar kein anderes Theater als politisches vorstellen"
Nation und Identität werden thematisch die nächsten Jahre des Maxim Gorki Theaters prägen, sagt Shermin Langhoff. Dass sie nach ihren Erfolgen am Ballhaus Naunynstraße in Kreuzberg nun in Berlins historischem Zentrum angekommen ist, sehe sie als Herausforderung, so die Intendantin.
Deutschlandradio Kultur: Heute ist Tacheles zu Gast im Maxim Gorki Theater in Berlin. Neben mir sitzt die Intendantin Shermin Langhoff. Frau Langhoff, danke für die Einladung.
Shermin Langhoff: Aber herzlichen Dank fürs Kommen.
Deutschlandradio Kultur: Frau Langhoff, Sie haben Ihr Theater zur Eröffnung der Saison in einen temporären Ausstellungsparcours verwandelt. Sie nennen das "Berliner Herbstsalon". Allein beim Reinkommen sind mir folgende Dinge aufgefallen: Bemalte Fensterscheiben, ein paar riesige Köpfe aus Kunststoff, die in einigen Räumen liegen, und draußen ein roter langer Läufer. Warum das alles?
Shermin Langhoff: Der "Berliner Herbstsalon" ist erst mal der Prolog zu unserer Eröffnung, an dem zehn Tage lang die Berliner Bevölkerung die Chance hat, uns umsonst – in Anführungsstrichen – "Eintritt frei" kennenzulernen. Und für uns ist es sozusagen die Möglichkeit, jenseits des Repertoires, das wir natürlich aufbauen werden an diesem Repertoire- und Ensembletheater, sowohl Themen und Kontexte, die uns interessieren, anders zu fächern, anders aufzumachen, als auch Hinweise bereits zu geben auf die Themen, mit denen wir uns auch in den nächsten Jahren in Stücken beschäftigen werden. Das ist vor allem Nation und Identität.
Und es ist eine Auseinandersetzung, auch eine ganz persönliche für mich künstlerisch, ans Maxim Gorki Theater kommend, in die Mitte Berlins, ins historische Zentrum, das ja nicht mit wenig Bedeutung aufgeladen ist, sich genau mit dieser Mitte auseinanderzusetzen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade schon gesagt, "Nation und Identität", natürlich hier im Zentrum von Berlin ein großes Thema. Inwieweit wird das dann auch in das neue Programm einfließen?
Shermin Langhoff: Wir haben den "Kirschgarten", der eröffnet die Saison als Theaterstück. Wir haben "Die Russen, die Birken lieben", Olga Grjasnowas Roman. Und wir haben "Schwimmen lernen". Und alle drei am ersten Eröffnungswochenende haben natürlich Fragestellungen dazu. Also, bei "Schwimmen lernen" wird das verhandelt über den Mikrokosmos einer Dreiecksbeziehung, in der zwar vornehmlich verhandelt wird die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe zwischen den Geschlechtern, in der aber durchaus eben die Überschreitung von Grenzen, auch von echten topografischen, geografischen Grenzen verhandelt wird.
Beim "Russen, der Birken liebt" von Olga Grjasnowa, ein ironischer Titel natürlich, ist es eine junge Frau, Mascha, die aus Aserbaidschan kommt, in Frankfurt studierend, fünf Sprachen sprechend, jüdischer Herkunft und wenn man will auch gerne Russin, ihren Weg sucht, am Ende in Israel landet, wo sie einen neuen Anfang macht.
Und beim "Kirschgarten" gibt es natürlich zwei Ebenen, die schon angelegt sind von Tschechow. Einmal ist es sozusagen das Motiv, dass wir nicht nur Verantwortung für eine Zukunft oder für eine Gegenwart tragen, sondern vielleicht auch für eine Vergangenheit im Sinne von Vermächtnis, im Sinne von Lernen aus dieser. Das ist ein Motiv, das da immer wieder verhandelt wird, das wir aufnehmen. Darüber hinaus ist natürlich auch die große Fragestellung, die mit dem "Kirschgarten" einhergehen kann, dass er ein Stück Erde ist, ein Stück Land, wo Besitz verhandelt wird, alter und neuer Besitz. Also sind das sicher auch Fragen von Heimat und Identität, die dort verhandelt werden in diesen Stücken.
Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig ist ja aber der "Kirschgarten" eine Komödie. Und Sie schreiben dazu auf Ihrer Webseite: "Es ist der letzte Heimatabend einer verunsicherten Gesellschaft vor ihrem Ausverkauf." – Sie verstehen sich als politische Theatermacherin. Was ist denn dieser Ausverkauf heute?
Shermin Langhoff: Aber herzlichen Dank fürs Kommen.
Deutschlandradio Kultur: Frau Langhoff, Sie haben Ihr Theater zur Eröffnung der Saison in einen temporären Ausstellungsparcours verwandelt. Sie nennen das "Berliner Herbstsalon". Allein beim Reinkommen sind mir folgende Dinge aufgefallen: Bemalte Fensterscheiben, ein paar riesige Köpfe aus Kunststoff, die in einigen Räumen liegen, und draußen ein roter langer Läufer. Warum das alles?
Shermin Langhoff: Der "Berliner Herbstsalon" ist erst mal der Prolog zu unserer Eröffnung, an dem zehn Tage lang die Berliner Bevölkerung die Chance hat, uns umsonst – in Anführungsstrichen – "Eintritt frei" kennenzulernen. Und für uns ist es sozusagen die Möglichkeit, jenseits des Repertoires, das wir natürlich aufbauen werden an diesem Repertoire- und Ensembletheater, sowohl Themen und Kontexte, die uns interessieren, anders zu fächern, anders aufzumachen, als auch Hinweise bereits zu geben auf die Themen, mit denen wir uns auch in den nächsten Jahren in Stücken beschäftigen werden. Das ist vor allem Nation und Identität.
Und es ist eine Auseinandersetzung, auch eine ganz persönliche für mich künstlerisch, ans Maxim Gorki Theater kommend, in die Mitte Berlins, ins historische Zentrum, das ja nicht mit wenig Bedeutung aufgeladen ist, sich genau mit dieser Mitte auseinanderzusetzen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade schon gesagt, "Nation und Identität", natürlich hier im Zentrum von Berlin ein großes Thema. Inwieweit wird das dann auch in das neue Programm einfließen?
Shermin Langhoff: Wir haben den "Kirschgarten", der eröffnet die Saison als Theaterstück. Wir haben "Die Russen, die Birken lieben", Olga Grjasnowas Roman. Und wir haben "Schwimmen lernen". Und alle drei am ersten Eröffnungswochenende haben natürlich Fragestellungen dazu. Also, bei "Schwimmen lernen" wird das verhandelt über den Mikrokosmos einer Dreiecksbeziehung, in der zwar vornehmlich verhandelt wird die Möglichkeit und Unmöglichkeit von Liebe zwischen den Geschlechtern, in der aber durchaus eben die Überschreitung von Grenzen, auch von echten topografischen, geografischen Grenzen verhandelt wird.
