"Ich mag, wie Burroughs mit der Groteske umgeht"
Der Regisseur Yony Leyser hat seinen "Mentor" porträtiert: "William S. Burroughs - A Man Within" heißt sein Film über den US-Autor, vor dessen Werk sich viele Amerikaner bis heute fürchteten. Ihn selbst hätten das Groteske und der Verfall aber schon immer fasziniert, sagt Leyser.
Frank Meyer: Von William S. Burroughs sprechen sie alle voller Faszination und Bewunderung: die Avantgarde-Musikerin Laurie Anderson, der Punkrocker Iggy Pop, die Regisseure David Cronenberg und Gus van Sant. Der Filmemacher Yony Leyser hat sie vor die Kamera geholt für Gespräche über William S. Burroughs, er hat aber auch mit dem Waffenhändler von Burroughs gesprochen, mit einem Schlangenzüchter, mit sehr vielen Menschen, die Burroughs bei seinem riskanten Leben getroffen hat. Aus diesen Gesprächen und einer Fülle von anderem Material hat Yony Leyser ein faszinierendes Burroughs-Porträt zusammengestellt. Und über diesen Film reden wir jetzt mit ihm. Seien Sie willkommen, Yony Leyser!
Yony Leyser: Hallo!
Meyer: Sie haben schon in der Schule den berühmtesten Roman von Burroughs gelesen "Naked Lunch", und Sie haben sich sofort in dieses Buch verliebt, haben Sie einmal erzählt. Das ist ja auch ein finsteres und obszönes, verstörendes Buch – in was haben Sie sich da verliebt?
Leyser: Ich glaube, ich verliebte mich darin, dass hier eine Idee propagiert wurde, die antiautoritär war, die gegen die totale Kontrolle des Staates ging, und das alles auf eine sehr, sehr tierische, eine sehr witzige, eine sehr lockere Art und Weise. Und das hat mir irgendwo die Augen geöffnet, nachdem ich sehr viel schlechte Literatur gelesen hatte, weil in amerikanischen Schulen kriegt man die guten Sachen nicht zu lesen.
Meyer: Das heißt, dieser berühmte Roman "Naked Lunch" ist immer noch keine Schullektüre in den USA?
Leyser: Ja, definitiv nicht. Das Einzige, was vielleicht von Beatautoren mittlerweile zu lesen ist, wäre "On the Road". Aber das heißt noch lange nicht, dass die Kids das nicht nach der Schule lesen.
Meyer: Wir wollen auch mal den Meister selbst hören, also William S. Burroughs. Wir haben uns einen kurzen Ausschnitt aus einer Lesung herausgesucht. Man hört diesen Ausschnitt in Ihrem Film und jetzt hier auch mal kurz bei uns:
(Film-O-Ton)
William S. Burroughs: Ein Mann wird nackt hereingetragen von zwei schwarzen Dienern, die ihn mit bestialischer Brutalität höhnisch auf die Planken fallen lassen. Der Mann windet sich. Sein Fleisch wird zu einer zähen, durchsichtigen Gallerte, die in grünem Dunst entschwindet.
Meyer: Sein Fleisch wird zu einer zähen, durchsichtigen Gallerte, die in grünem Dunst entschwindet. Richtig appetitlich ist das ja nicht, warum haben Sie das hineingenommen in Ihren Film?
Leyser: Das liegt einfach daran, dass ich mag, wie Burroughs mit der Groteske umgeht, wie er die Groteske auch darstellt. Und auch ich in meiner künstlerischen Tätigkeit habe ich immer mit Groteske auseinandergesetzt, ganz egal, ob ich Fotos mache oder ob ich schreibe. Und wenn man hier spazieren geht, hier in Berlin vielleicht nicht ganz so stark, aber in anderen Städten, in denen man lebt, dann sieht man immer nur das Schöne, man sieht immer nur die Fassade, nicht das, was dahinter liegt. Man sieht den schönen Baum, aber nicht unbedingt die Würmer, die ihn zerfressen. Man sieht nicht die Verwesung. Und mich interessiert das Groteske und mich interessiert auch der Verfall.
Meyer: In Ihrem Film, da beschreiben viele Gesprächspartner, dass William S. Burroughs zumindest eine Zeit lang so etwas wie das Feindbild war für den amerikanischen Mainstream, eine enorme Provokation. Was Sie gerade beschrieben haben, dieses Blicken hinter die Fassade, eben auf das Schmutzige, das Gemeine, das Hässliche, Obszöne – war er dadurch so eine Provokation, oder war es noch etwas ganz anderes?
