"Ich möchte versuchen, wirklich völlig normal zu bleiben"

Patrick Lange im Gespräch mit Katrin Heise |
"Ich möchte die Leute dazu bringen, dass sie wirklich an einem Strang ziehen und auch an einem Abend gemeinsam Musik machen", sagt der neue Chefdirigent der Komischen Oper Berlin, Patrick Lange. Seine Linie sei, offen zu sein.
Katrin Heise: Patrick Lange heißt der neue Chefdirigent der Komischen Oper Berlin. Lange stammt aus der Nähe von Nürnberg, er war Assistent von Claudio Abbado und tritt nun mit nur 29 Jahren seine erste Chefstelle an. Über die Herausforderung, die Musik gegenüber der Regie zu behaupten, und über das Selbstverständnis dieser jungen Dirigentengeneration spreche ich nun mit Patrick Lange, er ist nämlich zu Gast bei uns im "Radiofeuilleton". Darüber freue ich mich sehr schön. Guten Tag, Herr Lange!

Patrick Lange: Schönen guten Tag auch!

Heise: Sie übernehmen das Orchester der Komischen Oper ja in nicht ganz einfachen Zeiten, es ging doch recht turbulent zu. Der bisherige Chefdirigent, Carl St. Clair, verlässt das Haus ja vorzeitig, unter anderem, weil es Streit gab über eine "Fidelio"-Inszenierung. Da hatte der Regisseur Benedikt von Peter Müllcontainer auf die Bühne gestellt, er hat auf die Ouvertüre verzichtet, es gab ein Riesentohuwabohu. Mit welchen Gefühlen treten Sie in dieser Situation Ihr Amt an – ist das Vorfreude oder eher flaues Gefühl im Magen?

Lange: Also zuallererst muss ich mal sagen, dass es natürlich erst mal eine unglaublich aufregende Zeit auch jetzt war, die letzten Tage, seitdem ich den Anruf irgendwie von Herrn Homoki bekommen hatte. Für mich letztendlich ist es jetzt wirklich oder ich bin mittlerweile in dem Stadium, wo ich das sehr spannend finde und mich wirklich darauf freue. Am Anfang war das alles ein bisschen sehr aufregend, aber es ist irgendwie auch eine ganz, ganz tolle Aufgabe, denn die Möglichkeit, natürlich erst mal ein unglaublich schönes Repertoire zu dirigieren. Ich habe nächstes Jahr drei Premieren mit "Meistersinger", "Rusalka" und "Idomeneo", drei wirklich absolute Traumstücke. Also insofern freue ich mich da sehr auf diese Aufgabe, und ich hoffe, dass ich da auch viel Unterstützung bekomme.

Heise: Um trotzdem noch mal auf diese Streitigkeiten zurückzukommen: Der "Tagesspiegel", der "Berliner Tagesspiegel" nennt sie heute den lachenden Dritten – fühlen Sie sich so?

Lange: Nein, überhaupt nicht. Gar nicht, weil es wäre mir natürlich weitaus lieber – also natürlich freue ich mich über die Anerkennung, die ich auch mit dieser Aufgabe irgendwie bekomme, zum anderen sage ich aber natürlich, es wäre mir weitaus lieber, wenn es anders gekommen wäre. Und ich schätze Carl St. Clair als einen wirklich unglaublich tollen Musiker, mit dem ich sehr gut zusammenarbeiten konnte. Jetzt kam es eben leider so, und ja, die Situation kann ich jetzt leider eben nicht ändern. Insofern müssen wir jetzt mal sehen, ich freue mich aber auf die Aufgabe.

Heise: Und die Aufgabe besteht ja unter anderem auch darin, so was wie so einen Zwist, der ja in diesem "Fidelio" aufgegangen ist, auch auszuhalten, das ist ja so wie so ein Kräftemessen zwischen dem Regietheater und der werktreuen musikalischen Gestaltung. Diese beiden Pole sind das ja so, die Sie da auch aushalten müssen. Die "Morgenpost" hat dazu mal Operngeschäft als Boxkampf beschrieben. Wie stellen Sie sich auf diesen Kampf ein, oder ist das für Sie keiner?

