"Ich mag diese Musik unheimlich gerne"
Für das Bochumer Schauspielhaus hat Lutz Hübner ein Stück über eine sterbende Kneipe geschrieben, das auf Songs von Herbert Grönemeyer basiert. Im Interview spricht der Autor über moderne Volkslieder, den Charme des Populären und das ganz spezielle Grönemeyer-Feeling.
Ulrike Timm: Herbert Grönemeyers "Bochum" gehört spätestens seit seiner neusten Theaterarbeit zum Standardrepertoire: Lutz Hübner hat fürs Bochumer Schauspielhaus eine Uraufführung erarbeitet, die auf den Songs von Herbert Grönemeyer basiert. Eine Kneipe schließt nach 30 Jahren, die Gäste lassen wehmütig die vergangene Zeit Revue passieren, auf jedes Jahr gibt es einen Schnaps und zu jedem Schnaps ein Lied von Herbert Grönemeyer! Lutz Hübner, Theatermensch und derzeit einer der meistgespielten Dramatiker an deutschen Bühnen, herzlich willkommen!
Lutz Hübner: Guten Morgen!
Timm: Wie kam es denn eigentlich dazu, dass Sie das Libretto für ein Stück schrieben, das auf Grönemeyer-Songs basiert?
Hübner: Das war ein Vorschlag des Schauspielhauses Bochum. Ich arbeite ja schon seit einigen Jahren mit Anselm Weber und seinem Team zusammen und da war die Frage, ob ich Lust hätte, so was zu machen, und das ist natürlich ein Leckerbissen, den man sich als Autor nicht entgehen lässt.
Timm: Das heißt, Sie sind Fan?
Hübner: Fan klingt immer so nach Starschnittpostern und signierten T-Shirts. Ich würde sagen, ich mag diese Musik unheimlich gerne und habe deswegen gerne zugesagt.
Timm: Nun werden auch die größten Fans Herbert Grönemeyer nicht nachsagen, dass er richtig gut singen kann. Seine Songs, die stehen ja eher für ein Lebensgefühl. 30 Songs haben Sie ausgesucht aus rund 170, die es gibt. Nach welchen Kriterien haben Sie die denn ausgewählt?
Hübner: Die erste Entscheidung ist – und diese Entscheidungen sind immer zusammen gefallen natürlich mit Torsten Kindermann und Barbara Hauck, der Regisseurin und dem musikalischen Leiter, die beiden … Zum einen natürlich Sachen, die uns gefallen, die uns irgendwie angesprungen haben, da gibt es natürlich Songs, die müssen einfach drin sein. Und dann, als man so eine erste Idee hatte, was für eine Geschichte das sein könnte, natürlich zu sagen, wie kann man die Geschichten, die die Songs erzählen, kombinieren mit der Geschichte, die wir erzählen wollen?
Timm: Und welche Songs sind dabei und welche nicht?
Hübner: Dabei sind zum Beispiel "Halt mich", "Wäre ich einfach nur feige", "Bochum" natürlich, "Männer" darf nicht fehlen, aber was wir von Anfang an gesagt haben, ist, dass natürlich jetzt nicht irgendjemand auf der Bühne stehen soll und Grönemeyers Gesangstechnik versucht zu imitieren, sondern dass wir sagen, wir nehmen die Komposition und da gibt es neue Arrangements, das heißt, man geht wirklich mit den Kompositionen um und versucht, das dann in diesen Geschichtenzusammenhang zu bringen.
Timm: Das kann ja auch ein bisschen peinlich werden, wenn Schauspieler einen Sänger, der zwar nicht singt, aber absolut ein Original ist, Herbert Grönemeyer, wenn sie dessen Songs covern, singen. Verstehen Sie das als Ergänzung oder verstehen Sie das als Kontrapunkt, was die Schauspieler da machen?