Leyser: Ja, ich glaube, er hat diese traditionellen amerikanischen Werte wirklich auch angegriffen, die im Christentum bestehen, in der heilen Familie. Man arbeitet schön von neun bis fünf, man ist angepasst – und dann jemand, der in den 50er-Jahren homosexuell war, der Drogen genommen hat, der nicht linear geschrieben hat, der sich mit dem Tod auseinandergesetzt hat, bei dem die Elemente von grotesk eine so starke Rolle gespielt haben, das war wie ein Schneeballeffekt, der dazu eben führte, dass die Leute davon sehr verstört waren. Und Gott sei Dank wird diese Tradition wenigstens teilweise fortgeführt, aber ich glaube, es gibt immer noch eine große Angst in den USA vor ihm und seinem Werk. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich nach Berlin gezogen bin, weil hier scheinen die Leute ein bisschen weniger Angst vor solchen Dingen zu haben als in meinem Land.
Meyer: Sie haben es schon gesagt, dass "Naked Lunch" noch keine Schullektüre ist in den USA, was ich natürlich, ehrlich gesagt, auch nicht erwartet habe, aber wie ist das mit William S. Burroughs und dem heutigen Amerika? Ist er heute mit dieser großen hungrigen Umarmung der Popkultur eingemeindet worden oder ist dieses Verstörende an ihm, ist das immer noch verstört?
Leyser: Ja, mit Sicherheit hat das vor allen Dingen auch in den 70er-Jahren eine ganz große Rolle gespielt, dass er sozusagen in die amerikanische Popkultur mit eingedrungen ist, dass eben Bands wie die Sex Pistols, wie die Beatles, wie Patti Smith ihn auch gefeiert haben – und auch Künstler, auch Maler, auch Schriftsteller. Das fing dann schon in den 60er-Jahren eigentlich an, und das hat ihn sehr, sehr populär werden lassen, und in einer gewissen Weise hat er sich dann auch verkauft. Er hat auch in einem Nike-Spot plötzlich mitgespielt, ist in diversen Filmen aufgetreten, beispielsweise in Filmen von Gus van Sant. David Cronenberg hat ihm einen Film eben auch gewidmet.
Meyer: Aber es gab diese Zeit des großen Nonkonformismus in seinem Leben, 50er-, 60er-Jahre – Sie haben das, glaube ich, schon erwähnt. Er hat sich zu seinem Schwulsein bekannt, als das wirklich noch gefährlich war, in den USA offen zu sagen, ja, ich bin schwul. Aber Sie zeigen auch Seiten von ihm, wo er doch auch heute verstörend wirkt auf eine andere Weise wieder. Sie zeigen zum Beispiel, was für ein Waffennarr William S. Burroughs war, dass er in seinem Keller einen großen Schalldämpfer hatte, durch den er schießen konnte, um dann da seine Waffenübungen zu machen, dass er mindestens eine Waffe bei sich hatte, sogar in seinem Bett mit einer geladenen Pistole lag. Wie erklären Sie sich das, diese obsessive Liebe zu Waffen bei diesem Mann?
Leyser: Das ist wirklich sehr, sehr schwer zu erklären. Das lässt sich natürlich mit Angst erklären. Der Mann war paranoid, er hatte auch wahnsinnig viele Unfälle, also eben auch, dass er seine Frau da getötet hat. Daraus resultiert aber wieder auch eine Angst, weil ihm das schon passiert war und weil er homosexuell war – da fühlte er sich dann eben auch verfolgt, er gab eben auch zu, paranoid zu sein. Und Psychiater erklären das dann eben auch mit diesen Phänomenen. Aber ich kann das jetzt nicht an einer wirklichen Sache festmachen, da müsste man sich dann schon auch ein bisschen den Film angucken, der sich da versucht doch ein bisschen anders mit auseinanderzusetzen.
Meyer: Sie gehen natürlich auch ein in Ihrem Film auf diesen, ja, ganz wichtigen Punkt in seinem Leben, Sie haben es gerade erwähnt, dass Burroughs seine Frau erschossen hat, seine Frau Joan. Das war so eine – so beschreiben Sie es in dem Film – so eine Art Wilhelm-Tell-Spiel, bei dem das passiert ist. Sie hat sich ein Glas mit Gin, glaube ich, auf den Kopf gesetzt, er wollte das runterschießen und hat seiner Frau in die Stirn geschossen. Was hat das bedeutet für sein Leben danach?