Lange: Ich hoffe mal, dass es kein Kampf ist. Also ich bin da natürlich Idealist und ich bin ein junger Dirigent von 29 Jahren, der sich auch auf viele Dinge sicher einlässt, auf die ich mich vielleicht in zehn Jahren nicht mehr einlassen würde. Ich finde das irgendwie auch ganz spannend, die Beschäftigung mit dem Theater, und ich finde auch, dass Musiktheater heute wirklich auch spannend sein muss. Da muss schon auch etwas passieren. Es gibt natürlich eine Schmerzgrenze, die hat jeder und die habe auch ich, und ich hoffe, dass wir das wirklich in vielen Gesprächen und mit wirklich guter vorzeitiger Planung und konzeptionellen Arbeit aus dem Weg räumen können, bevor die Proben beginnen. Denn ich glaube, das ist einer der wichtigsten Punkte, dass man rechtzeitig über das Konzept redet und wirklich auch miteinander gestaltet – alle an einem Strang wirklich ziehen.

Heise: Also sich auf Augenhöhe begegnen, Musik und Theater, das haben Sie mal gesagt. Ist das möglich bei so Altmeistern wie zum Beispiel Hans Neuenfels oder diesen Berserkern wie Bieito?

Lange: Zum Beispiel Hans Neuenfels ist einer, der natürlich, der ein unglaublich starkes Konzept auch hat, der aber das auch wirklich kommunizieren kann. Also ich habe Proben von ihm miterlebt, das zieht einen wirklich in einen Bann. Und von Bieito selbst habe ich noch keine Inszenierung selbst mit betreut, insofern kann ich da noch nichts sagen. Ich weiß aber, dass er von der Arbeit her mit den Sängern wirklich eine unglaubliche Energie ausstrahlt und die Leute wirklich dazu bringt, etwas zu tun.

Heise: Sie haben jetzt die Sänger beschrieben, wie wichtig ist das für Sie als Dirigent eigentlich, vom Orchester gemocht, vielleicht geliebt zu werden, oder muss man da eigentlich so ein bisschen doch Abstand halten und eher der Einpeitscher sein müssen, derjenige, der da so ein bisschen strenger vorgeht – was ist so Ihre Linie?

Lange: Also meine Linie ist eigentlich, wirklich offen zu sein. Ich finde, dieses Autoritäre geht heutzutage sowieso nicht mehr, das ist irgendwie, es muss wirklich etwas sage ich jetzt mal Kollegiales sein. Die Art und Weise, wie ich arbeite, ist die: Ich möchte die Leute dazu bringen, dass sie wirklich an einem Strang ziehen und auch an einem Abend gemeinsam Musik machen. Das geht natürlich auch nicht ganz ohne Strenge und schon gar nicht in dieser Position. Und ich habe das jetzt schon auch gemerkt, dass natürlich die Art und Weise, wie ich den Musikern als Kapellmeister begegnet bin, natürlich auch eine andere ist als ...

Heise: Eine ganz andere, ne, da sind Sie auf einer ganz anderen Ebene.

Lange: Auf jeden Fall. Auf jeden Fall, ja.

Heise: Und dann ist ja noch in Berlin auch noch mal eine besondere Situation, da gibt es drei Opernhäuser, die konkurrieren, zwar unter einem Dach, eben der Opernstiftung, aber es ist natürlich trotzdem eine Konkurrenz. Was für ein Druck lastet denn da auf Ihnen?

Lange: Ehrlich gesagt, also in diese Richtungen nicht. Also es gibt genug anderer Druck, der irgendwie auf mir lastet, aber das hat mich bisher noch gar nicht so wirklich, ich habe noch gar nicht so gut drüber nachgedacht, ehrlich gesagt. Da ist es einfach so, wir sind so anders als die anderen Opernhäuser, wir sind so ein anderes Haus, wir haben ganz andere Arbeitsweise erst mal, wie wir wirklich an neue Produktionen rangehen, wie wir auch an das Repertoire wieder rangehen. Aber zum anderen ist es eben auch, ja, es ist ja eben gerade das Spannende, dass wir so anders sind und dass auch jedes Haus irgendwie sein eigenes Kriterium hat, seinen eigenen Charakter auch hat.