Hübner: Das ist eigentlich, dass man wirklich vom Komponisten Grönemeyer ausgeht, dass man wirklich sagt, das ist ein Musiker, und ich würde sagen, das ist einer der deutschen Musiker, die wirklich ein Blues-Feeling, ein Soul-Feeling haben, und der auch Lieder geschrieben hat, die inzwischen, kann man ja fast sagen, Volksliedcharakter haben zum Teil, also in seinen berühmtesten Songs. Dass man die musikalische Substanz nimmt und einfach sagt, das ist das Lied und was kann man über die Arrangements, was kann man über das Feeling mit Schauspielern da erzählen?
Timm: Haben Sie zu Hause zur Vorbereitung des Librettos erst mal alle Grönemeyer-Songs nacheinander gehört?
Hübner: Ich habe mich erst mal ein paar Wochen, fast ein paar Monate hingesetzt und habe wirklich alles durchgehört und habe immer Listen gemacht, um zu sagen, das springt mich an oder das könnte man gebrauchen, das war dann so die erste Long List. Das wurde dann die Short List und dann irgendwann war die Kill-your-Darlings-Runde, dass man sagt, soundso viel können wir nur bringen und das ist eigentlich die Bestenliste.
Timm: Wie anstrengend war das, den ganzen Tag Grönemeyer hören?
Hübner: Man muss es sich schon einteilen, man schafft es nicht acht Stunden am Tag, aber ich glaube, das schafft man bei keinem Musiker. Aber irgendwann ist es auch so die Spannung, zu sagen, okay, jetzt nehme ich mir mal das Album vor und das kenne ich noch nicht, mal sehen, was ist irgendwie da dabei. Es ist irgendwann auch eine Entdeckungsreise.
Timm: Die Rahmenhandlung ist letztlich der Tod einer Kneipe. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es zu jedem Song einen Bühnenschnaps. Und dann muss sich doch der Gesangsstil im Laufe der Inszenierung heftig wandeln?
Hübner: Ja, das Stück wird auch so im Laufe der Zeit immer etwas surrealer, wie das für so einen richtigen Kneipenabend üblich ist. Das heißt, wir haben da auch Ebenen eingebaut, wo es den Realismus verlässt. Aber ich glaube, das ist so gegen später in einer Kneipe, vor allem, wenn sie schließt nach vielen, vielen Jahren, glaube ich, ganz selbstverständlich, dass das so sein muss. Insofern arbeitet das Hand in Hand.
Timm: Sagt der Dramatiker Lutz Hübner, dessen Singspiel "Bochum" am Sonntag dortselbst Uraufführung hat. Herr Hübner, Sie selbst sind ausgebildeter Schauspieler und Sie haben Germanistik, Philosophie und Soziologie studiert. Wie kam es dazu, dass Sie heute vor allem Theaterstücke schreiben, und meistens Theaterstücke für junge Leute?
Hübner: Dieses Studium war so das klassische Studium, das man ergreift, wenn man noch nicht so genau weiß, wo es hingehen soll. Und in der Zeit habe ich mit freiem Theater angefangen und dann irgendwann beschlossen, an die Schauspielschule zu gehen, wurde da Gott sei Dank genommen, habe dann eine Weile als Schauspieler gearbeitet, aber als Schauspieler schon angefangen, kleine Stücke zu schreiben und dann Regie zu führen. Schritt für Schritt bin ich irgendwann dann nur beim Schreiben gelandet. Es war eine stetige Entwicklung über mehrere Jahre.
Timm: Die meisten Stücke schreiben Sie in Teamwork mit Sarah Nemitz.
Hübner: Genau.
Timm: Wie muss man sich so ein Teamwork bei einem Text, der ja auch ein runder Text sein soll, vorstellen, wenn zwei Autoren an einem Text schreiben?
