Ich koche israelisch - nicht koscher!

Von Alexander Musik |
Am Anfang machte sie Catering für eine Freundin, heute betreibt sie in Wien mehrere Restaurants mit orientalischer Küche: Haya Molcho, die Frau des berühmten Pantomimen Samy Molcho, hat ihre Liebe zum Essen zum Beruf gemacht.
Haya Molcho hält es nicht lange an einem Platz. An einem uneinsehbaren Tisch ihres Lokals "Neni im Zweiten" bespricht sie sich gerade mit drei ihrer vier Söhne, die in die Firma eingebunden sind: Nuriel kümmert sich um den Internet-Auftritt des florierenden Gastronomie-Betriebes samt Catering-Service, Elior ums Personal, Ilan um die Buchhaltung. So hat die energiegeladene rundliche Frau, gekleidet in eine indisch anmutende Tunika, Zeit, um herumzureisen, Gewürze und Zutaten in aller Welt einzukaufen, Rezepte zu kreieren, kurz: "balagan" zu sein – stets in einem Zustand kreativen Chaos'.

Haya Molcho: "Ich glaube, sesshaft werden wir nie, sesshaft ist kein balagan. Balagan ist auch Inspirationen, Neudefinieren, bereisen."

Einmal im Jahr fährt sie für vier Wochen nach Indien, mehrmals nach Israel, wo die Familie lebt, wo sie hebräisch spricht, wohin sie täglich telefoniert. Haya Molcho ist in Tel Aviv aufgewachsen, die Mutter war eine begeisterte Zionistin, der Vater Zahnarzt.

"Damals hat er eine Bohrmaschine gehabt, ein Motorrad - er war der erste Motorradfahrer in Israel -, und er ist von Dorf zu Dorf gegangen und hat die Zähne gezogen und hat immer Gemüse und Sachen bekommen, wo wir dann gekocht haben. So habe ich auch gelernt einzukochen, zum Beispiel. Es war in einer Farm, wo nur Tomaten gewachsen sind. Das heißt, diese zwei Wochen wurden Tomaten gekocht in jeder Art - von den Kernen ein Saft, oder eine Ratatouille.

So habe ich angefangen, zu Hause Mengen zu sehen - Mengen - das waren wirklich Mengen. Meine Mutter hat immer geschrien: Jetzt bringst du mir schon wieder Tomaten! Mit sieben und acht hat meine Mutter gesagt, habe ich mich schon wahnsinnig interessiert. Meine Großmutter hat die besten eingelegten Gurken gemacht. In Israel, diese knackigen Gurken, kann man nicht vergleichen, mit keiner Gurke der Welt für mich."

Eine Israelin mit rumänischen Wurzeln, die sich alles zutraut, so sieht sich Haya Molcho. 1964 zieht sie mit den Eltern und dem Bruder nach Bremen. Der Vater ist einem Ruf an eine Bremer Zahnklinik gefolgt.

"Die Leute, die ich geliebt habe, waren bei mir. Es war schon ein enormer Wandel vom Klima, von der Sonne, auf der Straße aufwachsen, weil du draußen bist. Damals gab's keine Air condition. Sie waren noch aufgewachsen mit Eisblocks unter dem Bett, da gab's keine Kühlschränke. Plötzlich in die Welt von noch dazu Norddeutschland. Das ist noch extrem weiter wie München - München war schon ein bisschen näher zum Balkan, Norddeutschland war wirklich extrem, aber eigentlich war ich ein glückliches Kind mit ein paar Schockelementen.

Ein sehr nettes Beispiel, werd ich nie vergessen: Einkaufen mit meinem Vater. Er war groß und stark und er hat auch gerne eingekauft. Und Gott sei Dank konnten wir uns das auch leisten. Man hat ihm immer ein oder zwei Scheiben gegeben. Und er hatte Schock: Zwei Kilo - nicht zwei Scheiben! Das war für uns undenkbar, nach Hause mit zwei Scheiben Wurst oder Käse zu kommen!"