Beim "Russen, der Birken liebt" von Olga Grjasnowa, ein ironischer Titel natürlich, ist es eine junge Frau, Mascha, die aus Aserbaidschan kommt, in Frankfurt studierend, fünf Sprachen sprechend, jüdischer Herkunft und wenn man will auch gerne Russin, ihren Weg sucht, am Ende in Israel landet, wo sie einen neuen Anfang macht.
Und beim "Kirschgarten" gibt es natürlich zwei Ebenen, die schon angelegt sind von Tschechow. Einmal ist es sozusagen das Motiv, dass wir nicht nur Verantwortung für eine Zukunft oder für eine Gegenwart tragen, sondern vielleicht auch für eine Vergangenheit im Sinne von Vermächtnis, im Sinne von Lernen aus dieser. Das ist ein Motiv, das da immer wieder verhandelt wird, das wir aufnehmen. Darüber hinaus ist natürlich auch die große Fragestellung, die mit dem "Kirschgarten" einhergehen kann, dass er ein Stück Erde ist, ein Stück Land, wo Besitz verhandelt wird, alter und neuer Besitz. Also sind das sicher auch Fragen von Heimat und Identität, die dort verhandelt werden in diesen Stücken.
Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig ist ja aber der "Kirschgarten" eine Komödie. Und Sie schreiben dazu auf Ihrer Webseite: "Es ist der letzte Heimatabend einer verunsicherten Gesellschaft vor ihrem Ausverkauf." – Sie verstehen sich als politische Theatermacherin. Was ist denn dieser Ausverkauf heute?
"Na ja, es gibt eine große Angst"
Shermin Langhoff: Na ja, es gibt eine große Angst. Angst ist so ein bestimmendes Moment in der Gesellschaft. Die trifft sicher nicht nur das Bürgertum oder die Mitte der Gesellschaft, aber sie scheint sie insbesondere zu treffen. Das ist auch nicht von ungefähr. Es geht also um Ökonomie, es geht um Verlustängste. Es geht um Überfremdungsängste. Es geht um ökonomische Ängste, das, was als "Krise" bezeichnet wird. Allerdings sind wir schon sieben Jahre in dieser Krise und insofern sind wir in einer Übergangssituation. Alle wissen, es kann nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Es müssen sich Dinge verändern in der Ökonomie genauso wie in der Politik. Und insofern sind wir vielleicht in einem Übergangsstadium – hin zu neuen Praktiken, neuen Ufern, neuen Gesetzgebungen, neuen Fragestellungen an genau diese Ökonomien.
Wir können durchaus von einer Mitte der Gesellschaft sprechen, die sich in den vergangenen Jahren leider in den ideologisierten Diskursen nicht hervorgetan hat als aufgeklärte humanistische Gesellschaft, sondern doch eher als eine, die Sarrazin zum Bestseller macht. Und insofern ist es sozusagen eine verunsicherte Gesellschaft, die Angst hat vor der Zukunft, vor dem, was so beschrieben wird an Gefahren, die liegen können eben in Gleichzeitigkeit von Lebensentwürfen. Daraus werden gleich parallele Welten gemacht, die man eben je nach Perspektive im Bankgeschäft genauso suchen kann wie auf dem Türkenmarkt.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie wollen sich dann schon auch gesellschaftlich einmischen hier am Theater?
Shermin Langhoff: Ich kann mir gar kein anderes Theater als politisches vorstellen per se. Und damit ist ja nicht gemeint, dass wir hier Agitprop-Theater machen werden, sondern damit ist gemeint, dass wir uns als Stadttheater für die Stadt, für ihre Ängste, für ihre Differenz, Diversität und für ihre Konflikte interessieren. Und das ist das Material, aus dem wir schöpfen. Da ist in Berlin ja wirklich sehr viel Material gegeben.
Deutschlandradio Kultur: Diese Diskurse, wollen Sie die hier nur sozusagen aufzeigen oder wollen Sie sich auch einmischen darüber hinaus, auch wenn die Bühne dann, wenn das Schauspiel dann vorbei ist?
Shermin Langhoff: Na ja, also, es ist ja erst mal so: Kunst und kulturelle Praxis, auch das Theater als eine politische Praxis, als eine Praxis zur Veränderung von Gesellschaft, zur kritischen Begleitung von Politik zu definieren, ist das eine. Das andere ist, wie viel Einfluss, wie viel Macht sie darin haben könnte im Sinne von Wirkung. Natürlich haben wir den Wunsch, dass wir Utopien haben, dass wir Bilder haben und Erzählungen haben, die über die ideologisierten Diskurse hinausgehen. Daran werden wir arbeiten. Ich glaube, das ist schon Einmischung genug.
Deutschlandradio Kultur: Vor Ihrer Zeit hier waren Sie unter anderem im Ballhaus Naunynstraße tätig. Da haben Sie den Begriff des postmigrantischen Theaters geprägt, auch schon ein sehr politischer Begriff, der dann die Debatte schon sehr beeinflusst hat, das auch immer noch tut. Da nicken Sie. Das ist ja auch richtig. Können Sie uns aber ihn trotzdem noch einmal kurz erläutern?
Wir können durchaus von einer Mitte der Gesellschaft sprechen, die sich in den vergangenen Jahren leider in den ideologisierten Diskursen nicht hervorgetan hat als aufgeklärte humanistische Gesellschaft, sondern doch eher als eine, die Sarrazin zum Bestseller macht. Und insofern ist es sozusagen eine verunsicherte Gesellschaft, die Angst hat vor der Zukunft, vor dem, was so beschrieben wird an Gefahren, die liegen können eben in Gleichzeitigkeit von Lebensentwürfen. Daraus werden gleich parallele Welten gemacht, die man eben je nach Perspektive im Bankgeschäft genauso suchen kann wie auf dem Türkenmarkt.
Deutschlandradio Kultur: Das heißt, Sie wollen sich dann schon auch gesellschaftlich einmischen hier am Theater?
Shermin Langhoff: Ich kann mir gar kein anderes Theater als politisches vorstellen per se. Und damit ist ja nicht gemeint, dass wir hier Agitprop-Theater machen werden, sondern damit ist gemeint, dass wir uns als Stadttheater für die Stadt, für ihre Ängste, für ihre Differenz, Diversität und für ihre Konflikte interessieren. Und das ist das Material, aus dem wir schöpfen. Da ist in Berlin ja wirklich sehr viel Material gegeben.
Deutschlandradio Kultur: Diese Diskurse, wollen Sie die hier nur sozusagen aufzeigen oder wollen Sie sich auch einmischen darüber hinaus, auch wenn die Bühne dann, wenn das Schauspiel dann vorbei ist?