Hübner: Es ist, glaube ich, das Pingpongspiel, was diese Arbeit auszeichnet, also, dass man sich zusammen hinsetzt und man schmeißt seine Ideen zusammen und dann erzähle ich einfach mal, was so meine erste Idee ist, und dann sagt Sarah, nein, das kann nicht aufgehen, oder probier doch dies mal aus oder das, und dann hat sie selber noch irgendeine Geschichte, die sie mit einbringt. Das heißt, man entwickelt im Gespräch eigentlich so den ersten Plot, dann teilt man sich auf, wer was recherchiert, da ist ja meistens eine lange Recherchephase, bevor es ins Schreiben geht. Dann schreibe ich später die erste Fassung, die liest sie Korrektur, das heißt, es ist eigentlich immer so ein Hin und Her, bis der Text fertig ist.
Timm: Viele Ihrer Stücke wenden sich vorrangig an junge Leute, "Aussetzer" zum Beispiel, "Frau Müller muss weg" war ein sehr, sehr großer Erfolg. Viele Bühnen haben dieses Stück gespielt um eine gemobbte Lehrerin. Warum interessieren Sie gerade Themen, die sich an Jugendliche wenden? Ist das ein anderes Schreiben, ein anderes Herangehen ans Theater?
Hübner: Das hat sich vor allem darüber ergeben, dass ich die ersten Stücke damals fürs Grips-Theater geschrieben habe und gemerkt habe, dass Jugendliche ein unglaublich interessantes Publikum sind, und dass im weitesten Sinne politisches Theater für Jugendliche extrem wichtig ist, weil das einfach ein Ort ist, wo man alles behandeln kann, wo Jugendliche mit Gesellschaft und gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert sind. Es wird ja quasi jedes gesellschaftliche Problem durchgereicht, bis es irgendwann bei den Jugendlichen ankommt, und das war etwas, was mich interessiert hat. Dass man das als Plattform nutzt, um sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Inzwischen würde ich sagen, es ist halbe-halbe für Erwachsene und für Jugendliche, aber ich will diese Schiene, für Jugendliche zu schreiben, auf keinen Fall aufgeben.
Timm: Nun sind Sie so zum meistgespielten zeitgenössischen Autor der Gegenwart in Deutschland geworden, nach Shakespeare, den Gebrüdern Grimm, Kleist, Goethe und Brecht, hat der Deutsche Bühnenverein ausgerechnet, kommt sofort Hübner. Guter Platz! Nun werfen Ihnen manche trotzdem vor, zum Beispiel eine bekannte Theaterkritikerin, Sie würden ja eigentlich nur so eine Art Privatfernsehen im Theaterformat machen und dem Charme des Populismus frönen. Was sagen Sie solchen Kritikern?
Hübner: Ich glaube, was man mit den Jahren lernt, ist, dass man Kritik einfach aushält, dass man Kritik, wenn sie interessante Anregungen bietet, wo man sagt, da ist vielleicht wirklich was schiefgegangen – man weiß ja selber auch, wo man mal irgendwann danebengehauen hat –, dass man das konstruktiv aufnimmt, und das andere gehört einfach zum Beruf. Ich glaube, das ist das eine. Was den Populismusvorwurf betrifft, ich glaube, es ist so ein bisschen eine deutsche Schrulle, dass Erfolg oft automatisch mit Populismus gleichgesetzt wird. Aber mein Orientierungspunkt ist sowieso eher das Publikum als die Kritik, würde ich sagen.
Timm: "Bochum", am Sonntag in Bochum, darf und soll einfach nur Spaß machen, oder ist das auch ein politisch oder für Theaterkritiker ein populistisches Stück?
Hübner: Ja, so die zweite Ebene, wenn man es so nennen will, ist eigentlich die, zu sagen, dass in dem Moment, wo diese Leute eigentlich versuchen herauszukriegen, wie waren die letzten 30 Jahre, geht es natürlich immer auch um die Fragen, wohin hätte sich mein Leben auch entwickeln können oder wo waren eigentlich die Schaltstellen, wo ich mich vielleicht falsch entschieden habe, oder wo ich zu feige war oder wo ich mehr Mut haben müsste? Also, es ist eigentlich auch eine Reflexion darüber, wie entsteht eigentlich der Lebenslauf, mit dem man herumläuft? Das ist quasi, ich würde nicht sagen, eine politische, es ist eher eine philosophische Ebene, die da mitschwingt.