Leyser: Nun weiß man es natürlich nicht ganz genau, was das für Folgen hatte, da müsste man dann wirklich viel intimer auch mit seinem Psychiater darüber reden, aber es war ein schrecklicher Unfall. Und dieser wahnsinnige Druck, der dadurch auch auf ihm gelastet hat, hat mit Sicherheit dazu geführt, dass er Schriftsteller geworden ist. Und ja, er war sehr traurig deshalb und konnte das aber in keinster Weise irgendwie verdauen, was da passiert ist.
Und man muss auch wirklich sagen, er hat dann auch sehr viele Menschen, die ihm eigentlich nahestanden, vernachlässigt. Er hat seine Mutter vernachlässigt, er hat seinen Sohn vernachlässigt, auch Freunde vernachlässigt. Er war irgendwo auch sehr, sehr kalt. Und die Frage ist: Konnte er überhaupt lieben? Er, der wirklich geliebt wurde von so vielen, war er selber in der Lage zu lieben?
Meyer: Das ist interessant eben an Ihrem Film, dass Sie diese Widersprüche so ausreizen geradezu, an dieser Figur. Also einerseits der Aufrührer, der er war, dann andererseits zeigen Sie ihn auch, was er eben auch war, ein zurückhaltender Gentleman, der immer im Dreiteiler aufgetreten ist, und ein Freigeist, der er war, auch gerade in sexueller Hinsicht. Andererseits war er offenbar, was Sie gerade ansprechen, emotional-sexuell sehr verschlossen, hatte Sex – so heißt es in dem Film – irgendwann nur noch mit bezahlten Strichjungen. Glauben Sie, dass es diese Widersprüche sind in diesem Menschen, in diesem Künstler ja auch, die ihn letztlich auch so produktiv gemacht haben?
Leyser: Es ist ja bei vielen Künstlern, bei vielen großen Künstlern wirklich so, dass sie unglaubliche Konflikte mit sich herumschleppen, und die wollen nicht unbedingt dein Freund sein, aber die man als einen Künstler haben will, den man eben dann auch bewundert. Und dann kommt eben noch hinzu, dass er aus dieser amerikanischen Upperclass stammt, was ja irgendwo auch ziemlich beunruhigend eigentlich ist, wenn man da aufwächst.
Meyer: Ich muss sagen, ich war ganz bei Ihrem Film gefangen auch von der Energie, die Sie da entfalten rings um diesen Menschen, auch von dieser aufrührerischen Kraft in diesem Mann, in Burroughs, und Sie bringen diese Kraft da wirklich zum Leuchten. Nur der Schluss Ihres Filmes, der hat mich dann aus der Bahn geworfen. Sie zitieren da den letzten Tagebucheintrag von Burroughs, kurz vor seinem Tod. In dem hat er geschrieben: "Liebe, was ist das? Das natürlichste Schmerzmittel überhaupt." Das ist ja schon ein Schlusswort, und dann kommt ein Zweites: Da sagt ein langjähriger Begleiter von Burroughs, er sei doch jetzt eine Art Heiliger, ein Heiliger vielleicht der Gegenkultur. Und da dachte ich, nee, jetzt wird der große Aufrührer Burroughs, jetzt wird er mit Liebe und mit einem Heiligenstatus so eingemeindet, so befriedet – oder ist es ganz anders gemeint?
Leyser: Ich kann verstehen, was Sie meinen, aber das eigentliche Ende des Films – der Film endet wirklich mit diesem letzten Tagebucheintrag. Das war das letzte Mal, dass Burroughs wirklich einen Stift in die Hand genommen hat, um uns etwas mitzuteilen. Und auf was Sie sich da noch beziehen, das, was John Waters dann in dem Film sagt, das ist sozusagen ein Epilog. Da versucht er vielleicht auch ein bisschen zu rechtfertigen, warum er sich jetzt gerade 90 Minuten mit Burroughs auseinandergesetzt hat, und das richtet sich dann wahrscheinlich oder mit Sicherheit auch an jüngere Zuschauer. Es ist eine Art Nachwort, das ist ein Postskriptum.