Shermin Langhoff: Na ja, also, es ist ja erst mal so: Kunst und kulturelle Praxis, auch das Theater als eine politische Praxis, als eine Praxis zur Veränderung von Gesellschaft, zur kritischen Begleitung von Politik zu definieren, ist das eine. Das andere ist, wie viel Einfluss, wie viel Macht sie darin haben könnte im Sinne von Wirkung. Natürlich haben wir den Wunsch, dass wir Utopien haben, dass wir Bilder haben und Erzählungen haben, die über die ideologisierten Diskurse hinausgehen. Daran werden wir arbeiten. Ich glaube, das ist schon Einmischung genug.
Deutschlandradio Kultur: Vor Ihrer Zeit hier waren Sie unter anderem im Ballhaus Naunynstraße tätig. Da haben Sie den Begriff des postmigrantischen Theaters geprägt, auch schon ein sehr politischer Begriff, der dann die Debatte schon sehr beeinflusst hat, das auch immer noch tut. Da nicken Sie. Das ist ja auch richtig. Können Sie uns aber ihn trotzdem noch einmal kurz erläutern?
"Heute ist falsch, was morgen richtig ist"
Shermin Langhoff: Ja, erst mal meint natürlich "postmigrantisch" nichts anderes als eine postmoderne Postdramatik auch meint, nämlich vor allem das Prozesshafte, das ständig Veränderbare. Heute ist falsch, was morgen richtig ist. Und es gibt nicht die Migration, genauso wie es nicht die Moderne gibt. Und schon waren wir dabei, dass wir uns selbst konstruieren konnten und selbst labeln konnten und eben uns nicht immer wieder in eine Ecke stellen lassen mussten.
Insofern hat der Begriff getaugt. Und dann diente er natürlich zur Förderung einer Kulturpraxis, die bisher eben sehr wenig gefördert und anerkannt war. Es sind sehr viele neue Geschichten entstanden, neue deutsche Geschichten von heute, Gegenwartstheater, wenn man so will. Das scheint also kulturpraktisch und kulturpolitisch Sinn gemacht zu haben, zumal es auch durchaus zu Initiationen von anderen Kollegen im Theater auch führt.
Deutschlandradio Kultur: Der Begriff des postmigrantischen Theaters aus Ihrer Zeit am Ballhaus Naunynstraße geht ja auch ein bisschen einher mit der Akademie der Autodidakten. Das ist ein konzeptioneller Arbeitsansatz von Ihnen, um jungen begabten migrantischen Künstlerinnen und Künstlern Zugänge zu schaffen, überhaupt erst sozusagen an Kultur teilzunehmen, zum Beispiel eben am Theater. Werden Sie auch das hier mit hinnehmen können?
Shermin Langhoff: Was es am Gorki Theater gibt, ist eine wunderbare Abteilung, die sich Theaterpädagogik nennt, die wir verstärkt haben mit einer Kollegin vom Jungen Theater Basel, Suna Gürler, die dort verschiedene Praxen gelernt hat, auch mit Autodidakten, mit Laien zu arbeiten. Das heißt, das, was bisher das Haus bereits sehr gut gemacht hat, nämlich Vermittlungsarbeit, also Jugendliche und Kinder ins Theater zu bekommen, ihnen Zugänge zum Theater - rezipierend vor allem, zum Theater-Schauen – zu geben und in partiellen Workshops auch zum Mitarbeiten, das dehnen wir aus. Und es wird hier auch noch mehr Projekte mit Jugendlichen, mit jungen Menschen geben.
Insofern kann man Ansätze davon, nämlich Jugendliche zu gewinnen, die es vielleicht besonders schwer haben, diesen Zugang zu bekommen, durchaus auch da anwenden. Das macht man, indem man Kooperationen hat.
Und das Erleben, das wir jetzt schon haben, ist die erste Sitzung, die vorletzte Woche stattfand, die die Kolleginnen gemacht haben, wo sie Lehrer eingeladen haben. Sie haben noch nie so viele Anmeldungen gehabt wie jetzt zu diesem Zeitpunkt. Und sie haben ganz großes Feedback bekommen, gerade von den Schulen mit hohem Migrationsanteil, dass sie mit dem Programm jetzt noch sehr viel mehr anfangen können und dass sie das Gefühl haben, dass es auch für die Schüler und Schülerinnen viel interessanter ist.
Das zieht sich fort. Neben dieser Vermittlungsarbeit, die eben toll läuft schon an diesem Haus, werden wir natürlich Ansätze weiter denken, die es vorher gab. Und da geht es, glaube ich, wirklich vor allem um eine Vernetzung aller Institutionen, die zu dem Punkt arbeiten. Kulturelle Bildung und der Nachwuchs sollten nicht zu Profilierungsgeschichte oder zu Konkurrenzgeschichte zwischen den Häusern werden, sondern da sollten wir alle die Kulturpolitik, die durchaus schon kulturelle Bildung besonders manifestiert und fördert. Also, ich glaube, diese Vielfalt von Konzepten und von Ansätzen, auch im Umgang mit Nachwuchs, ist ganz wichtig.
Und die Akademie der Autodidakten ist nach wie vor am Ballhaus und macht da hervorragende Arbeit, die mir die Arbeit auch schon in den letzten Jahren massiv abgenommen hatten.
Deutschlandradio Kultur: Frau Langhoff, Sie haben gerade schon den Begriff kulturelle Bildung angesprochen. Sie sind ja auch eines von 14 Mitgliedern im Rat für kulturelle Bildung. Sie sind jetzt vor gut einem Jahr zum ersten Mal zusammengekommen. Sie haben gerade Journalisten das Fallbeispiel aufgemacht hier am Maxim Gorki Theater. Können wir doch mal den Bogen ein bisschen weiter spannen. Die Lage und die Qualität der kulturellen Bildung, wie sieht es denn aus in Deutschland?
Shermin Langhoff: Also, tatsächlich vermag ich noch keine Gesamtanalyse dazu geben. Vor einem Jahr ist diese Initiative gegründet worden. Vier Sitzungen haben stattgefunden. Was toll ist an diesem Gremium, in dem ich vor allem viel lerne, ist, dass da wirklich die Experten sitzen, also Professoren, die dazu forschen mit ihren entsprechenden universitären Teams, wo es also auch um wirklich Statistiken, Befragungen und auch Sammeln von Daten, Informationen geht. Und es sitzen darin auch durchaus Experten, die jetzt nicht nur aus der Academia kommen, sondern noch sehr viel länger als ich sich exakt nur der kulturellen Bildung gewidmet haben. Ich bin da ein bisschen die Theaterfrau, die eben aus dem Kontext auch Erfahrungen mit reinbringen soll und Dinge zur Diskussion stellen.