Timm: Lutz Hübner, derzeit meistgespielter zeitgenössischer Autor auf deutschen Bühnen, am kommenden Sonntag hat sein Grönemeyer-Singspiel "Bochum" Premiere. Wo? Natürlich im Bochumer Schauspielhaus! Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Hübner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Lutz Hübner: Guten Morgen!
Timm: Wie kam es denn eigentlich dazu, dass Sie das Libretto für ein Stück schrieben, das auf Grönemeyer-Songs basiert?
Hübner: Das war ein Vorschlag des Schauspielhauses Bochum. Ich arbeite ja schon seit einigen Jahren mit Anselm Weber und seinem Team zusammen und da war die Frage, ob ich Lust hätte, so was zu machen, und das ist natürlich ein Leckerbissen, den man sich als Autor nicht entgehen lässt.
Timm: Das heißt, Sie sind Fan?
Hübner: Fan klingt immer so nach Starschnittpostern und signierten T-Shirts. Ich würde sagen, ich mag diese Musik unheimlich gerne und habe deswegen gerne zugesagt.
Timm: Nun werden auch die größten Fans Herbert Grönemeyer nicht nachsagen, dass er richtig gut singen kann. Seine Songs, die stehen ja eher für ein Lebensgefühl. 30 Songs haben Sie ausgesucht aus rund 170, die es gibt. Nach welchen Kriterien haben Sie die denn ausgewählt?
Hübner: Die erste Entscheidung ist – und diese Entscheidungen sind immer zusammen gefallen natürlich mit Torsten Kindermann und Barbara Hauck, der Regisseurin und dem musikalischen Leiter, die beiden … Zum einen natürlich Sachen, die uns gefallen, die uns irgendwie angesprungen haben, da gibt es natürlich Songs, die müssen einfach drin sein. Und dann, als man so eine erste Idee hatte, was für eine Geschichte das sein könnte, natürlich zu sagen, wie kann man die Geschichten, die die Songs erzählen, kombinieren mit der Geschichte, die wir erzählen wollen?
Timm: Und welche Songs sind dabei und welche nicht?
Hübner: Dabei sind zum Beispiel "Halt mich", "Wäre ich einfach nur feige", "Bochum" natürlich, "Männer" darf nicht fehlen, aber was wir von Anfang an gesagt haben, ist, dass natürlich jetzt nicht irgendjemand auf der Bühne stehen soll und Grönemeyers Gesangstechnik versucht zu imitieren, sondern dass wir sagen, wir nehmen die Komposition und da gibt es neue Arrangements, das heißt, man geht wirklich mit den Kompositionen um und versucht, das dann in diesen Geschichtenzusammenhang zu bringen.
Timm: Das kann ja auch ein bisschen peinlich werden, wenn Schauspieler einen Sänger, der zwar nicht singt, aber absolut ein Original ist, Herbert Grönemeyer, wenn sie dessen Songs covern, singen. Verstehen Sie das als Ergänzung oder verstehen Sie das als Kontrapunkt, was die Schauspieler da machen?
Hübner: Das ist eigentlich, dass man wirklich vom Komponisten Grönemeyer ausgeht, dass man wirklich sagt, das ist ein Musiker, und ich würde sagen, das ist einer der deutschen Musiker, die wirklich ein Blues-Feeling, ein Soul-Feeling haben, und der auch Lieder geschrieben hat, die inzwischen, kann man ja fast sagen, Volksliedcharakter haben zum Teil, also in seinen berühmtesten Songs. Dass man die musikalische Substanz nimmt und einfach sagt, das ist das Lied und was kann man über die Arrangements, was kann man über das Feeling mit Schauspielern da erzählen?
Timm: Haben Sie zu Hause zur Vorbereitung des Librettos erst mal alle Grönemeyer-Songs nacheinander gehört?