Meyer: Ist denn William S. Burroughs jetzt für Sie, nach dieser langen Beschäftigung mit ihm, für Sie ein Heiliger?
Leyser: Nein, ist er nicht. Er ist kein Heiliger für mich. Ich würde sagen, er war so etwas wie ein oder ist so was wie ein wichtiger Mentor, aber heilig ist er nicht für mich.
Meyer: "William S. Burroughs – A Man Within", so heißt der Film von Yony Leyser – seit Donnerstag in unseren Kinos. Yony Leyser, thanks a lot for joining us!
Leyser: Danke schön, vielen Dank, Deutschland!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Yony Leyser: Hallo!
Meyer: Sie haben schon in der Schule den berühmtesten Roman von Burroughs gelesen "Naked Lunch", und Sie haben sich sofort in dieses Buch verliebt, haben Sie einmal erzählt. Das ist ja auch ein finsteres und obszönes, verstörendes Buch – in was haben Sie sich da verliebt?
Leyser: Ich glaube, ich verliebte mich darin, dass hier eine Idee propagiert wurde, die antiautoritär war, die gegen die totale Kontrolle des Staates ging, und das alles auf eine sehr, sehr tierische, eine sehr witzige, eine sehr lockere Art und Weise. Und das hat mir irgendwo die Augen geöffnet, nachdem ich sehr viel schlechte Literatur gelesen hatte, weil in amerikanischen Schulen kriegt man die guten Sachen nicht zu lesen.
Meyer: Das heißt, dieser berühmte Roman "Naked Lunch" ist immer noch keine Schullektüre in den USA?
Leyser: Ja, definitiv nicht. Das Einzige, was vielleicht von Beatautoren mittlerweile zu lesen ist, wäre "On the Road". Aber das heißt noch lange nicht, dass die Kids das nicht nach der Schule lesen.
Meyer: Wir wollen auch mal den Meister selbst hören, also William S. Burroughs. Wir haben uns einen kurzen Ausschnitt aus einer Lesung herausgesucht. Man hört diesen Ausschnitt in Ihrem Film und jetzt hier auch mal kurz bei uns:
(Film-O-Ton)
William S. Burroughs: Ein Mann wird nackt hereingetragen von zwei schwarzen Dienern, die ihn mit bestialischer Brutalität höhnisch auf die Planken fallen lassen. Der Mann windet sich. Sein Fleisch wird zu einer zähen, durchsichtigen Gallerte, die in grünem Dunst entschwindet.
Meyer: Sein Fleisch wird zu einer zähen, durchsichtigen Gallerte, die in grünem Dunst entschwindet. Richtig appetitlich ist das ja nicht, warum haben Sie das hineingenommen in Ihren Film?
Leyser: Das liegt einfach daran, dass ich mag, wie Burroughs mit der Groteske umgeht, wie er die Groteske auch darstellt. Und auch ich in meiner künstlerischen Tätigkeit habe ich immer mit Groteske auseinandergesetzt, ganz egal, ob ich Fotos mache oder ob ich schreibe. Und wenn man hier spazieren geht, hier in Berlin vielleicht nicht ganz so stark, aber in anderen Städten, in denen man lebt, dann sieht man immer nur das Schöne, man sieht immer nur die Fassade, nicht das, was dahinter liegt. Man sieht den schönen Baum, aber nicht unbedingt die Würmer, die ihn zerfressen. Man sieht nicht die Verwesung. Und mich interessiert das Groteske und mich interessiert auch der Verfall.
Meyer: In Ihrem Film, da beschreiben viele Gesprächspartner, dass William S. Burroughs zumindest eine Zeit lang so etwas wie das Feindbild war für den amerikanischen Mainstream, eine enorme Provokation. Was Sie gerade beschrieben haben, dieses Blicken hinter die Fassade, eben auf das Schmutzige, das Gemeine, das Hässliche, Obszöne – war er dadurch so eine Provokation, oder war es noch etwas ganz anderes?