Ich glaube auch, bei diesem Rat kann man nur sagen: Der Sinn, den er machen könnte, ist eben, es wird – vor ca. 30 Jahren war das die große Losung – "Kultur für alle". Also, es gab schon mal einen großen bundesrepublikanischen Auszug für kulturelle Bildung. Alle sollten Zugänge bekommen. Aus dieser Zeit sind diese wunderbaren vielen Jugendfreizeitzentren mit sehr vielen tollen, auch künstlerischen Bildungsprogrammen ausgestattet worden.
Was wir im Moment zum Beispiel erleben, ist das Aussterben dieser Jugendzentren in der gesamten Bundesrepublik. Also, kommunale Verantwortung, deshalb werden Jugendzentren zum Teil geschlossen oder die Angebote von Jugendzentren werden massiv runtergefahren.
Was es anstatt dessen gibt, ist eine "Projektitis". Das heißt, es gibt viele Einzelgelder, Projektmittel von verschiedenen Stiftungen, dem Bund usw. Man ist angehalten, egal, ob man im Theater ist oder in einem Jugendfreizeitheim arbeitet, immer wahnsinnig innovative, wahnsinnig modellhafte Projekte zu stricken, um mit denen dann einen Antrag zu kriegen. Also, die Arbeit besteht dann vor allem aus Modulation und Formulierung. Und eigentlich wird partiell die Arbeit gemacht, die früher selbstverständlich institutionell oder anderweitig lief.
Ich finde, das muss man sich genau anschauen. Wie kann man da also auch wieder nachhaltiger und stetiger fördern? Wie kann man schauen, wo fehlt es eben? Das sind Fragen, die sich dieser Rat durchaus auch stellt. Können wir auch da beraten? Da geht der Rat an Stiftungen. Da geht der Rat an die Bundesregierung und Landesregierungen und an ihre Formate. Es geht auch viel um das Bemühen, wie man implementieren kann, bereits in der schulischen Bildung kultureller Bildung einen anderen Wert beizumessen als im Kunstunterricht, der ständig ausfällt, oder dem Musikunterricht, der ständig ausfällt. Also, es ist schon ein größeres Denken in Zusammenhängen.
Ich glaube, es macht so Sinn, weil es eben sehr viel Geld im Moment in Umlauf gibt für die kulturelle Bildung, fast schon eine Hysterie an der einen oder anderen Stelle, großes politisches Wollen. Was wir versuchen, ist, all die Akteure, die es in der Republik gibt dazu, über die vielen Stiftungen, die beteiligt sind, auch einzubeziehen und deren Erfahrungen auch mit reinzunehmen.
Deutschlandradio Kultur: Was kann denn kulturelle Bildung, was dann die "andere" Bildung nicht kann?
Insofern hat der Begriff getaugt. Und dann diente er natürlich zur Förderung einer Kulturpraxis, die bisher eben sehr wenig gefördert und anerkannt war. Es sind sehr viele neue Geschichten entstanden, neue deutsche Geschichten von heute, Gegenwartstheater, wenn man so will. Das scheint also kulturpraktisch und kulturpolitisch Sinn gemacht zu haben, zumal es auch durchaus zu Initiationen von anderen Kollegen im Theater auch führt.
Deutschlandradio Kultur: Der Begriff des postmigrantischen Theaters aus Ihrer Zeit am Ballhaus Naunynstraße geht ja auch ein bisschen einher mit der Akademie der Autodidakten. Das ist ein konzeptioneller Arbeitsansatz von Ihnen, um jungen begabten migrantischen Künstlerinnen und Künstlern Zugänge zu schaffen, überhaupt erst sozusagen an Kultur teilzunehmen, zum Beispiel eben am Theater. Werden Sie auch das hier mit hinnehmen können?
Shermin Langhoff: Was es am Gorki Theater gibt, ist eine wunderbare Abteilung, die sich Theaterpädagogik nennt, die wir verstärkt haben mit einer Kollegin vom Jungen Theater Basel, Suna Gürler, die dort verschiedene Praxen gelernt hat, auch mit Autodidakten, mit Laien zu arbeiten. Das heißt, das, was bisher das Haus bereits sehr gut gemacht hat, nämlich Vermittlungsarbeit, also Jugendliche und Kinder ins Theater zu bekommen, ihnen Zugänge zum Theater - rezipierend vor allem, zum Theater-Schauen – zu geben und in partiellen Workshops auch zum Mitarbeiten, das dehnen wir aus. Und es wird hier auch noch mehr Projekte mit Jugendlichen, mit jungen Menschen geben.
Insofern kann man Ansätze davon, nämlich Jugendliche zu gewinnen, die es vielleicht besonders schwer haben, diesen Zugang zu bekommen, durchaus auch da anwenden. Das macht man, indem man Kooperationen hat.
Und das Erleben, das wir jetzt schon haben, ist die erste Sitzung, die vorletzte Woche stattfand, die die Kolleginnen gemacht haben, wo sie Lehrer eingeladen haben. Sie haben noch nie so viele Anmeldungen gehabt wie jetzt zu diesem Zeitpunkt. Und sie haben ganz großes Feedback bekommen, gerade von den Schulen mit hohem Migrationsanteil, dass sie mit dem Programm jetzt noch sehr viel mehr anfangen können und dass sie das Gefühl haben, dass es auch für die Schüler und Schülerinnen viel interessanter ist.
Das zieht sich fort. Neben dieser Vermittlungsarbeit, die eben toll läuft schon an diesem Haus, werden wir natürlich Ansätze weiter denken, die es vorher gab. Und da geht es, glaube ich, wirklich vor allem um eine Vernetzung aller Institutionen, die zu dem Punkt arbeiten. Kulturelle Bildung und der Nachwuchs sollten nicht zu Profilierungsgeschichte oder zu Konkurrenzgeschichte zwischen den Häusern werden, sondern da sollten wir alle die Kulturpolitik, die durchaus schon kulturelle Bildung besonders manifestiert und fördert. Also, ich glaube, diese Vielfalt von Konzepten und von Ansätzen, auch im Umgang mit Nachwuchs, ist ganz wichtig.
Und die Akademie der Autodidakten ist nach wie vor am Ballhaus und macht da hervorragende Arbeit, die mir die Arbeit auch schon in den letzten Jahren massiv abgenommen hatten.
Deutschlandradio Kultur: Frau Langhoff, Sie haben gerade schon den Begriff kulturelle Bildung angesprochen. Sie sind ja auch eines von 14 Mitgliedern im Rat für kulturelle Bildung. Sie sind jetzt vor gut einem Jahr zum ersten Mal zusammengekommen. Sie haben gerade Journalisten das Fallbeispiel aufgemacht hier am Maxim Gorki Theater. Können wir doch mal den Bogen ein bisschen weiter spannen. Die Lage und die Qualität der kulturellen Bildung, wie sieht es denn aus in Deutschland?