Hübner: Ich habe mich erst mal ein paar Wochen, fast ein paar Monate hingesetzt und habe wirklich alles durchgehört und habe immer Listen gemacht, um zu sagen, das springt mich an oder das könnte man gebrauchen, das war dann so die erste Long List. Das wurde dann die Short List und dann irgendwann war die Kill-your-Darlings-Runde, dass man sagt, soundso viel können wir nur bringen und das ist eigentlich die Bestenliste.
Timm: Wie anstrengend war das, den ganzen Tag Grönemeyer hören?
Hübner: Man muss es sich schon einteilen, man schafft es nicht acht Stunden am Tag, aber ich glaube, das schafft man bei keinem Musiker. Aber irgendwann ist es auch so die Spannung, zu sagen, okay, jetzt nehme ich mir mal das Album vor und das kenne ich noch nicht, mal sehen, was ist irgendwie da dabei. Es ist irgendwann auch eine Entdeckungsreise.
Timm: Die Rahmenhandlung ist letztlich der Tod einer Kneipe. Und wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es zu jedem Song einen Bühnenschnaps. Und dann muss sich doch der Gesangsstil im Laufe der Inszenierung heftig wandeln?
Hübner: Ja, das Stück wird auch so im Laufe der Zeit immer etwas surrealer, wie das für so einen richtigen Kneipenabend üblich ist. Das heißt, wir haben da auch Ebenen eingebaut, wo es den Realismus verlässt. Aber ich glaube, das ist so gegen später in einer Kneipe, vor allem, wenn sie schließt nach vielen, vielen Jahren, glaube ich, ganz selbstverständlich, dass das so sein muss. Insofern arbeitet das Hand in Hand.
Timm: Sagt der Dramatiker Lutz Hübner, dessen Singspiel "Bochum" am Sonntag dortselbst Uraufführung hat. Herr Hübner, Sie selbst sind ausgebildeter Schauspieler und Sie haben Germanistik, Philosophie und Soziologie studiert. Wie kam es dazu, dass Sie heute vor allem Theaterstücke schreiben, und meistens Theaterstücke für junge Leute?
Hübner: Dieses Studium war so das klassische Studium, das man ergreift, wenn man noch nicht so genau weiß, wo es hingehen soll. Und in der Zeit habe ich mit freiem Theater angefangen und dann irgendwann beschlossen, an die Schauspielschule zu gehen, wurde da Gott sei Dank genommen, habe dann eine Weile als Schauspieler gearbeitet, aber als Schauspieler schon angefangen, kleine Stücke zu schreiben und dann Regie zu führen. Schritt für Schritt bin ich irgendwann dann nur beim Schreiben gelandet. Es war eine stetige Entwicklung über mehrere Jahre.
Timm: Die meisten Stücke schreiben Sie in Teamwork mit Sarah Nemitz.
Hübner: Genau.
Timm: Wie muss man sich so ein Teamwork bei einem Text, der ja auch ein runder Text sein soll, vorstellen, wenn zwei Autoren an einem Text schreiben?
Hübner: Es ist, glaube ich, das Pingpongspiel, was diese Arbeit auszeichnet, also, dass man sich zusammen hinsetzt und man schmeißt seine Ideen zusammen und dann erzähle ich einfach mal, was so meine erste Idee ist, und dann sagt Sarah, nein, das kann nicht aufgehen, oder probier doch dies mal aus oder das, und dann hat sie selber noch irgendeine Geschichte, die sie mit einbringt. Das heißt, man entwickelt im Gespräch eigentlich so den ersten Plot, dann teilt man sich auf, wer was recherchiert, da ist ja meistens eine lange Recherchephase, bevor es ins Schreiben geht. Dann schreibe ich später die erste Fassung, die liest sie Korrektur, das heißt, es ist eigentlich immer so ein Hin und Her, bis der Text fertig ist.