Heise: Zu Gast im "Radiofeuilleton" heute der neue Chefdirigent der Komischen Oper Berlin, Patrick Lange. Ich würde gern noch mal auf das Wort von Claudio Abbado zurückkommen, was ich eingangs nannte: Die Insel der Einsamkeit, das Dirigentenpult, zu nennen, empfinden Sie das so, wenn Sie da vorne stehen und den Takt angeben, sind Sie da einsam?

Lange: Nein. Also ich schätze Claudio wahnsinnig und ich bin mir sicher, er hatte seinen guten Grund, das zu sagen, nichtsdestotrotz glaube ich, dass ... eine Insel der Einsamkeit, das wäre zu weit. Also es ist immer ein Miteinander, was man macht. Ich muss wirklich versuchen, Abend für Abend die Leute dazu bringen, etwas wirklich gemeinsam zu machen. Das ist wirklich mein Credo und das ist das, woran ich glaube. Deswegen, glaube ich, ist es schon ein Miteinander. Und dann, die besten Vorstellungen sind auch immer die, wo man richtig spürt, sowohl auf der Bühne als auch im Graben als auch drumrum: Es gibt eine gemeinsame Energie. Insofern fühle ich mich da niemals alleine, sondern ...

Heise: Aber Sie stehen da oben alleine und Sie sind derjenige, auf den alle gucken, und ist das nicht so ein Gefühl, das Sie da haben, also auch die Verantwortung, die auf Ihren Schultern und nicht auf allen gemeinsam lastet?

Lange: Ja, aber das habe ich nie so empfunden. Ich habe eigentlich oder ich versuche, selbst immer Spaß auch dabei zu haben, und das geht halt am besten irgendwie gemeinsam. Aber vielleicht rede ich mir das auch eigentlich nur ein, das könnte natürlich auch sein, weiß man nicht.

Heise: Warten wir mal ab, was noch kommt.

Lange: Genau.

Heise: Ihre Generation, Dirigenten um die 30, da gibt es ja eine ganze Reihe, sind derzeit schwer am Kommen. Wenn ich dann noch mal den "Tagesspiegel" zitieren darf, der sprach neulich von der Generation der gläubigen Individualisten, bodenständig, ehrgeizig, fleißig, neugierig, demütig. Finden Sie sich und Ihre Berufsauffassung da korrekt beschrieben?

Lange: Also ich denke, heute geht nichts ohne Demut, es geht auch absolut nichts ohne Fleiß. Bodenständigkeit, glaube ich, ist auch wichtig, denn ohne Bodenständigkeit, also wenn wir abheben würden, würde uns niemand mehr ernst nehmen und wir könnten auch wirklich nicht wirklich konkret mit den Musikern arbeiten. Die Zeiten sind einfach vorbei von abgehobenen (Anm. d. Red.: schwer verständlich) Dirigenten, daran glaube ich zumindest. Insofern, glaube ich, trifft das heute schon zu.

Heise: Das, was Sie eben auch gesagt haben, mit der Autorität, so geht es einfach nicht mehr, man muss da anders arbeiten. Gleichzeitig gibt es ja eine groß angelegte Vermarktungsmaschinerie, denn es müssen junge Leute in die Opernhäuser oder in die Konzerthäuser geholt werden, und da ist ein ganz bestimmter Dirigententypus irgendwie auch gefragt: jung, charismatisch, auch sehr ekstatisch zum Teil. Da fällt einem sicherlich Gustavo Dudamel ein, der wird ja sogar der Obama der Musik genannt. Was sagen Sie zu so einer Entwicklung? Also das sind ja dann eben die Individualisten, die so nach vorne geschoben werden.