Leyser: Ja, ich glaube, er hat diese traditionellen amerikanischen Werte wirklich auch angegriffen, die im Christentum bestehen, in der heilen Familie. Man arbeitet schön von neun bis fünf, man ist angepasst – und dann jemand, der in den 50er-Jahren homosexuell war, der Drogen genommen hat, der nicht linear geschrieben hat, der sich mit dem Tod auseinandergesetzt hat, bei dem die Elemente von grotesk eine so starke Rolle gespielt haben, das war wie ein Schneeballeffekt, der dazu eben führte, dass die Leute davon sehr verstört waren. Und Gott sei Dank wird diese Tradition wenigstens teilweise fortgeführt, aber ich glaube, es gibt immer noch eine große Angst in den USA vor ihm und seinem Werk. Und das ist auch einer der Gründe, warum ich nach Berlin gezogen bin, weil hier scheinen die Leute ein bisschen weniger Angst vor solchen Dingen zu haben als in meinem Land.
Meyer: Sie haben es schon gesagt, dass "Naked Lunch" noch keine Schullektüre ist in den USA, was ich natürlich, ehrlich gesagt, auch nicht erwartet habe, aber wie ist das mit William S. Burroughs und dem heutigen Amerika? Ist er heute mit dieser großen hungrigen Umarmung der Popkultur eingemeindet worden oder ist dieses Verstörende an ihm, ist das immer noch verstört?
Leyser: Ja, mit Sicherheit hat das vor allen Dingen auch in den 70er-Jahren eine ganz große Rolle gespielt, dass er sozusagen in die amerikanische Popkultur mit eingedrungen ist, dass eben Bands wie die Sex Pistols, wie die Beatles, wie Patti Smith ihn auch gefeiert haben – und auch Künstler, auch Maler, auch Schriftsteller. Das fing dann schon in den 60er-Jahren eigentlich an, und das hat ihn sehr, sehr populär werden lassen, und in einer gewissen Weise hat er sich dann auch verkauft. Er hat auch in einem Nike-Spot plötzlich mitgespielt, ist in diversen Filmen aufgetreten, beispielsweise in Filmen von Gus van Sant. David Cronenberg hat ihm einen Film eben auch gewidmet.
Meyer: Aber es gab diese Zeit des großen Nonkonformismus in seinem Leben, 50er-, 60er-Jahre – Sie haben das, glaube ich, schon erwähnt. Er hat sich zu seinem Schwulsein bekannt, als das wirklich noch gefährlich war, in den USA offen zu sagen, ja, ich bin schwul. Aber Sie zeigen auch Seiten von ihm, wo er doch auch heute verstörend wirkt auf eine andere Weise wieder. Sie zeigen zum Beispiel, was für ein Waffennarr William S. Burroughs war, dass er in seinem Keller einen großen Schalldämpfer hatte, durch den er schießen konnte, um dann da seine Waffenübungen zu machen, dass er mindestens eine Waffe bei sich hatte, sogar in seinem Bett mit einer geladenen Pistole lag. Wie erklären Sie sich das, diese obsessive Liebe zu Waffen bei diesem Mann?
Leyser: Das ist wirklich sehr, sehr schwer zu erklären. Das lässt sich natürlich mit Angst erklären. Der Mann war paranoid, er hatte auch wahnsinnig viele Unfälle, also eben auch, dass er seine Frau da getötet hat. Daraus resultiert aber wieder auch eine Angst, weil ihm das schon passiert war und weil er homosexuell war – da fühlte er sich dann eben auch verfolgt, er gab eben auch zu, paranoid zu sein. Und Psychiater erklären das dann eben auch mit diesen Phänomenen. Aber ich kann das jetzt nicht an einer wirklichen Sache festmachen, da müsste man sich dann schon auch ein bisschen den Film angucken, der sich da versucht doch ein bisschen anders mit auseinanderzusetzen.
Meyer: Sie gehen natürlich auch ein in Ihrem Film auf diesen, ja, ganz wichtigen Punkt in seinem Leben, Sie haben es gerade erwähnt, dass Burroughs seine Frau erschossen hat, seine Frau Joan. Das war so eine – so beschreiben Sie es in dem Film – so eine Art Wilhelm-Tell-Spiel, bei dem das passiert ist. Sie hat sich ein Glas mit Gin, glaube ich, auf den Kopf gesetzt, er wollte das runterschießen und hat seiner Frau in die Stirn geschossen. Was hat das bedeutet für sein Leben danach?
Leyser: Nun weiß man es natürlich nicht ganz genau, was das für Folgen hatte, da müsste man dann wirklich viel intimer auch mit seinem Psychiater darüber reden, aber es war ein schrecklicher Unfall. Und dieser wahnsinnige Druck, der dadurch auch auf ihm gelastet hat, hat mit Sicherheit dazu geführt, dass er Schriftsteller geworden ist. Und ja, er war sehr traurig deshalb und konnte das aber in keinster Weise irgendwie verdauen, was da passiert ist.