Shermin Langhoff: Also, tatsächlich vermag ich noch keine Gesamtanalyse dazu geben. Vor einem Jahr ist diese Initiative gegründet worden. Vier Sitzungen haben stattgefunden. Was toll ist an diesem Gremium, in dem ich vor allem viel lerne, ist, dass da wirklich die Experten sitzen, also Professoren, die dazu forschen mit ihren entsprechenden universitären Teams, wo es also auch um wirklich Statistiken, Befragungen und auch Sammeln von Daten, Informationen geht. Und es sitzen darin auch durchaus Experten, die jetzt nicht nur aus der Academia kommen, sondern noch sehr viel länger als ich sich exakt nur der kulturellen Bildung gewidmet haben. Ich bin da ein bisschen die Theaterfrau, die eben aus dem Kontext auch Erfahrungen mit reinbringen soll und Dinge zur Diskussion stellen.
Ich glaube auch, bei diesem Rat kann man nur sagen: Der Sinn, den er machen könnte, ist eben, es wird – vor ca. 30 Jahren war das die große Losung – "Kultur für alle". Also, es gab schon mal einen großen bundesrepublikanischen Auszug für kulturelle Bildung. Alle sollten Zugänge bekommen. Aus dieser Zeit sind diese wunderbaren vielen Jugendfreizeitzentren mit sehr vielen tollen, auch künstlerischen Bildungsprogrammen ausgestattet worden.
Was wir im Moment zum Beispiel erleben, ist das Aussterben dieser Jugendzentren in der gesamten Bundesrepublik. Also, kommunale Verantwortung, deshalb werden Jugendzentren zum Teil geschlossen oder die Angebote von Jugendzentren werden massiv runtergefahren.
Was es anstatt dessen gibt, ist eine "Projektitis". Das heißt, es gibt viele Einzelgelder, Projektmittel von verschiedenen Stiftungen, dem Bund usw. Man ist angehalten, egal, ob man im Theater ist oder in einem Jugendfreizeitheim arbeitet, immer wahnsinnig innovative, wahnsinnig modellhafte Projekte zu stricken, um mit denen dann einen Antrag zu kriegen. Also, die Arbeit besteht dann vor allem aus Modulation und Formulierung. Und eigentlich wird partiell die Arbeit gemacht, die früher selbstverständlich institutionell oder anderweitig lief.
Ich finde, das muss man sich genau anschauen. Wie kann man da also auch wieder nachhaltiger und stetiger fördern? Wie kann man schauen, wo fehlt es eben? Das sind Fragen, die sich dieser Rat durchaus auch stellt. Können wir auch da beraten? Da geht der Rat an Stiftungen. Da geht der Rat an die Bundesregierung und Landesregierungen und an ihre Formate. Es geht auch viel um das Bemühen, wie man implementieren kann, bereits in der schulischen Bildung kultureller Bildung einen anderen Wert beizumessen als im Kunstunterricht, der ständig ausfällt, oder dem Musikunterricht, der ständig ausfällt. Also, es ist schon ein größeres Denken in Zusammenhängen.
Ich glaube, es macht so Sinn, weil es eben sehr viel Geld im Moment in Umlauf gibt für die kulturelle Bildung, fast schon eine Hysterie an der einen oder anderen Stelle, großes politisches Wollen. Was wir versuchen, ist, all die Akteure, die es in der Republik gibt dazu, über die vielen Stiftungen, die beteiligt sind, auch einzubeziehen und deren Erfahrungen auch mit reinzunehmen.
Deutschlandradio Kultur: Was kann denn kulturelle Bildung, was dann die "andere" Bildung nicht kann?
"Wir sind gerade dabei, Lebenslügen zu sammeln"
Shermin Langhoff: Wenn wir vom klassischen Kanon ausgehen, wir sind gerade dabei, Lebenslügen zu sammeln. Nämlich dazu und was die kulturelle Bildung alles könnten müsste, um auszugleichen, um zu kompensieren, und was alles versprochen wird. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, das amerikanische Leistungsprinzip da reinzubringen: Also, wenn man kulturelle Bildung einführt, dann kriegt man noch bessere Mathematiker. Oder wenn man kulturelle Bildung einführt, dann bekommt man noch humanistischere Menschen für die Gesellschaft.
Ich finde, kulturelle Bildung dürfte genauso wenig verzweckt werden wie die Kunst und tatsächlich einen Möglichkeitsraum eröffnen, in dem Kinder Schlüsselerlebnisse haben können. Aber genau um die Zugänge zu diesen Räumen geht es vor allem und die Verhandlung dessen. Deswegen: Schule und wie ist es möglich, vielleicht im klassischen Bildungskanon einen erweiterten kulturellen Bildungskanon in Form von freiem darstellenden Spiel zum Beispiel, das nicht unbedingt mit Lehrern in der Schule passiert, sondern mit außenstehenden künstlerischen Kräften.
Auch da gibt es Modellprojekte, aber es ist nicht installiert in Lehrpläne. Es ist nicht installiert. Das heißt, es hängt immer vom Engagement eines Schulleiters ab und Pädagogen in den Schulen, ob solche Projekte dann werden. Die sind meist selbst überfordert mit dem, was sie an Anliegen und an Stoff zu vermitteln haben. Also, da geht’s vielmehr darum, Möglichkeitsräume zu schaffen und diese Möglichkeitsräume tatsächlich in Schulen, wo alle ja erst mal sind, egal welcher Herkunft, sozial ebenso wie ethnisch. Und mehr als diese Möglichkeitsräume und als Möglichkeiten, eine Begegnung zu haben, ein Schlüsselmoment zu haben, kann das sicher auch nicht.
Was man ganz klar für die kulturelle Bildung sagen kann, ist, dass wir in einer Zeit leben, in der wir nicht nur Orientierungslosigkeit erleben aufgrund von Komplexität, das, was ich vorhin gesagt habe. Und dann gibt es sozusagen in dieser Gleichzeitigkeit von Information, von Möglichkeiten, sowohl mikrokosmisch, was mein Leben, meine Lebensgestaltung angeht, als auch politisch und als auch das auf die Welt schauern, mitmachen, zur Wahl gehen oder nicht, dass wir heute sehr viel mehr Codes brauchen, um klarzukommen. Und mit Codes können Sprachen gemeint sein, kann aber auch sozusagen eine Esskultur gemeint sein, kann eine Benehmensform in bestimmten Räumen gemeint sein.
Das heißt, wenn ich mit der Komplexität von Welt, mit der Ausdifferenziertheit von Stadt, mit all dem, was wir Vielfalt nennen, mir Chancen, Möglichkeiten, Räume öffnen will, dann brauche ich heute mehr Handwerkszeug – mehr Codes, würde ich das nennen.
Und ich glaube, dass die kulturelle Bildung, die künstlerische Praxis tatsächlich vermag, da Codes und Zugänge zu Codes zu liefern und auch, wenn man so will, im besten Falle ein freies Denken, ein nicht ideologisiertes. Also, ich habe ein Problem. Ich schaue mir das Problem an. Und vielleicht kann ich es eben in einem solchen Projekt mir mal aus einer anderen Perspektive anschauen, die mir im Frontalunterricht, im klassischen Kanon nicht gelingt, kann es anders hinterfragen.