Lange: Das ist eine sehr schwierige Frage. Das ist natürlich auch irgendwie ein Relikt unserer Zeit heute, sage ich mal, dass es natürlich im Ideal alles groß aufbereitet wird, dass wirklich gerade die Medien nach neuen Gesichtern auch irgendwie schreit. Ich glaube nichtsdestotrotz – und das ist wirklich auch eine Überzeugung von mir –, es geht letztendlich um die Musik oder es muss um die Musik gehen. Das ist eben der demütige Punkt. Und alles andere oder ich versuche zumindest, alle andere auch irgendwie wirklich wegzudrängen. Und mich interessieren bei Dirigenten, auch bei Kollegen oder bei Aufnahmen, wenn ich Aufnahmen höre, mich interessiert es nicht, wer das macht und wie er das macht und wie das dabei aussieht und ob das ekstatisch ist, sondern es geht eigentlich um das, was ich wirklich höre. Ich möchte überzeugt sein von dem, was jemand künstlerisch zu sagen hat. Vielleicht tritt das heutzutage manchmal ein bisschen zu sehr in den Hintergrund, und das finde ich irgendwie schade eigentlich.

Heise: Und was macht man dagegen, was werden Sie dagegen machen?

Lange: Arbeiten, also wirklich qualitativ immer versuchen, das wirklich auf dem Bestniveau zu erarbeiten und sich wirklich sehr viel mit der Materie zu beschäftigen.

Heise: Beobachten Sie bei so Kollegen, die dann so im Fokus stehen, auch eine Veränderung, also eine Veränderung in ihrem Habitus, und befürchten Sie das bei sich auch ein bisschen oder wie würden Sie dagegen angehen?

Lange: Och, das kann ich irgendwie gar nicht sagen. Also bisher war mein ganzer Weg so, dass ich ... Ich habe Gott sei Dank eine Agentur, die das niemals forciert hat, eine Agentur, die eigentlich sehr nachhaltig plant und wirklich sehr gesund einen Plan erstellt für die nächsten Jahre. Jetzt auf einmal geht alles irgendwie wahnsinnig schnell, das war nicht geplant. Ich musste damit auch irgendwie jetzt mal erst mal zurechtkommen und schauen, wie das so wird. Ich möchte versuchen, wirklich völlig normal zu bleiben und wirklich völlig normal Musik zu machen. Ich möchte auch versuchen – und das ist mir sehr wichtig –, in nächster Zeit vor allen Dingen seriös mich auch vorzubereiten. Das ist etwas vom Allerwichtigsten. Also sobald es an die Grenze geht, dass es entweder wirklich so massiv zu viel ist, dass man keine Zeit mehr hat, es vorzubereiten, oder auch wirklich gut konsequent zu arbeiten an den Werken, dann, glaube ich, müsste ich mir einen neuen Beruf suchen.

Heise: Das wollen wir nicht hoffen, dass Sie das müssen. Eine Frage habe ich noch zu dem Generationenmerkmal der Dirigenten so um die 30: Gibt es da was, was so ein Merkmal ist, was sie ausmacht, die Generation, also vielleicht auch musikalisch gesehen?

Lange: Das wirklich Interessante ist, dass wir alle sehr vielfältig vom Repertoire sein müssen auch, während früher war es viel einfacher, jeder hat sich sein eigenes Repertoire gesucht. Heutzutage ist es unglaublich wichtig, dass man historisch informiert arbeitet, das ist eine Notwendigkeit – ich glaube, es geht auch heute gar nicht mehr ohne. Nichtsdestotrotz müssen wir auch genauso Strauß, also Richard Strauß und Wagner machen können wie eben einen Mozart, der auf, keine Ahnung, nicht alte Instrumente, aber doch irgendwie phrasiert und historisch informiert zu spielen. Ich glaube, das ist etwas, was das entscheidende Kriterium ist und was sich vielleicht auch noch ganz anders darstellt als vor 20 Jahren, dass wir junge Dirigentengeneration wirklich viel vielseitiger sein müssen.

Heise: Patrick Lange, Chefdirigent der Komischen Oper, vielen Dank für das Gespräch und gutes Gelingen!

Lange: Ich danke auch!