Das Großfamiliendenken ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. In Bremen lernte sie auch ihren Mann kennen, Samy Molcho, der gerade am Theater Beckett inszenierte. Mit Samy zog sie sieben Jahre lang durch die Welt, bevor sie mit ihm nach Wien ging. Anstrengende, aufregende Jahre waren das, in denen sie nicht zuletzt viel über die Küche der jeweiligen Länder lernte. War es wichtig, dass ihr Mann auch jüdisch ist?

"Ich habe ihn nicht gesucht, er ist gekommen! Ich bin sehr froh, dass ich den Samy als Mensch kennen gelernt habe. Weil er als Mensch so wertvoll ist und ich ihn als Mensch liebe. Er ist zufällig jüdisch und ein Israeli dazu, das ist was anderes als jüdisch. Wir sind aufgewachsen mit der Mentalität: Versuch es, mach es, hab keine Angst. Die Mentalität der Ostblocksjuden damals war: ängstliche, gebückte Juden. Da sind wir das Gegenteil! Warum mache ich diese Sprünge ins Wasser? Weil ich Israeli bin! Meine Eltern haben mir immer gesagt: Du schaffst es, es gibt nichts, was du nicht schaffen kannst. Niemals das, was wir erlebt haben, niemals wird es auf dich wieder zukommen. Samy hat Israel aufgebaut als junger Mann. Wir sind zwei Israelis, die sich gekannt haben und weniger jüdische Leute."

Dennoch war es Haya wichtig, dass ihr zweites Lokal im zweiten Bezirk liegt, dem früheren jüdischen Viertel, der so genannten Mazzesinsel - die einstige Vorstadt musste erst dem Donau-Sumpf abgerungen werden.

"Ich bin froh im zweiten zu sein, weil es die Mazzesinsel ist. Obwohl ich muss sagen, ich bin eine Israelin, eine Sabre Sabre nennt man uns Israeli, das heißt Kaktusfrucht: aussen stachelig, innen weich. Ich bin eher eine israelische Köchin und nicht eine koschere Köchin. Ich halte die Traditionen zu Hause, wir gehen auch zur Synagoge vier Mal im Jahr, mehr auch nicht. Wir sind traditionell, aber nicht orthodox."

Haya Molcho nennt sich einen positiven Menschen, offenherzig, mit Urvertrauen, ein Familienmensch. Eine israelische Köchin, die die kulinarischen Einflüsse der Nachbarländer aufsaugt. Orientalisch-globalisierte Lokale sind in Wien entstanden, mit Gespür für den Zeitgeist eingerichtet. Die 30-Plus-Klientel, die es sich leisten kann, fühlt sich wohl in den Lokalen namens "Neni am Naschmarkt", "Neni im Zweiten" und im so genannten "Tel Aviv Beach", einem Szenetreff am Donaukanal mit extra eingeflogenem Sand aus Tel Aviv. Überhaupt, authentisch muss alles sein, sagt Haya, die Zutaten müssen stimmen, auch wenn es schwierig ist, sie zu beschaffen, besonders in Israel.

"Zum Beispiel, ich bekomme mein Tajina von den besetzten Gebieten. Ich bin als einzige Frau hingefahren, obwohl mir jemand abgeraten hat. Ich liebe diese Tajina, weil es ist die beste, die dort her kommt, und würde alles machen und nie Angst haben, weil ich dem Leben vertraue."

Politisch sei sie idealistisch, glaube an Frieden und Gespräche mit den Palästinensern, bete für eine einvernehmliche Lösung. Ein paar Tische weiter in ihrem Lokal sitzt ihr um fast zwei Jahrzehnte älterer Mann allein an einem Tisch.

"Samy ist dort jeden zweiten Monat, er hat Sehnsucht nach Israel. Er ist durch und durch Israeli geblieben."