Also: Möglichkeitsräume und die Möglichkeit, in diesen Räumen Schlüsselmomente zu erleben, die mit Kunst, künstlerischem Zugang und künstlerischer Praxis zu tun haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben aber gerade schon erwähnt zum Beispiel die Schulen, wo dann eben auch ein Problem ist mit den Lehrern. Kunstunterricht ist nicht gleich kulturelle Bildung. Dann haben Sie auch gerade schon erwähnt, dass sozusagen durch viele Projekte das Problem so ein bisschen ausgelagert wird, wenn ich das jetzt richtig verstehe. – Müssen denn jetzt dann zum Beispiel Theater die kulturelle Bildung übernehmen, weil ja auch gerade Theater ja dann doch schon oftmals auch als Hochkultur, sag ich mal, oft verschrien sind?
Ich finde, kulturelle Bildung dürfte genauso wenig verzweckt werden wie die Kunst und tatsächlich einen Möglichkeitsraum eröffnen, in dem Kinder Schlüsselerlebnisse haben können. Aber genau um die Zugänge zu diesen Räumen geht es vor allem und die Verhandlung dessen. Deswegen: Schule und wie ist es möglich, vielleicht im klassischen Bildungskanon einen erweiterten kulturellen Bildungskanon in Form von freiem darstellenden Spiel zum Beispiel, das nicht unbedingt mit Lehrern in der Schule passiert, sondern mit außenstehenden künstlerischen Kräften.
Auch da gibt es Modellprojekte, aber es ist nicht installiert in Lehrpläne. Es ist nicht installiert. Das heißt, es hängt immer vom Engagement eines Schulleiters ab und Pädagogen in den Schulen, ob solche Projekte dann werden. Die sind meist selbst überfordert mit dem, was sie an Anliegen und an Stoff zu vermitteln haben. Also, da geht’s vielmehr darum, Möglichkeitsräume zu schaffen und diese Möglichkeitsräume tatsächlich in Schulen, wo alle ja erst mal sind, egal welcher Herkunft, sozial ebenso wie ethnisch. Und mehr als diese Möglichkeitsräume und als Möglichkeiten, eine Begegnung zu haben, ein Schlüsselmoment zu haben, kann das sicher auch nicht.
Was man ganz klar für die kulturelle Bildung sagen kann, ist, dass wir in einer Zeit leben, in der wir nicht nur Orientierungslosigkeit erleben aufgrund von Komplexität, das, was ich vorhin gesagt habe. Und dann gibt es sozusagen in dieser Gleichzeitigkeit von Information, von Möglichkeiten, sowohl mikrokosmisch, was mein Leben, meine Lebensgestaltung angeht, als auch politisch und als auch das auf die Welt schauern, mitmachen, zur Wahl gehen oder nicht, dass wir heute sehr viel mehr Codes brauchen, um klarzukommen. Und mit Codes können Sprachen gemeint sein, kann aber auch sozusagen eine Esskultur gemeint sein, kann eine Benehmensform in bestimmten Räumen gemeint sein.
Das heißt, wenn ich mit der Komplexität von Welt, mit der Ausdifferenziertheit von Stadt, mit all dem, was wir Vielfalt nennen, mir Chancen, Möglichkeiten, Räume öffnen will, dann brauche ich heute mehr Handwerkszeug – mehr Codes, würde ich das nennen.
Und ich glaube, dass die kulturelle Bildung, die künstlerische Praxis tatsächlich vermag, da Codes und Zugänge zu Codes zu liefern und auch, wenn man so will, im besten Falle ein freies Denken, ein nicht ideologisiertes. Also, ich habe ein Problem. Ich schaue mir das Problem an. Und vielleicht kann ich es eben in einem solchen Projekt mir mal aus einer anderen Perspektive anschauen, die mir im Frontalunterricht, im klassischen Kanon nicht gelingt, kann es anders hinterfragen.
Also: Möglichkeitsräume und die Möglichkeit, in diesen Räumen Schlüsselmomente zu erleben, die mit Kunst, künstlerischem Zugang und künstlerischer Praxis zu tun haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben aber gerade schon erwähnt zum Beispiel die Schulen, wo dann eben auch ein Problem ist mit den Lehrern. Kunstunterricht ist nicht gleich kulturelle Bildung. Dann haben Sie auch gerade schon erwähnt, dass sozusagen durch viele Projekte das Problem so ein bisschen ausgelagert wird, wenn ich das jetzt richtig verstehe. – Müssen denn jetzt dann zum Beispiel Theater die kulturelle Bildung übernehmen, weil ja auch gerade Theater ja dann doch schon oftmals auch als Hochkultur, sag ich mal, oft verschrien sind?
"Ich mache diese Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur nicht"
Shermin Langhoff: Ich mache diese Unterscheidung zwischen Hoch- und Subkultur nicht, also habe da verschiedene Theorien dazu gelesen und weiß sehr wohl, dass der Mainstream die Subkultur braucht, um überhaupt sozusagen, wenn wir uns Entwicklungen anschauen, auch im Theater übrigens, das ist genau die Komplexität und die Gleichzeitigkeit, die Sie beschreiben. Ich bin keine Ingenieurin und ich glaube auch, wie wir Deutschen so oft, nicht an Ingenieurslösungen. Es gibt nicht die Lösung. Und es ist eine Suche in dieser Komplexität von Welt und von Weltbewältigung, in der, glaube ich, junge Menschen heute noch überforderter sind und noch weniger Möglichkeiten.
Das hängt natürlich mit politischen Gesamtkonstellationen dieser Welt, mit Utopien, die verloren gegangen sind, zusammen, aber eben auch mit der Überforderung, die über ökonomische Krise kommt, die über Armut kommt. Wir sprechen in Berlin von jedem dritten Kind, das an der Armutsgrenze lebt. Also, das ist wirklich eine Wahnsinnszahl, finde ich, für eine Stadt, in der Sie und ich vielleicht nicht das Erleben haben, das diese Kinder haben.
Und in all dieser Komplexität, glaube ich, braucht es eben die verschiedenen Ansätze, also in der Schule genauso wie extern. Theater, ja, Theater haben für mich nicht den Auftrag, nur den klassischen Bildungskanon abzuliefern, nicht den klassischen Theaterkanon in dem Fall abzuliefern, egal ob für Schulen oder für das Publikum, sondern durchaus sich zu fragen, was es mit dieser Polis zu tun hat und wie es in diese Polis reinwirken kann und wie es die auch ins Theater holen kann.
Deutschlandradio Kultur: Neue Leute ins Theater holen?
