"Ich male kleine Ölbilder, weil sie wie Gedichte sind"

Von Sigrid Brinkmann |
"Heimat" und "Identität" sind Begriffe, die der 1925 in Beirut geborenen Malerin und Poetin Etel Adnan nichts bedeuten. Sie hat in Paris studiert, fünfzig Jahre in Amerika verbracht und erneut im Libanon gelebt.
Gerade sind zwei neue Bücher von Etel Adnan auf Deutsch erschienen: "Die arabische Apokalypse" und "Jahreszeiten. Schrift und Bilder". Entdecken kann man bis Mitte September aber auch ihr malerisches Werk - bei der documenta 13 in Kassel.

"J'aime la couleur rouge. Je dois faire attention parce que autrement je mettrais du rouge sans arrêt ... "
"Ich liebe die Farbe Rot. Ich muss aufpassen, weil ich sonst immerzu nur Rot verwenden würde. Diese Farbe kann ein Bild erdrücken."
..." ca peut écraser un tableau."

Etel Adnan steht vor einem ihrer abstrakten, kleinformatigen Ölbilder. Man erkennt Berglandschaften, Wüsten, Wasserlöcher, das Meer. In dem hohen weißen Raum wirkt die 87 Jahre alte Malerin in der karierten Hose zerbrechlich klein. Sie zieht die Strickjacke fest und streicht dabei über eine Blumenbrosche.

"J'ai passé certaines périodes de ma vie ... "
"Es gab Phasen in meinem Leben, da habe ich zehn Jahre lang nichts geschrieben. Die Malerei ist viel direkter als Worte. Die Farbe in den Tuben zwingt dir keine Assoziationen auf. Sie wirkt direkt, wie die Musik. Malen ist etwas Primitives."
... "c'est primitif."

Wenn Etel Adnan ein Gedicht schreibt, dann in einem Zug. Und kein Wort wird danach ausgetauscht. Gerät ein Gedanke ins Stocken, zeichnet sie zwischen den Zeilen Spiralen, Kreise, Blöcke, Linien.

"C'est pour ca que je fais ... "
"Ich male kleine Ölbilder, weil sie wie Gedichte sind. Gedichte sind kurz. Ich will immer gleich fertig werden. Ich bin impulsiv."
... "je suis impulsive."

Seit 50 Jahren lebt Etel Adnan eine künstlerische Doppelexistenz. Ihr 1976 in Beirut entstandener Debütroman "Sitt Marie-Rose" ist ein Klassiker der modernen arabischen Literatur. Der amerikanische Theaterregisseur Robert Wilson bat sie, das Libretto für den französischen Part seines fünfteiligen Opernprojektes "The CIVIL warS" zu schreiben und der englische Komponist Gavin Bryars vertonte acht ihrer Gedichte.

"Niemand verlangte von Dir ein Engel der Angst oder gar des Todes zu sein / Wir wollten nur, Deine Haut wäre so glatt / wie die See / an einem Nachmittag im Oktober / in Beirut, Libanon / zwischen zwei Bürgerkriegen "

Beirut bleibt für Etel Adnan eine offene Wunde, ein Dauerschmerz.

"Ah, pauvre Beyrouth! C'est le cauchemar absolu ... "
"Beirut ist der absolute Albtraum. Der Wiederaufbau hat mehr zerstört als 15 Jahre Bürgerkrieg. Während des Krieges hatte man wenigstens noch Hoffnung. Danach wurde die Stadt zubetoniert. Kein Baum, keine Fußwege. Kinder können nirgends spielen. Selbst das Meer haben sie beschlagnahmt. Wer schwimmen will, muss Eintritt zahlen. Ein Albtraum."
... "c'est un cauchemar."

Etel Adnan möchte auf einer Holzbank vor den Fenstern der hohen Halle ausruhen. Zufrieden entdeckt sie bekannte Gesichter in der Menge.

"Ah voilà la dame: Bonjour! Cette dame, elle collectionneur. Elle est belge ... "

Sie grüßt eine belgische Sammlerin und beobachtet Catherine David, die 1997 die documenta X kuratierte. Ein junger Galerist aus Antwerpen will Etel Adnans Bilder ausstellen. Eine französische Kunstfilmproduzentin meldet sich zum Besuch in Paris an. Und plötzlich taucht die indische Künstlerin Nalini Malani auf, um Etel Adnan zur Ausstellung zu gratulieren.

"Congratulation! I love your work! C'est Madame Malani. Where is your work? Downstairs, after the german artist with the machines, after that. I have a sloap that goes down into my hell. You come. (Lachen)"

Malani bittet Etel Adnan in ihr Kabinett. Mit 87 Jahren zur weltweit bedeutendsten Schau von Gegenwartskunst eingeladen zu sein, ist ein Riesenerfolg, doch Etel Adnan winkt ab.

"Non, je n'aime pas le mot succès mais je suppose à mon âge ... ."
"Ich mag das Wort Erfolg nicht, und in meinem Alter kommt es auch nicht mehr darauf an. Ich kann tun und lassen, was ich will, aber ich war doch ein wenig aufgeregt. Neulich musste ich ein paar Bilder malen, nur um mich zu beruhigen."
... "ca m‘a calmé."

Beruhigend wirkt auf sie die Architektur in Deutschland. Sie kennt Hamburg, Köln, Berlin, Weimar und Stuttgart. Sie mag die breiten Bürgersteige, die großen Haustüren und dicken Mauern. In Frankreich, sagt sie lachend, habe man es immer mit Fassaden zu tun: außen prächtig und innen stickige Enge. Während hinten in der Halle die Motorengeräusche des Künstlers Thomas Bayrle rauschen, schaut Etel Adnan versonnen auf die Karlsaue am Fuß der documenta-Halle und beginnt laut vom Rhein, vom Nil und vom Hudson zu träumen. Sie vermisst den Mount Tamalpais hinter ihrem Haus in Sausalito. Dreißig Jahre lang hat sie den Berg immer wieder gemalt, doch vor zwei Jahren hat sie ihre nomadische Existenz aufgegeben und den Tamalpais verlassen.

"les grands espaces de la Californie, l‘océan, ca me manqué ... "
"Ich vermisse die Weite in Kalifornien und den Ozean. Es tut körperlich weh, aber mit dem Flugzeug zu reisen, erschöpft mich inzwischen zu sehr. Ich muss abwägen und habe mich für Paris entschieden. Es ist doch ein Glück, in Europa zu leben. Trotz aller Probleme bleibt es interessant."
... "malgré les problèmes, c‘est intéressant."

Übersicht zu unserer Serie: Gesichter einer Ausstellung - Künstler und Künstlerinnen auf der documenta
Mehr zum Thema