Timm: Viele Ihrer Stücke wenden sich vorrangig an junge Leute, "Aussetzer" zum Beispiel, "Frau Müller muss weg" war ein sehr, sehr großer Erfolg. Viele Bühnen haben dieses Stück gespielt um eine gemobbte Lehrerin. Warum interessieren Sie gerade Themen, die sich an Jugendliche wenden? Ist das ein anderes Schreiben, ein anderes Herangehen ans Theater?
Hübner: Das hat sich vor allem darüber ergeben, dass ich die ersten Stücke damals fürs Grips-Theater geschrieben habe und gemerkt habe, dass Jugendliche ein unglaublich interessantes Publikum sind, und dass im weitesten Sinne politisches Theater für Jugendliche extrem wichtig ist, weil das einfach ein Ort ist, wo man alles behandeln kann, wo Jugendliche mit Gesellschaft und gesellschaftlichen Veränderungen konfrontiert sind. Es wird ja quasi jedes gesellschaftliche Problem durchgereicht, bis es irgendwann bei den Jugendlichen ankommt, und das war etwas, was mich interessiert hat. Dass man das als Plattform nutzt, um sich mit gesellschaftlichen Themen auseinanderzusetzen. Inzwischen würde ich sagen, es ist halbe-halbe für Erwachsene und für Jugendliche, aber ich will diese Schiene, für Jugendliche zu schreiben, auf keinen Fall aufgeben.
Timm: Nun sind Sie so zum meistgespielten zeitgenössischen Autor der Gegenwart in Deutschland geworden, nach Shakespeare, den Gebrüdern Grimm, Kleist, Goethe und Brecht, hat der Deutsche Bühnenverein ausgerechnet, kommt sofort Hübner. Guter Platz! Nun werfen Ihnen manche trotzdem vor, zum Beispiel eine bekannte Theaterkritikerin, Sie würden ja eigentlich nur so eine Art Privatfernsehen im Theaterformat machen und dem Charme des Populismus frönen. Was sagen Sie solchen Kritikern?
Hübner: Ich glaube, was man mit den Jahren lernt, ist, dass man Kritik einfach aushält, dass man Kritik, wenn sie interessante Anregungen bietet, wo man sagt, da ist vielleicht wirklich was schiefgegangen – man weiß ja selber auch, wo man mal irgendwann danebengehauen hat –, dass man das konstruktiv aufnimmt, und das andere gehört einfach zum Beruf. Ich glaube, das ist das eine. Was den Populismusvorwurf betrifft, ich glaube, es ist so ein bisschen eine deutsche Schrulle, dass Erfolg oft automatisch mit Populismus gleichgesetzt wird. Aber mein Orientierungspunkt ist sowieso eher das Publikum als die Kritik, würde ich sagen.
Timm: "Bochum", am Sonntag in Bochum, darf und soll einfach nur Spaß machen, oder ist das auch ein politisch oder für Theaterkritiker ein populistisches Stück?
Hübner: Ja, so die zweite Ebene, wenn man es so nennen will, ist eigentlich die, zu sagen, dass in dem Moment, wo diese Leute eigentlich versuchen herauszukriegen, wie waren die letzten 30 Jahre, geht es natürlich immer auch um die Fragen, wohin hätte sich mein Leben auch entwickeln können oder wo waren eigentlich die Schaltstellen, wo ich mich vielleicht falsch entschieden habe, oder wo ich zu feige war oder wo ich mehr Mut haben müsste? Also, es ist eigentlich auch eine Reflexion darüber, wie entsteht eigentlich der Lebenslauf, mit dem man herumläuft? Das ist quasi, ich würde nicht sagen, eine politische, es ist eher eine philosophische Ebene, die da mitschwingt.
Timm: Lutz Hübner, derzeit meistgespielter zeitgenössischer Autor auf deutschen Bühnen, am kommenden Sonntag hat sein Grönemeyer-Singspiel "Bochum" Premiere. Wo? Natürlich im Bochumer Schauspielhaus! Herzlichen Dank fürs Gespräch!
Hübner: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.