Shermin Langhoff: Ja, auch, selbstverständlich, und die Alten behalten und die Alten wieder holen. Weil, am Ballhaus war durchaus das Erleben, dass wir nicht irgendwie da 90 Prozent migrantisches Publikum hatten, sondern naturgemäß war die Mehrheit weiß und deutsch und oft sehr alt sogar.
Und eines der Komplimente, die ich am meisten gehört habe in der Zeit des Ballhauses, kam vor allem von älteren Menschen, die sagten: "Frau Langhoff, ick ging ja nicht mehr ins Theater, weil ick hab ja den Hamlet schon in zehn Handschriften jesehen und kenne also alles, was es gibt. Und das interessiert mich alles auch nicht mehr so sehr. Ich komme sehr gerne zu Ihnen, weil, hier erfahre ich neue Geschichten." Und zum Teil war es auch: "Hier sehe ich auch wieder emotionales Schauspielertheater", weil wir da gar nicht sozusagen sehr inhaltistisch waren und nicht so sehr auf der Suche nach neuen Formen.
Also, ich glaube an die Gleichzeitigkeit von Konzepten und vor allem aber auch an wirklich eine Neugier und eine Liebe für diese Gesellschaft und für diese Jugendlichen, im besten Falle auch von allen Theaterintendantinnen und Intendanten, und ein Wirken selbstverständlich.
Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie sozusagen jetzt auch die Aufgabe übernehmen, durch kulturelle Bildung eben Menschen oder vor allem Jugendliche an das Theater ranzuführen, die ansonsten vielleicht gar nicht so viel damit zu tun haben, laufen Sie nicht ein bisschen Gefahr, auch so als "stellvertretende" Sozialhilfe sozusagen zu gelten, die den Leuten ein bisschen hilft, sozusagen wieder in der Mitte anzukommen? Das ist ja eigentlich nicht Ihre Aufgabe, oder?
Das hängt natürlich mit politischen Gesamtkonstellationen dieser Welt, mit Utopien, die verloren gegangen sind, zusammen, aber eben auch mit der Überforderung, die über ökonomische Krise kommt, die über Armut kommt. Wir sprechen in Berlin von jedem dritten Kind, das an der Armutsgrenze lebt. Also, das ist wirklich eine Wahnsinnszahl, finde ich, für eine Stadt, in der Sie und ich vielleicht nicht das Erleben haben, das diese Kinder haben.
Und in all dieser Komplexität, glaube ich, braucht es eben die verschiedenen Ansätze, also in der Schule genauso wie extern. Theater, ja, Theater haben für mich nicht den Auftrag, nur den klassischen Bildungskanon abzuliefern, nicht den klassischen Theaterkanon in dem Fall abzuliefern, egal ob für Schulen oder für das Publikum, sondern durchaus sich zu fragen, was es mit dieser Polis zu tun hat und wie es in diese Polis reinwirken kann und wie es die auch ins Theater holen kann.
Deutschlandradio Kultur: Neue Leute ins Theater holen?
Shermin Langhoff: Ja, auch, selbstverständlich, und die Alten behalten und die Alten wieder holen. Weil, am Ballhaus war durchaus das Erleben, dass wir nicht irgendwie da 90 Prozent migrantisches Publikum hatten, sondern naturgemäß war die Mehrheit weiß und deutsch und oft sehr alt sogar.
Und eines der Komplimente, die ich am meisten gehört habe in der Zeit des Ballhauses, kam vor allem von älteren Menschen, die sagten: "Frau Langhoff, ick ging ja nicht mehr ins Theater, weil ick hab ja den Hamlet schon in zehn Handschriften jesehen und kenne also alles, was es gibt. Und das interessiert mich alles auch nicht mehr so sehr. Ich komme sehr gerne zu Ihnen, weil, hier erfahre ich neue Geschichten." Und zum Teil war es auch: "Hier sehe ich auch wieder emotionales Schauspielertheater", weil wir da gar nicht sozusagen sehr inhaltistisch waren und nicht so sehr auf der Suche nach neuen Formen.
Also, ich glaube an die Gleichzeitigkeit von Konzepten und vor allem aber auch an wirklich eine Neugier und eine Liebe für diese Gesellschaft und für diese Jugendlichen, im besten Falle auch von allen Theaterintendantinnen und Intendanten, und ein Wirken selbstverständlich.
Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie sozusagen jetzt auch die Aufgabe übernehmen, durch kulturelle Bildung eben Menschen oder vor allem Jugendliche an das Theater ranzuführen, die ansonsten vielleicht gar nicht so viel damit zu tun haben, laufen Sie nicht ein bisschen Gefahr, auch so als "stellvertretende" Sozialhilfe sozusagen zu gelten, die den Leuten ein bisschen hilft, sozusagen wieder in der Mitte anzukommen? Das ist ja eigentlich nicht Ihre Aufgabe, oder?
"Auch mit Sozialarbeit hätte ich kein Problem"
Shermin Langhoff: Also, "soziale Plastik" hört sich für mich erst mal so als philosophischer Begriff sehr gut an. Das heißt, irgendwie Arbeiten zu machen, das sind ja sehr hochwertige künstlerische Arbeiten, also, "Verrücktes Blut" ist ein Projekt mit der Akademie der Autodidakten. Also, die Jugendlichen, die da gespielt haben, waren zumeist nicht gelernte Schauspieler. Mittlerweile sind sie alle fast untergekommen in Schauspielschulen. Aber auch andere Projekte wie Ferienlager, die zum Jugendtheatertreffen eingeladen waren und nach New York und nach Istanbul, sind mit Akademie der Autodidakten entstanden.
Also, es gibt ja wirklich einen hohen Anspruch an eine künstlerische Form und an eine Zuspitzung. Deswegen empfinde ich das überhaupt nicht als Sozialarbeit. Aber auch mit Sozialarbeit hätte ich kein Problem. Auch das kriegen wir irgendwie unter.
Deutschlandradio Kultur: Momentan laufen ja auch Koalitionsverhandlungen. Und eine Diskussion, die es zum Beispiel gibt, ist ein Bundeskulturministerium. Brauchen wir das, ja oder nein? Würde das denn im Bereich der kulturellen Bildung helfen?
Shermin Langhoff: Na selbstverständlich würde das helfen, weil ein Ministerium was anderes bedeutet als ein Beauftragter. Also, das heißt, Sie haben einen anderen Zugriff und eine andere Macht schon allein durch die Repräsentation. Aber das wird sich sicher auch auf Budgets und auf Autonomien auswirken und vor allem auf Strukturen und Mitarbeiter, die vielleicht noch mal noch mehr fördern können, dass Kunst und Kultur einen wichtigen Stellenwert haben.
Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir in den Haushaltsbudgets wirklich minimal beteiligt sind, und zwar – egal, welcher politischer Herkunft – Kulturpolitiker es am schwersten haben in der Politik. Insofern eine Stärkung von Kulturpolitik kann der gesamten Kultur nur gut tun, gerne eine Kulturministerin bitte.