Und man muss auch wirklich sagen, er hat dann auch sehr viele Menschen, die ihm eigentlich nahestanden, vernachlässigt. Er hat seine Mutter vernachlässigt, er hat seinen Sohn vernachlässigt, auch Freunde vernachlässigt. Er war irgendwo auch sehr, sehr kalt. Und die Frage ist: Konnte er überhaupt lieben? Er, der wirklich geliebt wurde von so vielen, war er selber in der Lage zu lieben?
Meyer: Das ist interessant eben an Ihrem Film, dass Sie diese Widersprüche so ausreizen geradezu, an dieser Figur. Also einerseits der Aufrührer, der er war, dann andererseits zeigen Sie ihn auch, was er eben auch war, ein zurückhaltender Gentleman, der immer im Dreiteiler aufgetreten ist, und ein Freigeist, der er war, auch gerade in sexueller Hinsicht. Andererseits war er offenbar, was Sie gerade ansprechen, emotional-sexuell sehr verschlossen, hatte Sex – so heißt es in dem Film – irgendwann nur noch mit bezahlten Strichjungen. Glauben Sie, dass es diese Widersprüche sind in diesem Menschen, in diesem Künstler ja auch, die ihn letztlich auch so produktiv gemacht haben?
Leyser: Es ist ja bei vielen Künstlern, bei vielen großen Künstlern wirklich so, dass sie unglaubliche Konflikte mit sich herumschleppen, und die wollen nicht unbedingt dein Freund sein, aber die man als einen Künstler haben will, den man eben dann auch bewundert. Und dann kommt eben noch hinzu, dass er aus dieser amerikanischen Upperclass stammt, was ja irgendwo auch ziemlich beunruhigend eigentlich ist, wenn man da aufwächst.
Meyer: Ich muss sagen, ich war ganz bei Ihrem Film gefangen auch von der Energie, die Sie da entfalten rings um diesen Menschen, auch von dieser aufrührerischen Kraft in diesem Mann, in Burroughs, und Sie bringen diese Kraft da wirklich zum Leuchten. Nur der Schluss Ihres Filmes, der hat mich dann aus der Bahn geworfen. Sie zitieren da den letzten Tagebucheintrag von Burroughs, kurz vor seinem Tod. In dem hat er geschrieben: "Liebe, was ist das? Das natürlichste Schmerzmittel überhaupt." Das ist ja schon ein Schlusswort, und dann kommt ein Zweites: Da sagt ein langjähriger Begleiter von Burroughs, er sei doch jetzt eine Art Heiliger, ein Heiliger vielleicht der Gegenkultur. Und da dachte ich, nee, jetzt wird der große Aufrührer Burroughs, jetzt wird er mit Liebe und mit einem Heiligenstatus so eingemeindet, so befriedet – oder ist es ganz anders gemeint?
Leyser: Ich kann verstehen, was Sie meinen, aber das eigentliche Ende des Films – der Film endet wirklich mit diesem letzten Tagebucheintrag. Das war das letzte Mal, dass Burroughs wirklich einen Stift in die Hand genommen hat, um uns etwas mitzuteilen. Und auf was Sie sich da noch beziehen, das, was John Waters dann in dem Film sagt, das ist sozusagen ein Epilog. Da versucht er vielleicht auch ein bisschen zu rechtfertigen, warum er sich jetzt gerade 90 Minuten mit Burroughs auseinandergesetzt hat, und das richtet sich dann wahrscheinlich oder mit Sicherheit auch an jüngere Zuschauer. Es ist eine Art Nachwort, das ist ein Postskriptum.
Meyer: Ist denn William S. Burroughs jetzt für Sie, nach dieser langen Beschäftigung mit ihm, für Sie ein Heiliger?
Leyser: Nein, ist er nicht. Er ist kein Heiliger für mich. Ich würde sagen, er war so etwas wie ein oder ist so was wie ein wichtiger Mentor, aber heilig ist er nicht für mich.
Meyer: "William S. Burroughs – A Man Within", so heißt der Film von Yony Leyser – seit Donnerstag in unseren Kinos. Yony Leyser, thanks a lot for joining us!
Leyser: Danke schön, vielen Dank, Deutschland!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.