Deutschlandradio Kultur: Keine Angst, dass das dann ideologisiert werden könnte durch eine jedwede Partei?
Shermin Langhoff: Also, das hoffe ich nach wie vor in Deutschland. Nach der monokulturalistischen Zuspitzung, die wir in diesem Land hatten, erlebe ich auch wertkonservative Kolleginnen und Kollegen in der Kulturpolitik durchaus als die, (die) manifest für die Freiheit der Kunst einstehen und streiten. Und die Freiheit der Kunst, die ist bei uns nicht umsonst in der Verfassung verankert. Die hat einfach natürlich mit dieser monokulturalistischen Zuspitzung, die wir in diesem Land einmalig in der Form erlebt haben, zu tun.
Deutschlandradio Kultur: In der NS-Zeit, meinen Sie?
Also, es gibt ja wirklich einen hohen Anspruch an eine künstlerische Form und an eine Zuspitzung. Deswegen empfinde ich das überhaupt nicht als Sozialarbeit. Aber auch mit Sozialarbeit hätte ich kein Problem. Auch das kriegen wir irgendwie unter.
Deutschlandradio Kultur: Momentan laufen ja auch Koalitionsverhandlungen. Und eine Diskussion, die es zum Beispiel gibt, ist ein Bundeskulturministerium. Brauchen wir das, ja oder nein? Würde das denn im Bereich der kulturellen Bildung helfen?
Shermin Langhoff: Na selbstverständlich würde das helfen, weil ein Ministerium was anderes bedeutet als ein Beauftragter. Also, das heißt, Sie haben einen anderen Zugriff und eine andere Macht schon allein durch die Repräsentation. Aber das wird sich sicher auch auf Budgets und auf Autonomien auswirken und vor allem auf Strukturen und Mitarbeiter, die vielleicht noch mal noch mehr fördern können, dass Kunst und Kultur einen wichtigen Stellenwert haben.
Wir dürfen ja nicht vergessen, dass wir in den Haushaltsbudgets wirklich minimal beteiligt sind, und zwar – egal, welcher politischer Herkunft – Kulturpolitiker es am schwersten haben in der Politik. Insofern eine Stärkung von Kulturpolitik kann der gesamten Kultur nur gut tun, gerne eine Kulturministerin bitte.
Deutschlandradio Kultur: Keine Angst, dass das dann ideologisiert werden könnte durch eine jedwede Partei?
Shermin Langhoff: Also, das hoffe ich nach wie vor in Deutschland. Nach der monokulturalistischen Zuspitzung, die wir in diesem Land hatten, erlebe ich auch wertkonservative Kolleginnen und Kollegen in der Kulturpolitik durchaus als die, (die) manifest für die Freiheit der Kunst einstehen und streiten. Und die Freiheit der Kunst, die ist bei uns nicht umsonst in der Verfassung verankert. Die hat einfach natürlich mit dieser monokulturalistischen Zuspitzung, die wir in diesem Land einmalig in der Form erlebt haben, zu tun.
Deutschlandradio Kultur: In der NS-Zeit, meinen Sie?
"Wir haben Künstler weggesperrt und ermordet in diesem Land"
Shermin Langhoff: Ja, selbstverständlich in der NS-Zeit. Die Pogrome jähren sich zum 75. Mal. Wir haben Bücher verbrannt in diesem Land. Wir haben Künstler weggesperrt und ermordet in diesem Land. Da kann ich tatsächlich nur meine Hoffnung auf die Vernunftbegabten setzen. Und, wie gesagt, ich denke da, dass auch wertkonservative Kulturpolitiker wie Monika Grütters und andere, da zweifle ich in keiner Minute daran, dass sie manifest die Freiheit der Kunst verteidigen werden.
Und natürlich ist die Freiheit der Kunst bei uns nicht von ungefähr im Gesetz verankert. Wir haben als Land die größte monokulturalistische Zuspitzung erlebt, die man erleben kann, in der NS-Zeit. Daraus erwächst eine ganz klare Verpflichtung für die Freiheit der Kunst. Und die Freiheit der Kunst meint übrigens nicht nur ihre künstlerische Freiheit, sondern auch ihre Förderung. Ohne Förderung keine Freiheit und keine Möglichkeit sozusagen zur Produktion.
Insofern kann ich mir gerade im Kunst- und Kulturbereich nicht vorstellen, dass ein Missbrauch zugunsten von Ideologien und Parteipolitiken stattfinden sollte. Wenn, dann wären wir Künstler und Produzenten sicher vor Ort, da Fragezeichen zu stellen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn, dann wäre doch sicherlich auch das Maxim Gorki Theater dann zur Stelle, um da Fragen zu stellen.
Shermin Langhoff: Wir sind da. Wir sind ein kleiner Player in all dem, in dem gesamten Spiel. Aber wir möchten gerne auch genau diese Ressourcen und diese Räume nutzen und gerne mitdiskutieren und mitgestalten. Deswegen sind wir angetreten.
Deutschlandradio Kultur: Wir werden in dieser Spielzeit und darüber hinaus erleben, wie es funktioniert hier am Maxim Gorki Theater. Frau Langhoff, vielen, vielen Dank für Ihre Zeit und vielen Dank für das Gespräch und dann bald viel Erfolg hier.
Shermin Langhoff: Ich danke Ihnen.
Und natürlich ist die Freiheit der Kunst bei uns nicht von ungefähr im Gesetz verankert. Wir haben als Land die größte monokulturalistische Zuspitzung erlebt, die man erleben kann, in der NS-Zeit. Daraus erwächst eine ganz klare Verpflichtung für die Freiheit der Kunst. Und die Freiheit der Kunst meint übrigens nicht nur ihre künstlerische Freiheit, sondern auch ihre Förderung. Ohne Förderung keine Freiheit und keine Möglichkeit sozusagen zur Produktion.
Insofern kann ich mir gerade im Kunst- und Kulturbereich nicht vorstellen, dass ein Missbrauch zugunsten von Ideologien und Parteipolitiken stattfinden sollte. Wenn, dann wären wir Künstler und Produzenten sicher vor Ort, da Fragezeichen zu stellen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn, dann wäre doch sicherlich auch das Maxim Gorki Theater dann zur Stelle, um da Fragen zu stellen.
Shermin Langhoff: Wir sind da. Wir sind ein kleiner Player in all dem, in dem gesamten Spiel. Aber wir möchten gerne auch genau diese Ressourcen und diese Räume nutzen und gerne mitdiskutieren und mitgestalten. Deswegen sind wir angetreten.
Deutschlandradio Kultur: Wir werden in dieser Spielzeit und darüber hinaus erleben, wie es funktioniert hier am Maxim Gorki Theater. Frau Langhoff, vielen, vielen Dank für Ihre Zeit und vielen Dank für das Gespräch und dann bald viel Erfolg hier.
Shermin Langhoff: Ich danke Ihnen.